L 10 P 38/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 135/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 P 38/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 14/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Zusammenhang mit einem Antrag auf eine höhere Pflegestufe reicht es nicht aus, wenn der nach dem Gesetz erforderliche Zeitaufwand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur knapp und um wenige Minuten verfehlt wird, um die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach der höheren Pflegestufe zu bejahren.

Die zu einem Fall der Herabstufung ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.07.2005, B 3 P 8/04 P) ist nicht auf einen Höherstufungsantrag zu übertragen (anders SG Münster, Urteil vom 10.02.2012, S 6 P 135/10). Die Schnittstelle zur nächst höheren Pflegestufe muss tatsächlich erreicht werden, auch wenn die strikte Grenzziehung im Einzelfall Härten mit sich bringt.
Bemerkung
Mit Beschluss des BSG wurde Urteil des LSG aufgehoben.
Neues Az.: = L 10 P 52/14 ZVW !!!
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10.02.2012 wird zurückgewiesen. Der Beklagten werden Kosten in Höhe von 1.000 Euro auferlegt. Im Übrigen trägt die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab Januar 2010.

Der 1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er leidet im Wesentlichen unter einem Zustand nach rechtshirnigem Mediainsult am 05.10.2002 mit brachio-facial betonter, spastischer Hemiparese links, Kontrakturen von Ellenbogen, Hand- und Fingergelenken links, Gleichgewichtsstörungen, erheblicher Stand- und Gangunsicherheit, insulinpflichtigem Diabetes mellitus mit diabetischer Neuropathie und Angiopathie sowie proliferativer diabetischer Retinopathie mit Blindheit beider Augen, inkompletter Harn- und Stuhlinkontinenz, arterieller Hypertonie, dilatativer Kardiomyopathie, Instabilität des linken oberen Sprunggelenks, Depression und Zustand nach psychotischem Erleben. Seit März 2003 bezieht er Pflegegeld nach der Pflegestufe II auf Grundlage eines Gutachtens des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten (SMD) vom 04.04.2003, in welchem ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 137 Minuten (Körperpflege 83 Minuten, Ernährung 2 Minuten, Mobilität 52 Minuten) festgestellt worden war. Einen Höherstufungsantrag aus Oktober 2003 lehnte die Beklagte nach Einholung eines weiteren Gutachtens des SMD vom 24.10.2003, in dem ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 218 Minuten ermittelt worden war (Körperpflege 96, Ernährung 58, Mobilität 64), ab. Mit Wiederholungsgutachten vom 21.08.2009 stellte der SMD einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 211 Minuten (Körperpflege 100, Ernährung 60, Mobilität 51) fest.

Am 07.01.2010 beantragte der Kläger die Höherstufung in die Pflegestufe III. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der SMD am 21.01.2010 ein weiteres Gutachten, in dem ein Hilfebedarf in der Grundpflege von nunmehr 216 Minuten täglich (Körperpflege 103 Minuten, Ernährung 60 Minuten, Mobilität 53 Minuten) beschrieben wird. Mit Bescheid vom 10.02.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen legte der Kläger am 16.02.2010 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage durchschnittlich sechs Stunden täglich. Er legte außerdem ein Pflegetagebuch vor. Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme des SMD vom 06.04.2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2010 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 09.07.2010 Klage beim Sozialgericht Münster (SG) erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausgeführt hat, dass seine tatsächliche Situation in den Gutachten des SMD nicht konkret, sondern überwiegend pauschal beurteilt worden sei. Er sei infolge eines Schlaganfalls querschnittsgelähmt und seit Ende 2003 erblindet. Er könne sich nicht allein bewegen und sei nicht in der Lage, die Verrichtungen der Grundpflege selbständig auszuüben. Er sei rund um die Uhr, auch nachts, auf die Hilfe und Begleitung seiner Ehefrau angewiesen. Auch habe er vor einigen Wochen einen erneuten Schlaganfall erlitten und hierdurch die letzten Funktionsmöglichkeiten eingebüßt.

Das SG hat Befundberichte des HNO-Arztes H vom 17.02.2011, des Internisten und Kardiologen Dr. S vom 23.02.2011, des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G vom 24.02.2011, des Arztes für Orthopädie Dr. P vom 23.02.2011 sowie des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. O vom 28.02.2011 eingeholt, die den Kläger betreffende Schwerbehindertenakte des Kreises X beigezogen und sodann über den bestehenden Pflegebedarf weiter Beweis durch Einholung eines Gutachtens von Dr. S1 vom 14.06.2011 erhoben. Dr. S1 hat einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 232 Minuten täglich (Körperpflege 119 Minuten, Ernährung 62 Minuten, Mobilität 51 Minuten) ermittelt.

