L 3 AS 534/12 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 1229/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 534/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für das öffentlich-rechtliche Auskunftsverlangen wird weder in § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II noch in § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II zwischen Arten von Leistungs- oder Unterhaltspflichten unterschieden.

2. Für eine Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 SGB II reicht die Möglichkeit eines Unterhaltsanspruches aus. Eine Auskunftspflicht besteht lediglich dann nicht, wenn offensichtlich kein Unterhaltsanspruch gegeben ist.
I. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Mai 2012 über die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das abgeschlossene Klageverfahren.

Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau von J R , der von der ARGE L Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bezog. Die ARGE L forderte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Februar 2010 auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisses zu erteilen. Sie berief sich hierfür einerseits auf § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II i. V. m. § 1361 des Bürgerlichen Besetzbuches (BGB) und andererseits auf § 60 SGB II. Gegen das öffentlich-rechtliche Auskunftsverlangen könne Widerspruch erhoben werden.

Die anwaltlich vertretene Klägerin teilte mit Schriftsatz vom 10. März 2013 mit, dass sie für Unterhaltszahlungen nicht leistungsfähig sei. Auch im Rahmen des weiteren Schriftwechsels verweigerte die Klägerin eine weitergehende Auskunftserteilung.

Der nunmehr zuständige Beklagte wies die Einwände der Klägerin, die er als Widerspruch auslegte, mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2011 zurück. Nach § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II finde für die Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung auch § 1605 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1580 BGB Anwendung.

Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage vom 14. April 2011 mit Gerchtsbescheid vom 11. Mai 2012 abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, dass in § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht hinsichtlich der Art des zugrundeliegenden Unterhaltsanspruches differenziert werde. Aus diesem Grund sei es gleichgültig, ob dem Auskunftsverlangen materiell-rechtlich ein Anspruch auf Trennungsunterhalt oder auf nachehelichen Unterhalt zugrundeliege. Ebenfalls am 11. Mai 2012 hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Die Klägerin hat am 6. Juni 2012 Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss und am 11. Juni 2012 Berufung gegen den Gerichtsbescheid (Az. L 3 AS 518/12) eingelegt. Sie trägt vor, dass über ihren etwaigen Widerspruch gegen das Auskunftsverlangen hinsichtlich des Ehegattenunterhaltes im Schreiben vom 23. Februar 2010 keine Entscheidung ergangen sei, und dass dem Widerspruchsbescheid vom 28. März 2011 hinsichtlich des nachehelichen Unterhaltes an einem Ausgangsbescheid mangele.

Die Klägerin beantragt,

1. ihr für die erste Instanz rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe zu gewähren und

2. ihren Bevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.

Der Beschwerdegegner, die Staatskasse, äußerte sich. Der Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Instanzen, die Berufungsakte des Landessozialgerichtes Chemnitz zum Verfahren Az. L 3 AS 518/12 sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

1. Über die Beschwerde kann auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, entschieden werden (vgl. zur Zulässigkeit einer rückwirkenden Beschwerdeentscheidung nach rechtskräftigem Abschluss des vorausgegangenen Hauptsacheverfahrens: Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Februar 2010 – L 3 AS 570/09 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 27. Juni 2011 – L 3 AS 521/11 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 1, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 73a Rdnr. 12c; vgl. auch LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15. Mai 1995 – L 8 S (Vs) 52/95 – Breithaupt 1995, 735). Denn die Frage, ob der Antragsteller alles Erforderliche getan hat, um vor Wegfall der Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erwirken, und die Frage, ob der Bevollmächtigte beigeordnet werden konnte mit der Folge, dass der Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von Auslagen und Gebühren gemäß §§ 45 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) entstehen konnte, betrifft nicht die Zulässigkeit der Beschwerde, sondern deren Begründetheit.

2. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaft-lichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Der Klägerin fehlte für das Klageverfahren die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

Rechtsgrundlage für das öffentlich-rechtliche Auskunftsverlangen ist § 60 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 SGB II. Danach hat, wer jemandem, der eine Leistung nach dem SGB II beantragt hat oder bezieht, zu Leistungen verpflichtet ist, die geeignet sind, Leistungen nach dem SGB II auszuschließen oder zu mindern, der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber sowie über damit im Zusammenhang stehendes Einkommen oder Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich ist. Vorliegend tritt wegen § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II das beklagte Jobcenter an die Stelle der Agentur für Arbeit. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II ist für die Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung § 1605 Abs. 1 BGB anzuwenden.

In § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II wird, wie das Sozialgericht zutreffend ausführte, nicht zwischen Arten von Leistungs- oder Unterhaltspflichten unterschieden. Eine solche Unterscheidung ergibt sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II. Vielmehr nahm der Gesetzgeber mit der Verweisung auf § 1605 Abs. 1 BGB Bezug auf "die unterhaltsrecht-lichen Auskunftspflichten". Unterhaltsrechtlichen Auskunftspflichten, auf die § 1605 BGB anwendbar ist (vgl. die Nachweise bei E. Hammermann, in: Erman, BGB [13. Aufl., 2011], § 1605 Rdnr. 2), gibt es unter anderem bei getrennt lebenden Ehegatten (vgl. § 1361 Abs. 4 Satz 3 BGB) und bei geschiedenen Ehegatten (vgl. § 1580 Satz 2 BGB). In beiden Fällen ist der betroffene Ehegatte auskunftspflichtig (vgl. Schoch, in: Münder [Hrsg.], SGB II [4. Aufl., 2011], § 60 Rdnr. 27).

Die von der Klägerin vorgetragene Unterscheidung zwischen Unterhalt bei Getrenntleben und Unterhalt des geschiedenen Ehegatten ergibt sich auch weder aus dem Schreiben vom 23. Februar 2010 noch aus dem Widerspruchsbescheid vom 28. März 2011. Im Aufforderungsschreiben ist auf Seite 2 hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Auskunftsverlangens "§ 60 SGB II" angegeben; eine Beschränkung des Auskunftsver-langens auf eine bestimmte Unterhaltsart findet sich nicht im Text. Im Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides wird der Widerspruch als unbegründet zurückgeswiesen; der Hinweis auf die Regelungen zum Unterhalt bei geschiedenen Ehegatten ist nur in der Bescheidbegründung enthalten.

Das Sozialgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass für eine Auskunftspflicht die Möglichkeit eines Unterhaltsanspruches ausreicht. Denn die Auskunftspflicht dient der Sachverhaltsermittlung. Eine Auskunftspflicht besteht lediglich dann nicht, wenn offensichtlich kein Unterhaltsanspruch gegeben ist (vgl. Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 60 Rdnr. 20, m. w. N.; Schoch, a. a. O., Rdnr. 28). Dieser Ausnahmefall ist bei der Klägerin nicht gegeben.

Ein anderes Ergebnis folgt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht daraus, dass das Sozialgericht über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife, sondern erst am 11. Mai 2012 entschieden hat. Die Entscheidungsreife, auf die für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abzustellen ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Januar 2013 – L 3 AS 1010/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 14, m. w. N.), war entweder am 14. April 2011, als die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin mit Belegen beim Sozialgericht einging, oder am 4. August 2011, als die nachgeforderten Unterlagen eingingen, gegeben. Allerdings traten in der Zeit von der Entscheidungsreife bis zum Erlass des Prozesskostenhilfebeschlusses weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht Änderungen ein, die zu einer anderen Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage in der Zeit vor dem Erlass des Beschlusses hätten führen können. Auch erfolgten in der genannten Zwischenzeit keine Maßnahmen, die, wie zum Beispiel bei einer Beweisaufnahme von Amts wegen (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 10, m. w. N.), die Bewilligung von Prozesskostenhilfe geboten hätten.

3. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. § 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

III. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Dr. Scheer Atanassov Guericke
Rechtskraft
Aus
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