L 5 AS 399/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 1383/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 399/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 18. August 2010 wird abgeändert.

Die Bescheide des Beklagten vom 5. und 18. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2008 werden aufgehoben, soweit der Beklagte im Monat Oktober 2006 Leistungen in Höhe von mehr als 274,07 EUR und im November 2006 Leistungen überhaupt aufgehoben und zur Erstattung gestellt hat.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge in Höhe von 13 % zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten vorgenommenen Anrechnung eines Betriebskostenguthabens auf den Leistungsanspruch der Klägerin in den Monaten September bis November 2006. Die 1959 geborene, alleinstehende Klägerin bezieht vom Beklagten seit August 2005 Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Sie bewohnte im streitgegenständlichen Zeitraum eine 93,10 qm große, mit Dauerbrandöfen zu beheizende Vier-Zimmer-Wohnung, für die sie ab 1. April 2006 einschließlich der kalten Betriebskosten in Höhe von 85 EUR/Monat eine Bruttogesamtmiete in Höhe von 285 EUR/Monat zu zahlen hatte. Hinzu kamen monatlich 2,11 EUR für die Entsorgung der Biotonne und 2,28 EUR für die Entsorgung der Mülltonne. Weitere, im streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitt entstandene Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) hat die Klägerin nicht nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 27. Juli 2006 hatte der Beklagte der Klägerin SGB II-Leistungen für die Monate August 2006 bis einschließlich Januar 2007 in Höhe von 664,71 EUR/Monat bewilligt. KdU in Höhe von 319,71 EUR (285 EUR zzgl. 32,06 EUR Heizkosten (diese hatte der Beklagte durch Zwölftelung einer Kohlerechnung aus dem Jahr 2004 ermittelt) und 2,65 EUR Pauschale für Abfallgebühren) sollten vorläufig bis zur Entscheidung in dem vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau geführten Klageverfahren S 7 AS 588/06, längstens bis zum 31. Januar 2007 gezahlt werden. Gegen diesen Bescheid hatte die Klägerin unter dem 1. August 2006 Widerspruch mit der Begründung eingelegt, die Zahlung der KdU längstens bis 31. Januar 2007 sei rechtswidrig, da der Beklagte eine Regelung für nachfolgende Bewilligungsabschnitte nicht treffen dürfe. Das Widerspruchsverfahren hatte mit einem Vergleich geendet. Der Beklagte verpflichtete sich, die Hälfte der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen, da er auch für den Folgebewilligungsabschnitt die KdU in gleicher Höhe bewilligt hatte. Mit Schreiben vom 23. Januar 2008 forderte der Beklagte die Klägerin auf, die Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2005 und 2006 vorzulegen. Im Jahr 2005 hatte die Klägerin ausweislich der von ihr eingereichten Betriebskostenabrechnung vom 22. August 2006 ein Guthaben in Höhe von 675,73 EUR erwirtschaftet. Dieses komme nicht zur Auszahlung, sondern werde mit offenen Mietzahlungen verrechnet.

Mit Änderungsbescheid vom 5. März 2008 hob der Beklagte die Bewilligung der KdU im Bescheid vom 27. Juli 2006 für die Monate September bis November 2006 teilweise auf und bewilligte unter Verrechnung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2005 für die Monate September und Oktober 2006 KdU in Höhe von je 2,65 EUR sowie für November 2006 in Höhe von 278,10 EUR. Mit Schreiben vom gleichen Tag hörte der Beklagte die Klägerin zur Erstattung des Betrages in Höhe von 675,73 EUR an. Sie habe die Überzahlung verursacht, da sie eine erhebliche Veränderung in ihren Verhältnissen nicht angezeigt habe.

Gegen den Änderungsbescheid legte die Klägerin am 17. März 2008 Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung ein: Da ihr das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung nicht zugeflossen sei, sei eine Aufhebung der bewilligten Leistungen rechtswidrig.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. März 2008 hob der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2006 teilweise in Höhe von 675,73 EUR wegen eines Betriebskostenguthabens aus dem Jahr 2006 auf. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung, Änderungen in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen anzugeben, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Dagegen legte die Klägerin am 31. März 2008 Widerspruch ein, wiederum unter Hinweis auf den Umstand, dass ihr das Guthaben nicht ausgezahlt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2008 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 5. und 18. März 2008 als unbegründet zurück. Er berichtigte zunächst den Schreibfehler im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Bei der zu berücksichtigenden Betriebskostenabrechnung handele es sich um die aus dem Jahr 2005. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II minderten Rückzahlungen und Guthaben, die den KdU zuzuordnen seien, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen. Durch die Hausverwaltung des Vermieters sei am 22. August 2006 die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2005 erstellt worden. Die Verrechnung des Guthabens in Höhe von 675,73 EUR mit offenen Mietzahlungen der Klägerin könne nicht berücksichtigt werden, da es sich um Schulden handele. Das Guthaben mindere mithin ab September 2006 die KdU. Ab diesem Monat seien der Klägerin 317,06 EUR KdU gewährt worden. Für September und Oktober 2006 seien keine KdU mehr zu bewilligen gewesen, für November 2006 seien sie um den verbleibenden Betrag aus dem Guthaben in Höhe von 41,61 EUR auf 275,45 EUR zu vermindern gewesen. Für September und Oktober 2006 verbleibe somit ein Alg II-Anspruch in Höhe von 347,65 EUR (Regelleistung 345 EUR und Müllpauschale 2,65 EUR) und im Monat November 2006 ein Anspruch in Höhe von 623,10 EUR (Regelleistung 345 EUR zzgl. Miete 243,39 EUR zzgl. 32,06 EUR Heizkosten und Müllpauschale 2,65 EUR). Tatsächlich sei in den streitgegenständlichen Monaten eine monatliche Leistung in Höhe von 664,71 EUR bewilligt worden. Die Bewilligung sei teilweise nach § 40 SGB II, § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und § 330 Abs. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung aufzuheben gewesen, da die Klägerin ihrer Pflicht zur Mitteilung der Änderung ihrer Verhältnisse zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Die zu Unrecht erhaltenen Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten.

Am 15. Mai 2008 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau Klage gegen die streitgegenständlichen Bescheide erhoben. Zur Begründung hat sie wiederum im Wesentlichen ausgeführt, das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung habe ihr nicht zur Verfügung gestanden. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 18. August 2010 die Bescheide des Beklagten vom 5. und 18. März 2008 aufgehoben. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, es sei keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen der Klägerin eingetreten. Der Anspruch auf Auszahlung des Guthabens sei durch die vom Vermieter erklärte Aufrechnung untergegangen, so dass bereits Zweifel am Vorhandensein eines Guthabens bestünden. Zudem sei die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II teleologisch zu reduzieren. Nur solche Guthaben führten zu einer Minderungsmöglichkeit der KdU durch den Grundsicherungsträger, die auch tatsächlich zu einer Minderung der Zahlungsverpflichtung zwischen Vermieter und Mieter führten. Dieses sei vorliegend nicht der Fall. Der von der Klägerin geschuldete Mietzins habe sich in den streitgegenständlichen Monaten nicht verringert. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen. Gegen das ihm am 21. September 2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Es sei weder dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte noch dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II zu entnehmen, dass das Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung dem Leistungsempfänger auch zugeflossen sein müsse. Auch die Rückerstattung, die zur Schuldentilgung verwendet werde, und damit dem Leistungsempfänger tatsächlich nicht zur Verfügung stehe, mindere den Leistungsanspruch. Da die Klägerin der Aufrechnung nicht widersprochen habe, sei der Fall der Aufrechnung mit dem der Tilgung von Schulden gleichzusetzen. Gerade gewollte Schuldentilgung im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II sollten vermieden werden.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 18. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte übersehe, dass sie das Guthaben nicht allein aus Leistungen nach dem SGB II erwirtschaftet habe. Sie würde - folge man der Rechtsansicht des Beklagten - eine erhebliche Unterdeckung ihres Bedarfs erleiden, da ihr das Guthaben nicht zur Verfügung gestanden habe. Sie habe nicht versucht, die Aufrechnung rückgängig zu machen, da sie zeitweise nicht in der Lage gewesen sei, die Mietforderungen in voller Höhe zu begleichen. Zudem sei die Forderung nach § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen.

Der Senat hat den ehemaligen Hausverwalter des Vermieters der Klägerin um Auskunft ersucht, wie hoch die Mietschulden zum Zeitpunkt der Aufrechnung gewesen seien, und ob mit der Klägerin eine Verrechnungsabrede getroffen worden sei. Der Hausverwalter hat unter Zusendung eines unter dem 22. August 2006 gefertigten, an die Klägerin adressierten Schreibens mitgeteilt, über die genaue Höhe der Mietschulden könne er keine Auskunft mehr geben. Aus dem Schreiben vom 22. August 2006 ergibt sich, dass das Guthaben mit offenen Mietforderungen aus dem Jahr 2005 in Höhe von 81,95 EUR aufgerechnet worden war. Den Restbetrag in Höhe von 593,78 EUR hatte der Verwalter vereinbarungsgemäß nicht an die Klägerin ausgezahlt, sondern mit bestehenden Mietschulden verrechnet. Diese Verrechnung, so der Verwalter auf Nachfrage weiter, wäre unterblieben, hätte die Klägerin ihr nicht zugestimmt. Die neue Hausverwalterin konnte keine Angaben über die Höhe der im Jahr 2006 bestehenden Mietschulden machen.

Der Beklagte hat zu diesen Auskünften Stellung genommen: Eine einseitige Aufrechnung des Vermieters liege nicht vor. Vielmehr habe die Klägerin die ihr zustehende Verfügungsbefugnis über das Guthaben ausgeübt und einer Verrechnung mit Mietschulden zugestimmt. Es sei daher auf die bewilligten KdU anzurechnen gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG)). Sie ist auch statthaft. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. Daran ist der Senat nach § 144 Abs. 3 SGG gebunden.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Rechtmäßigkeit der Bescheide des Beklagten vom 5. und 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2008, mit denen er einen Teil der Leistungen nach dem SGB II wegen eines Guthabens aus einer Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2005 aufgehoben und zur Erstattung gestellt hatte. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag den Streitstoff ausdrücklich auf die Aufhebung der mit den streitgegenständlichen Bescheiden bereits für die Monate September bis November 2006 bewilligten KdU in einer Gesamthöhe von 675,73 EUR beschränkt. Der Höhe nach ist die Prüfung darauf begrenzt, ob der Beklagte berechtigt war, diese Leistungen aufzuheben (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, Rn. 14, Juris).

Die Berufung des Beklagten ist teilweise erfolgreich. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bescheide in vollem Umfang aufgehoben.

Die Bescheide sind formell rechtmäßig.

Sie sind insbesondere hinreichend bestimmt nach § 33 SGB X. Das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, B 14 AS 153/10 R, Rn. 31, Juris). Dabei genügt es zunächst, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann. Diese besteht selbst dann, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlangen zurückgegriffen werden muss (BSG, Urteil vom 29. November 2012, B 14 AS 6/12 R, Rn. 26, Juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen zwar für sich genommen Bedenken gegen die Bestimmtheit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 18. März 2008. Aus diesem Bescheid lässt sich nicht klar und eindeutig erkennen, welchen konkreten Betrag der Beklagte in den jeweiligen streitgegenständlichen Monaten aufgehoben und zur Erstattung gestellt hatte. Die Aufhebungsverfügungen waren jedoch bereits im Änderungsbescheid vom 5. März 2008 ausreichend konkretisiert worden. Sowohl an Hand der Bewilligungsverfügungen als auch aus dem beiliegenden Berechnungsbogen ergab sich für die Klägerin deutlich, welche Bewilligungsbeträge ihr in den Monaten September bis November 2006 verblieben. Unter Hinzunahme des Bewilligungsbescheides vom 27. Juli 2006 war sie in der Lage, die Aufhebungsbeträge in den einzelnen Monaten durch einfache Subtraktion zu ermitteln.

Auch die vorherige Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X ist ordnungsgemäß erfolgt. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist nach dieser Regelung dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Mit Schreiben vom 5. März 2008 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass diese in der Zeit vom 1. September bis 30. November 2006 Leistungen in Höhe von 675,73 EUR wegen des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung 2005 zu Unrecht bezogen habe. Einer subjektiven Vorwerfbarkeit, die der Beklagte zum Gegenstand der Anhörung gemacht hatte, bedurfte es nicht (s. dazu unten). Dies hindert aber nicht die Annahme einer ordnungsgemäßen Anhörung.

Die Jahresfrist der §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist ebenfalls eingehalten. Danach muss die Behörde innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen den Verwaltungsakt aufheben.

Der Beklagte erlangte vom Guthaben aus der Betriebskostenanrechnung für das Jahr 2005 erst am 27. Februar 2008 Kenntnis. Bereits unter dem 5. März 2008 erstellte er den Änderungs- und unter dem 18. März 2008 den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Die Bescheide sind im austenorierten Umfang rechtmäßig. Die materielle Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 5. und 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2008 beurteilt sich nach § 40 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 27. Juli 2006, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wegen § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend.

