L 9 AS 90/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 20 AS 258/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 90/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Sowohl § 33 SGB II in der seit dem 1. August 2006 gültigen Fassung als auch § 115 SGB X sehen unter den dortigen Voraussetzungen einen Übergang des Anspruchs kraft Gesetzes (Legalzession) vor.

2. Hat der Sozialleistungsträger in einem Schreiben den Anschein vermittelt, es läge eine verbindliche Regelung des öffentlichen Rechts vor, hat er sich der äußeren Form nach eines formellen - Verwaltungsaktes bedient, der aufzuheben ist, soweit er angefochten wird.

3. Bei der Regelung des § 33 Abs. 5 SGB II, wonach die §§ 115 und 116 SGB X der Regelung von § 33 Abs. 1 vorgehen, handelt es sich um einen Anwendungsvorrang, nicht um einen Ausschließungsvorrang. Soweit ein Anspruchsübergang nach § 115 SGB X nicht eintritt, bleibt ein Übergang gem. § 33 SGB II möglich.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht der Übergang eines Anspruchs der Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber auf den Beklagten.

Die 1981 geborene Klägerin war seit dem 12. September 2000 in einem C. Restaurant beschäftigt. In einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Tochter bezog die Klägerin ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) von dem Rechtsvorgänger des Beklagten, der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Miltenberg (ARGE).

Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 kündigte der Arbeitgeber, die C. D. Systemgastronomie e. K. das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2007. Die Klägerin bezog anschließend noch bis 31. Dezember 2007 Leistungen von der ARGE. Zum 1. Januar 2008 meldete sie sich aufgrund eines Umzugs nach E-Stadt aus dem Leistungsbezug bei der ARGE ab.

Mit Schreiben an den ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin vom 5. September 2007 machte die ARGE gemäß § 115 Sozialgesetzbuch, 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) einen Anspruchsübergang hinsichtlich ausstehender Arbeitsentgeltansprüche geltend. Eine Kopie dieses Schreibens wurde an die Klägerin zur Kenntnisnahme übersandt.

In einem Arbeitsrechtsstreit beim Arbeitsgericht Würzburg schloss die Klägerin mit ihrem früheren Arbeitgeber am 13. November 2007 folgenden Vergleich:
"1. Die Parteien sind sich einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 4. Juni 2007 mit Ablauf des 31. Juli 2007 geendet hat.
2. Der Beklagte zahlt an die Klägerin (eine) Restvergütung für Juni 2007 in Höhe von 97,05 EUR brutto, soweit nicht schon geschehen.
3. Der Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zu seiner Beendigung ordnungsgemäß ab und zahlt die für die Klägerin sich ergebenden Beträge aus, soweit noch nicht geschehen.
4. Für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt der Beklagte an die Klägerin in Anlehnung. an die §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung in Höhe von 1.500 EUR brutto ..."
Mit Bescheid vom 7. Januar 2008 teilte die ARGE der Klägerin unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 5. September 2007 mit, dass ihr aufgrund der Nichtzahlung von Arbeitsentgelten ab dem 1. Juni 2007 im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 2007 und dem 31. Dezember 2007 Leistungen in Höhe von insgesamt 3.035,91 EUR gezahlt worden seien. Dieser Betrag sei von den vom Arbeitgeber zu erfüllenden Ansprüchen einzubehalten und an die ARGE zu überweisen. Weiterhin führte die ARGE aus, dass "gegen diesen Bescheid" der Widerspruch zulässig sei. Unter dem gleichen Datum forderte die ARGE in einem weitgehend gleich lautenden Schreiben an den früheren Arbeitgeber der Klägerin die Einbehaltung und Überweisung von Ansprüchen der Klägerin in Höhe des Betrages von 3.035,91 EUR.

