S 6 AS 7/14 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 7/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Gewährung von außerschulischer Lernförderung kommt im Einzelfall auch bei Grundschülern in Betracht.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig außerschulische Lernförderung für die Fächer Deutsch und Mathematik durch die Lerntherapeutin E. im Umfang von vier Stunden in der Woche zu dem geforderten Stundensatz von 25 EUR bis zum Abschluss der Hauptsache, längstens bis zum Abschluss des Schuljahres zu gewähren.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. ab 04.03.2014 bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung außerschulischer Lernförderung.

Der 2004 geborene Antragsteller ist der Sohn von Frau B. A. Frau A. befindet sich in Betreuung.

Der Teil der Verwaltungsakte des Antragsgegners, welcher dem Gericht zur Verfügung gestellt wurde, beginnt im Mai 2013. Die Lerntherapeutin E. hatte dem Antragsteller Nachhilfeunterricht in den Monaten Mai und Juni 2013 gegeben und entsprechende Rechnungen zur Akte gereicht (Bl. 213 f. Verwaltungsakte).

Aus einem Schreiben des Antragsgegners vom 28.06.2013 an die Mutter des Antragstellers geht hervor, dass dem Antragsteller Lernförderung für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.05.2013 bewilligt worden war (Bl. 215 Verwaltungsakte).

Am 03.07.2013 stellte die Betreuerin der Mutter des Antragstellers einen neuen Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe ab Juni 2013 (Bl. 219 Verwaltungsakte) für den Antragsteller. Dieser besuche die Grundschule in A-Stadt.

Mit Bescheid vom 03.07.2013 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 01.06.2013 bis 30.06.2013 Lernförderung für zwei Unterrichtseinheiten in Deutsch mit einem Wert von 200 EUR (Bl. 221 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 03.07.2013 forderte der Antragsgegner eine neue Bescheinigung der Schule zur Frage der Notwendigkeit von Nachhilfe an (Bl. 224 Verwaltungsakte).

Die Grundschule überreichte eine Anlage L 1 zum Lernförderbedarf (Bl. 225 Verwaltungsakte), aus der hervorgeht, dass für den Antragsteller für das Fach Deutsch Nachhilfeunterricht geboten sei. Das Erreichen der wesentlichen Lernziele sei gefährdet. Es drohe die Verfehlung des Erwerbs der Lesefähigkeit, der Fähigkeit, Sätze schreiben zu können und selbstständig arbeiten zu können. Die Lerntherapeutin Frau E. sei in der Arbeit mit dem Antragsteller vertraut. Eine Lernförderung mit ihr werde sich für den Antragsteller positiv auswirken (Bl. 225 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 11.07.2013 bewilligte der Antragsgegner weitere Lernförderungsleistungen für den Monat Juli 2013 im Fach Deutsch in Form von zwei Unterrichtseinheiten pro Woche (Bl. 231 f. Verwaltungsakte).

Mit einem weiteren Bescheid vom 11.07.2013 lehnte der Antragsgegner weitere Lernförderungsleistungen für die Zeit vom 01.08.2013 bis 30.11.2013 ab. Die Kosten für eine angemessene Lernförderung könnten nur übernommen werden, wenn die wesentlichen Lernziele, dies seien die Versetzung in die nächste Klasse und der Schulabschluss, gefährdet seien. Da sich der Antragsteller nach den Sommerferien im ersten Halbjahr des Schuljahres befinde, könne die Gefährdung des Abschlusses noch nicht prognostiziert werden. Die Lernförderung solle erst ab dem zweiten Schulhalbjahr einsetzen, da durch das Halbjahreszeugnis eine eventuelle Verfehlung des Lernziels deutlich angezeigt werde. Sollte der Schulabschluss zum zweiten Halbjahr gefährdet sein, könne der Antragsteller einen neuen Antrag stellen (Bl. 233 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte die Betreuerin der Mutter des Antragstellers am 30.07.2013 Widerspruch ein (Bl. 238 Verwaltungsakte), welchen sie am 05.09.2013 zurücknahm (Bl. 240 Verwaltungsakte).

