S 38 AS 1793/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 38 AS 1793/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Nach einem nicht notwendigen Umzug sind die Kosten der Unterkunft und Heizung bezogen auf den bisherigen Bedarf zu dynamisieren.
Eine zeitliche Begrenzung der Bindung an den (dynamisierten) bisherigen Bedarf gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II besteht nicht.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 13.04.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2013 wird dahingehend geändert, dass der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.12.2010 monatlich weitere 0,42 Euro zu zahlen hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte 10 %.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin und das beklagte Jobcenter (im Folgenden: der Beklagte) streiten über Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2010 – 30.04.2011.

Die 1956 geborene Klägerin lebte in dem streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit ihrer 1990 geborenen Tochter in Dresden. Zunächst bewohnten sie in der B Strasse eine 64 m² große Wohnung für die sie insgesamt 349,32 EUR zahlten. Die Wohnung wurde mit Fernwärme beheizt. Die Gesamtwohnfläche des Hauses betrug 1.300,02 m². Am 14.04.2009 sprach die Klägerin erstmals beim Beklagten vor und äußerte den Wunsch, umzuziehen. Am 16.10.2009 zogen die Klägerin und ihre Tochter aufgrund eines am 15./16.06.2009 geschlossenen Mietvertrages ohne Zustimmung des Beklagten in eine 52,15 m² große, im 03. Stockwerk gelegene Wohnung in der G Strasse, für die sie monatlich 260,00 EUR Grundmiete, 107,00 EUR Nebenkostenvorschuss, insgesamt 367,00 EUR zahlten. Mit Bescheid vom 09.06.2009 hatte der Beklagte den Antrag auf Zustimmung zum Umzug in die G Strasse mit der Begründung abgelehnt, ein solcher sei nicht notwendig, weil die vorgetragenen Gründe keinen sozial gerechtfertigen Umzug begründeten. Die geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen seien nicht gravierend bzw. seien nicht fundiert dargelegt worden. Auch die benannten sozialen Gründe begründeten keinen Umzug, der als notwendig anerkannt werden könne.

Am 01.07.2010 zog die Tochter der Klägerin in eine eigene Wohnung.

Die Klägerin litt im streitgegenständlichen Zeitraum an einem chronisch rezidivierenden Schmerzsyndrom. Unter dem 27.04.2009 erklärte der behandelnde praktische Arzt (Bl. 25 GA): "Auf Grund einer chron. rezidivierenden Erkrankung ist für Frau aus ärztl. Sicht sinnvoll, eine Erdgeschosswohnung zu beziehen."

Die Klägerin bezieht seit dem 01.01.2005 fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Auf den Fortzahlungsantrag vom 21.09.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom selben Tag Leistungen für die Zeit vom 01.11.2010 – 30.04.2011. Mit Bescheid vom 26.03.2011 wurden die Leistungen geändert. Den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 21.09.2010 bzw. dessen Änderung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13.04.2011 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies er mit Bescheid vom 20.02.2013 zurück, nachdem er mit Bescheid vom 18.02.2013 die Leistungen für die Zeit vom 01.11.2010 – 30.04.2011 erneut geändert hatte.

Die Klage ging am 19.03.2013 beim Sozialgericht Dresden ein.

Die Klägerin macht geltend, der Beklagte sei verpflichtet, die Kosten der Unterkunft für die Wohnung in der G Straße zu übernehmen, da die Miete hierfür angemessen sei. Der Beklagte verfüge nicht über ein Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG, so dass die Angemessenheitsgrenze nach dem WoGG zu bestimmen sei. Hinsichtlich des Umzugs ist sie der Auffassung, dieser sei notwendig gewesen. Sie sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht in der Lage gewesen, die Treppen zu ihrer Wohnung hochzusteigen. In eine Erdgeschosswohnung hätte sie nicht ziehen können, weil sie keine angemessene Wohnung gefunden hätte, bzw. es zu dieser Zeit in Dresden keine Erdgeschosswohnungen gegeben habe.