Am 28. Januar 2008 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 7. Januar 2008 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, überleitungsfähig seien lediglich die in Ziffer 3 des Vergleichs zuerkannten Zahlungsansprüche der Klägerin, mithin ihr Lohnanspruch für den Monat Juli 2007. Die in Ziffer 4 zuerkannten Zahlungsansprüche in Höhe von 1.500,00 EUR würden einen Abfindungsanspruch gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) betreffen, der nicht übergeleitet werden könne.

Der frühere Arbeitgeber der Klägerin überwies den Abfindungsbetrag in Höhe von 1.500,00 EUR am 25. Januar 2008 an die Bundesagentur für Arbeit.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2008 wies die ARGE den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Dabei führte die ARGE zunächst aus, der im Bescheid vom 7. Januar 2008 genannte Betrag sei auf 1.500,00 EUR zu korrigieren, da es vorliegend allein um den Übergang des Anspruchs aus der Abfindung in dieser Höhe gehe. Zwischen der gezahlten Abfindung und den Leistungen nach dem SGB II bestehe Zweckidentität. Die Abfindung sei ausschließlich für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt worden. Dies bedeute, dass sich der Leistungsanspruch der Klägerin gemindert hätte, wenn die Abfindung in Höhe von 1.500,00 EUR zum 31. Juli 2007 an die Klägerin ausgezahlt worden wäre. Die der Klägerin unter normalen Umständen bereits im Juli 2007 ausgezahlte Abfindung sei eine Einnahme in Geld und damit Einkommen. Die Leistung aus der Abfindung sei auch nicht anrechnungsfrei. Bei einem Zufluss im Juli 2007 hätte die Einnahme im Zeitraum von Juli 2007 bis einschließlich Dezember 2007 berücksichtigt werden können.

Am 3. März 2008 hat die Klägerin hiergegen zunächst Klage vor dem Sozialgericht Würzburg erhoben. Mit Beschluss vom 17. März 2008 ist der Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Darmstadt verwiesen worden.

Zur Begründung der Klage hat die Klägerin vorgetragen, nach § 115 Abs. 1 SGB X würden Lohn- oder Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nur bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen und nur insoweit auf den Leistungsträger übergehen, als der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelte nicht erfüllt habe und deshalb Sozialleistungen erbracht worden seien. Diese Tatbestandsvoraussetzungen seien nur für die Zahlungen der ARGE im Monat Juli 2007 gegeben. Wegen der Nichtzahlung des Lohns habe die ARGE erst ab dem 1. Juli 2007 Leistungen erbracht. Nach dem 31. Juli 2007 habe keine Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers mehr bestanden. Daher sei es nicht zutreffend, dass die Leistungen der ARGE wegen der Nichtzahlung von Arbeitslohn erfolgt seien. Der Höhe nach hätte die ARGE lediglich den Betrag überleiten dürfen, welcher der Klägerin im Monat Juli 2007 zusätzlich zur laufenden Hilfe gewährt worden sei. Als Einkommen sei die Abfindung bei der Klägerin nicht zu berücksichtigen, da sie der Klägerin bis zum heutigen Tage nicht zugeflossen sei. Einen gesetzlichen Abfindungsanspruch bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses gebe es nicht. Abfindungen würden im Arbeitsrecht aufgrund von Sozialplänen oder vertraglichen Abreden gezahlt. Zwar könnten Abfindungen auch Arbeitsentgelt enthalten, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich ohne Einhaltung der Kündigungsfrist beendet worden sei. Im vorliegenden Fall sei das Arbeitsverhältnis jedoch unter Einhaltung der im maßgeblichen Tarifvertrag vorgesehenen Kündigungsfrist beendet worden.

