L 7 AS 260/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 AS 138/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 260/14 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Rechtsschutz gibt es gegen eine Zwangsvollstreckung auch bei bestandskräftigem Bescheid.
2. Vollstreckungsbehörden für Bescheide nach dem SGB II sind die Hauptzollämter, § 40 Abs. 6 SGB II i.V.m. § 66 SGB X. Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Vollstreckungsbehörden erfolgt auf dem Finanzrechtsweg.
3. Vollstreckungsanordnungsbehörden sind im Bereich des SGB II das Jobcenter als Ausgangsbehörde oder nach entsprechender Aufgabenübertragung gemäß §§ 44 b, 44 c SGB II bezüglich des Forderungseinzugs die Bundesagentur für Arbeit. Rechtsschutz erfolgt auf dem Sozialrechtsweg.
4. Ein Antrag auf Erlass gemäß § 44 SGB II kann die Vollstreckung aus einem bestandskräftigen Rückforderungsbescheid vorläufig unzulässig machen.
5. Ein Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X kann die Vollstreckung aus einem bestandskräftigen Bescheid vorläufig unzulässig machen.
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 19. Februar 2014 aufgehoben und die Rechtssache an das Sozialgericht München zurückverwiesen.



Gründe:


I.

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) wenden sich gegen die Zwangsvollstreckung aus jeweils den Bf zu 1) und die Bf zu 2) betreffenden Erstattungs- und Rückforderungsbescheiden des Beschwerdegegners (Bg) bzgl. zu Unrecht gewährter Leistungen nach dem SGB II.
Am 20.01.2014 erschien der Bevollmächtigte der Bf, der Ehemann der Bf zu 2) und Vater des Bf zu 1), bei der Rechtsantragsstelle des Sozialgerichts München und legte jeweils zwei Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts B-Stadt gegen den Bf zu 1) und die Bf zu 2) vor.
Beide Vollstreckungsankündigungen gegenüber dem Bf zu 1) bezogen sich auf einen Bescheid gegenüber dem Bf zu 1) vom 06.12.2010. In der ersten Vollstreckungsankündigung vom 09.01.2014 wurde ein Betrag in Höhe von 1.542,16 EUR zurückgefordert, fällig am 27.12.2010, und in der zweiten Vollstreckungsankündigung ebenfalls mit Datum 09.01.2014, ein Betrag in Höhe von 598,22 EUR, ebenfalls fällig am 27.12.2010.
Die beiden Vollstreckungsankündigungen gegenüber der Bf zu 2) bezogen sich auf einen Bescheid gegenüber der Bf zu 2) vom 06.12.2010. In der ersten Vollstreckungsankündigung vom 09.01.2014 wurde ein Betrag in Höhe von 3.873,16 EUR zurückgefordert, fällig am 27.12.2010, und in der zweiten Vollstreckungsankündigung ebenfalls mit Datum 09.01.2014 ein Betrag in Höhe von 1.478,14 EUR, ebenfalls fällig am 27.12.2010.
Der Bevollmächtigte der Bf führte zu den vorgelegten Vollstreckungsankündigungen aus, dass der Gesamtkomplex gegen das Jobcenter B-Stadt seiner Meinung nach beim Bayer. Landessozialgericht anhängig sei.
Aufgrund der am 20.01.2014 bei Gericht vorgelegten Vollstreckungsankündigungen sowie des Vorbringens des Bevollmächtigten der Bf formulierte die Rechtsantragsstelle beim Sozialgericht München einen Antrag dahingehend, "die Vollstreckungsankündigung vom 09.01.2014 aufzuheben" und weiter einen Antrag dahingehend "vor dem Sozialgericht München einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren und die Vollstreckung aufzuheben".
Mit weiterem Schreiben vom 15.02.2014, eingegangen beim Sozialgericht München am 18.02.2014, legte der Bevollmächtigte der Bf dar, dass die Forderungen gegen ihn niedergeschlagen worden seien, die gegen seine Ehefrau und seinen Sohn jedoch nicht. Eine Begründung für dieses Verhalten habe der Bg nicht geliefert. Es seien alle Anträge, Widersprüche und sonstige Schreiben immer von ihm für die gesamte Bedarfsgemeinschaft abgegeben worden. Folglich hätten auch die Forderungen gegen die Ehefrau und den Sohn niedergeschlagen werden müssen. Es sei auch gegen alle Bescheide des Bg Widerspruch eingelegt worden. Im Übrigen seien alle Bescheide des Bg vorläufig. Wahrscheinlich liege ein Versehen des Bg vor, der aus nicht ersichtlichen Gründen aus einem Verfahren drei Verfahren gemacht habe und dabei übersehen habe, die beiden anderen Verfahren einzustellen.
Der Bg hatte zunächst mit Schreiben vom 23.01.2014 mitgeteilt, dass weder offene Forderung gegen den Bf zu 1) noch die Bf zu 2) bestünden. Der Beklagte legte hierzu Auszüge aus den Konten der Bf in Kopien bei.
Mit Schreiben vom 28.01.2014 teilte der Bg dann mit, dass die Forderung gegen den Bevollmächtigten der Bf niedergeschlagen worden sei. Laut Auskunft der Forderungseinzugsstelle der Bundesanstalt für Arbeit in C-Stadt bestünden die Forderung gegen den Bf zu 1) und die Bf zu 2) jedoch fort. Es seien keine Zahlungen erfolgt und auf diverse Schreiben nicht reagiert worden. Deshalb seien die beiden Vollstreckungsankündigungen erfolgt. Da für den Forderungseinzug nach § 44b Abs. 4 SGB II die Bundesagentur für Arbeit zuständig sei, lägen dem Bg die Vollstreckungsankündungen nicht vor, beträfen aber laut Auskunft des Gerichts die Bescheide vom 06.12.2010. Gegen diese Bescheide sei von den Bf weder Widerspruch eingelegt noch Klage erhoben worden. Auch sei kein Verfahren gegen die Bescheide vor dem Bayer. Landessozialgericht anhängig. Die Bescheide seien somit bestandskräftig und die Forderungen könnten vollstreckt werden.
Mit Schreiben vom 03.02.2014 teilte das Gericht den Bf mit, dass die Bescheide bestandskräftig seien und damit für die Bf nur noch die Möglichkeit bestünde, beim Hauptzollamt B-Stadt einen Antrag auf Stundung oder Ratenzahlung unter Offenlegung der finanziellen Verhältnisse zu stellen. Für einstweiligen Rechtsschutz durch das Sozialgericht wäre kein Raum.
Mit Beschluss vom 19.02.2014 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Die Erstattungs- und Rückforderungsbescheide gegenüber dem Bf zu 1) und der Bf zu 2) seien gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestandskräftig. Der Umstand, dass die Forderung gegen den Bevollmächtigten der Bf niedergeschlagen worden sei, habe auf die Durchsetzung der Forderungen gegen die Bf zu 1) und 2) keinen Einfluss.
Hiergegen haben die Bf Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Die angekündigte Beschwerdebegründung ist bis zum heutigen Tag nicht erfolgt.
Der Bg hat mit Schreiben vom 09.04.2014 mitgeteilt, dass nach Auskunft der aufgrund eines Beschlusses der Trägerversammlung nach § 44b Abs. 4 SGB II für den Forderungseinzug zuständigen Bundesagentur für Arbeit (BA) ein Vollstreckungsversuch mit einer fruchtlosen Pfändung geendet habe. Vermutlich werde es wie beim Bevollmächtigten der Bf zu einer Niederschlagung der Forderungen, nicht aber einem Erlass kommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist insbesondere nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, da für eine anstehende Vollstreckung als Beschwerdewert der Wert ausschlaggebend ist, für den die sofortige Einstellung der Vollstreckung begehrt wird (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.07.2013, L 5 AS 710/13 B Rz. 13; BayLSG, Beschluss vom 15.04.2014, L 7 AS 797/13 B PKH). Der Beschwerdewert von 750,00 EUR wird angesichts der in Frage stehenden Rückforderungssummen überschritten.