Mit Urteil vom 10.02.2012 hat das SG die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab dem 01.01.2010 Leistungen nach der Pflegestufe III zu zahlen. Durch dessen inzwischen eingetretene vollständige Erblindung sei eine so erhebliche Zunahme der Pflegebedürftigkeit eingetreten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Schwerstpflegebedürftigkeit erfüllt seien. Zwar verweise die Beklagte rechnerisch zutreffend darauf, dass mit dem von dem Sachverständigen ermittelten grundpflegerischen Hilfebedarf von 232 Minuten der erforderliche Mindestbedarf von 240 Minuten um acht Minuten unterschritten werde. Gleichwohl sei die Kammer davon überzeugt, dass die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen einer mindestens vierstündigen täglichen Grundpflege erfüllt seien. Die Kammer habe das Gutachten des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen einer kritischen Prüfung unterzogen und dabei keinen Anlass gesehen, von den Einschätzungen des Zeitaufwandes bei den einzelnen Verrichtungen abzuweichen. Ob, wie der Kläger geltend gemacht habe, bei einigen Verrichtungen ein höherer Zeitaufwand zu berücksichtigen sei, lasse sich nach Lage der Akten nicht ohne weiteres feststellen. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, da nach Auffassung der Kammer die Annahme der Schwerstpflegebedürftigkeit schon bei dem vom Sachverständigen ermittelten grundpflegerischen Hilfebedarf von 232 Minuten gerechtfertigt sei. Das Unterschreiten der zeitlichen Schnittstelle um wenige Minuten stehe der Zuerkennung der Pflegestufe III nicht entgegen. Diese Überzeugung der Kammer folge aus einer den Wortlaut des Gesetzes berücksichtigenden Auslegung, der Beachtung der Auslegungsregel des § 2 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), einer den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz (GG) in den Blick nehmenden verfassungskonformen Auslegung und unter Berücksichtigung der Unzulänglichkeit des geltenden gesetzlichen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Bereits die allgemeine Auslegungsregel des § 2 Abs 2 SGB I spreche dafür, dass der Leistungsanspruch im Falle des Klägers nicht an wenigen Minuten scheitern könne. Nach dieser Vorschrift sei nämlich bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches sicherzustellen, dass die Sozialrechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Auch sei es mit dem Gleichheitsgrundsatz des GG nur schwer vereinbar, wenn aufgrund des Unterschreitens des Mindestzeitaufwandes um nur wenige Minuten die im Vergleich günstigere Pflegestufe nicht beansprucht werden könne. Entscheidende Erwägung für die Kammer sei jedoch, dass es sich bei dem von dem Sachverständigen gefundenen Ergebnis eines grundpflegerischen Hilfebedarfs von 232 Minuten im Wesentlichen nur um eine scheinrationale Größe handele. Der Ermittlung der Zeitdauer der berücksichtigungsfähigen Pflegemaßnahmen begegneten ganz erhebliche Schwierigkeiten. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in einer Streitsache, bei der es um die Entziehung von Leistungen der Pflegeversicherung ging, ausgeführt, dass eine Schätzung des Pflegebedarfs im Rahmen einer Leistungsüberprüfung, die ein Unterschreiten des erforderlichen Pflegebedarfs um nur wenige Minuten ergeben habe, für die Pflegekasse in der Regel keinen hinreichenden Grund darstelle, die Leistung zu mindern bzw einzustellen, schon weil die Unsicherheit der Schätzung nicht die verlässliche Feststellung erlaube, dass der erforderliche Pflegebedarf der jeweiligen Pflegestufe nicht mehr vorliege. Es sei auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn Gutachter und Pflegekraft im Grenzfall einen großzügigen Maßstab anwenden und den Leistungsanspruch nicht an wenigen Minuten scheitern lassen würden. Dieser Rechtsprechung stimme die Kammer zu. Darüber hinaus sei sie der Überzeugung, dass wegen der erheblichen Unsicherheit der Schätzung ein großzügiger Maßstab im Grenzfall nicht zu beanstanden sei, sondern dass es bei einer Schätzung durch einen gerichtlichen Sachverständigen, nach der die Schwelle zur Pflegestufe III nur im wenige Minuten verfehlt werde, geboten sein könne, eine Korrektur der Einschätzung vorzunehmen. Zwar sehe die Kammer vorliegend keinen Anlass und keine Möglichkeit von der Einschätzung des Sachverständigen mit einem Zeitaufwand von 232 Minuten abzuweichen. Im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung sei sie aber zu der zusammenfassenden Einschätzung gelangt, dass dieser Zeitaufwand die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung einer 4-stündigen Grundpflege bereits erfülle.