Am 13.12.2013 stellte die Betreuerin der Mutter des Antragstellers für den Antragsteller einen neuen Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe in Form von Leistungen für die ergänzende angemessene Lernförderung. Der Klassenlehrer Herr F. führt in seiner Stellungnahme vom 09.12.2013 aus, dass ohne eine Förderung in den Fächern Deutsch und Mathematik im Umfang von über 2 Stunden eine Verfehlung der wesentlichen Lernziele drohe. Frau E. und der Antragsteller seien inzwischen miteinander vertraut, so dass eine positive Prognose bestehe, dass der Antragsteller die Lernziele mit der Förderung schaffen werde (Bl. 252 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte befindet sich ein Wortdiktat des Antragstellers vom 02.12.2013, welches mit einer "5" benotet wurde (Bl. 253 Verwaltungsakte).

Aus einem Förderplan über den Antragsteller für das Schulhalbjahr 2013/2014 geht unter anderem hervor, dass der Antragsteller Probleme hat, schriftliche Aufgaben zu beenden bzw. mit diesen überhaupt erst zu beginnen. Die Konzentrationsphasen seien kurz. Der Antragsteller sei leicht ablenkbar. Er könne seine Schulaufgaben regelmäßig nicht vollständig beenden. Probleme zeigten sich auch im Bereich des Sozialverhaltens. Der Antragsteller störe ständig im Unterricht, schreie grundlos herum und lärme. Im Bereich Deutsch bestehe die Notwendigkeit eines separaten Arbeitsplatzes. Der Antragsteller arbeite zeitweise außerhalb der Klasse mit einem Praktikanten. Im Bereich Deutsch schaffe er seinen Tagesplan nie. Er habe große Probleme bei der Wortgliederung, beim Abschreiben von Texten, der Rechtschreibung und der Übertragung von Druck- in Schreibschrift. Die Antragsteller fordere regelmäßig eine Eins-zu-Eins-Betreuung ein. Im Bereich Mathematik arbeite der Antragsteller sehr langsam. Die Langleistungen seien mangelhaft. Die Hausaufgaben in Mathematik würden nicht immer vollständig erledigt oder nachgearbeitet. Es gebe eine Randstundenbetreuung mit Hausaufgabenbetreuung, die in der Schule habe abgebrochen werden müssen. Die Konflikte während der Betreuung seien so gravierend gewesen, dass eine weitere Teilnahme des Antragstellers nicht mehr zu vertreten gewesen sei (Bl. 255 Verwaltungsakte). Auf der Seite drei dieses Förderprogramms heißt es sodann zusammenfassend noch einmal, dass die Rechtschreibleistungen und die Leistungen in Mathematik des Antragstellers jeweils mangelhaft seien (Bl. 256 Verwaltungsakte).

In der Anlage L2 befindet sich eine Bestätigung, dass die Lerntherapeutin E. den Antragsteller fördern würde (Bl. 257 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte befindet sich des Weiteren eine Kopie von einem Mathematiktest des Antragstellers mit der Note "5" (Bl. 259 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 18.12.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf weitere Lernförderung ab. Eine Lernförderung sei grundsätzlich für Schüler der zweiten Klasse nicht vorgesehen (Bl. 260 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte die Betreuerin der Mutter des Antragstellers Widerspruch ein. Die Kosten für die Lernförderung seien angemessen und die Lernförderung sei erforderlich, um die wesentlichen Lernziele zu erreichen. Die Antragsteller sei ein schwieriges Kind. Er benötige diese Hilfen dringend, da die Mutter ihm in keiner Weise helfen könne (Bl. 262 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte befindet sich eine Kopie eines Zeitungsartikels über die Lerntherapeutin E., aus dem unter anderem entnommen werden kann, dass Frau E. über eine Ausbildung zur Sportlehrerin verfügt und ein dreijähriges Studium für Lerntherapie an der Universität Heidelberg absolviert hat. Im Jahr 2008 habe sie ein einjähriges Praktikum an der Grundschule in A-Stadt absolviert. Sie sei Kooperationspartner in der Grundschule in A-Stadt (Bl. 266 Verwaltungsakte).

Am 15.01.2014 hat der Antragsteller durch die Betreuerin seiner Mutter einen einstweiligen Rechtsschutzantrag beim Sozialgericht Kassel gestellt. Man habe dem Gesetz nicht entnehmen können, dass eine Lernförderung für Kinder der zweiten Schulklasse nicht möglich sei, zumal der Antragsteller in der ersten Klasse bereits Lernförderung erhalten habe (Bl. 1 Gerichtsakte).

Mit Schriftsatz vom 23.01.2014 teilte die Betreuerin der Mutter des Antragstellers mit, dass der Antragsteller in der Schule jeweils eine Stunde kostenlosen Förderunterricht in Deutsch und Mathematik erhalte. Nach Auskunft der Nachhilfelehrerin reiche dies aber nicht aus, um die Defizite auszugleichen. Zusätzlich gehe der Antragsteller einmal in der Woche zum Konzentrationstraining (Bl. 15 Gerichtsakte).

Auf Nachfrage des Gerichts, ob der Antragsteller Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht erhalte, hat die Betreuerin mit Schriftsatz vom 28.01.2014 mitgeteilt, dass es sich bei der Tagesgruppe um eine Maßnahme nach dem Kinder- und Jugendhilferecht handele. Dort werde unter anderem an den sozialen Problemen des Antragstellers gearbeitet. Die Hausaufgabenbetreuung habe der Antragsteller nicht besuchen können, da er die ganze Gruppe aufgemischt habe und selbst auch hiervon nicht profitiert habe. Innerhalb der Tagesgruppe absolviere der Antragsteller auch die Hausaufgabenbetreuung, wobei die Bezugsbetreuerin Frau G. mitgeteilt habe, dass der Antragsteller auch dort einen separaten Raum benötige. Der Antragsteller benötige direkte Hilfestellungen und eine Kontrolle, damit er angehalten werden könne, zielgerichtet zu arbeiten. Der Antragsteller benötige zusätzlich eine Lernförderung, die nicht in der Gruppe stattfinde, damit er bei seinen Defiziten eine Chance habe (Bl. 24 Gerichtsakte).

Diesem Schriftsatz war zunächst der Stundenplan des Antragstellers beigefügt, auf den Bezug genommen wird (Bl. 25 Gerichtsakte).

Des Weiteren war dem Schriftsatz eine Vorstellung der Konzeption der Tagesgruppe in Eschwege beigefügt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 26 Gerichtsakte).

Das Gericht hat sich sodann an die Grundschule des Antragstellers und an die Tagesgruppe gewandt.

Der Klassenlehrer des Antragstellers Herr F. hat mit Schriftsatz vom 20.02.2014 mitgeteilt, dass der Antragsteller massive Defizite im Arbeits- und Sozialverhalten sowie in der Konzentration habe. Er könne seine Lernbereitschaft weitestgehend nicht herstellen, schon gar nicht im Klassenverband. Durch seine starke Ablenkbarkeit könne er sein geringes Wissen nicht abrufen und schaffe weniger als 50 % des Tagesplanes. In einer Eins-zu-Eins-Betreuung habe sich seine Motivation enorm verbessert. Ohne die beantragten 4 Stunden Lerntherapie werde der Antragsteller die Lernziele der zweiten Klasse voraussichtlich nicht erreichen. Die schulische Hausaufgabenbetreuung sei beendet worden, weil der Antragsteller ein hohes Aggressionspotenzial anderen Kindern und den Betreuern gegenüber habe, welches nicht mehr tragbar gewesen sei. Alternativen zur schulischen Hausaufgabenbetreuung gebe es nicht, da kein geschultes Personal für die Konfliktbewältigung zur Verfügung stehe. Die Tagesgruppe fange die Problematik weitgehend auf, wobei dort nur die Hälfte der Hausaufgaben und die Schulaufgaben des Vortages bewältigt werden könnten. Daher würden die aktuellen Lernziele verfehlt. Durch die Lernförderung von Frau E. und durch den intensiven Austausch hätten die sozialen Konflikte und der Lernstoff aufgearbeitet werden können. Eine entsprechende Förderung im Umfang von 4 Stunden wöchentlich sei zwingend erforderlich. Durch diese Stunden werde die Lernbereitschaft und Motivation des Antragstellers gefordert und gefördert. Der Druck, die Lerninhalte in einer bestimmten vorgegebenen Zeit zu erledigen, werde genommen. Die Lernförderung würde den Antragsteller entlasten, zumal er eine gute emotionale Beziehung zu Frau E. habe (Bl. 75 Gerichtsakte).