Die Beschwerde ist auch im Sinne einer Zurückverweisung an das Sozialgericht (SG) begründet.
Nach § 159 Abs. 1 SGG steht die Zurückverweisung im Ermessen des Senats, wobei die Vorschrift des § 159 SGG auf das Beschwerdeverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend anwendbar ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 159 Rz. 1). Nach Abwägung aller Umstände ist der Senat im Rahmen des ihm nach § 159 SGG zustehenden Ermessens zum Ergebnis gelangt, den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 SGG liegen vor. Die Entscheidung des SG leidet unter wesentlichen Verfahrensmängeln, was eine Zurückverweisung in analoger Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG im Rahmen des Ermessens des Senats ermöglicht.
Rechtsschutz im Zwangsvollstreckungsverfahren gibt es entgegen der Ansicht des SG auch bei bestandskräftigen Bescheiden.
So wie es gegen die Zwangsvollstreckung aus den in § 199 SGG aufgeführten Vollstreckungstiteln Rechtsschutz gibt (vgl zB zum Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung § 198 SGG iVm § 766 ZPO; vgl zB zum Rechtsschutz bei Einwendungen, die den Anspruch selbst betreffen, § 198 SGG iVm § 767 ZPO; vgl darüber hinaus zum Eilrechtsschutz zB § 198 SGG iVm §§ 769 ZPO), der je nach gesetzlicher Zuweisung durch die Sozialgerichte als Prozessgerichte (vgl etwa BayLSG, Beschluss vom 14.05.2012, L 7 AS 196/12 B) oder Gerichte eines anderen Rechtswegs (zB durch die Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte, vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl. 2012 § 198 Rz 5a) erfolgt, bestehen auch verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten bei einer Zwangsvollstreckung aus bestandskräftigen Bescheiden. Das SG hätte- um den Bf die verschiedenen Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen - diese hierüber aufklären, mögliche Antragsgegner benennen und angesichts des unklaren Antrags der Bf insoweit auf einen sachdienlichen Antrag hinwirken müssen.
Das Sozialgericht hat stattdessen den von der Rechtsantragsstelle formulierten Antrag seiner Entscheidung zugrunde gelegt, ohne den Vortrag des Bevollmächtigten sowie die vorgelegten Unterlagen hinreichend zu würdigen (vgl zum Verfahrensfehler der mangelnden Auslegung von Anträgen BayLSG, Urteil vom 8.11.2013, L 11 AS 1040/11). Das Sozialgericht ist insoweit seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken (vgl § 123 SGG).
Zudem wäre der Antrag auf Vollstreckungsschutz im Hinblick darauf, gegenüber welcher Behörde aus welchem rechtlichen Grund Vollstreckungsschutz begehrt wird, zu präzisieren gewesen (vgl. BayLSG, Urteil vom 12.07.2011, L 11 AS 656/10 Rz 16). Insoweit ist das Sozialgericht auch seiner sich aus §§ 103, 106 SGG ergebenden Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen (vgl. zur Verletzung der Amtsermittlungspflicht als wesentlichen Verfahrensmangels iSv § 159 SGG Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.11.2011, L 5 KR 202/11 B Rz 7).
Aufgrund der vorgelegten Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamtes hätte es nahe gelegen, die Bf zu befragen, ob Vollstreckungsschutz gegenüber dem Hauptzollamt als möglichem Antragsgegner - und zwar als zuständige Vollstreckungsbehörde - gewünscht ist, was jedoch nur vor den Finanzgerichten möglich wäre (vgl dazu unten unter 1.).
Weiter hätte das Sozialgericht klären müssen, ob Eilrechtsschutz auf dem Sozialrechtsweg gegenüber der für den Forderungseinzug zuständigen BA als Vollstreckungsanordnungsbehörde (vgl. dazu unten unter 2.), gegenüber der für den Erlass nach § 44 SGB II zuständigen Behörde (BA oder das beklagte Jobcenter, vgl. dazu unten unter 3.) oder gegenüber dem Jobcenter als Ausgangsbehörde (vgl. dazu unten unter 4.) gewünscht ist.