Gegen das am 21.02.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.02.2012 Berufung eingelegt. Sie führt zur Begründung aus, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen einer Schwerstpflegebedürftigkeit gemäß § 15 Abs 3 Nr 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Erforderlich sei insofern ein Hilfebedarf in der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung von fünf Stunden täglich, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssten. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S1 erreiche der zeitliche Umfang des Hilfebedarfs des Klägers nicht die vom Gesetz vorgegebene Grenze von vier Stunden. Diese Feststellungen seien auch durch das SG nicht in Frage gestellt worden. Soweit das SG das Vorliegen der Pflegestufe III auch angesichts eines unter der gesetzlichen Grenze liegenden Hilfebedarfs annehme, seien die hierfür herangezogenen Argumente nicht überzeugend. § 2 Abs 2 SGB I rechtfertige die Auslegung durch das SG nicht. Der dort geregelte gesetzliche Auftrag zu einer möglichst weitgehenden Verwirklichung der "sozialen Rechte" nach den §§ 3 bis 10 SGB I sei so auszulegen, dass bei Ansprüchen nach den besonderen Teilen des SGB dort, wo eine Gestaltungsfreiheit der Verwaltung bestehe, diese im Zweifel zu Gunsten des Bürgers zu betätigen sei. Die Grenzen des Effektuierungsgrundsatzes seien dann erreicht, wenn rechtliche Regeln weder Auslegungsprobleme enthalten noch zur Ermessensbetätigung ermächtigen würden. Dies sei hier der Fall. Auch sei es mit Artikel 3 GG durchaus vereinbar, voneinander abweichende Fallkonstellation auch ungleich zu behandeln. Es stelle sich unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des SG die Frage, in welchen Einzelfällen mit einem Hilfebedarf an der Grenze zur nächsten Pflegestufe die jeweils Höhere zugeordnet werden solle. Auch habe der Gesetzgeber mit der Vorgabe der festen Grenzwerte in § 15 Abs 3 SGB XI zugleich entschieden, dass die sich hieraus in Einzelfällen ergebende Härten bei einer nur einen knappen Grenzwertverfehlung im Interesse der einfachen und gleichmäßigen Gesetzesanwendung hinzunehmen seien. Es handele sich auch nicht um "scheinrationale Größen", da in die Festlegung der Zeitorientierungswerte die mehrjährige Erfahrung aus einer Vielzahl von Begutachten durch Pflegefachkräfte und Sozialmediziner eingeflossen seien, so dass diese Werte durchaus an einem durchschnittlich anfallenden Hilfebedarf orientiert worden seien. Schließlich könne die angefochtene Entscheidung auch nicht auf das Urteil des BSG vom 07.07.2005 (Az.: B 3 P 8/04 R) gestützt werden, da dem dortigen Klageverfahren eine andere Fallkonstellation zugrunde gelegen habe. Nach den Ausführungen des BSG sei an den Schnittstellen der jeweiligen Pflegestufen eine besondere Sorgfalt bei den Schätzungen, evtl sogar eine Zeitmessung durch die Pflegeperson, geboten. Dies bedeute nach Auffassung der Beklagten, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs im Einzelfall genau zu recherchieren sei mit der Folge, dass bei der einen oder anderen Verrichtung einen höheren Zeitwert (z B aufgrund Erschwernisfaktoren) zu berücksichtigen sei. Im vorliegenden Fall habe das erstinstanzliche Gericht die Ermittlung der Zeitwerte durch den Gutachten jedoch nicht in Frage gestellt oder korrigiert. Die Möglichkeit der Annahme einer höheren Pflegestufe, deren Vorliegen durch die Feststellungen des zugrunde liegenden Gutachtens nicht gedeckt sei, könne die Beklagte den Ausführung des BSG allerdings nicht entnehmen. Darüber hinaus habe das BSG in der genannten Entscheidung über eine teilweise Aufhebung einer Pflegestufe gemäß § 48 SGB X zu entscheiden gehabt. Diese Fallkonstellation sei mit der vorliegenden nicht vergleichbar.

