L 7 AS 749/14 B ER und L 7 AS 750/14 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 824/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 749/14 B ER und L 7 AS 750/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.04.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig einen Bildungsgutschein zur Förderung der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme zur Luftsicherheitsfachkraft bei der ASW zu erteilen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen. Dem Antragsteller wird für das Ausgangsverfahren und das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin K aus F beigeordnet.

Gründe:

I.

Der 1955 geborene Antragsteller steht im Leistungsbezug beim Antragsgegner. Am 13.02.2014 beantragte der Antragsteller die Förderung der beruflichen Weiterbildung zur Luftsicherheitsfachkraft ab 26.02.2014 bei der Akademie für Sicherheit und Wirtschaft (ASW) GmbH durch die Erteilung eines Bildungsgutscheines. Er legte eine Einstellungszusage der Firma L GmbH vor. Insoweit wird auf den Inhalt der Zusage vom 09.01.2014 verwiesen.

Mit Bescheid vom 27.02.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Zur Ausübung des Ermessens im Rahmen des nach § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) iVm § 81 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) habe der Antragsgegner "Ermessenslenkende Weisungen" erlassen. Danach sei eine Förderung des Bildungszieles Luftsicherheitskontrollkraft nur möglich, wenn ein gültiger Arbeitsvertrag für eine Vollzeitbeschäftigung vorliege und dieser den allgemeinen tariflichen Bedingungen entspreche. Der Arbeitsvertrag müsse bei einer Befristung für mindestens ein Jahr gelten und es müsse ersichtlich sein, dass die Teilnahme an der zu fördernden Weiterbildungsmaßnahme Bedingung für die Gültigkeit sei. Dieser Vertrag liege vor. Zudem müsse aber nach den "Ermessenslenkenden Weisungen" eine vom Arbeitgeber unterzeichnete Zusatzvereinbarung vorliegen, in der dieser sich verpflichte, dem Antragsgegner die Fortbildungskosten zu erstatten, falls das Arbeitsverhältnis seitens des Arbeitgebers aus einem Grunde, welchen dieser zu vertreten hat, vor Ablauf eines Jahres gelöst werden sollte. Diese Zusatzvereinbarung habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Daher sei eine dauerhafte berufliche Eingliederung nach der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung nicht hinreichend sicher im Sinne des § 81 Abs. 1 SGB III. Eine Förderung sei daher nicht möglich.

Der Antragsteller legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und beantragte am 28.03.2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Ermessen sei fehlerhaft ausgeübt. Zudem liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, der Ausgang der Hauptsache sei abzuwarten. Die Einstellungszusage der Firma L GmbH sei unbefristet. Bei Obsiegen in der Hauptsache könne immer noch eine Förderung erfolgen. Nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit könne eine Einstellungszusage ohne eine entsprechende Zusatzvereinbarung keine Ermessensreduzierung auf Null begründen.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Anträge auf Erteilung des Bildungsgutscheines und Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 15.04.2014 abgelehnt. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor und auch ein Obsiegen in der Hauptsache sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, zu klären, ob die von dem Antragsgegner vorgenommene Ermessensausübung rechtmäßig sei, insbesondere, weil ansonsten eine Vorwegnahme der Hauptsache stattfinden würde.

Gegen den am 22.04.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23.04.2014 Beschwerde eingelegt, sein Begehren weiter verfolgt und betont, dass er auch aktuell an den turnusmäßig stattfindenden Qualifizierungsmaßnahmen der ASW GmbH teilnehmen könne und der potentielle Arbeitgeber weiterhin Arbeitskräfte mit dieser Qualifikation suche, so dass die Einstellungszusage vom 09.01.2014 weiterhin Bestand habe.

Auf Aufforderung des Senats hat der Antragsgegner die "Ermessenslenkenden Weisungen" (Beschluss der Leitungsrunde vom 02.04.2013) sowie Entwürfe von Eingliederungsvereinbarungen vom 22.01.2014 und 20.02.2014 vorgelegt. Der Senat hat einen umfassenden rechtlichen Hinweis erteilt und den Antragsgegner um Stellungnahme bis zum 10.06.2014 gebeten. Der Antragsgegner hat sich nicht geäußert.

II.

Die Beschwerden sind zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht durch Zeitablauf nach § 39 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entfallen. Der Antragsteller hat zwar ursprünglich einen Bildungsgutschein für die Maßnahme ab 26.02.2014 begehrt und sodann einstweiligen Rechtsschutz im März 2014 beantragt. Jedoch führte bzw. führt die ASW GmbH die Weiterbildung zur Luftsicherheitsfachkraft im Kalenderjahr 2014 in Köln ausweislich ihres Internet-Auftritts mehrmals (30.05. - 25.09.2014, 30.06. - 22.10.2014 und 28.07. - 27.11.2014) durch.

Die Beschwerden des Antragstellers sind begründet.

Der Antragsgegner ist verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig einen Bildungsgutschein für die Weiterbildung zur Luftsicherheitsfachraft bei der ASW zu erteilen, die Weiterbildungskosten vorläufig zu übernehmen und einen vorläufigen Bescheid hierüber zu erteilen. Unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sollte den Beteiligten daran gelegen sein, möglichst zeitnah ein Einmünden des Antragstellers in die Weiterbildung sicher zu stellen, d.h. spätestens am 28.07.2014 oder ggf. (auch schon) am 30.06.2014.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Antragsteller bezieht Grundsicherung und ist, was sich aus dem eingereichten Kontoauszug ergibt, finanziell nicht in der Lage, die Kosten der Weiterbildung vorläufig selbst zu tragen.

Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung einen Anspruch auf Erteilung eines vorläufigen Bildungsgutscheines nach § 16 SGB II iVm § 81 SGB III. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 SGB III vorliegen.

Bei der Übernahme von Kosten für eine Weiterbildungsmaßnahme i.S.v. § 81 SGB III als Leistung zur Eingliederung nach § 16 Abs. 1 SGB II handelt es sich - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - um eine Kann-Leistung und damit um eine Ermessensleistung. Bei einer Ermessensleistung kann ein Anspruch auf die Leistung vom Gericht nur dann bejaht werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs vorliegen (bzw. glaubhaft gemacht sind beim einstweiligen Rechtsschutzverfahren) und das Ermessen zugunsten des Betroffenen auf Null reduziert ist. Diese liegt dann vor, wenn jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (Keller in Meyer -Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54 Rn. 29). Letzteres bedeutet, dass die Ausübung des Ermessens allein zu einer Leistungsgewährung führen kann, weil keine Ablehnung begründet werden könnte (LSG Bayern, Beschluss vom 04.07.2011 - L 7 AS 472/11 B ER).

Die vom Antragsgegner getroffene Entscheidung ist ermessensfehlerhaft. Ausgangspunkt bei der Ausübung des Ermessens war für den Antragsgegner, worauf er sowohl im Bescheid vom 27.02.2014 als auch in den Stellungnahmen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eindringlich hinweist, dass einer Förderung entgegen steht, dass eine Voraussetzung der "Ermessenslenkenden Weisungen" nicht erfüllt ist. Ausdrücklich betont der Antragsgegner, dass eine Einstellungszusage der Firma L GmbH vom 09.01.2014 vorliegt, die den Weisungen entspricht. Die Ablehnung wird mit der Bindung an die Weisungen insoweit geknüpft, als die "Zusatzvereinbarung" des zukünftigen Arbeitgebers im Sinne einer Selbstverpflichtung, die Fortbildungskosten ggf. zurück zu zahlen, nicht vorliegt. Die "Ermessenslenkenden Weisungen" der Leitungsrunde vom 02.04.2013 zur Begründung der Ablehnung des Antrages zur Weiterbildung zur Luftsicherheitsfachkraft heranzuziehen, stellt einen Ermessensfehlgebrauch dar. Denn die Weisungen sind nach dem Wortlaut nicht auf den Fall des Antragstellers, der eine Weiterbildung zur Luftsicherheitsfachkraft anstrebt, anwendbar und zudem stimmen die inhaltlichen Anforderungen nicht überein. Denn die Weisungen, gezeichnet von "T", sollen "für die Förderung von Führerscheinen und Fahrlehrerausbildungen" gelten. Dort wird neben der Vorlage eines Arbeitsvertrages gefordert, dass der Arbeitgeber sich ergänzend verpflichtet, die Kosten des Führerscheins zu übernehmen, wenn das Arbeitsverhältnis nicht zustande kommt oder innerhalb von sechs Monaten beendet wird. Im Bescheid vom 27.02.3014 hingegen beschreibt der Antragsgegner eine Zusatzvereinbarung anderen Inhalts: "Zudem muss eine vom Arbeitgeber unterzeichnete Zusatzvereinbarung vorliegen, in der dieser sich verpflichtet, dem Jobcenter Gelsenkirchen die Fortbildungskosten, falls das Arbeitsverhältnis seitens des Arbeitgebers aus einem Grunde, welchen dieser zu vertreten hat, vor dem Ablauf eines Jahres gelöst werden sollte".

Der Antragsgegner hat somit nicht nur die "Ermessenslenkenden Weisungen" auf einen vom Wortlaut und Regelungsgehalt nicht umfassten Fall angewendet, nicht deren analoge Anwendung begründet, sondern auch die in den Weisungen normierten Voraussetzungen zu Ungunsten des Antragstellers ohne Angabe von Gründen ausgeweitet. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür dargelegt worden oder ersichtlich, dass das Verhalten des potentiellen Arbeitgebers im konkreten Fall eine entsprechende "Zusatzvereinbarung" rechtfertigt.

Hier liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Vorliegend ist nur eine einzige Ermessensentscheidung möglich. Der Antragsgegner hat trotz eines ausführlichen rechtlichen Hinweises in der gesetzten Frist keine Gründe vorgetragen, die eine andere alternative Eingliederung des Antragstellers realistisch erscheinen lässt. Die Einstellungszusage der Firma L GmbH vom 09.01.2014 gewährleistet, dass nach Absolvierung der Weiterbildung die Integration des Antragstellers befristet auf ein Jahr erfolgt.

Ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache ist - entgegen der Ansicht des Antragsgegners - nicht zumutbar. Denn die Dauer eines Klage- und ggf. Berufungsverfahrens überschreitet in der Regel ein Jahr und steht in keinem Verhältnis zu der Dauer der Weiterbildungsmaßnahme einerseits und andererseits dem Ziel, alsbald die Beendigung der Hilfebedürftigkeit gerade auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nach § 3 Abs. 1 S. 2 SGB II zu fördern.

Prozesskostenhilfe war für das Ausgangsverfahren und das Beschwerdeverfahren zu gewähren. Aus den oben genannten Gründen hatten die einstweiligen Rechtsschutzverfahren Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angegriffen hat, folgt die Kostenentscheidung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved