L 4 AS 315/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 44 AS 655/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 315/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
&8195; Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. August 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 1. November 2010 ohne anspruchsmindernde Berücksichtigung ihrer Mieteinnahmen.

Die am XXXXX 1964 geborene Klägerin schloss am 1. November 2005 mit der am XXXXX 1961 geborenen Frau E. einen Mietvertrag, der die Mieterin zur Mitnutzung aller Räume des Eigenheims der Klägerin sowie von Waschmaschine, Trockner und Gefrierschrank berechtigt. Der Mietzins beträgt seit Dezember monatlich 185.- Euro, die Betriebskostenvorauszahlung monatlich 150.- Euro. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei er Mietzins und Betriebskostenvorauszahlung leistungsmindernd in Abzug brachte. Einen am 13. Dezember 2010 gestellten Antrag, die – nach Angaben der Klägerin zum Bestreiten der Tilgungsraten benötigten – Mieteinnahmen nicht anzurechnen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2011 ab.

Auf die am 22. Februar 2011 erhobene Klage erkannte der Beklagte die Bescheide dahingehend ab, dass er die anspruchsmindernde Berücksichtigung auf 305.- Euro monatlich reduzierte. Im Übrigen wies das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. August 2012 (der Klägerin zugestellt am 4. September 2012) ab: Einnahmen aus der laufenden Miete seien nach § 11 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) grundsätzlich als Einkommen anzusehen, die der Klägerin auch in tatsächlicher Hinsicht als bereite Mittel zur Verfügung stünden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung höherer Unterkunftskosten unter Einschluss der Tilgungszahlungen, da das Gesetz keine Vermögensbildung aus Mitteln der Grundsicherung für Arbeitsuchende beabsichtige. Ein Ausnahmefall, in dem nur noch eine geringe Restschuld abzutragen sei, liege nicht vor, da von der ursprünglichen Darlehensschuld i.H.v. 200.000 EUR noch eine Restschuld i.H.v. 173.526,22 EUR vorhanden sei.

Am 4. Oktober 2012 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie führt aus, sie sei vertraglich verpflichtet, eine monatliche Tilgung in Höhe von gleichbleibend 256,94 Euro zu leisten und könne diese nicht aussetzen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. August 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2011 und des Bescheides vom 22. Februar 2011 zu verurteilen, ihr ab dem 1. November 2010 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von weiteren 256,94 Euro zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und führt ergänzend aus, die gewählte Betrachtungsweise, wonach die Mieteinnahmen als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II berücksichtigt worden seien, beinhalte sogar eine Besserstellung der Klägerin. Grundsätzlich seien Mieteinnahmen nicht als Einkommen nach § 11 SGB II mit den dort vorgesehenen Absetzmöglichkeiten zu betrachten, sondern als tatsächliche Minderung der Unterkunftskosten.

Mit Beschluss vom 9. November 2012 hat das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Das Gericht hat am 7. Januar 2013 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die Leistungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da er das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen höheren Leistungsanspruch.

Der Senat sieht sich nicht dadurch an einer Entscheidung gehindert, dass der Beklagte bereits mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 über die Höhe der monatlichen Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum entschieden hatte und der am 13. Dezember 2010 telefonisch gestellte "Antrag" der Klägerin der Sache nach als Widerspruch gegen diesen Bescheid auszulegen war. Indem der Beklagte diesen Widerspruch in der Sache beschieden hat (wozu er im vorliegenden Fall als Herr des Vorverfahrens berechtigt war), hat er den Weg zu einer gerichtlichen Überprüfung der Leistungshöhe eröffnet.

