S 11 AS 431/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 431/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2012 verurteilt, den Klägerinnen unter Abänderung der Bescheide vom 24.05.2011, 06.07.2011, 13.01.2012, 02.03.2012 sowie 09.09.2012 nebst hierzu ergangener Änderungsbescheide für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 monatlich weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 35,00 EUR sowie für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 30.09.2012 i.H.v. monatlich weiteren 40,00 EUR zu bewilligen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen dem Grunde nach. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der den Klägern für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis einschließlich September 2012 zustehenden Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) streitig.

Die am geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter, der am geborenen Klägerin zu 2). Beide bewohnen eine 74 qm große Wohnung in. Die monatliche Bruttokaltmiete betrug für die Zeit vom 01.05.2010 bis zum 30.06.2011 395,00 EUR und setzte sich aus einer Grundmiete von 315,00 EUR sowie Nebenkosten in Höhe von 80,00 EUR zusammen. Seit dem 01.07.2011 beläuft sich die Bruttokaltmiete auf 400,00 EUR im Monat und setzt sich zusammen aus 315,00 EUR Grundmiete und 85,00 EUR Nebenkostenvorauszahlungen. Gegenüber dem Beklagten hatten die Klägerinnen die Mietpreiserhöhungen nicht angezeigt, weswegen dieser im streitgegenständlichen Zeitraum von einer monatlichen Bruttokaltmiete von 380,00 EUR ausging.

Die monatlichen Heizkostenvorauszahlungen beliefen sich im Jahr 2011 auf 102,00 EUR. Im Januar 2012 erhielten die Kläger eine Nebenkostennachzahlung in Höhe von 135,39 EUR. Der monatliche Heizkostenabschlag ab Februar 2012 belief sich sodann auf 79,00 EUR.

Mit Bescheid vom 24.05.2011 änderte der Beklagte die Bewilligung zunächst vom 01.08.2010 bis zum 31.07.2011 gewährten Leistungen für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2011 ab. Bei der Leistungshöhe berücksichtige er Kosten für Unterkunft in Höhe von 330,00 EUR (inkl. Nebenkosten) sowie für die Zeit von Januar 2011 bis einschließlich Februar 2011 Heizkosten in Höhe von 105,00 EUR sowie für die nachfolgenden Zeiträume in Höhe von 92,56 EUR.

Mit Bescheid vom 06.07.2011 bewilligte der Beklagten den Klägerinnen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 923,56 EUR für den Zeitraum von August 2011 bis Dezember 2011, wobei er Kosten für Unterkunft in Höhe von 330,00 EUR und Heizkosten in Höhe von 92,56 EUR pro Monat zugrunde legte. Für den Januar 2012 bewilligte er Leistungen in Höhe von 831,00 EUR, da er für den Januar 2012 zunächst keine Heizkosten in Ansatz brachte. Mit Bescheid vom 13.01.2012 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen zunächst Leistungen in Höhe von monatlich 849,00 EUR für den Zeitraum von Februar bis einschließlich Juli 2012.

Am 20.01.2012 legten die Klägerinnen die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2011 vor. Der neue – ab Februar 2012 zu zahlende – Abschlag für die Heizung belief sich nunmehr auf 79,00 EUR.

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 23.01.2012 eine Überzahlung für Heizkosten in Höhe von 135,39 EUR fest. Unter Anrechnung dieses Guthabens bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 23.01.2012 den Klägerinnen sodann für den Monat Februar 2012 Leistungen in Höhe von 792,61 EUR.

Mit Änderungsbescheid vom 02.03.2012 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen für den Monat März 2012 Leistungen in Höhe von 928,00 EUR. Hierbei berücksichtigte er die Regelbedarfe der Klägerinnen in Höhe von 374,00 EUR bzw. 299,00 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 409,00 EUR (330,00 EUR Kosten der Unterkunft sowie Heizkosten in Höhe von 79,00 EUR). Dem Bedarf in Höhe von 1.082,00 EUR stellte er als Einkommen das um 30,00 EUR bereinigte Kindergeld der Klägerin zu 2) in Höhe von 154,00 EUR gegenüber. Gegen den Änderungsbescheid vom 02.03.2012 legten die Klägerinnen Widerspruch ein. Die Nettokaltmiete sei falsch berechnet. Der Beklagte habe 4,47 EUR x 80 qm zugrunde zu legen. Die Kürzung wegen Unangemessenheit der Wohnung sei rechtswidrig.

Sie stellten am 20.03.2012 sodann einen Antrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) und beantragten, rückwirkend für ein Jahr, die Miete in voller Höhe zu übernehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2012 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.03.2012 als unzulässig. Dieser habe hinsichtlich der Unterkunftskosten – im Vergleich zum bestandskräftigen Bescheid vom 13.01.2012 – keine separate Regelung getroffen. Mit Bescheid vom 27.03.2012 lehnte der Beklagte den Antrag vom 20.03.2012 auf Überprüfung der Bescheide vom 24.05.2011, 06.07.2011, 13.01.2012 und 02.03.2012 ab.

Am 18.04.2012 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1) gegen den Bescheid vom 27.03.2012 Widerspruch ein. Darin hieß es: "wie Sie wissen vertreten wir Frau Iager ( ) Namens und im Auftrag unserer Mandantin legen wir gegen den Bescheid vom 27.03.2012 Widerspruch ein."

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2012 als unbegründet zurück.

Am 10.05.2012 ist eine Klageschrift der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1) bei Gericht eingegangen. In dieser heißt es:

"Klage der Frau Iager ( ) sodann beantragen wir ( ) der Klägerin Unterkunftskosten nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren( )." Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, die Klägerin zu 1) wohne mit ihrer Tochter in einem Haus. Bei der Bemessung der angemessenen Kosten der Unterkunft sei somit neben 65 qm für zwei Personen noch ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von 15 qm zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 09.09.2012 hat der Beklagte die Höhe der den Klägerinnen für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 30.09.2012 bewilligten Leistungen abgeändert und für diesen Zeitraum Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 360,00 EUR statt bislang 330,00 EUR zugrundegelegt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat das erkennende Gericht darauf hingewiesen, aufgrund des in der Klageschrifts klar gefassten Rubrums und des ebenfalls eindeutigen Klageantrags sei, bei einer anwaltlich vertretenen Partei davon auszugehen, dass Partei nur eine Person, nämlich die Klägerin zu 1) sein dürfte. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1) beantragt,

den Bescheid vom 27.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 24.05.2011, 06.07.2011, 13.01.2012, 02.03.2012 sowie 09.09.2012 nebst hierzu ergangener Änderungsbescheide zu verurteilen, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis einschließlich September 2012 2012 Kosten für Unterkunft und Heizung nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat erklärt, keine Einwände gegen eine Erweiterung der Klage zu haben. Er ist aber weiterhin der Auffassung, die bislang bewilligten KdU in Höhe von insgesamt seien hinreichend. Soweit den Klägerinnen höhere Aufwendungen entstünden, seien diese unangemessen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig. Die Kammer konnte auch über die Ansprüche der Klägerin zu 2) mitentscheiden. Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1) war bei Klageerhebung – und auch im weiteren Gerichtsverfahren - allerdings nicht erkennbar, dass die Klage auch für die Klägerin zu 2) erhoben sein soll. Ein Prozessbevollmächtigter – insbesondere ein Fachanwalt für Sozialrecht – ist insoweit an seinen Schriftsätzen festzuhalten. Soweit das Bundessozialgericht – unter Berücksichtigung des sog. Meistbegünstigungsgrundsatzes – in Fällen einer Bedarfsgemeinschaft eine Rubrumsberichtigung von Amts wegen – für eine Übergangszweit bis zum 30.06.2007 - in Betracht gezogen hat (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R = juris Rn. 11), kommt diese, bei anwaltlich vertretenen Klägern, nun – mehr als acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II – nicht mehr in Betracht.

Bezüglich der volljährigen Tochter ist im Übrigen auch keine wirksame schriftliche Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten zu den Akten gelangt, weswegen auch Prozesskostenhilfe zu Recht nur der Klägerin zu 1) bewilligt wurde und auch nur ihr ein Prozessbevollmächtigter beigeordnet wurde. Schließlich nimmt der Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.03.2012 auch ausschließlich auf die Klägerin zu 1) und nicht auch auf deren Tochter Bezug.

Vor dem Hintergrund, dass die Mutter der Klägerin zu 2) jedoch im Termin anwesend war und diese nach § 73 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 3 SGG als bevollmächtigt gilt, auch für ihre Tochter zu handeln, legt die Kammer die in der mündlichen Verhandlung bestehende Übereinkunft der Anwesenden, eine Entscheidung solle auch bezüglich der Tochter ergehen, dahingehend aus, dass der Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung – durch Stellung des Antrags auf Klageabweisung – konkludent nunmehr auch über etwaige Ansprüche der Tochter mitentschieden hat, worüber dann entschieden werden konnte.

II.

Die Klage ist auch begründet

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht ( ...) worden sind.

