L 11 AS 272/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 AS 166/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 272/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Keine offensichtliche Rechtswidrigkeit des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes, wenn die Übernahme von Bewerbungskosten nicht konkret betragsmäßig geregelt wird und eine Verpflichtung zu sieben Eigenbewerbungen pro Monat mit einem Nachweis zu bestimmten Zeitpunkten festgelegt wird.
2. Eine falsche Rechtsfolgenbelehrung macht den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Dies ist erst für eine etwaige Sanktion erheblich.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 26.03.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) ersetzenden Verwaltungsaktes.

Der 1983 geborene Antragsteller (ASt) bezieht vom Antragsgegner (Ag) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt wurde ihm mit Bescheid vom 28.01.2013 vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.07.2013 bewilligt.

Nachdem eine EGV zwischen den Beteiligten nicht zustande kam, erließ der Ag mit Bescheid vom 16.01.2013 die EGV per Verwaltungsakt mit einer Gültigkeitsdauer vom 01.02.2013 bis längstens 31.07.2013. Der Ag verpflichtete sich darin (Ziffer 1.), Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen, und das Bewerberprofil des ASt in das Internetangebot aufzunehmen. Bewerbungsaktivitäten würden durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen und Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen, soweit vorher beantragt, unterstützt. Der ASt wurde verpflichtet (Ziffer 2.), monatlich mindestens sieben Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse inkl. befristete Stellenangebote und Stellenangebote von Zeitarbeitsfirmen zu unternehmen und die Bewerbungsbemühungen anhand einer Übersicht und Kopien der Bewerbungen zu dokumentieren. Hierfür wurden jeweils der Beginn und das Ende des jeweiligen Turnus und der jeweilige Fälligkeitstermin zur Vorlage der Nachweise datumsmäßig festgelegt. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass sich der ASt spätestens am dritten Tage nach Erhalt eines Vermittlungsvorschlags zu bewerben und ein entsprechendes Antwortschreiben an den Ag zu senden habe. Schließlich enthielt der Verwaltungsakt Regelungen zum Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs und Belehrungen über Rechtsfolgen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2013 zurück.

Dagegen erhob der ASt Klage (Az: S 18 AS 171/13) beim Sozialgericht Würzburg (SG) und beantragte zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs (richtigerweise seiner Klage). Der Ag hätte die Übernahme der Kosten der Bewerbungsaktivitäten konkreter regeln müssen. Die Pflicht, zu bestimmten Tagen Nachweise zu erbringen, sei unzulässig, da sie nicht dem Zweck der Eingliederung des Leistungsempfängers in Arbeit diene. Der Bescheid sei zu unbestimmt. Eine Vertragsverhandlung auf Augenhöhe habe nicht stattgefunden. Die Rechtsfolgenbelehrungen seien teilweise fehlerhaft. Durch Leistungskürzungen sei er in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten.

Mit Beschluss vom 26.03.2013 hat das SG den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz abgelehnt. Der ASt wende sich gegen den Sofortvollzug der Pflichten aus dem Verwaltungsakt. Er begehre damit vorbeugenden Rechtsschutz, für den das notwendige qualifizierte Rechtsschutzinteresse fehle. Im Übrigen führe die fehlende Angabe zu den konkret zu übernehmenden Kosten bei schriftlichen Bewerbungen nicht zur Unwirksamkeit, da dies dahingehend auszulegen sei, dass kostenträchtige Bewerbungen nur verlangt werden könnten, soweit vorher eine Kostenzusage erfolge. Die Forderung von sieben Eigenbemühungen und die Festlegung des Turnus seien nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf Vertragsverhandlungen bestehe im Zusammenhang mit dem Abschluss einer EGV nicht.

Dagegen hat der ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Ergänzend hat er ausgeführt, Bewerbungen seien ihm nunmehr mangels finanzieller Mittel nicht mehr möglich. Wie eine ordnungsgemäße Bewerbung aussehe, sei ihm bis heute nicht nahegelegt worden. Schließlich sei nicht berücksichtigt worden, dass er seine erheblichen wirtschaftlichen Probleme insbesondere im Hinblick auf Miete und Stromkosten nicht mehr bewältigen könne.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des ASt ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des ASt gegen den Bescheid vom 16.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2013 anzuordnen.

Vorliegend wendet sich der ASt gegen einen eine EGV ersetzenden Verwaltungsakt, sodass insofern § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes darstellt, denn das Rechtsmittel (bzw der Rechtsbehelf) gegen einen Bescheid, mit dem über Leistungen zur Eingliederung in Arbeit bzw Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit entschieden wird, hat keine aufschiebende Wirkung, § 86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 39 Nr 1 5.Alt SGB II.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Abs 1 Nr 2 SGG. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse des ASt an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist.

Unter Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist (vgl Beschluss des Senats vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Aufl, § 86b Rn 12c). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl zum Ganzen: Keller aaO Rn 12f; Beschluss des Senats aaO).

Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind vorliegend als offen anzusehen. Dem Grundsicherungsträger steht die Alternative des Erlasses eines Verwaltungsaktes zur Ersetzung einer EGV schon dann zu, wenn ihm dies als der besser geeignete Weg erscheint. Dies folgt aus Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck von § 15 Abs 1 Satz 1 SGB II (vgl dazu im Einzelnen BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 13/09 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 1 - juris). Somit war ein weiteres Verhandeln mit dem ASt nicht erforderlich. Der Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II als solcher ist insofern vorliegend nicht zu beanstanden. Die Geltungsdauer von sechs Monaten entspricht dem Regelfall des § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II.