Das in der Betriebskostenabrechnung vom 22. August 2006 ausgewiesene Guthaben in Höhe von 675,73 EUR ist grundsätzlich als Einkommen i.S. von § 11 Abs 1 SGB II i.V.m. mit der Sonderregelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II und nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Einkommen i.S. des § 11 Abs 1 SGB II ist nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, was er bereits vor Antragstellung hatte. Auch für Rückerstattungen von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen ist nicht von dieser Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen abzuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a.a.O., Rn. 16, Juris).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den KdU zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder Gutschrift entstandenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift. Mit der unklaren Formulierung "mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" wird zum Ausdruck gebracht, dass eine unmittelbare Anrechnung der Guthaben auf die KdU ohne Berücksichtigung der Absetzbeträge des § 11 Abs. 2 SGB II, nicht jedoch eine abweichende individuelle Bedarfsfestsetzung bei den KdU des Folgemonats erfolgen soll. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist eine Sonderregelung zur Anrechnung von Einkommen i.S. des § 11 SGB II, die eingeführt wurde, um den mit der Einkommensberücksichtigung nach § 11 SGB II häufig einhergehenden Abzug der Versicherungspauschale zu vermeiden und zugleich die Anrechnung des Guthabens dem kommunalen Träger zugute kommen zu lassen (BT-Drucks 16/1696 S. 26). § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II verändert für Rückzahlungen und Guthaben, die den KdU zuzuordnen sind, lediglich die in § 19 Satz 3 SGB II bestimmte Reihenfolge der Berücksichtigung von Einkommen und modifiziert den Zeitpunkt der Anrechnung in Bezug auf die Zuflusstheorie und - durch die ausdrückliche gesetzliche Zuordnung zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - die Regelungen des § 11 Abs. 2 SGB II. Vorliegend handelt es sich bei dem Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung um ein den KdU zuzuordnendes Einkommen.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist unschädlich, dass dieses nicht zur tatsächlichen Verminderung der an den Vermieter zu zahlenden KdU in den Folgemonaten geführt hat. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber insoweit vom Einkommensbegriff des § 11 SGB II abweichen und Einkommen nur dann berücksichtigen wollte, wenn der Vermieter oder der Leistungsberechtigte dieses Guthaben auch für einen bestimmten Zweck tatsächlich verwenden (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a.a.O., Rn. 18).

Der Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin das Guthaben zum Teil während einer Zeit erwirtschaftet hatte, als sie noch nicht im Leistungsbezug stand. Maßgebend ist allein der Zufluss des Guthabensbetrages als Einkommen während des Leistungsbezuges, nicht der Leistungsgrund (vgl. zur Steuerrückerstattung BSG, Urteil vom 30. September 2008, B 4 AS 29/07 R, Rn. 18, Juris; zur Abfindung BSG, Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 47/08 R, Rn. 15, Juris).

In Höhe von 81,95 EUR ist das Einkommen jedoch nicht auf den KdU-Bedarf anzurechnen. Die im Begleitschreiben zur Betriebskostenabrechnung vom 22. August 2006 erklärte Aufrechnung ist zwar nach heutiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) rechtswidrig und hatte das nicht Erlöschen der Forderung der Klägerin gegen den Vermieter in dieser Höhe zur Folge (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2013, IX ZR 310/12, Rn. 8, Juris).

Nach § 388 Satz 1 BGB erfolgt die Aufrechnung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Sie bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Dies setzt die Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB) voraus, welche hier gegeben ist. Der Vermieter ist aufrechnender Gläubiger des Mietzinses und gleichzeitig Schuldner der Gegenforderung der Klägerin auf Auszahlung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung. Beide Forderungen sind Geldforderungen. Das Betriebskostenguthaben unterliegt jedoch nach § 394 BGB nicht der Pfändung, mithin ist eine Aufrechnung grundsätzlich nicht möglich (vgl. BSG, Urteil vom 16. Oktober 2012, B 14 AS 188/11 R, Rn. 19, im Anschluss daran BGH, Urteil vom 20. Juni 2013, a.a.O., beide zitiert nach Juris).