Das Sozialgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung der Tilgungszahlungen zutreffend verneint. Die Tilgungszahlungen sind bereits deswegen nicht als Teil des Bedarfs für Unterkunft i.S.d. § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen, weil sie zusammen mit den vom Beklagten berücksichtigten Kosten der Unterkunft die Vergleichsschwelle der Mietkosten einer angemessenen Mietwohnung deutlich übersteigen. Kosten eines Eigenheims können nur bis zu der Höhe übernommen werden, in der die Kosten für eine Mietwohnung angemessen wären (ausführlich Boerner, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 7 Rn. 79 m.w.N.). Bei der allein lebenden Klägerin liegen bereits die vom Beklagten anerkannten Schuldzinsen mit monatlich 664,50 Euro auf einem Niveau, das nach der einschlägigen Fachanweisung des Beklagten (Höchstwerte zu den Kosten der Unterkunft vom 1.7.2007, Gz.: SI 225/ 112.22-1-1-1, Stand 1.4.2012) für einen Haushalt von fünf Personen als angemessen erachtet wird. Überdies würde eine Übernahme auch der Tilgungsleistungen voraussetzen, dass erstens Bemühungen um ein Aussetzen oder Strecken der Tilgung nachweislich erfolglos geblieben sind und zweitens ohne Übernahme der Tilgungszahlungen durch den Leistungsträger der Verlust der Unterkunft droht (auch hierzu Boerner, a.a.O., Rn. 75). Beides ist weder dargetan noch ersichtlich.

Eine anspruchssteigernde Berücksichtigung der Tilgungszahlungen ist auch nicht dergestalt möglich, dass die Einkünfte der Klägerin aus der teilweisen Vermietung ihrer selbst genutzten Unterkunft in Höhe der Tilgungszahlungen "anrechnungsfrei" zu stellen wären. Einnahmen, die ein Leistungsberechtigter aus der Vermietung einer selbst genutzten Unterkunft erzielt, sind nicht als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II zu behandeln, sondern mindern unmittelbar die im Wege von § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft (hierzu und zum Folgenden LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.4.2010, L 6 AS 37/10). Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, wo die Vermietung von Teilen der Unterkunft als ein Mittel zur Senkung unangemessen hoher Aufwendungen auf das angemessene Maß vorgezeichnet wird. Es besteht auch keine rechtliche Möglichkeit, die Tilgungszahlungen von den Mieteinnahmen abzusetzen. Dies gilt für die Einkünfte aus der Vermietung einer anderen als der selbst genutzten Unterkunft (hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.7.2011, L 2 AS 217/11 B ER) und muss für Einkünfte aus der (teilweisen) Vermietung der selbst bewohnten Unterkunft jedenfalls dann gelten, wenn Tilgungsleistungen nach den o.g. Wertungen nicht zum Bedarf für Unterkunft i.S.d. § 22 SGB II zählen.

Weitere, auch bei der Berücksichtigung der Mieteinnahmen nach § 22 Abs. 1 SGB II vorzunehmende Abzüge sind weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Mieteinnahmen grundsätzlich der Einkommensteuer unterliegen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes), kein höherer Leistungsanspruch der Klägerin, denn ihre Mieteinnahmen liegen deutlich unter dem steuerlichen Existenzminimum (beider betroffener Veranlagungszeiträume) und werden somit – isoliert betrachtet – überhaupt nicht besteuert. Da (ausweislich der von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Berechnungen) auch die übrigen Einkünfte der Klägerin dieses Minimum nicht überschritten haben, ergeben sich auch infolge einer steuerrechtlich gebotenen Zusammenrechnung der Einkünfte keine Abweichungen.

Ebenso wenig ist die von der Mieterin zu leistende Betriebskostenvorauszahlung von der "Anrechnung" auszunehmen. Sie fließt in die Mittel ein, die der Klägerin zur Tragung der Nebenkosten für die gesamte Unterkunft zur Verfügung stehen. Erst wenn die Klägerin ihrerseits über eine Rückzahlung oder ein Guthaben i.S.d. § 22 Abs. 3 SGB II verfügen kann, wäre zu prüfen, ob ein Teil hiervon deswegen nicht bei der Klägerin berücksichtigt werden kann, weil sie durch Mietvertrag zur "Weiterreichung" an ihre Mieterin verpflichtet ist. Im vorliegenden Fall hat es derartige Rückzahlungen indes nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, soweit das Sozialgericht der Klägerin ein Zehntel ihrer außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren zuerkannt hat, bleibt es allerdings dabei. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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