L 2 AS 2280/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 1240/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 2280/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 18. November 2013 wird zurückgewiesen. Eine Kostenerstattung für das Beschwerdeverfahren hat nicht zu erfolgen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) zu Recht abgelehnt.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rn 7a). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, ist der Antrag auf Gewährung von PKH abzulehnen (vgl. BSG Beschluss vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R, juris Rn. 26, sowie Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.04.2012 - 1 BvR 2869/11, juris Rn. 13 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Das aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abgeleitete Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung von Rechtsschutz durch Gewährung von PKH ist dann nicht verletzt, denn Unbemittelte müssen nur solchen Bemittelten weitgehend gleichgestellt werden, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen.

Es fehlt der Klage an hinreichenden Erfolgsaussichten im oben genannten Sinne. Der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 16. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2013, mit dem über den am 29. April 2013 gestellten Überprüfungsantrag entschieden wurde, ist nicht rechtswidrig. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den Klägern die für die zum 1. Januar 2013 angemietete Wohnung mietvertraglich vereinbarte Kautionszahlung in Höhe von 991,23 EUR mit Bescheid vom 27. November 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 durch rückzahlbares Darlehen zur Verfügung gestellt und die Rückzahlung des Darlehens ab dem auf die Auszahlung folgenden Monat durch Aufrechnung i.H.v. 10 % des maßgebenden Regelbedarfs des Klägers zu 1) geregelt hat. Eine Rücknahme dieser bestandskräftig gewordenen Bescheide gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) hat der Beklagte zu Recht abgelehnt, denn ein Rücknahmeanspruch besteht nur in Bezug auf rechtswidrige Verwaltungsakte.

Die darlehensweise Gewährung der Mietkaution und die Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit laufend gewährten Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) entspricht geltendem Recht. Gemäß § 22 Abs. 6 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung kann eine erforderliche Mietkaution als Bedarf anerkannt werden. Die Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 6 S. 3 SGB II). Darlehen, die gemäß § 42a Abs. 1 SGB II nur erbracht werden, wenn der Bedarf weder durch Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann, sind gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift durch monatliche Aufrechnung i.H.v. 10 % des maßgebenden Regelbedarfs ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, zu tilgen, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen. So ist der Beklagte hier verfahren. Die vom Kläger in der Beschwerde geäußerte Auffassung, es werde mit 10 % des aus Regelleistung und Kosten der Unterkunft sich ergebenden Gesamtbedarfs aufgerechnet, ist unrichtig.

Sieht das Gesetz die Darlehensgewährung für eine Mietkaution als Regelfall vor, muss die vom Kläger beanspruchte Gewährung eines nicht rückzahlbaren Zuschusses auf atypische Sonderfälle beschränkt bleiben. Ein derartiger Sonderfall ist hier nicht ersichtlich. Der 1967 geborene Kläger ist in seiner Erwerbsfähigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt und gehört auch aufgrund seines Alters nicht zu einem schwer vermittelbaren Personenkreis. Zukunftsnahe Erwerbschancen sind deshalb nicht auszuschließen. Insoweit unterscheidet sich das vorliegende Verfahren bereits erheblich von dem vom Sozialgericht Berlin im Verfahren S 37 AS 24431/11 ER zu beurteilenden Sachverhalt, denn dort waren zukunftsnahe Erwerbschancen vom Gericht im Einzelfall für eine Klägerin, die bislang Unterstützung durch Jugendhilfe erfahren hatte, ausdrücklich verneint worden. Weitere Darlehensverpflichtungen des Klägers, die zu einer erhöhten Aufrechnung führen könnten, bestehen zudem nicht. Auch die Höhe des durch die als Bedarf zu deckende Mietkaution sich ergebenden Darlehens rechtfertigt nicht die Annahme eines atypischen Falles. Die vom Kläger mietvertraglich geschuldete Kautionszahlung ist insbesondere nicht ungewöhnlich hoch. Sie bewegt sich im Rahmen der Beträge, die sich typischerweise aufgrund der Kosten für angemessenen Wohnraum (auch für Alleinbewohner) in Verbindung mit der gesetzlichen Höchstgrenze gemäß § 551 Abs. 1 BGB für Mietsicherheiten (dreifache Monatsmiete ohne Betriebskosten) ergeben. Hat der Gesetzgeber die Darlehensgewährung für eine Mietkaution als Regelfall mit der Folge einer Aufrechnung des maßgeblichen Regelbedarfs i.H.v. 10 % zur Tilgung des Darlehens bestimmt, ist es nicht gerechtfertigt, allein wegen der sich geradezu typischerweise ergebenden längeren Tilgungsdauer (hier: ca. 26,5 Monate) einen atypischer Fall zu unterstellen. Dies würde dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen.

Begründete Zweifel an der Verfassungskonformität der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen, die eine mehr als ganz entfernte Erfolgschance bedingen könnten, hat der Senat nicht (siehe auch LSG NRW, Beschluss vom 15. März 2013, L 2 AS 1829 / 12 B; SG Berlin, Urteil vom 20. März 2013, S 142 AS 21275/12; SG Köln Urteil vom 28. September 2012, S 33 AS 1310/12; Greiser in Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage, § 42 a, Rn. 14). Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 9. Februar 2010,1 BvL 1 / 09, zu Rn. 150 bei juris) hat die Konzeption des Gesetzes, einmalige Bedarfe durch eine Anhebung der Regelleistung in der Erwartung zu decken, dass der Hilfebedürftige diesen erhöhten Anteil für den unregelmäßig auftretenden Bedarf zurückhält, ebenso gebilligt wie die Möglichkeit, eine Tilgung von Darlehen, die gewährt werden, wenn ein einmaliger Bedarf nicht durch (noch nicht) angesparte Mittel gedeckt werden kann, durch Aufrechnung der Regelleistung i.H.v. 10 % vorzunehmen. Unbillige Verhältnisse, die Zweifel an der Verfassungskonformität begründen könnten, können nach den Regelungen des Gesetzes dadurch vermieden werden, dass in atypischen Fällen (wie bereits dargelegt) statt eine Darlehensgewährung ein nicht rückzahlbaren Zuschuss bewilligt wird. Wenn die Voraussetzungen eines atypischen Falles nicht vorliegen, ist die Möglichkeit zur Aufrechnung zudem gemäß § 43 Abs. 4 S. 2 SGB II auf längstens drei Jahre beschränkt, so dass lange Kürzungen der Regelleistungen vermieden werden. Darüber hinaus sieht § 44 SGB II auch einen Erlass von Ansprüchen vor, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Auch durch Beachtung dieser Vorschrift können im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände möglicherweise denkbare verfassungswidrige Benachteiligungen vermieden werden. Schließlich ist zu beachten, dass dem Hilfebedürftigen die Mietkaution nach vollständiger Tilgung des Darlehens zusteht und er bei Ende des Mietverhältnisses eine Rückzahlung an sich verlangen kann. Dies ist auch wesentliche Begründung des Gesetzgebers für die Gewährung der Mietkaution im Wege eines Darlehens gewesen (vergleiche Bundestags-Drucksache 16/688, S. 14). So gesehen stellt sich die Aufrechnung zur Tilgung eines Kautionsdarlehens als auf den Zeitpunkt des Ende des Mietverhältnisses gerichtete zwangsweise Ansparung des Hilfebedürftigen dar. Nur durch Gewährung der Mietkaution in Form eines Darlehens werden für den hilfebedürftigen Mieter schließlich Anreize geschaffen, nicht durch vertragswidriges Verhalten die Voraussetzungen für einen berechtigten Zugriff des Vermieters auf die Kaution zu setzen. Die Gewährung eines Darlehens rechtfertigt sich damit auch vor dem Hintergrund der sparsamen Verwendung von allgemeinen Steuermitteln.

Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage folgen schließlich nicht daraus, dass der Beklagte im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 27. November 2012 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 (der nicht mit einer Klage angefochten wurde) die aufschiebende Wirkung des am 3. Januar 2013 eingelegten Widerspruchs nicht beachtet hatte. Im Überprüfungsverfahren gemäß § 44 SGB X ist allein maßgeblich, ob bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Wenn von der Behörde die gemäß § 86 a Abs. 1 S. 1 SGG fehlende Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes nicht beachtet wird, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, sondern nur der Vollziehungsmaßnahmen. Rechtsschutz ist in diesem Fall mit Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung und erforderlichenfalls auf Anordnung der Aufhebung der Vollziehung gemäß § 86 b Abs. 1 S. 2 SGG zu gewährleisten.

Die anhängige Klage entfaltet ebenfalls keine aufschiebende Wirkung, denn Streitgegenstand in einem gegen den nach § 44 SGB X ergangenen Bescheid gerichteten Verfahren ist allein die Verpflichtung des Versicherungsträgers zur Rücknahme der früher ergangenen und bindend gewordenen Bescheide.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind gemäß § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattungsfähig.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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