Die Vertreterin der Beklagten hat sich in der mündlichen Verhandlung am 17.04.2013 trotz mehrfacher Aufforderung durch den Vorsitzenden geweigert, einen Sachantrag zu stellen. Sie hat Zweifel an der Objektivität der Beweiserhebung geäußert, die Werthaltigkeit des Gutachtens von Dr. Q in Frage gestellt und den Sachverständigen in einen begrifflichen Zusammenhang mit einem "Geisterfahrer" gestellt. Sie hat, statt einen Sachantrag zu stellen, gegen Ende der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatz vom 17.04.2013 überreicht und beantragt, die Sachverständigen Dr. S1 und Dr. Q zu ihren Gutachten vom 14.06.2011 und 24.08.2012 persönlich anzuhören und der Beklagten Gelegenheit zur Ausübung des Fragerechts zu geben. Dr. Q solle befragt werden, aufgrund welcher Fakten und Erkenntnisquellen er in seinem Gutachten einen von den Feststellungen des Dr. S1 im Juni 2011 abweichenden Hilfebedarf für die Vergangenheit angenommen hat, aufgrund welcher Tatsachen er davon ausgeht, dass der Hilfebedarf bei der Zahnpflege und dem Rasieren in der Vergangenheit von Dr. S1 unzutreffend festgestellt worden sei und inwieweit der Hilfebedarf bei den genannten Verrichtungen durch Dr. S1 "in Frequenz und Höhe zu niedrig" angesetzt worden sein soll. Dr. S1 solle zu dem durch Dr. Q abweichend beurteilten Hilfebedarf beim Rasieren und der Zahnpflege gehört werden.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Der Senat hat einen Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G vom 18.05.2012 und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Dr. Q vom 24.08.2012 eingeholt. Dr. Q hat einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 286 Minuten täglich (Körperpflege 111 Minuten, Ernährung 62 Minuten und Mobilität 113 Minuten) festgestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Kriterien der Pflegestufe III bereits seit Januar 2010 dauerhaft erfüllt gewesen seien.

Die Beklagte hat daraufhin eine Stellungnahme des SMD vom 02.10.2012 vorgelegt. Darin hat der SMD die Auffassung vertreten, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Q von der Pflegestufe III ausgegangen werden müsse, auch wenn das Gutachten leichte Mängel aufweise. Wie dem Verlauf zweifellos zu entnehmen sei, liege schon länger ein durchaus grenzwertiger Zustand zur Pflegestufe III vor. So habe der SMD im Jahr 2010 einen Pflegebedarf von 216 Minuten und Herr Dr. S1 im Jahr 2011 einen Solchen von 232 Minuten ermittelt. Da bei dem Kläger neben einer Hemiparese auch eine zunehmende Erblindung und progrediente Schluckstörung aktenmäßig belegt seien, könne davon ausgegangen werden, dass sich der Hilfebedarf ebenso progredient erhöht habe. Der SMD gehe davon aus, dass die Kriterien für die Pflegestufe III zwar im Jahr 2010 nicht vorgelegen hätten. Im weiteren Verlauf sei ein zunehmender Hilfebedarf aber auch durch das Gutachten des Dr. S1 dokumentiert. Daher sei davon auszugehen, dass sich im Jahr 2011, dabei eher in der zweiten Jahreshälfte, der Zustand des Klägers soweit verschlechtert habe, dass die Kriterien für die Pflegestufe III erfüllt seien. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. Q, dass die Pflegestufe III bereits zum Antragszeitpunkt vorgelegen habe, sei hingegen nicht objektiv nachvollziehbar begründet. In einer ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten vom 16.01.2013 hat Dr. Q an seiner Auffassung festgehalten.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 31.10.2012 dargelegt, es sei jetzt noch der Zeitraum von Januar 2010 (Antragstellung) bis August 2012 (Hausbesuch Dr. Q) streitbefangen. Sie hat eine vergleichsweise Regelung auf Gewährung der Pflegestufe III ab dem 08.06.2011 (Hausbesuch Dr. S1) vorgeschlagen. Sie war nicht bereit, entsprechend der Beurteilung des SMD vom 02.10.2012 ein Teilanerkenntnis ab Mitte 2011, jedenfalls, so wie im Schriftsatz vom 31.10.2012 selbst als nicht mehr streitbefangen bezeichnet, für die Zeit ab August 2012 abzugeben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, obwohl die Vertreterin der Beklagten in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.04.2013 auch nach wiederholter Aufforderung durch den Vorsitzenden ausdrücklich keinen Sachantrag gestellt und sich damit der ordnungsgemäßen Mitwirkung im Verfahren verweigert hat. Der Senat wertet dieses Verhalten nicht als konkludente Berufungsrücknahme (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage München 2012, § 112, Rn 8 mwN); es führt auch nicht zur Unzulässigkeit der Berufung (vgl hierzu Leitherer aa0 und § 92 Rn 12 mwN). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung einen Vertagungsantrag gestellt und die Vernehmung der Sachverständigen Dr. S1 und Dr. Q beantragt und damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es ihr um die Fortführung des Rechtsstreites ging.

Der Senat legt das Begehren der Beklagten aufgrund des mit Einlegung der Berufung am 29.02.2012 gestellten Antrags und der Tatsache, dass die Vertreterin der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung auch auf Nachfrage des Vorsitzenden nicht bereit war, zumindest entsprechend ihrem Hinweis im Schriftsatz vom 31.10.2012, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III zwischenzeitlich erreicht seien, zumindest ein Teilanerkenntnis für die Zeit ab August 2012 abzugeben, dahingehend aus, dass nach wie vor die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage in vollem Umfang beantragt wird. Bei dem Vertagungsantrag handelt es sich, auch wenn ausdrücklich kein Sachantrag gestellt wurde, um einen Hilfsantrag.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Kläger Leistungen nach der Pflegestufe III ab Januar 2010 zu gewähren. Der Bescheid vom 10.02.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2010 ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nach § 15 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 15 Abs 3 Nr 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sind erfüllt. Danach setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe III voraus, dass er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. § 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI bestimmt, dass der Zeitaufwand den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden betragen muss. Hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen. Für die Zuordnung zur Pflegestufe ist nur der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen maßgebend, die § 14 Abs 4 SGB XI in die Bereiche der Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt.

Demgegenüber reicht es entgegen der Auffassung des SG nicht aus, wenn der für eine Pflegestufe nach dem Gesetz erforderliche Zeitaufwand nur knapp und um wenige Minuten verfehlt wird, um die Voraussetzung für eine Leistungsgewährung nach dieser Stufe zu bejahen. Das Gesetz spricht in § 15 Abs 3 S 1 Ziffer 3 SGB XI eindeutig von einem erforderlichen Zeitaufwand in der Grundpflege von mindestens vier Stunden (für Pflegestufe I mehr als 45 Minuten; für Pflegestufe II mindestens drei Stunden). Diese Schnittstelle zur Pflegestufe muss tatsächlich erreicht werden. Auch der Senat geht davon aus, dass eine strikte Grenzziehung Härten für diejenigen mit sich bringt, die den erforderlichen Zeitwert nur knapp verfehlen. Solche Härten sind Grenzwerten aber immanent. Gleichwohl sind sie verfassungskonform und die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Personengruppen, die zeitlich über bzw unter den jeweiligen Grenzwerten liegen, ist auch sachgerecht, da nur so die unterschiedlichen Leistungsansprüche eindeutig voneinander abgrenzbar sind. Die Auslegungsregel des § 2 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann bereits deshalb nicht greifen, weil angesichts der klaren und eindeutigen Regelung in § 15 Abs 3 S 1 SGB XI ein Auslegungsspielraum nicht besteht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Hinweise des SG auf das Urteil des BSG vom 07.07.2005 (B 3 P 8/04 R). Eine Vergleichbarkeit der der Entscheidung des BSG zugrundeliegenden Sachverhalts mit dem Vorliegenden ist bereits deshalb nicht gegeben, weil des BSG im Rahmen des § 48 SGB X über eine Herabstufung zu entscheiden hatte, während es vorliegend um einen Höherstufungsantrag geht. Insofern ist die Beweislast in beiden Verfahren unterschiedlich verteilt. Das BSG hat in dem von ihm entschiedenen Fall letztlich eine Beweislastentscheidung getroffen (vgl BSG, aa0, Juris Rn 30 ff). Die Beklagte hatte die Voraussetzungen des Wegfalls der höheren Pflegestufe nachzuweisen. Das BSG ist davon ausgegangen, dass ihr dies angesichts im Ergebnis voneinander abweichender Gutachten und unter Berücksichtigung der den Gutachten immanenten Schwankungsbreite nicht gelungen ist. Demgegenüber trägt im vorliegenden Verfahren der Kläger die Beweislast dafür, dass nunmehr die Voraussetzungen der von ihm begehrten höheren Pflegestufe III vorliegen. Das SG hat im Ergebnis eine Umkehr der Beweislast angenommen, denn nach dem durch das SG zugrunde gelegten Sachverhalt hatte der Sachverständige Dr. S1 gerade keinen Hilfebedarf von 240 Minuten festgestellt. Damit fehlte es aber an jeglicher gutachterlicher Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Pflegestufe III. Die Rechtsprechung des BSG ist zur Überzeugung des Senats nicht auf Fälle übertragbar, in denen überhaupt kein Sachverständigengutachten vorliegt, in dem der für die geltend gemachte Pflegestufe erforderliche Hilfebedarf bestätigt wird. Vielmehr hat sich das SG mit seiner Entscheidung über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinweggesetzt und sich damit ihm nicht zukommende gesetzgeberische Kompetenz angemaßt.