Die Klägerin beantragt: 1. Der Bescheid des Beklagten vom 13.04.2011in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2013 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 01.11.2010 – 30.04.2011 zu bewilligen.

2. Die Berufung wird zugelassen.

Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Miete für die Wohnung in der G Strasse sei unangemessen hoch. Der Umzug der Klägerin sei auch nicht erforderlich gewesen. Das vorgelegte Attest lege die Notwendigkeit des Umzugs nicht nahe. Die ärztlichen Befundberichte seien veraltet.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten mit der Nummer beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Akte sowie die Gerichtsakte, die gewechselten Schriftsätze insgesamt und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2013 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet.

1. Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 13.04.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2013. Der Beklagte hat damit zunächst die Änderung des Leistungsbescheides vom 07.04.2010 und des Änderungsbescheides vom 11.06.2010 abgelehnt, dann mit Bescheid vom 18.02.2013 eine Änderung vorgenommen, aber die Übernahme der tatsächlichen Kosten für die von der Klägerin bewohnte Wohnung abgelehnt.

2. Der Bescheid ist teilweise rechtswidrig.

2.1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung weiterer 0,42 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2010 – 31.12.2010, da der Beklagte die entsprechende allgemeine Steigerung der Heizkosten nicht berücksichtigt hat. Die Bemessung des Regelsatzes und des grundsätzlichen KdU-Anteils für die Wohnung in der B. Straße begegnet keinen Bedenken.

2.2. Auf den zwischen den Parteien geführten Streit, ob die Miete für die Wohnung in der G. Straße angemessen ist, kommt es nicht an, denn der Beklagte war nicht verpflichtet, die Kosten für diese Wohnung als Bedarf anzuerkennen, § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. Die Klägerin und ihre Tochter waren ohne Zustimmung des Beklagten umgezogen, wodurch sich ihre Unterkunftskosten von 349,32 EUR auf 367,00 EUR erhöhten. Dieser war auch nicht verpflichtet, dem Umzug zuzustimmen.

Soweit in dem Bescheid vom 09.06.2009, mit dem der Beklagte die Zustimmung zum Umzug abgelehnt hat, ausgeführt wird, die Klägerin hätte neben ihrer Erkrankung auch das schlechte soziale Umfeld als Umzugsgrund benannt, hat sie sich hierauf im Klageverfahren nicht gestützt. Der Leistungsakte und den vorgelegten Verbis-Einträgen lässt sich nicht entnehmen, welche konkreten Gründe die Klägerin vorgetragen hat.

Die Erkrankung der Klägerin machte einen Umzug nach Ansicht der Kammer nicht notwendig. Schon die vorgelegten, veralteten Befundberichte geben keinen Anlass für die Annahme, die Klägerin sei derart schwer erkrankt gewesen, dass ein Umzug erforderlich war. Für den Zeitraum des Umzugs lagen dem Gericht keine Befundberichte vor. Dass der Gesundheitszustand der Klägerin sich möglicherweise in der Zeit nach dem Umzug verschlechtert hat, ist nicht entscheidungserheblich. Vor dem Hintergrund des Attestes vom 27.04.2009 waren weitere Ermittlungen des Gerichts zum Gesundheitszustand der Klägerin nicht veranlasst.

Das Attest vom 27.04.2009 legt die Notwendigkeit eines Umzugs entgegen der Auffassung der Klägerin gerade nicht nahe, da der behandelnde Arzt den Umzug als "sinnvoll", nicht aber als zwingend notwendig bezeichnet hat. Üblicherweise wissen Ärzte jedoch sehr genau, die Dringlichkeit eines Anliegens zum Ausdruck zu bringen.

Für das Gericht war in diesem Zusammenhang auffällig, dass die Klägerin offensichtlich am 14.04.2009 beim Beklagten vorsprach und den Wunsch äußerte, in die Wohnung ihres Vaters zu ziehen (Bl. 174 GA) und am 27.04.2009 das Attest des Hausarztes erhielt.