Die Gruppenleiterin G. von der Tagesgruppe hat mit Schriftsatz vom 20.02.2014 mitgeteilt, dass der Antragsteller erhebliche Aufmerksamkeitsdefizite habe und durch Ablenkung nicht alle Aufgaben in der Schule schaffe. In Mathematik habe der Antragsteller Defizite. Gleiches gelte für das Fach Deutsch. Man gehe davon aus, dass der Antragsteller weiterhin ein Angebot zur Förderung benötige, um das Lernziel der Klasse 2 zu schaffen (Bl. 78 Verwaltungsakte).

Die Betreuerin des Antragstellers hat sodann das Schulzeugnis für das Schuljahr 2012/2013 überreicht, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 87 f. Gerichtsakte).

Mit Schriftsatz vom 06.03.2014 hat die Bevollmächtigte des Antragstellers mitgeteilt, dass es sich bei dem Nachhilfeunterricht von Frau E. um kein schulisches Angebot handelt. Die schulischen Förderungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft, da der Antragsteller nicht in der Lage sei, konzentriert in der Gruppe zu arbeiten. Jugendhilfemaßnahmen seien bereits vorgenommen worden. Damit der Antragsteller die Lernziele der Klasse erreiche, sei eine Nachhilfe eine erforderliche Maßnahme. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass beim Antragsteller offensichtlich weder einen Lernbehinderung im geistigen noch im seelischen Bereich vorliege. Auch der Stundensatz von 25 EUR pro Stunde sei nicht zu beanstanden. Es handele sich um eine Nachhilfe in Einzelunterricht (Bl. 101 ff. Gerichtsakte).

Diesem Schriftsatz war eine Stellungnahme des Schulleiters H. an die Bevollmächtigte des Antragstellers vom 06.03.2014 beigefügt, aus der unter anderem hervorgeht, dass der Nachhilfeunterricht, den Frau E. dem Antragsteller anbieten würde, keine schulische Maßnahme sei (Bl. 107 f. Gerichtsakte).

Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat eine weitere Stellungnahme des Schulleiters der Grundschule vom 02.04.2014 überreicht, aus der unter anderem hervorgeht, dass eine einzelne Förderung des Antragstellers an der Grundschule mangels entsprechender Lehrerstunden nicht möglich sei (Bl. 140 Gerichtsakte).

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum Ende des Schuljahres Nachhilfeunterricht für die Fächer Deutsch und Mathematik durch die Lerntherapeutin E. im Umfang von vier Stunden in der Woche bis zum Abschluss der Hauptsache, längstens bis zum Abschluss des Schuljahres zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag hatte Erfolg. Der zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86b Abs. 2 S.2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, und einen Anordnungsgrund, also einen Sachverhalt, der eine Eilbedürftigkeit begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung derart, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden damit auf Grund ihres funktionellen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, 10. A. 2012, § 86b Rn. 27). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache hingegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Im Fall einer solchen Orientierung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache muss das Gericht in den Fällen, in denen das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung der Hauptsache übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer umfassenden Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, § 86b Rn. 29a).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich hierbei lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; SG Kassel, Beschluss v. 05.02.2009, S 1 AS 740/08 ER). Sofern im Einzelfall das Existenzminium einer Person bedroht ist, genügt für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ein geringer Grad an Wahrscheinlichkeit, nämlich die nicht auszuschließende Möglichkeit seines Bestehens (Bayerisches LSG, Beschluss v. 22.12.2010, L 16 AS 767/10 B ER, juris, Rn. 31). Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinem Kammerbeschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05) in diesem Zusammenhang hervor:

"Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237)). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern."

Sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Welche Anordnung zur Erreichung des begehrten Ziels zu treffen ist, hat das Gericht jedoch nach § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 938 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen (Keller in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg.), a.a.O., § 86b Rn. 30). Grundsätzlich darf das Gericht hierbei die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Im Einzelfall kann es jedoch im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst der Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragsteller unzumutbar wäre (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. A. 2008, Rn. 306 ff. m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Prämissen ist der Antrag zulässig und begründet.

1. Der Antragsteller hat zunächst einen entsprechenden Anordnungsanspruch auf Lernförderung in dem im Tenor genannten Umfang glaubhaft gemacht.

Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach der rechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Voraussetzung ist zunächst, dass die Lernförderung schulische Angebote ergänzen soll. Förderungsfähig ist nur ein die schulischen Angebote ergänzendes Angebot, das nicht der schulischen Verantwortung unterliegt (Luik in: Eicher (Hrsg.), SGB II, 2013, § 28 Rn. 41).