Dennoch hat der Kläger Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe III ab Januar 2010, da bereits zu diesem Zeitpunkt ein Hilfebedarf in der Grundpflege von mindestens 240 Minuten bestand. Hiervon ist der Senat aufgrund der in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Sachverständigengutachten von Dr. S1 und Dr. Q überzeugt. Dr. Q hat in seinem ausführlichen und sorgfältig begründeten Gutachten einen Hilfebedarf in der Grundpflege von insgesamt 286 Minuten festgestellt. Hiervon zieht der Senat unter Berücksichtigung der Einwände der Beklagten zunächst einen Zeitansatz von fünf Minuten ab, der sich aus der Differenz der von Dr. S1 und Dr. Q für erforderlich gehaltenen Zeitwerte für Zahnpflege und Rasieren ergibt. Der Senat weist aber darauf hin, dass dieser Abzug weder zwingend noch einer weiteren Beweisaufnahme zugänglich ist, da es sich um Abweichungen handelt, welche innerhalb der Schätzungs- und Schwankungsbreite gutachterlicher Feststellungen allgemein liegen. Insoweit ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn Gutachter und Pflegekasse im Grenzfall einen großzügigen Maßstab anwenden und den Leistungsanspruch nicht an wenigen Minuten scheitern lassen (vgl BSG, Urteil vom 07.07.2005, aa0, Juris Rn 27). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass ein regelmäßiger Mittagsschlaf vor der Begutachtung durch Dr. Q nicht dokumentiert war und die Durchfallneigung des Klägers nach dem Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. G vom 18.05.2012 erst seit etwa 1 ½ Jahren und damit etwa seit Anfang 2011 bestand. Der durch Dr. Q hierfür in Ansatz gebrachten Zeitaufwand von insgesamt 16 Minuten (3 Minuten Teilwäsche Unterkörper und 2 Minuten Entkleiden Unterkörper im Zusammenhang mit der Durchfallneigung; 2 Minuten Aufstehen/Zubettgehen und 9 Minuten An- und Auskleiden für den Mittagsschlaf) ist vom zu berücksichtigenden Hilfebedarf abzuziehen. Fraglich ist darüber hinaus, ob der Zeitaufwand von 19 Minuten für das Aufsuchen der Wohnung der Tochter zum Duschen berücksichtigungsfähig ist. Diese Frage kann letztlich dahinstehen, da auch bei Abzug dieses Zeitaufwandes nach den Feststellungen des Dr. Q ein die Pflegestufe III begründender Hilfebedarf in der Grundpflege von 246 Minuten verbleibt (286 minus 5, minus 16, minus 19). Damit ist auch dem Einwand der Beklagten gegen die Beurteilung des Zeitaufwandes für das Treppensteigen durch Dr. Q Rechnung getragen, da dieser in den abgezogenen 19 Minuten enthalten ist. Die Beklagte hat bei ihren diesbezüglichen Einwendungen allerdings übersehen, dass es sich insofern um unterschiedliche Verrichtungen in unterschiedlichen Häusern gehandelt hat. Weitergehende substantiierte Einwände gegen die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Q sind durch die Beklagte nicht erhoben worden und für den Senat auch nicht ersichtlich. Die unsubstantiierte Behauptung, der Sachverständige sei ohne zureichende Begründung von den Vorgutachten abgewichen, wird durch den Inhalt des Gutachtens, in welchem sich der Sachverständige auf mehr als fünf Seiten mit den Vorgutachten auseinandersetzt und seine abweichenden Auffassungen detailliert erläutert, widerlegt. Hierzu hat die Beklagte in keiner Weise inhaltlich Stellung gezogen. Der Senat hält die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q für überzeugend und schließt sich ihnen vollinhaltlich an. Auch den Einwand, dass eine den Hilfebedarf erhöhende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers erst nach Antragstellung eingetreten sei, hat Dr. Q in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.01.2013, auf die der Senat Bezug nimmt, überzeugend und nachvollziehbar widerlegt. Darüber hinaus wird die Beurteilung von Dr. Q letztlich auch durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. S1 bestätigt. Dieser hat im Bereich der Körperpflege insgesamt einen gegenüber Dr. Q um acht Minuten höheren Zeitaufwand berücksichtigt. Im Bereich der Ernährung sind die Einschätzungen der Sachverständigen deckungsgleich. Einen höheren Zeitaufwand hat Dr. Q lediglich im Bereich der Mobilität festgestellt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Dr. S1 für Transfers zum Wasserlassen aber lediglich 16 Minuten bei 16 Verrichtungen in Ansatz gebracht und Dr. Q insofern einen Zeitaufwand von knapp zwei Minuten pro Verrichtung durch Abmessen mit der Uhr ermittelt hat, wären bei entsprechender Berücksichtigung auch nach dem Gutachten des Dr. S1 248 Minuten und damit die Voraussetzungen der Pflegestufe III erreicht. Die Abweichungen in beiden Gutachten liegen darüber hinaus innerhalb der Schwankungsbreite gutachterlichen Ermessens und sind einer exakten Beweisaufnahme damit kaum zugänglich. Der Senat folgt dem großzügigen Maßstab des Sachverständigen Dr. Q (vgl BSG, aa0), zumal dieser bei genauer Betrachtung (s.o.) gegenüber dem Vorgutachter Dr. S1 zu einem fast identischen Ergebnis kommt. Zusammenfassend geht der Senat von einem Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege von 246 Minuten bei Antragstellung, 251 Minuten ab Januar 2011 aufgrund einsetzender Durchfallneigung und 262 Minuten ab der Untersuchung durch Dr. Q im August 2012 aufgrund des hier erstmals dokumentierten Mittagsschlafes aus.

Der Senat hat misst dem gegen den Sachverständigen Dr. Q erhobenen, möglicherweise auch gegen den Senat tendierten Einwand, ob die wiederholte Bestellung des Dr. Q auch in anderen Verfahren "noch den Anschein der Objektivität zu wahren vermag", keine weitere Bedeutung zu. Der Hinweis war augenscheinlich lediglich polemisch gemeint. Weder hat die Vertreterin der Beklagten gegen den Sachverständigen Dr. Q noch gegen den Senat oder einzelne Senatsmitglieder Befangenheitsanträge gestellt. Die Beklagte hat den Eindruck vielmehr "an dieser Stelle dahingestellt sein lassen" und den Beweisantrag gestellt.

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, auf den Beweisantrag der Beklagten die Sachverständigen Dr. S1 und Dr. Q zur Erläuterung ihrer Gutachten zu hören.

Der erst im Verlauf der mündlichen Verhandlung von der Vertreterin der Beklagten gestellte Beweisantrag ist schon als verspätet zurückzuweisen. Er hätte rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen, damit die Sachverständigen geladen bzw zunächst schriftlich befragt und eine Vertagung hätte vermieden werden können (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 29.08.2012, L 10 SB 89/12, mwN, Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aa0, § 118 Rn 12e mwN). Die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Q war der Beklagten bereits am 05.02.2013 zugegangen. Soweit diese mit Schriftsatz vom 22.02.2013 bereits die Einholung schriftlicher Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. Q und Dr. S1 beantragt hatte, so hat ihr das Gericht mit Schreiben vom 01.03.2013 mitgeteilt, dies sei nicht beabsichtigt. Ein entsprechender Beweisantrag hätte danach noch rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen. Der Senat hält die Vernehmung der Sachverständigen Dr. S1 und Dr. Q darüber hinaus auch nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist im Tatsächlichen geklärt. Selbst unter Berücksichtigung der Einwände der Beklagten geht der Senat, wie zuvor ausgeführt, von einem Zeitaufwand in der Grundpflege von 246 Minuten aus. Die durch die Beklagte aufgeworfenen Fragen sind damit nicht entscheidungserheblich und sachdienlich. Die Begründung der Abweichungen von den Vorgutachten ergibt sich bereits aufgrund der ausführlichen Darlegungen von Dr Q in seinem Sachverständigengutachten (s.o.). Auch insofern bedarf es keiner ergänzenden Beweiserhebung. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte konkrete Einwände gegen die Ausführungen des Sachverständigen insofern nicht erhoben und diesbezüglich auch keine konkreten Beweisfragen formuliert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und, soweit der Beklagten Kosten auferlegt werden, auf § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG. Danach kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt wurde und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Die Beklagte hat den Rechtsstreit insoweit rechtmissbräuchlich fortgeführt, als sie auch auf den ausdrücklichen Hinweis des Vorsitzenden auf § 192 