Letztlich kommt es hierauf nicht an, da die Klägerin und ihre Tochter nicht in eine Erdgeschoss-, sondern in eine im 3. Stock gelegene Wohnung gezogen sind, obwohl das Haus nicht über einen Fahrstuhl verfügt. Soweit die Klägerin in anderen Verfahren geltend gemacht hat, zum damaligen Zeitpunkt, also in der Zeit von April bis Juni 2009 (Zeitraum zwischen nachvollziehbar erstmals geäußertem Umzugswunsch bis Unterschrift des Mietvertrages) sei keine angemessene Erdgeschosswohnung in Dresden anmietbar gewesen, ist nicht nachvollziehbar, worin sich diese Annahme begründet. Die Klägerin hat in einem anderen, in diesem Zusammenhang geführten Verfahren, selbst dargelegt, kleinere Wohnungen im Erdgeschoss seien schwer zu mieten gewesen. Schwer bedeutet jedoch nicht unmöglich. Insbesondere hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass sie versucht hat, bei privaten Anbietern eine Erdgeschosswohnung anzumieten. Dem im Verfahren S 38 AS 1750/10 formulierten Beweisangebot (Einvernahme des Geschäftsführers eines Wohnungsunternehmens) war nicht nachzugehen, da es an jeglichem Vortrag dazu fehlt, weshalb der angebotene Zeuge fundierte Kenntnisse hinsichtlich des gesamten Wohnungsmarktes in Dresden haben sollte.

Unabhängig hiervon ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin und ihre Tochter, nicht in Kenntnis des Umstandes, dass der Gesundheitszustand der Klägerin sich auch künftig verschlechtern würde, nicht gewartet haben, bis sie eine Erdgeschosswohnung fanden.

2.3. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind auch bei Anwendung des § 22 Abs. 1 S.2 SGB II a.F. die der Bedarfsberechnung zugrunde zu legenden Kosten für Unterkunft und Heizung nicht unveränderlich.

Für die vom Beklagten vertretene Auffassung, die Kosten der Unterkunft seien aufgrund des nicht notwendigen Umzugs dauerhaft auf den Betrag der von ihm für die alte Wohnung übernommenen Kosten begrenzt, spricht der Wortlaut des Gesetzes. Danach werden bei einem nicht erforderlichen Umzug die Kosten der Unterkunft und Heizung weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen erbracht. Zu berücksichtigen ist hierbei der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, Kostensteigerungen im Bereich der Kosten der Unterkunft entgegenzuwirken und zu verhindern, dass Leistungsberechtigte nur zum Zweck der Ausschöpfung der durch die kommunalen Träger ermittelten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit zwar höheren, aber gerade noch angemessenen Kosten ziehen (BT-Drucks. 16/1410,23). Das SG Berlin hat in diesem Zusammenhang entschieden, die "Sperre" sei auf zwei Jahre zu begrenzen (SG Berlin, Urteil vom 12.09.2008, Az. S 82 AS 20480/08 und Urteil vom 16.07.2010, Az. S 82 AS 7352/09). Eine Grundlage hierfür lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Nach anderer Auffassung ist der vor dem Umzug anerkannte angemessene Betrag entsprechend der zeit- und realitätsgerechten Fortschreibung der Angemessenheitsgrenze zu dynamisieren. Maßgeblich ist dabei, wie sich die Unterkunftskostenbelastung bei Verbleib in der bisherigen Unterkunft entwickelt hätte, so dass mit zunehmender Entfernung zum Umzug die Ausgangsgröße oder erwartbaren Mieterhöhungen und Betriebskostensteigerungen anzupassen sind (vgl. Luik in Eicher, SGB II, Kommentar, 3. Auflage, § 22 Rdnr. 113; Berlit in LPK-SGB II, Kommentar, vierte Auflage, § 22 Rdnr. 69). Auch nach Auffassung der Kammer können die von der Klägerin und ihrer Tochter zum Zeitpunkt des Umzugs im Jahr 2009 aufgewandten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht ohne jede Anpassung maßgeblich für die Zukunft sein. Andererseits sind die dynamisierten Kosten für Unterkunft und Heizung ohne jede zeitliche Begrenzung als Bedarf der Klägerin in Ansatz zu bringen. Die Anpassung der Wohnkosten muss auch in den Fällen des § 22 Abs. 1 S.2 SGB II a.F. erfolgen. Aus dem Wortlaut der Norm in ihrer alten Fassung kann nicht eine starre Deckelung folgen, die eine Anpassung an auch beim Verbleib in der alten Wohnung erfolgte Veränderungen ausschließt. Der Begriff "Höhe" bezeichnet ein dynamisches Leistungsniveau, nicht einen statischen Zahlbetrag (Berlit a.a.O.).