Im Falle des § 44 Abs. 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wobei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag, vgl. § 44 Abs. 4 SGB X. Für das Verfahren nach dem SGB II gilt indes gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr, so dass Leitungen nach dem SGB II längstens bis zum Beginn des Jahres rückwirkend erbracht werden können, dem das Jahr der Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsaktes oder der darauf gerichteten Antragstellung vorausgegangen ist (BR-Drucks. 661/10, 186).

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte den Klägerinnen für den – so ermittelten - streitgegenständlichen Zeitraum zu geringe Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt.

Die Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung stellen einen abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. hierzu BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 19/11 R = juris Rn. 11 m.w.N.). Die Klägerinnen haben die Klage wirksam auf die Prüfung der Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt.

Der Anspruch der Kläger auf Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II beläuft sich für den Januar 2011 auf 500,00 und setzt sich zusammen aus Heizkosten in Höhe von 105,00 EUR sowie Unterkunftskosten in Höhe von 395,00 EUR. Für den Zeitraum von 01.02.2011 bis zum 30.06.2011 beläuft er sich auf 487,56 EUR und setzt sich zusammen aus Heizkosten in Höhe von 92,56 EUR sowie weiterhin Unterkunftskosten in Höhe von 395,00 EUR. Für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011 beläuft er sich auf 492,56 EUR und setzt sich zusammen aus Unterkunftskosten in Höhe von 400,00 EUR und Heizkosten in Höhe von 92,56 EUR. Für den Monat Januar 2012 beläuft er sich auf 395,00 EUR Unterkunftskosten. Für den Februar 2012 beläuft er sich auf 79,00 EUR Heizkosten und 264,61 EUR Unterkunftskosten. Für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis 30.09.2012 beläuft er sich auf 479,00 EUR und setzt sich aus Heizkosten in Höhe von 79,00 EUR und Unterkunsftkosten in Höhe von 400,00 EUR zusammen.

Unter Berücksichtigung der vom Beklagten bislang bewilligten Leistungen stehen den Klägerinnen daher für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 monatlich weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 35,00 EUR sowie für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 30.09.2012 i.H.v. monatlich weiteren 40,00 EUR zu.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 19/11 R = juris Rn 14 m.w.N.; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R = juris Rn. 21; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R = juris Rn. 20).

1. Im streitbefangenen Zeitraum hat der Beklagte zunächst für den Januar 2011 die tatsächlich angefallenen Heizkosten in Höhe von monatlich 105,00 EUR übernommen. Auch für die Zeit ab Februar 2012 hat der Beklagte die tatsächlichen Heizkosten in Höhe von 79,00 EUR übernommen. Höhere Kosten, als die tatsächlich entstandenen, können die Kläger nicht beanspruchen. Für die Zeit von Februar 2011 bis Ende Januar 2012 hat der Beklagte die Kosten für die Heizung auf 92,56 EUR abgesenkt. Wie die Heizkostenerstattung für das Jahr 2011 gezeigt hat, waren selbst diese abgesenkten Heizkosten höher als die tatsächlich angefallenen. Dies wurde im Rahmen der Bewilligung der Leistungen für den Monat Februar berücksichtigt. Insgesamt stehen den Klägerinnen, hierin waren sich die Beteiligten einig, für den streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Leistungen für Heizung zu.

2. Hinsichtlich der übrigen Kosten der Unterkunft ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenfalls zu prüfen, ob die tatsächlich anfallenden Kosten angemessen sind. Unangemessene Kosten sind nämlich - falls vom Leistungsberechtigten entsprechende sachliche Gründe vorgebracht werden – nur solange zu berücksichtigen, wie es den Leistungsberechtigten konkret nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch Anmietung einer als angemessen eingestuften Wohnung, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate, vgl. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II (vgl. – noch zu § 22 Abs 1 S 2 SGB II aF – BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R = juris Rn. 29; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R = juris Rn. 30; entsprechend für § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, vgl. BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R = juris Rn. 15).

Kosten für eine Wohnung sind dann angemessen im Sinne des § 22 SGB II, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R = juris Rn. 14). Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Hilfe der Produkttheorie zu ermitteln, d.h. es ist zu prüfen, ob das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist. Es ist also grundsätzlich zum einen die abstrakt angemessen Wohnungsgröße (1. Faktor), zum anderen der nach den örtlichen Verhältnissen angemessene Mietpreis für Wohnung, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen (2. Faktor – Mietobergrenze oder sog. "Referenzmiete") zu ermitteln. Das Produkt dieser beiden Faktoren muss angemessen sein (sog. Produkttheorie BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R = juris Rn. 20; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R = juris Rn. 15; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R = juris Rn. 14; SG Aachen Urteil vom 30.01.2012 – S 14 AS 1061/11; vgl. zur Produkttheorie auch Berlit, in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 52; Piepenstock, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 22 Rn. 68 ff; Breitkreuz, BeckOK SGB II § 22 Rn 10; Lauterbach, in: Gagel, SGB II / SGB III, 46. Erg.-Lfg., 2012, § 22 Rn. 33 ff.).

Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Referenzmiete so festzulegen, dass es dem Leistungsberechtigten grundsätzlich möglich ist, im konkret maßgeblichen räumlichen Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten. Maßgeblich ist hierbei – wie oben bereits dargelegt - ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard; die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen (BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R = juris Rn. 14; so auch schon etwa BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R = juris; BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R = juris).

Die Festlegung der angemessenen Mietobergrenze hat dabei auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" zu erfolgen, welches gewährleisten soll, dass die oben genannten Kriterien auch tatsächlich erfüllt werden. Ein solches schlüssiges Konzept erfordert nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – an der sich auch die erkennende Kammer orientiert -, dass die Datenerhebung ausschließlich in dem genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum erfolgt (eine "Ghettobildung" soll ausgeschlossen werden), dass der Beobachtungszeitraum und der Gegenstand der Beobachtung nachvollziehbar dargelegt sind (bspw. welchen Standard haben die einbezogenen Wohnungen? Wo sind sie belegen? Über welchen Zeitraum wurden Erhebungen angestellt? Wie ist die Bruttokaltmiete, wie die Nettokaltmiete, wie ist die Wohnungsgröße?), dass die Art und Weise der Datenerhebung festgelegt ist, dass die einbezogenen Daten repräsentativ sind und dass eine Validität der Datenerhebung angenommen werden kann. Sind die Daten entsprechend diesen Vorgaben ermittelt worden, so müssen überdies bei der Datenauswertung anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze eingehalten werden und Angaben über die gezogenen Schlüsse erfolgen (vgl zum schlüssigen Konzept und weiteren Ausdifferenzierungen im Einzelnen, BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R = juris Rn. 18; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R = juris Rn. 26; BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R = juris Rn. 7; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R = juris; vgl. auch Berlit in: info also 2010, 196; ders., in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 54 ff.; Piepenstock, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 22 Rn. 68 ff.; Lauterbach, in: Gagel, SGB II / SGB III, 46. Erg.-Lfg,. 2012, § 22 Rn. 47 ff.).

Zuständig für die Entwicklung eines solchen schlüssigen Konzepts sind die Träger der Grundsicherungsleistungen. Aufgabe der Gerichte ist es, anhand der von dem Grundsicherungsträger gelieferten Daten bzw der zusätzlich im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von ihm angeforderten und zur Verfügung zu stellenden Daten und Unterlagen zu verifizieren, ob die angenommene Mietobergrenze angemessen im Sinne des § 22 Abs 1 SGB II ist (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R = juris). Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne schlüssiges Konzept, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 Hs. 2 SGG grundsätzlich gehalten, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und hat eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R = juris Rn. 27; BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R = juris Rn. 26; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 33/08 R = juris Rn. 22). Zeigt sich freilich, dass sich keine hinreichenden Feststellungen zu den angemessenen Unterkunftskosten für den streitigen Zeitraum und den Vergleichsraum mehr treffen lassen, sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, die allerdings durch die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes (WoGG) in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung im Sinne einer Angemessenheitsgrenze nach oben begrenzt werden (BSG Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R = juris; BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS50/09 R; BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS15/09 R = juris; BSG Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R = juris Rn. 20). Im Fall des Beklagten steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass ein schlüssiges Konzept für den streitgegenständlichen Zeitraum weder vorlag noch weitere Ermittlungen derzeit die Datengrundlage liefern können, die den Anforderungen des Bundessozialgerichts an ein schlüssiges Konzept genügen (in diesem Sinne auch SG Aachen Urteil vom 31.01.2012 - L 14 AS 1061/11 = juris, Nichtzulassungsbeschwerde anhängig beim LSG Nordrhein-Westfalen - L 6 AS 415/11 NZB). Der Beklagte hat zur Ermittlung des aus seiner Sicht angemessenen Mietpreises Angebotsmieten aus Inseraten (Tageszeitungen, Wochenblättern, Internet) ausgewertet. Wenngleich die Kammer auch die Betrachtung von Angebotsmieten – als Teilelement, etwa neben einer Erhebung der Daten für bereits vermietete Wohnungen– nicht per se für ungeeignet zur Erstellung eines schlüssigen Konzepts hält (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 91/10 R = juris Rn. 25; BSG Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R = juris), so ist im vorliegenden Fall weder erkennbar noch vorgetragen, dass die vom Beklagten auf diese Weise ermittelten Daten den Anforderungen des Bundessozialgerichts insbesondere an den genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum genügt, und damit eine "Ghettoisierung" nicht Vorschub geleistet wird (vgl. in diesem Zusammenhang auch BSG Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 24/08 R Rn. 17). Auch ist nach Einschätzung der Kammer nicht dargetan, dass die vom Beklagten einbezogenen Daten repräsentativ und die Datenerhebung hinreichend valide ist (so auch SG Aachen, Urteil vom.30.01.2012 - L 14 AS 1061/11 = juris). Auch der Beklagte geht im Übrigen davon aus, dass die derzeitige Ermittlung der angemessenen Wohnungsmiete nicht den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept genügt (vgl. etwa die Mitteilung des Kreisausschusses, Drs.Nr. 281/12).

