L 4 AS 60/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 1788/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 60/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Bewilligung eines Mehrbedarfes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen einer von ihm vom 4. April 2011 bis 3. Januar 2012 durchgeführten "Maßnahme zur beruflichen Eingliederung schwerbehinderten Menschen" der Fortbildungsakademie der W.

Der Kläger ist schwerbehindert und hilfebedürftig. Er erhielt zuletzt aufgrund eines Bescheides vom 20. Dezember 2010 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2011.

Mit Bescheid vom 28. März 2011 wies der Beklagte den Kläger nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2, 3 und 5 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) der oben genannten Maßnahme zu. Die Inhalte der Maßnahme werden im entsprechenden Flyer u.a. beschrieben: • Unterstützung bei der Suche nach einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis • Individuelle Beratung und Unterstützung in Form eines Bewerbercoachings • Akquisition von möglichen Arbeitgebern • Umfassendes Bewerbungstraining ( ) • Vermittlung von EDV-Kenntnissen ( ) • Training zum Thema Selbstvermarktungsstrategie und Kommunikationsfähigkeit • Training zum Thema gesundheitsorientiertes Verhalten bei besonderen Belastungen und im Umgang mit Behinderungen • Unterrichtsangebote in Lerngruppen/Projektarbeit • Vereinbarung und kontinuierliche Fortschreibung des persönlichen Eingliederungsplanes • Nachbetreuung

Mit Bescheid vom 15. April 2011 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung eines Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 4 SGB II mit der Begründung ab, die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Dagegen legte der Kläger am 29. April 2011 Widerspruch ein mit der Begründung, es handele sich um eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben (Beratung, Aktivierung und Vermittlung zum Arbeitsmarkt) entsprechend § 46 SGB III in Verbindung mit § 33 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Diese Maßnahme entspreche dem nicht abgeschlossenen Maßnahmenkatalog des § 33 SGB IX. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2011 zurück. Rechtsgrundlage der Maßnahme sei § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 46 SGB III. Behindertenspezifische Leistungen nach § 33 SGB IX oder § 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) würden nicht erbracht.

Mit Bescheid vom 22. Juni 2011 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Monate August 2011 bis Januar 2012 bewilligt. Hiergegen legte der der Kläger hinsichtlich des nicht bewilligten Mehrbedarfes am 20. Juli 2011 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2011 zurückwies.

Gegen die genannten Widerspruchsbescheide hat der Kläger am 26. Mai 2011 bzw. 24. August 2011 Klagen erhoben, die zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden sind. Er hat vorgetragen, dass die von ihm durchgeführte Maßnahme einen Mehrbedarf auslöse. Hierzu bedürfe es nur der Teilnahme an einer regelmäßigen Maßnahme.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung durch Gerichtsbescheid vom 2. Januar 2012 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Nach dieser Vorschrift werde bei erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 SGB XII erbracht würden, ein Mehrbedarf in Höhe von 35 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelsatzes anerkannt. Die Maßnahme, an der Kläger seit dem 4. April 2011 teilnehme, sein keine Maßnahme in diesem Sinne. Denn sie habe keinerlei Bezug zur Behinderung des Klägers. Der Beklagte habe den KIäger vielmehr "in eine Maßnahme (schulische Auftragsmaßnahme) zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung gemäß § 16 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 46 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 und 5 SGB III" zugewiesen. Auch aus dem Flyer des Maßnahmeträgers ergebe sich, dass es sich inhaltlich um eine Maßnahme der Aktivierung und beruflichen Eingliederung handele, die – bis auf das Training zum Thema gesundheitsorientiertes Verhalten bei besonderen Belastungen und dem Umgang mit Behinderungen – keine behinderungsspezifischen Besonderheiten aufweise. Allein diese Trainingskomponente mache die Maßnahme aber noch nicht zu einer regelförmigen besonderen Maßnahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II. Bei der Maßnahme handele es sich auch nicht um "eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben" im Sinne des § 21 Abs. 4 SGB II. Eine solche liege nur vor bei einem direkten Bezug zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Eine schulische Auftragsmaßnahme wie die vorliegende reiche nicht aus, um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zu begründen.