SGG die Berufung in vollem Umfang aufrecht erhalten hat und nicht einmal zur Abgabe eines Teilanerkenntnisses bereit war, obwohl die Voraussetzungen der Pflegestufe III auch nach Auffassung ihres eigenen medizinischen Dienstes zumindest für die Zeit ab dem 2. Halbjahr 2011 unstreitig vorlagen. Als Trägerin öffentlicher Verwaltung ist die Beklagte an Recht und Gesetz gebunden. Sie war bei Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs daher verpflichtet, der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen und den Anspruch insoweit anzuerkennen. Hierzu war die Bevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aber trotz wiederholter Hinweise und Nachfragen durch den Vorsitzenden aus völlig sachfremden Erwägungen nicht bereit. Ihr kam es vielmehr ersichtlich darauf an, den auch durch den Senat aufgrund seiner besonderen Sorgfalt und Sachkenntnis wiederholt von Amts wegen bestellten Sachverständigen Dr. Q dauerhaft zu diskreditieren. So hat sie mit Schriftsatz vom 17.04.2013 auf Gutachten des Sachverständigen in anderen Verfahren Bezug genommen, die keinen Zusammenhang zum vorliegend zu entscheidenden Verfahren aufweisen. Sie hat die Objektivität der Beweiserhebung pauschal angezweifelt ohne hierfür konkrete Argumente zu benennen oder Befangenheitsanträge gegen den Senat oder den Sachverständigen zu stellen. Den Sachverständigen Dr. Q hat sie in fast schon beleidigender Weise scharf angegriffen und mit einem Geisterfahrer in Zusammenhang gebracht. Sachdienlichen Argumenten war sie in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zugänglich. Ihre Verweigerungshaltung ging soweit, dass sie entgegen der Aufforderung durch den Vorsitzenden nicht bereit war, einen Sachantrag zu stellen und den Senat so zur Auslegung des Berufungsbegehrens gezwungen hat. Ein derart sachfremdes Agieren durch einen Behördenvertreter ist dem Senat bislang fremd gewesen. Mit ihrem Verhalten hat die Bevollmächtigte der Beklagten die Verzögerung der Durchsetzung von - auch aus Sicht des SMD - zumindest teilweise berechtigten Ansprüchen des Klägers in Kauf genommen und die Sach- und Rechtslage bewusst ignoriert. Damit hat sie unstreitig berechtigte Ansprüche gleichsam "als Pfand" zur Durchsetzung ihrer Vorbehalte gegen den Sachverständigen Dr. Q missbraucht. Dies hat sie in Kenntnis des Umstandes getan, dass der Kläger auf die Leistungen der Beklagten aktuell (und nicht in ferner Zukunft) angewiesen ist, um die häusliche Pflege weiterhin sicherzustellen. Ein derartiges Verhalten ist zur Überzeugung des Senats grob rechtsmissbräuchlich. Der Vorsitzende hat die Vertreterin der Beklagten auf die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten gemäß § 192 SGG hingewiesen. Bei einer sachkundigen mit dem sozialgerichtlichen Verfahren vertrauten Sitzungsvertreterin reicht der Hinweis auf die Vorschrift des § 192 SGG aus, um die Kostenfolge des § 192 SGG auszulösen. Die grundsätzliche Kostenfreiheit in sozialgerichtlichen Verfahren ist an die Grenze gelangt, wenn die Gerichte - wie hier - sinnlos und über Gebühr in Anspruch genommen werden. Die Vertreterin der Beklagten konnte aufgrund der Hinweise die Sinnlosigkeit der Fortführung des Verfahrens - zumindest soweit die Ansprüche ab August 2012 unstreitig vorlagen - ohne weiteres erkennen. Die Höhe der auferlegten Kosten bestimmt sich nach § 192 Abs 1 S 3 iVm § 184 Abs 2 SGG. Der Senat hat es für angemessen gehalten, der Beklagten Kosten in Höhe von 1.000 Euro aufzuerlegen, die den Mindestbetrag von 225 Euro übersteigen. Angesichts der oben dargelegten Sachlage ist es gerechtfertigt, der Beklagten durch die Festsetzung von Kosten über den Mindestbetrag hinaus vor Augen zu führen, dass die sinnlose Inanspruchnahme der Gerichte und insbesondere die durch keine sachlichen Gründe gerechtfertigte Verweigerung berechtigter Ansprüche der Kläger mit erheblichen Kosten verbunden ist. Der festgesetzte Betrag von 1.000 Euro entspricht insofern anteilig in etwa den Kosten der Absetzung des vorliegenden Urteils und ist daher angemessen.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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