Die wesentlichen Lernziele ergeben sich aus den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen. Diese werden in der Regel die Versetzung in nächsthöhere Klassenstufe oder am Ende der erfolgreiche Schulabschluss sein (Luik in: Eicher (Hrsg.), SGB II, 2013, § 41 Rn. 42).

Die Lernförderung muss geeignet und zusätzlich auch erforderlich sein, um die nach den rechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Hierbei ist eine prognostische Entscheidung zu treffen.

Unter Berücksichtigung dieser Prämissen liegen die Anspruchsvoraussetzungen für eine entsprechende Förderung des Antragstellers vor.

a) Zunächst ist festzustellen, dass der Antragsteller erhebliche schulische Probleme in den Fächern Deutsch und Mathematik hat. In beiden Fächern sind seine Leistungen nur mangelhaft. Dies hat sicherlich seinen Grund unter anderem darin, dass der Antragsteller erhebliche Probleme hat, sich im Klassenverband zu konzentrieren. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass es sich bei einer Förderung des Antragstellers in diesen Fächern zum Ausgleich von Wissensdefiziten um Lernförderung im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II handelt.

b) Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich bei den Angeboten der Lerntherapeutin E. um außerschulische Angebote handelt, da diese Angebote nicht von der Schule selbst angeboten werden.

c) Es ist auch nicht ersichtlich, dass für eine entsprechende Lernförderung offensichtlich ein anderer Leistungsträger, etwa der Kinder- und Jugendhilfeträger, zuständig ist.

Zwar weist das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein (Beschluss v. 21.12.2011 – L 6 AS 190/11 B ER) zutreffend auf § 10 Abs. 3 SGB VIII hin, wonach die Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht den Leistungen nach dem SGB II vorgehen. Ob die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII erfüllt sind, kann jedoch bei einem insoweit noch nicht aufgeklärten Sachverhalt nicht im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geklärt werden, wobei das Landessozialgericht (ebd. Rn. 36) auch auf die Möglichkeit hinweist, dass im Einzelfall eine Kombination von sozialpädagogischer Förderung und eher kurzfristig angelegter Nachhilfe benötigt wird.

Nach vorläufiger Würdigung des Sachverhalts dürfte der vorliegende Fall des Antragstellers entsprechend gelagert sein: Der Antragsteller benötigt sozialpädagogische Hilfsangebote, daneben aber auch Hilfen zur Bewältigung von Wissensdefiziten, da der Antragsteller erhebliche Probleme hat, dem Schulunterricht in vollem Umfang zu folgen.

d) Das Gericht ist im Hinblick auf die Angaben des Klassenlehrers und der Sozialpädagogin G. davon überzeugt, dass der Einzelunterricht bei der Lerntherapeutin E. am ehesten geeignet ist, die Wissensdefizite des Antragstellers aufzuarbeiten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Ziele der Klasse 2 nicht mehr erreicht werden können (vgl. dazu: SG Oldenburg v. 11.04.2011 – S 49 AS 611/11 ER) und dass der Antragsteller ohnehin auf eine Wiederholung der Klasse angewiesen sein wird. Dies hat auch der Klassenlehrer des Antragstellers bestätigt.

e) Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Lernförderung grundsätzlich und auch in dem beantragten Umfang erforderlich und weiterhin auch angemessen ist.

aa) Zunächst sind keine Alternativangebote (vgl. dazu: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 13.05.2011 – L 5 AS 498/10 B ER – 1. Orientierungssatz) ersichtlich, die dem Antragsteller helfen können, die schulischen Lernziele zu erreichen.

Die Betreuerin der Mutter des Antragstellers hat glaubhaft angegeben, dass die Mutter des Antragstellers ihn nicht hinreichend fördern kann.

Die Mitarbeiterin der Tagesgruppe G. hat dem Gericht mitgeteilt, dass die Tagesgruppe die Wissensdefizite des Antragstellers nicht vollständig ausgleichen kann. Auch in der Tagesgruppe zeigen sich Konzentrationsprobleme, weshalb der Antragsteller auch hier auf eine Eins-zu-Eins-Betreuung angewiesen ist. Die Tagesgruppe kann es nicht einmal gewährleisten, dass die Hausaufgaben des Antragstellers jeweils vollständig bewältigt werden.