Mit Urteil vom 7. Februar 2011 hat das Sozialgericht den Bescheid der ARGE vom 7. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, für den Erlass der angefochtenen Bescheide fehle es bereits an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Bei dem Bescheid vom 7. Januar 2008 handele es sich um einen belastenden Formverwaltungsakt, für den keine gesetzliche Grundlage ersichtlich sei. In den Vorschriften des § 33 SGB II und des § 115 SGB X sei ein gesetzlicher Forderungsübergang geregelt. Daher könne es sich bei dem Bescheid allenfalls um einen feststellenden Verwaltungsakt handeln. Durch einen solchen werde die materielle Rechtslage im Einzelfall verbindlich festgestellt, ohne dass ihre Änderung beabsichtigt sei. Durch den Bescheid vom 7. Januar 2008 sei festgestellt worden, dass die Forderung der Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber auf Zahlung einer Abfindung auf die Beklagte übergegangen und in welcher Höhe dieser Forderungsübergang erfolgt sei. Auch ein solcher feststellender Verwaltungsakt bedürfe einer gesetzlichen Grundlage, wenn die Feststellungen für den Betroffenen belastend seien. Dies sei vorliegend der Fall, da der Klägerin durch den feststellenden Verwaltungsakt die Anfechtungslast auferlegt worden sei. Zudem werde hierdurch die materielle Rechtslage zu ihren Lasten verbindlich festgestellt. Eine Ermächtigung zum Erlass feststellender Verwaltungsakte bezüglich des gesetzlichen Forderungsübergangs lasse sich weder dem § 33 SGB II noch dem § 115 SGB X entnehmen. Auch aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften ergebe sich keine Notwendigkeit für den Erlass feststellender Verwaltungsakte in Bezug auf den Forderungsübergang. So sei auch eine Mitteilung des Forderungsübergangs an die Klägerin durch einfachen Brief möglich gewesen. Die Behörde sei insoweit auf die Verwendung konsensualer Handlungsformen oder die Erhebung einer Leistungsklage verwiesen. Auch inhaltlich sei der Bescheid vom 7. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 rechtswidrig. Die Abfindung in Höhe von 1.500,00 EUR sei nicht gem. § 115 SGB X automatisch kraft Gesetzes auf die ARGE übergegangen. Bei dem Anspruch der Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber auf Zahlung einer Abfindung aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 13. November 2007 handele es sich nicht um Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 SGB X. Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 SGB X sei dasjenige im Sinne des § 14 Sozialgesetzbuch, 4. Buch Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV), auf das ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers bestehe. Von Abfindungen, Entschädigungen oder ähnlichen Leistungen werde lediglich derjenige Anteil dem Arbeitsentgelt zugerechnet, der das Ruhen von Arbeitslosengeld bewirken könne. Ob und inwieweit Abfindungen das Ruhen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bewirken und damit Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 SGB X darstellen könnten, beurteile sich nach §§ 143, 143a Sozialgesetzbuch Drittes Buch, Arbeitsförderung (SGB III). Zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 143 Abs. 1 SGB III gehörten lediglich die Vergütungsanteile, welche für Zeiträume bis zur wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beanspruchen seien. Eine Abfindung könne Arbeitsentgelt enthalten, wenn die Beteiligten sich im Wege des Vergleichs auf einen Beendigungszeitpunkt vor dem Ablauf der gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist verständigt hätten. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei aufgrund des Vergleichs vom 13. November 2007 mit Ablauf des 31. Juli 2007 und damit vor dem Ablauf der in § 622 Abs. 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normierten Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Ende eines Kalendermonats beendet worden. Allerdings könnten gem. § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB in Tarifverträgen von § 622 Abs. 1 bis 3 BGB abweichende Regelungen vereinbart werden. Im vorliegenden Fall sei im Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und ihrem früheren Arbeitgeber die Geltung der Tarifverträge MW und ETV für die Markengastronomie vereinbart worden. Auf die Frage, ob der frühere Arbeitgeber der Klägerin und die Klägerin tarifgebunden gewesen seien, komme es aufgrund der Regelung in § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB nicht an. Aus den genannten Tarifverträgen ergebe sich vorliegend eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende. Mithin habe der frühere Arbeitgeber der Klägerin das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. Juli 2007 gekündigt, so dass in der Abfindung von 1.500,00 EUR kein Arbeitsentgelt enthalten sei. Der Anspruch der Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber auf Zahlung der im arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarten Abfindung sei auch nicht gem. § 33 SGB II auf den Beklagten übergegangen. Ansprüche gegen Arbeitgeber seien nämlich nicht gem. § 33 SGB II übergangsfähig. Dies folge aus § 33 Abs. 5 SGB II, wonach die §§ 115, 116 SGB X der Regelung des § 33 Abs. 1 SGB II vorgingen. § 33 Abs. 1 SGB II könne demnach auch keine Anwendung für Ansprüche gegen Arbeitgeber finden, die mangels Vorliegen der dortigen Voraussetzungen nicht nach § 115 SGB X auf den Leistungsträger übergegangen seien, da ansonsten die Voraussetzungen des § 115 SGB X ausgehöhlt und der in § 33 Abs. 5 SGB II geregelte Vorrang aufgehoben werde.