Auch inhaltlich erscheint dieser nicht offensichtlich rechtswidrig. Die EGV soll nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II insbesondere bestimmen, welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält (1.), welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind (2.) und welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (3.). Dem trägt der streitgegenständlichen Bescheid grundsätzlich Rechnung. Die Verpflichtung des Ag, Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme angemessener und nachgewiesener Kosten schriftlicher Bewerbungen und Fahrtkosten zu fördern, ist nicht von vorneherein zu unbestimmt. Zwar bestehen diesbezüglich Bedenken (vgl ua Beschluss des Senats vom 16.04.2013 - L 11 AS 74/13 B ER). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass zum einen der Ag mit der gewählten Formulierung bereits das ihm zustehende Ermessen bzgl einer Kostenübernahme bereits zugunsten des ASt ausgeübt sowie keine Obergrenze bzgl der Kostenerstattung festgelegt hat und zum anderen eine exakte Bemessung der für die jeweilige Bewerbung zu erstattenden Kosten als nahezu unmöglich erscheint, da Bewerbungen von potentiellen Arbeitgebern in unterschiedlichen Formen (Kurzbrief, per Email, ausführliches Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf und Zeugnissen, etc) gefordert werden. Als offensichtlich rechtswidrig kann diese vorliegend vom Ag gewählte Formulierung nicht angesehen werden. Zudem ist offen, ob - soweit eine Rechtswidrigkeit unterstellt wird - damit der gesamte Verwaltungsakt als rechtswidrig anzusehen ist (vgl dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.06.2012 - L 19 AS 1045/12 B ER - veröffentlicht in juris)

Auch die festgelegten Pflichten des ASt zu seinen Eigenbemühungen und deren Nachweis erweisen sich nicht als offensichtlich unzulässig. Das Erfordernis zum Nachweis von sieben Eigenbewerbungen pro Monat erscheint sachgerecht und nicht überzogen. Hierzu hat der ASt auch nichts vorgebracht, weshalb ihm eine solche Anzahl unzumutbar sein soll. Dass dem ASt unbekannt sein soll, wie eine ordentliche Bewerbung aussehen soll, erscheint im Hinblick auf seine Ausbildung zuletzt durch eine Umschulung zum Reiseverkehrskaufmann und sein Alter von 30 Jahren nicht glaubhaft. Schließlich ist die Festlegung der Monatszeiträume für die jeweils vorzunehmenden sieben Eigenbemühungen und des Fälligkeitszeitpunktes für den Nachweis nicht zu beanstanden. Insofern sieht § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II gerade vor, dass die Form des Nachweises von Eigenbemühungen festgelegt werden kann. Die Verpflichtung zur Bewerbung auf Vermittlungsvorschlägen binnen drei Tagen und einer entsprechenden Rückantwort an den Ag ist ebenfalls möglich und nicht unzulässig. Die Aufzählung möglicher Festsetzungen in § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II ist, wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergibt, nicht abschließend. Eine unzumutbare Belastung des ASt entsteht dadurch nicht. Soweit der ASt nunmehr vorbringt, er habe keine finanziellen Mittel mehr für Bewerbungen, ist dies nicht im Rahmen der Rechtmäßigkeit des EGV-Verwaltungsaktes ohne Belang. Dies wäre allenfalls im Rahmen der Prüfung eines wichtigen Grundes vor der Sanktionierung etwaiger Nichtbewerbungen möglicherweise bedeutsam. Weitere Regelungen zur Ortsabwesenheit sind grundsätzlich nicht schädlich (vgl dazu Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 15 Rn 29).

Soweit der ASt schließlich davon ausgeht, die Rechtsfolgenbelehrungen seien teilweise unzutreffend, führt dies - unterstellt dies wäre zutreffend - ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit des EGV-Verwaltungsaktes. Diese berühren nicht die festgelegten Pflichten. Soweit die Rechtsfolgenbelehrungen fehlerhaft wären, wäre dies alleine für die Frage der Rechtmäßigkeit etwaiger Sanktionen, die wegen des Verstoßes gegen den EGV-Verwaltungsakt ausgesprochen würden, erheblich und würde zu deren Rechtswidrigkeit führen.

Die im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten vorzunehmende allgemeine Interessenabwägung lässt ein Überwiegen der Interessen des ASt nicht erkennen. Zu berücksichtigen ist dabei die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II, dass ein Widerspruch bzw eine Klage gegen den die EGV ersetzenden Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung hat. Unzumutbare Belastungen durch den EGV-Verwaltungsakt sind nicht erkennbar. Zudem könnte der ASt nur dann bei Verstößen sanktioniert werden, wenn ihm kein wichtiger Grund dafür zustehen würde. Mithin könnte er in diesem Zusammenhang bei Eintritt einer Sanktion ebenfalls einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, bei der die Zumutbarkeit einer Verpflichtung im Einzelfall nochmals zu prüfen wäre. Die Beeinträchtigung der Existenzsicherung ist jedenfalls durch den EGV-Verwaltungsakt selbst nicht erkennbar. Die vom ASt vorgebrachten finanziellen Probleme, insbesondere hinsichtlich Miete und Strom, stehen nicht im Zusammenhang mit dem EGV-Verwaltungsakt, sondern allenfalls mit vom Ag verfügten Leistungsabsenkungen, die als eigenständige Regelungen selbst angefochten werden können.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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