Den Stellungnahmen des Schulleiters der Grundschule kann entnommen werden, dass die Grundschule nicht über die personellen Möglichkeiten verfügt, dem Antragsteller eine entsprechende Eins-zu-Eins-Betreuung zur Verfügung zu stellen, was für das Gericht plausibel ist.

bb) Es ist nicht ersichtlich, wie der Antragsteller ohne zusätzliche Hilfe die wesentlichen Lernziele erreichen kann.

Das Gericht hatte zwar zunächst Zweifel, ob nicht zusätzliche Angebote den Antragsteller überfordern würden, allerdings scheint dies nach den bisherigen Erfahrungen der Schule nicht der Fall zu sein.

Dass dem Antragsteller bereits in dieser frühen Phase seines schulischen Lebensweges geholfen werden muss, wenn die entsprechenden schulischen Einrichtungen keine hinreichenden Hilfen anbieten können, steht für das Gericht außer Frage. In dem vom Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vorläufig zu Gunsten des Antragstellers entschiedenen Falls ging es ebenfalls um einen Grundschüler (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 21.12.2011 – L 6 AS 190/11 B ER).

Die besondere Bedeutung der schulischen Weichenstellung in der Grundschule kommt eindrücklich im Rahmenplan Grundschule des Hessischen Kultusministeriums zum Ausdruck. Dort heißt es unter den Aufgaben der Grundschule:

"Die Grundschule prägt als erste Schulstufe das Kind in einem Alter höchster Lernfähigkeit für seinen weiteren Bildungs- und Lebensweg."

Hier wird der Grundstein für den weiteren Bildungserfolg gelegt. Zwar weist der Rahmenplan Grundschule daraufhin, dass die Grundschulen eine sozialpädagogische Aufgabe haben (S.7), damit steht jedoch nicht zugleich fest, dass die Grundschulen personell so gut ausgestattet sind, dass sie in der Lage sind, Schülerinnen und Schülern mit besonderen Lernschwierigkeiten und sozialen Problemen, bei denen jedoch noch nicht die Voraussetzungen einer Behinderung vorliegen, durch Einzelbetreuung so stark zu unterstützen, dass sie ohne außerschulische Hilfe die Lernziele der Grundschule erreichen können. Diesem Umstand hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem sich aus § 28 Abs. 5 SGB II keine Einschränkung dahingehend ergibt, dass Maßnahmen der Lernförderung auf die Unterstützung in weiterführenden Schulen beschränkt sind. Das SG Itzehoe hat damit übereinstimmend entschieden, dass selbst Schüler und Schülerinnen, die eine Sonderschule besuchen, im Einzelfall einen Anspruch auf eine außerschulische Lernförderung haben können (vgl. SG Itzehoe, Beschluss v. 03.04.2012, S 11 AS 50/12 ER). Dass die Schule des Antragstellers keine hinreichenden Möglichkeiten hat, dem Antragsteller die erforderliche Lernförderung anzubieten, kann nicht zulasten des Antragstellers gehen.

Für das Gericht steht auch fest, dass die Probleme des Antragstellers so gravierend sind, dass eine Lernförderung nicht nur in dem Halbjahr zu gewähren ist, in dem die Versetzung in die nächste Klasse ansteht. Eine kurzfristige Lernförderung vor den Sommerferien, die nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich schon fragwürdig ist, da Lerninhalte aufeinander aufbauen, ist im Falle des Antragstellers nicht möglich, da der Antragsteller nach vorläufiger Würdigung des Falls jedenfalls im Moment kontinuierliche Unterstützung benötigt, um die sog. Basics zu erlernen.

Der geltend gemachte Stundensatz von 25 EUR ist auch nicht zu hoch. Es muss beachtet werden, dass die Lerntherapeutin E. über ein abgeschlossenes Studium verfügt und ihre Einnahmen versteuern muss und bei dem Umfang der ausgeübten Tätigkeit mit Wahrscheinlichkeit auch Sozialversicherungsbeiträge abführen muss. Das Gericht geht nach seinem jetzigen Kenntnisstand auch davon aus, dass nur besonders geschulte Fachkräfte in der Lage sein werden, mit dem Antragsteller hinreichende Lernerfolge zu erzielen.

2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens hätte unter Umständen zur Folge, dass die Lernförderungsangebote zu spät kommen und der Antragsteller das Ziel der zweiten Schulklasse nicht schafft.

Der Antrag war somit begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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