Gegen das ihm am 10. Februar 2011 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung vom 1. März 2011.

Er ist der Ansicht, am 13. November 2007 sei aufgrund des Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Würzburg der hieraus resultierende Anspruch der Klägerin auf die Abfindung gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber kraft Gesetzes gem. § 33 Abs. 1 SGB II auf die damalige ARGE übergegangen. Hierfür sei es ausreichend, dass der Anspruch entstanden sei und die Klägerin berechtigt gewesen sei, diesen Anspruch geltend zu machen. Die Abfindung sei in Höhe der vom 13. November 2007 bis 31. Dezember 2007 gewährten Leistungen kraft Gesetz auf die ARGE übergegangen. Für den November 2007 seien insgesamt Leistungen in Höhe von 556,37 EUR und anteilig für den Zeitraum von 13. November 2007 bis 30. November 2007 316,39 EUR an die Bedarfsgemeinschaft gewährt worden. Für den Dezember 2007 seien Leistungen in Höhe von 558,34 EUR gewährt worden, welche in vollem Umfang übergegangen seien. Insgesamt sei die Überleitung daher in Höhe von 874,73 EUR rechtmäßig gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber geltend gemacht worden. Der Differenzbetrag zu der vom Arbeitgeber erhaltenen Abfindung von 1.500,00 EUR in Höhe von 625,27 EUR zzgl. Verzugszinsen (5 % über Basiszinssatz) seit 1. Februar 2008 werde an die Klägerin zurück erstattet.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich durch die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Darmstadt bestätigt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, in der Sache allerdings nicht begründet.

Das Sozialgericht Darmstadt hat der Klage im erstinstanzlichen Urteil im Ergebnis zu Recht stattgegeben, da der angefochtene Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 7. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Das Sozialgericht Darmstadt ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bescheid der ARGE vom 7. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 um einen so genannten Formverwaltungsakt gehandelt hat. Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage ist statthaft und auch begründet.

Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage nach § 54 SGG setzt zunächst voraus, dass sich der Kläger gegen einen Verwaltungsakt zur Wehr setzt. Die Anfechtungsklage ist allerdings auch dann zulässig, wenn der Sozialleistungsträger eine hoheitliche Befugnis in Anspruch nimmt und formell einen Verwaltungsakt erlässt, obwohl er hierzu nicht befugt ist (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 5. September 2006 - B 4 R 71/06 R; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl., § 54 Rn. 8a). Die Befugnis zu einer Regelung in Form des Verwaltungsaktes ist zum Teil in der betreffenden Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich gesetzlich bestimmt und muss sich ansonsten durch Auslegung der betreffenden Rechtsvorschrift ergeben. Grundsätzlich ist der Sozialleistungsträger hierzu ermächtigt, wenn er eine Regelung im Rahmen eines Subordinationsverhältnisses zwischen ihm und dem Bescheidadressaten erlässt (Keller a.a.O., Anh. § 54, Rn. 4).