Gegen den ihm am 25. Januar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. Februar 2012 Berufung eingelegt. Er macht geltend, es liege eine regelförmige Maßnahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (Urt. v. 6.4.2011 – B 4 AS 3/10 R) vor.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Januar 2012 und der Bescheide des Beklagten vom 15. April 2011 und 22. Juni 2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 17. Mai 2011 und 15. August 2011 dem Kläger für den Zeitraum vom 4. April 2011 bis zum 3. Januar 2012 einen Mehrbedarf nach § 21 Absatz 4 SGB II zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.

Mit Beschluss vom 15. Januar 2013 hat das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG – auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Das Gericht hat am 22. Oktober 2013 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte, die Leistungsakte des Beklagten, die Akten des Landessozialgerichts L 4 AS 69/12 B PKH, L 4 AS 70/12 B PKH, L 5 AS 337/11 B ER und L 5 AS 207/11 B ER sowie die Akten des Sozialgerichts S 61 AS 2845/11, S 61 AS 559/11 und S 61 AS 4284/10 verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind in Bezug auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die hier streitgegenständlich sind, rechtmäßig. Der Kläger kann insbesondere keinen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II für den Zeitraum vom 4. April 2011 bis 3. Januar 2012 geltend machen.

Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II wird bei erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 SGB XII erbracht werden, ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Kläger wurde zunächst keiner Maßnahme nach § 33 SGB IX oder § 54 SGB XII zugewiesen. Das ergibt sich bereits aus dem entsprechenden Zuweisungsbescheid vom 28. März 2011, der auf die Rechtsgrundlage des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 46 SGB III gestützt ist. Anders als der Kläger meint, führt die Regelförmigkeit der Maßnahme, die hier ohne Zweifel gegeben war, nicht zur Tatbestandsmäßigkeit im Sinne von § 21 Abs. 4 SGB II – andersherum würde ihr Fehlen allerdings eine "Maßnahme" im Sinne der Vorschrift ausschließen.

Es liegt auch keine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben im Sinne von § 21 Abs. 4 SGB II vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 6.4.2011, a.a.O.) muss die "sonstige Hilfe" über das hinausgehen, was dem Jobcenter etwa im Rahmen des § 14 Abs. 1 SGB II als allgemeine Unterstützungsaufgabe zugewiesen ist. Da die "sonstigen Hilfen" innerhalb des § 21 Abs. 4 SGB II gleichwertig neben den Leistungen nach § 33 SGB IX aufgeführt werden, ist einerseits eine gewisse Gleichwertigkeit dieser Leistungen zu fordern. Eine sonstige Hilfe darf also qualitativ nicht hinter den Anforderungen zurückstehen, die an die konkret in § 21 Abs. 4 SGB II benannten Maßnahmen, insbesondere die Hilfen nach § 33 SGB IX zu stellen sind. Andererseits muss es sich bei den sonstigen Hilfen um andere als die nach § 33 SGB IX vorgesehenen handeln, denn ansonsten hätte es deren ausdrücklicher Benennung nebeneinander im Normtext nicht bedurft (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.3.2012 – L 2 AS 25/10; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 Rn. 48 a.E.).

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Die Aufnahme des Begriffes der "sonstigen Hilfe" dient nach diesem Verständnis der Herstellung einer gewissen Entwicklungsoffenheit der Hilfeformen und der Möglichkeit, neue, noch nicht in den einschlägigen Vorschriften benannte Formen mit der Zuerkennung eines Mehrbedarfs zu fördern. Damit ergibt sich, dass die hier bewilligte Maßnahme der Aktivierung und beruflichen Eingliederung – so § 46 Abs. 1 Satz 1 a.E. SGB III – bereits aufgrund des Umstandes, dass auch § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ausdrücklich solche Hilfen vorsieht, keine sonstige Hilfe im Sinne von § 21 Abs. 4 SGB II sein kann. Nur ergänzend kommt hinzu, dass der Senat auch nach den Erörterungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung keinen direkten Bezug der Maßnahme zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes erkennen kann. Insoweit wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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