Da schon § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Zurückverweisung ermöglicht, kommt es nicht mehr darauf an, ob schon deshalb, weil die Entscheidung möglicherweise gegenüber einem falschen Antragsgegner ergangen ist, auch in analoger Anwendung von § 159 Abs 1 Nr. 1 SGG zurückverwiesen werden kann (vgl dazu BayLSG, Beschluss vom 16.05.2013, L 10 AL 129/13 B ER).
Das Sozialgericht wird vor einer erneuten Entscheidung das Begehren der Bf im Hinblick auf die genannten, nachfolgend näher ausgeführten Möglichkeiten, zu klären haben.

1. Antrag gegen das Hauptzollamt B-Stadt als zuständiger Vollstreckungsbehörde
Für die Vollstreckung von Bescheiden, die im Rahmen des SGB II erlassen werden, verweist § 40 Abs 6 SGB II auf das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes. Zu vollstreckende Forderungen nach dem SGB II i. S. d. § 40 Abs. 6 Hs 1 SGB II dürfen ausschließlich Geldforderungen sein (Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 40 Rz 193; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.7.2013, L 5 AS 710/13 B ER Rz 20 zu Erstattungsbescheiden für Leistungen nach dem SGB II). Der mit Wirkung vom 01.01.2011 eingefügte § 40 Abs. 6 SGB II (früher § 40 Abs. 4 SGB II) schreibt vor, dass für die Vollstreckung von Forderungen nach dem SGB II der in gemeinsamen Einrichtungen (Jobcenter i. S. d. § 44b i. V. m. § 6d SGB II) zusammenwirkenden Träger (BA gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, kommunaler Träger gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) das VwVG des Bundes gilt und im Übrigen die Vollstreckungsvorschrift des § 66 SGB X zur Anwendung gelangt. Die von § 40 Abs. 6 Hs 2 SGB II angeordnete Geltung des § 66 SGB X ergibt sich im Übrigen bereits aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (Hengelhaupt/Noftz, SGB II ,Stand Feb. 2014, § 40 Rz 790).
§ 66 SGB X verweist in Abs 1 Satz 1 für die Vollstreckung durch Behörden des Bundes auf die Vorschriften des VwVG. Nach § 5 Abs 1 VwVG richtet sich die Vollstreckung nach den Vorschriften der Abgabenordnung, deren gerichtliche Überprüfung in die Zuständigkeit der Finanzgerichte fällt (§ 33 Abs 1 Nr 2 Finanzgerichtsordnung). Das Verwaltungszwangsverfahren und der Vollstreckungsschutz richten sich im Falle des § 4 VwVG nach den Vorschriften der Abgabenordnung (§§ 77, 249 bis 258, 260, 262 bis 267, 281 bis 317, 318 Abs. 1 bis 4, §§ 319 bis 327). Vollstreckungsbehörden sind dann gemäß § 4 Buchst b) iVm Buchst. a) VwVG die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, also die Hauptzollämter (vgl. § 1 Abs. 4 iVm § 12 Abs. 2 FVG, § 249 Abs. 1 Satz 3 AO, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.10.2013, L 4 KR 35/13 B Rz 19).
Gegenüber dem Hauptzollamt als Vollstreckungsbehörde können sich die Bf sowohl im Hinblick auf die Art und Weise von Vollstreckungsmaßnahmen, also deren Modalitäten, wehren (vgl BSG, Beschluss vom 25.09.2013, B 8 SF 1/13 R Rz 9; LSG Berlin, Beschluss vom 22.03.1996, L 9 Kr SE 23/96). Die dahinter stehende Regelungsmaterie des zu vollstreckenden Verwaltungsakts ist für die Bestimmung des Rechtswegs unerheblich (BSG aaO Rz 9 aE für Rechtsschutz gegen einen Vollstreckungsbescheid zu Rückforderungsbescheiden nach dem SGB XII).
Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt selbst sind dagegen grundsätzlich nach § 256 AO außerhalb des Vollstreckungsverfahrens zu verfolgen (vgl aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.1.2008, L 11 AL 165/07 Rz 9, wonach in analoger Anwendung von § 257 Abs 2 Nr. 1 AO Betroffene in bestimmten Fällen auch gegenüber dem Hauptzollamt geltend machen, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt nichtig oder aufzuheben ist, sowie etwa Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 9. Aufl. 2011, § 258 AO Rz 5 bzgl. des Einwands der unbilligen Härte beim Rechtsschutz nach § 258 AO).
Sollten die Bf sich mit ihrem Begehren ausdrücklich nur gegen das Hauptzollamt wenden wollen, wäre nur der Rechtsweg zu den Finanzgerichten gegeben und der Rechtsstreit entsprechend dorthin zu verweisen.
Wenn die Bf eindeutig nur gegen die Vollstreckungsbehörde vorgehen wollen, sind andere Antragsgegner - wie hier der Bg - nicht passivlegitimiert und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist entsprechend - wenn er trotz entsprechender Belehrung zusätzlich gegen einen anderen Antragsgegner als die Vollstreckungsbehörde aufrechterhalten wird - als unbegründet abzulehnen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.7.2013, L 5 AS 710/13 B ER Rz 15).

2. Antrag gegen die BA als zuständige Vollstreckungsanordnungsbehörde
Wird Vollstreckungsschutz gegen Maßnahmen der Vollstreckungsanordnungsbehörde (vgl. § 3 Abs 4 VwVG: Behörde, die den Anspruch geltend machen darf, hier also die Forderung einziehen darf) begehrt, ist dies gegenüber der Vollstreckungsanordnungsbehörde zu beantragen. Wenn Vollstreckungsanordnungsbehörde eine Sozialbehörde ist, erfolgt Rechtsschutz über den Sozialrechtsweg. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten wegen des rechtlichen Zusammenhangs mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II eröffnet, wenn es um Rechtsschutz etwa gegen die Verhängung von Mahngebühren im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens geht (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2012, B 4 AS 97/11 R; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.12.2013, OVG 9 L 48.13 Rz 2 unter Hinweis darauf, dass es sich bei der Mahngebühr um Nebenkosten zur sozialrechtlichen Hauptforderung handelt; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2008, L 11 AL 165/07 ER zu Erstattungsbescheiden nach dem SGB III, das den Sozialrechtsweg in diesen Fällen immer neben Rechtsschutzmöglichkeiten über den Finanzrechtsweg für eröffnet ansieht).
Erst recht gilt dies, wenn aus Gründen des materiellen Rechts Rechtsschutz gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt begehrt wird. Abgesehen von der Regelung des § 256 AO folgt dies daraus, dass insoweit die nach dem SGB zuständigen Träger sachnäher sind. Der Rechtsschutz vor den Sozialgerichten besteht deshalb zusätzlich (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2008, L 11 AL 165/07 ER Rz 8; LSG Berlin, Beschluss vom 22.03.1996, L 9 Kr SE 23/96).
Für Rechtsschutz vor den Sozialgerichten fehlt dabei nicht schon deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Prüfungsumfang bei Rechtsschutz gegenüber dem Hauptzollamt vor den Finanzgerichten in begrenzten Umfang auch Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt umfassen kann (a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.07.2013, L 5 AS 710/13 B ER Rz 25 für Vollstreckungsschutz gegenüber Vollstreckungsbehörden bzgl Rückforderungsbescheiden von Sozialbehörden).
Eilrechtsschutz erfolgt insoweit über eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt wird (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.07.2013, L 5 AS 710/13 B ER Rz 24; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2008, L 11 AL 165/07 ER Rz 7).