Anhaltspunkte für eine Änderung hinsichtlich der Miete oder der kalten Betriebskosten liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Anpassung entsprechend des Mietspiegels nicht vorzunehmen. Eine gegebenenfalls erfolgte Erhöhung der Grundmiete für Mieter, die zum Zeitpunkt des Auszugs der Klägerinnen bereits in dem Haus wohnten und noch wohnen, lässt sich – wenn vorhanden - eindeutig feststellen. Auch ein möglicher Anstieg der kalten Betriebskosten lässt sich ermitteln. Insofern ist es nach Auffassung der Kammer ausgeschlossen, auf die allgemeinen Kostensteigerungen, die sich im Mietspiegel wiederfinden, zurückzugreifen.

Etwas anderes gilt dagegen für die Heizkosten. Da die Klägerin aus der alten Wohnung ausgezogen ist, lässt sich für den nachfolgenden Zeitraum die Entwicklung ihrer Heizkosten nicht konkret bestimmen, denn diese werden überwiegend verbrauchsabhängig abgerechnet. Deshalb ist nach Auffassung der Kammer auf die Kostenentwicklung die sich aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel ergibt zurückzugreifen. Hierbei sind nicht die Höchstwerte des bundesweiten Heizkostenspiegels sondern die Mittelwerte in Ansatz zu bringen. Ausweislich des Heizkostenspiegels für 2010, dem die Vergleichswerte für das Abrechnungsjahr 2009 zu Grunde liegen, lag der Mittelwert für Wohnhäuser mit einer Gebäudefläche von über 1000 m² für Fernwärme zwischen 7,50 EUR und 12,00 EUR. Aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel für 2011, dem die Vergleichswerte für das Abrechnungsjahr 2010 zu Grunde liegen, ergibt sich ein Mittelwert von 7,60 EUR bis 12,10 EUR. Hieraus errechnet sich eine Änderung von 0,83 %. Für die Klägerin ergibt sich damit eine Steigerung von 0,42 EUR. Diese ist in den Monaten 11+12/2010 zu berücksichtigen. Die Kammer hat sich auch in Anbetracht dieser geringfügigen Summe veranlasst gesehen, die Steigerung zum Ausdruck zu bringen, obwohl eine maßgebliche Änderung nicht eingetreten ist.

Aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel für 2012, dem die Vergleichswerte für das Abrechnungsjahr 2011 zu Grunde liegen, ergibt sich ein Mittelwert von 7,10 EUR bis 10,80 EUR. Im Verhältnis zu 2009 ist damit eine Erhöhung nicht eingetreten, so dass ein weitergehender Zahlungsanspruch nicht besteht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 Satz 1 SGG, 91 ZPO und folgt der Entscheidung über die Hauptsache. Das Gericht hat hier berücksichtigt, dass die Klägerin zwar nur mit einem geringen Betrag obsiegt hat, grundsätzlich aber die Unveränderbarkeit der Miete durch das Gericht verneint wurde.

4. Die Berufung war gemäß § 144 Satz 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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