Sowohl § 33 SGB II in der seit dem 1. August 2006 gültigen Fassung als auch § 115 SGB X sehen unter den dortigen Voraussetzungen einen Übergang des Anspruchs kraft Gesetzes (Legalzession) vor. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 ist der Übergang von Ansprüchen der Leistungsempfänger mit Wirkung zum 1. August 2006 in wesentlichen Teilen neu geregelt worden. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 33 SGB II einen Systemwechsel vollzogen und das Erfordernis einer Überleitungsanzeige zugunsten eines gesetzlichen Forderungsüberganges aufgegeben (vgl. BT-Drs. 16/1410, S. 26 f). Im Gegensatz zur Regelung des § 33 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 gültigen Fassung bedarf es hierzu keiner Überleitungsanzeige, welche zuvor nach herrschender Meinung gegenüber dem Leistungsempfänger in Form eines Verwaltungsaktes erfolgen konnte (Link in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 33, Rn. 10, Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 33, Rn. 30, Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 33, Rn. 3). Entsprechendes gilt für den Forderungsübergang nach § 115 SGB X, welcher bereits in seiner ursprünglichen Fassung die Legalzession vorgesehen hat und damit gleichermaßen eine Überleitung des Anspruchs durch Verwaltungsakt ausschließt (Breitkreuz in LPK-SGB X, 1. Aufl. 2004, § 115 Rn. 15; Tapper in jurisPK-SGB X, § 115 SGB X Rn. 2; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juni 2013 – L 5 AS 290/13 B).

Unabhängig von der Frage, ob der Anspruchsübergang vorliegend auf § 33 SGB II oder auf § 115 SGB X gestützt werden konnte, war die ARGE nach den vorstehenden Ausführungen jedenfalls nicht berechtigt, dies gegenüber der Klägerin in Form eines Verwaltungsaktes zu regeln. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 7. Januar 2008 hat sich die ARGE allerdings zumindest dem äußeren Anschein nach dieser Handlungsform bedient. Sie hat darin eindeutig zum Ausdruck gebracht, eine Regelung im Subordinationsverhältnisses mit der Klägerin zu treffen ("Die Entscheidung beruht auf § 33 SGB II") und in der abschließenden Rechtsmittelbelehrung das Schreiben selbst als "Bescheid" bezeichnet, gegen welchen der Widerspruch zulässig sei. In dem nachfolgenden Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2008 wurde dies von der ARGE dadurch bekräftigt, indem der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen wurde. Falls die ARGE den Bescheid bzw. Schreiben vom 7. Januar 2008 nicht als Verwaltungsakt angesehen hätte, wäre der Widerspruch als unzulässig zu verwerfen gewesen. Zudem wurde von ihr die Begründung mit der Wendung "mit dem angefochtenen Bescheid" eröffnet, so dass auch insoweit kein Zweifel daran besteht, dass die ARGE selbst davon ausgegangen ist, gegenüber der Klägerin einen Verwaltungsakt erlassen zu haben.

Der als Formverwaltungsakt zu qualifizierende Bescheid vom 7. Januar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 war folglich unabhängig von den dortigen inhaltlichen Ausführungen aufzuheben, da die ARGE zum Erlass eines solchen Bescheides nicht berechtigt war. Hat der Sozialleistungsträger in einem Schreiben den Anschein vermittelt, es läge eine verbindliche Regelung des öffentlichen Rechts vor, hat er sich der äußeren Form nach eines - formellen - Verwaltungsaktes bedient, den er aufzuheben hat. Denn allein schon durch die Existenz eines solchen formellen Verwaltungsaktes ist die Klägerin mit dem Risiko behaftet, dass ihr in Zukunft u.U. ein insoweit "bestandskräftiger Verwaltungsakt" entgegengehalten werden könnte (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R; Keller a.a.O., Anh. § 54 Rn. 4).