Im SGB II kann das Jobcenter als zuständige Ausgangsbehörde den Forderungseinzug nach § 44b Abs 4 SGB II mittels Trägerbeschluss an die BA übertragen und damit die BA anstelle des Jobcenters zur Vollstreckungsanordnungsbehörde machen. Dann muss sich das Rechtsschutzbegehren gegen die BA richten, wenn diese aufgrund des Trägerbeschlusses alleiniger Träger der Vollstreckung und auch alleinige Vollstreckungsanordnungsbehörde wurde (aA Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 26.11.2013, L 6 AS 277/13 B, wonach die Vorschriften des §§ 88ff. SGB X auch nach der Gesetzesänderung nicht greifen).
Ein solcher Trägerbeschluss liegt hier vor. Aufgrund des Beschlusses der Trägerversammlung, die den Forderungseinzug der BA übertragen hat, ist hier anstelle des Jobcenters die BA Vollstreckungsanordnungsbehörde. Nach dem Schreiben des Bg vom 9.4.2014 hat die Trägerversammlung den Forderungseinzug der BA übertragen, vgl. § 44c Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II. Die BA ist für diese übertragene Aufgabe Träger der Grundsicherung (a.A. SG Darmstadt, Beschluss vom 28.3.2013, S 13 SF 7/13 E Rz 12 mit der Folge, dass die BA nicht als Grundsicherungsträger von Pauschgebühren wegen § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X befreit ist) und damit auch alleinige Vollstreckungsanordnungsbehörde, gegen die sich das Begehren der Bf auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nunmehr in erster Linie richtet (vgl. SG Kiel, Beschluss vom 06.02.2014, S 21 SF 98/13 E unter Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung vom 08.12.2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten BT-Drucks. 17/1555 S. 24).

3. Antrag gegen die für einen Erlass nach § 44 SGB II zuständige Behörde
Soweit die Bf vortragen, dass der Bevollmächtigte der Bf einen Antrag auf Erlass der Forderungen gestellt hat, muss das Sozialgericht diesem Vortrag ebenfalls näher nachgehen.
Die Forderung gegenüber dem Bevollmächtigte der Bf wurde nach Auskunft des Bg niedergeschlagen, was darauf hindeutet, dass der Bevollmächtigte der Bf damals tatsächlich wie von ihm vorgetragen einen Antrag auf Niederschlagung bzw. Erlass entsprechend § 44 SGB II gestellt hat, wobei ein solcher Antrag von ihm auch in Vertretung für die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gestellt worden sein könnte, vgl. § 38 SGB II. Auch das Schreiben des Bg vom vom 09.04.2014 deutet darauf hin, dass ein Antrag nach § 44 SGB II gestellt wurde, da derzeit Niederschlagung bzw. Erlass geprüft werden.
Das Sozialgericht wir dabei auch zu beachten haben, dass bereits in der Einlegung eines Widerspruchs der Antrag auf Erlass enthalten sein kann, BSG, Urteil vom 29.10.1991, 13/5 RJ 36/90 Rz 22. Der Antrag auf Erlass ist nach pflichtgemäßem Ermessen durch den Träger der Grundsicherung zu entscheiden, während es sich bei der Niederschlagung lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgang handelt, vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1991, 13/5 RJ 36/90 Rz 20. Durch einen Erlass würden die durch die Rückforderungsbescheide bestandskräftig geworden Forderungen nachträglich vernichtet. Durch Erlass wird der Rückforderungsbescheid beseitigt (vgl Hengelhaupt/Noftz, SGB II § 44 Rz 3).
Das SG wird sich den Trägerbeschluss vorlegen lassen und anhand des Trägerbeschlusses klären müssen, welche Aufgaben in welchem Umfang an die BA übertragen wurden, vgl. SG Kiel, Beschluss vom 06.02.2014, S 21 SF 98/13 E. Erst anhand des Trägerbeschlusses kann letztlich geklärt werden, gegen welche Behörde sich ein Antrag auf Vollstreckungsschutz richten muss, wenn dieser Antrag damit begründet wird, dass ein Antrag nach § 44 SGB II auf Erlass gestellt wurde.