Die Heranziehung des Mietspiegels von (vgl. http://www. de/uploads/media/mietspiegel 2010.pdf) genügt – trotz der Regelung des § 22c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II – ebenfalls nicht den Anforderungen an die schlüssige Ermittlung eines abstrakt angemessenen Mietpreises. Es handelt sich um einen bloß einfachen Mietspiegel nach § 558c Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der überdies bereits aus dem Jahr 2010 datiert. Ein solcher ist nicht geeignet, die Vorgaben des Bundessozialgerichts an die Ermittlung der angemessenen Miete zu erfüllen, er ist schon nicht hinreichend aktuell (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R = juris; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R = juris). Außerdem ist nicht erkennbar, welche Daten seiner Erstellung konkret zugrundegelegt worden sind. Es steht damit zur Überzeugung der Kammer fest, dass für den streitgegenständlichen Zeitraum ein schlüssiges Konzept des Beklagten weder vorliegt noch erstellt werden kann, weswegen auf die derzeitigen Tabellenwerte nach § 12 WoGG als absolute Obergrenze der Kosten der Unterkunft zurückgegriffen werden kann. Auf die Frage, ob bei den Werten nach § 12 WoGG ebenfalls – wie nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei den Werten nach § 8 WoGG (vgl. BSG Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R = juris Rn. 22) – ein Sicherheitszuschlag zu machen ist, kommt es vorliegend nicht an, da die tatsächlichen Kosten für Miete und Nebenkosten bereits unter den – nicht erhöhten – Werten nach § 12 WoGG liegen (wohl zu Recht verneinend SG Aachen, Urteil vom 31.01.2012 - L 14 AS 1061/11 = juris). Auch auf die Frage der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße für die zweiköpfige Bedarfsgemeinschaft – und die Frage der Berücksichtigung einer größeren Wohnfläche bei Alleinerziehenden – kommt es damit nicht an. Im Ergebnis ist ein solcher räumlicher Mehrbedarf – zumal wenn die Tochter bereits erwachsen ist – nicht anzunehmen (allgemein gegen die Annahme eines räumlichen Mehrbedarfs zu Recht offenbar auch BSG Urteil vom 22.08.2012 – B 14 AS 13/12 R Terminbericht Nr. 43/12). Die Stadt ist aktuell in die Mietstufe III nach dem WoGG eingruppiert (http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/SW/wohngeldtabellen.html). Nach der Tabelle in § 12 WoGG beläuft sich der Höchstbetrag damit auf 402,00 EUR (für einen Zwei-Personen-Haushalt). Die von den Klägern tatsächlich gezahlten 395,00 bzw. derzeit 400,00 EUR liegen unter diesem Höchstwert und sind damit voll zu übernehmen. Da der Beklagte bislang 360,00 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen hat, ist er zur Übernahme weiterer 35,00 EUR bzw. – ab Erhöhung der Nebenkostenvorauszahlungen am 01.07.2011 – 40,00 EUR pro Monat im streitgegenständlichen Zeitraum verpflichtet. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183,193 SGG. Die Berufung ist nicht zulassungsbedürftig, da mit dem Urteil wiederkehrende bzw, laufende Leistungen für mehr als Jahr zugesprochen werden. Die dennoch erfolgte Zulassung der Berufung aufgrund grundsätzlicher Bedeutung ist damit nicht erforderlich, im Ergebnis aber unschädlich.
Rechtskraft
Aus
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