Trotzdem konnte das Guthaben in Höhe von 81,95 EUR nicht auf die der Klägerin zustehenden KdU angerechnet werden. Zum damaligen Zeitpunkt war in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob das Betriebskostenguthaben, das ein Alg II-Empfänger erwirtschaftet hatte, der Pfändung unterlag (vgl. Amtsgericht Brandenburg, Urteil vom 25. April 2012, 31 C 175/10, Rn. 56 m.w.N.). Deswegen war die Rückforderung des vom Vermieter einbehaltenen Betrages erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Der Ausgang eines von der Klägerin zu führenden Rechtsstreites war ungewiss. Nach den Grundsätzen, die das BSG zur Staffelmietvereinbarung aufgestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 8/09 R, Rn. 18, Juris), mindert mithin das zur Aufrechnung gestellte Guthaben in Höhe von 81,95 EUR nicht den KdU-Anspruch, da der Klägerin das Guthaben tatsächlich als bereites Mittel nicht zur Verfügung stand.

Das verbleibende Guthaben in Höhe von 593,78 EUR ist auf die der Klägerin bewilligten KdU anzurechnen. Diesen Betrag verrechnete der Hausverwalter des Vermieters in ihrem Einverständnis mit offenen Mietforderungen. Sie hätte mithin die Auszahlung dieses Betrages ohne weiteres realisieren können. Denn eine Verrechnung wäre ohne ihr Einverständnis nicht vorgenommen worden. Den Auskünften des ehemaligen Hausverwalters hat die Klägerin nicht widersprochen. Sie hat somit eine fällige und liquide Forderung bewusst nicht geltend gemacht, sondern zur Tilgung von Schulden verwandt. Diese Handlungsweise steht einer Anrechnung von Einkommen nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG, Urteil vom Urteil vom 30. September 2008, a.a.O., Rn. 19, Juris) nicht entgegen. Insoweit brauchte nicht näher aufgeklärt zu werden, ob der Aufrechnung eine entsprechende offene Mietzinsforderung gegenüberstand, die Gegenforderung also hinreichend bestimmt war.

Das Guthaben ist nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf die dem Zufluss des Guthabens nachfolgenden Monate auf die KdU anzurechnen. Die Betriebskostenabrechnung ist auf den 22. August 2006 datiert. Die Auszahlung wäre noch in diesem Monat erfolgt Eine Anrechnung auf die KdU ist mithin rechtmäßig ab September 2006 erfolgt.

Der Beklagte hatte der Klägerin mit Bescheid vom 27. Juli 2006 für die streitgegenständlichen Monate KdU in Höhe von 319,71 EUR/Monat bewilligt. Zwar ist der Leistungsbescheid von der Klägerin nach Abschluss des Vergleiches im Widerspruchsverfahren bestandskräftig geworden. Allerdings ist, wenn - wie hier - ein vollständiger oder teilweiser Eingriff in die Bestandskraft der in einer bestimmten Höhe bewilligten SGB II-Leistung erfolgt, dessen Berechtigung grundsätzlich unter Einbeziehung der weiteren, den Grund und die Höhe der bereits bewilligten Leistungen betreffenden Berechnungsfaktoren (unter Berücksichtigung des § 44 SGB X) zu prüfen, soweit Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit ersichtlich oder vorgetragen sind (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 28, Juris).

Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der bewilligten KdU ergeben sich aus der (rechtswidrigen) Zwölftelung der von der Klägerin aufgewandten Heizkosten und aus der Bewilligung der Abfallgebührenpauschale, obwohl die Mietbescheinigung höhere, tatsächlich anfallende Abfallgebühren ausweist.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf höhere als die ihr monatlich bewilligten KdU. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung betrugen monatlich 288,89 EUR (200 EUR Grundmiete, 85 EUR kalte Betriebskosten sowie 3,39 EUR Abfallgebühren), bewilligt wurden ihr 319,71 EUR/Monat. Die Falschberechnung des Beklagten wirkt sich somit auf die Höhe des aufzuhebenden Betrages nicht aus.

Aus den o.g. Ausführungen ergibt sich eine rechtmäßige Anrechnung des Betriebskostenguthabens nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II im September 2006 in Höhe von 319,71 EUR sowie im Oktober 2006 in Höhe von 274,07 EUR. Die bewilligte Pauschale für die Abfallgebühren ist ein Bestandteil der KdU und unterfällt entgegen der Ansicht des Beklagten (dieser hatte die Abfallgebührenpauschale nicht der Anrechnung unterzogen) der in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II angeordneten Verrechnung mit dem erzielten Guthaben. Die darüber hinausgehende Aufhebung der bewilligten Leistungen ist aus den o.g. Gründen rechtswidrig.

Die Höhe der Erstattungsforderung richtet sich nach § 50 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostentragungspflicht war unter Berücksichtigung des Obsiegens bzw. Unterliegens der Beteiligten zu quoteln.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.
Rechtskraft
Aus
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