Damit kommt es im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nicht darauf an, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruchsübergang nach § 33 SGB II oder § 115 SGB X vorlagen und die ARGE berechtigt war, von der Klägerin auf sie übergegangene Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin geltend zu machen. Da der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin deren Abfindungsanspruch in Höhe von 1.500,00 EUR bereits an die ARGE bzw. die Bundesagentur für Arbeit geleistet hat, wird gegebenenfalls in einem zivilrechtlichen Verfahren der Klägerin gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber (eventuell unter Einbeziehung des Beklagten im Wege der Streitgenossenschaft) zu klären sein, ob diese Zahlung mit befreiender Wirkung erfolgt ist oder unverändert ein Anspruch der Klägerin gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber auf Zahlung der Abfindung besteht.

Das Sozialgericht hat in der erstinstanzlichen Entscheidung im Übrigen zutreffend ausgeführt, dass eine Überleitung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt nach Maßgabe des § 115 SGB X bezüglich der Abfindung nicht in Betracht kommt, da diese keine Arbeitsentgeltansprüche beinhaltet bzw. nicht als Ersatz für entgangenes Arbeitsentgelt aufgrund einer nicht fristgerechten Kündigung angesehen werden kann. Das Sozialgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf abgestellt, dass die Abfindung keine Entgeltbestandteile enthält, da bei dem arbeitsgerichtlichen Vergleich die fristgemäße arbeitgeberseitige Kündigung lediglich bestätigt wurde. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt bis zum Ende der Kündigungsfrist enthält der Vergleich unter den Nrn. 2 und 3 abschließende Regelungen. Die Regelung unter Nr. 4 zur Abfindung betrifft daher keine Entgeltansprüche, sondern entsprechend ihrem Wortlaut ausschließlich eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Hierbei handelt es sich nicht um Entgeltansprüche i.S.d. § 115 SGB X. Dies wurde letztendlich auch von dem Beklagten im vorliegenden Berufungsverfahren nicht in Abrede gestellt. Der Beklagte hat im Rahmen der Berufung der Begründung allein darauf abgestellt, dass ein Übergang des Anspruchs auf die Abfindung nach § 33 SGB II eingetreten sei.

Den hierzu ergangenen Ausführungen des Sozialgerichts, wonach ein Übergang des Anspruchs nach § 33 SGB II aufgrund der Regelung in dessen Abs. 5 ausgeschlossen sei, vermag sich der Senat hingegen nicht anzuschließen. Bei der Regelung des § 33 Abs. 5 SGB II, wonach die §§ 115 und 116 SGB X der Regelung von § 33 Abs. 1 vorgehen, handelt es sich um einen Anwendungsvorrang, nicht um einen Ausschließungsvorrang. Abgrenzungskriterium ist dabei zum einen die Art des Anspruchs und zum anderen die Person des Schuldners (Tapper in jurisPK-SGB X, § 115 SGB X, Rn. 18; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 33 Rn. 23). Soweit ein Anspruchsübergang nach § 115 SGB X nicht eintritt, bleibt ein Übergang gem. § 33 SGB II möglich (Hölzer in Estelmann, SGB II, § 33 Rn. 47). Soweit es sich daher bei den Ansprüchen des Leistungsempfängers gegenüber seinem (ehemaligen) Arbeitgeber nicht um Arbeitsentgeltansprüche i.S.d. § 115 SGB X handelt, können diese grundsätzlich nach § 33 Abs. 1 SGB II auf den Leistungsträger übergehen, soweit die sonstigen Voraussetzungen des § 33 SGB II vorliegen. Dem steht auch die vom Sozialgericht zitierte Auffassung in der Kommentierung von Eicher/Spellbrink (Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 33 Rn. 41; mittlerweile in der 3. Auflage: Rn. 66) nicht entgegen, da auch dort für den Übergang nach § 33 SGB II lediglich dann kein Raum gesehen wird, wenn Ansprüche des Leistungsberechtigten bereits nach den §§ 115, 116 SGB X übergegangen sind. Soweit das - wie vorliegend - nicht der Fall ist, besteht auch nach dieser Kommentierung kein Ausschluss der Anwendung des § 33 SGB II, da dort die Regelung des § 33 Abs. 5 SGB II ebenfalls als gesetzlicher Anwendungsvorrang qualifiziert wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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