Ein laufendes Verfahren auf Erlass einer bestandskräftigen Forderung führt dazu, dass die Zwangsvollstreckung während der Verfahrens rechtsmissbräuchlich und daher vorläufig einzustellen ist, vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1991, 13/5 RJ 36/90.

4. Antrag gegen die für eine Überprüfung nach § 44 SGB X zuständige Behörde
Ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf eine (vorläufige) Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Jobcenter als Ausgangsbehörde - und damit für eine Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids nach § 44 SGB X -kann ebenfalls bestehen.
Insoweit ist zu prüfen, ob ggf. ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt wurde. Für die Entscheidung über einen Überprüfungsantrag wäre das Jobcenter als zuständiger Leistungsträger nach wie vor zuständig - eine Übertragung auf die BA ist nicht möglich - und damit auch Antragsgegner bzgl der Rechtsschutzmöglichkeit, die sich aufgrund des Überprüfungsantrags ergibt.
Das laufende Überprüfungsverfahren ermöglicht nämlich die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem bestandskräftigen Rückforderungsbescheid im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (vgl. BayLSG, Beschluss vom 26.03.2014, L 7 AS 220/14 B ER Rz 27 ff). Bei einer Überprüfung nach § 44 SGB X handelt es sich um eine Aufhebungsentscheidung iSv § 257 Abs 1 Satz 2 AO, die auch vor den Sozialgerichten zu einer vorläufigen Einstellung der Vollstreckung mittels einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG führt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2008, L 11 AL 165/07 ER Rz 7). Allerdings unterliegt der Erlass einer Regelungsanordnung wegen der Bestandskraft des erst noch zu überprüfenden Bescheides einem strengen Prüfungmaßstab (BayLSG, Beschluss vom 26.03.2014, L 7 AS 220/14 B ER).
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das SG möglichen Rechtsschutzvarianten bzgl.
bestandskräftiger Bescheide zu wenig nachgegangen ist und insbesondere nicht hinreichend geklärt hat, gegen welche Behörde die Bf eigentlich vorgehen wollen. Dies erfordert weitere Feststellungen, die in der zweiten Instanz eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erfordern würde (wobei bei einer analogen Anwendung der Vorschrift des § 159 SGG im Verfahrendes einstweiligen Rechtsschutzes es genügt, wenn es in der ersten Instanz unterlassen wurde, bezüglich der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte auf eine entsprechende Glaubhaftmachung - vgl § 920 Zivilprozessordnung - ZPO - hinzuwirken.) Im Ergebnis hat es das SG versäumt, den richtigen Antragsgegner zu ermitteln und dann bzgl des gegenüber dem jeweiligen Antragsgegner möglichen Vorbringens zur Verhinderung der Zwangsvollstreckung die jeweils notwendigen Feststellungen zu treffen. Insoweit sind noch die notwendigen Feststellungen nachzuholen und ggf. die hierfür notwendige Glaubhaftmachung zu veranlassen, so dass auch nach der erfolgten gesetzlichen Einschränkung der Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG im Hinblick auf umfangreiche Beweisaufnahmen (bzw im Eilverfahren Glaubhaftmachungen) in der Rechtsmittelinstanz hier eine Zurückverweisung nach dem Ermessen des Senats möglich ist.
Der Senat stellt bei seiner Ermessenabwägung vor allem darauf ab, dass bereits erfolglos gegen die Bf vollstreckt wurde und nunmehr vor einem erneuten Vollstreckungsversuch nach Auskunft des Bg eine Niederschlagung geprüft wird, demgemäß also genügend Zeit für eine Entscheidung des Sozialgerichts vor einem erneuten Vollstreckungsversuch vorhanden ist, um die Vollstreckung ggf. vorläufig zu unterbinden.
Das Sozialgericht wird bei seiner Entscheidung über die Kosten des Verfahrens insgesamt zu befinden haben (vgl. BayLSG, Urteil vom 12.07.2011, L 11 AS 656/10 Rz 22).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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