S 10 AS 1363/13 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1363/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Wenn zu Gunsten eines Leistungsempfängers bereits in einem vorangegangenen Zeitraum durch den Leistungsträger Stromschulden übernommen worden sind, der Leistungsempfänger wiederholt mit Stromzahlungen in Rückstand geraten ist und erhebliche Zweifel daran bestehen, dass die Entstehung neuer Stromschulden künftig zuverlässig vermieden wird, kann die erneute Übernahme von Stromschulden ausscheiden.
2. Das mehrmalige und damit wiederholte Auflaufen von Stromschulden spricht dafür, dass billigend in Kauf genommen bzw. nicht gezahlt wurde im Vertrauen darauf, dass der Leistungsträger möglicherweise (erneut) die wieder aufgelaufenen Schulden schon übernehmen und die Stromsperre verhindern bzw. beseitigen wird. In einem solchen Fall sozialwidrigen Herbeiführens von Rückständen erscheint eine Hilfegewährung nicht gerechtfertigt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2013, L 2 AS 842/13 ER-B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.12.2010, L 3 AS 557/10 B ER).
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der zulässige Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist unbegründet.

Mit dem am 15.04.2013 gestellten Antrag begehrt die Antragstellerin - entgegen des eine Übernahme von Stromschulden in Höhe von 4.344,- EUR ablehnenden Bescheides vom 15.04.2013 - die Verpflichtung des Antragsgegners zur Begleichung von Stromrückständen bei der E. zwecks Aufhebung der am 26.03.2013 erfolgten Stromsperre.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind gemäß § 86b Abs. 2 SGG ein Anord-nungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsgrund ist gemäß § 86b Abs. 2 SGG gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird oder wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b SGG, Rn. 2a).

1. Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) können, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen und Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

In den mit einer Stromsperre verbundenen Auswirkungen liegt grundsätzlich eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage entsprechend § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II vor (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2012, L 14 AS 2105/12 B ER). Des Weiteren handelt es sich bei dem Begriff "gerechtfertigt" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Hierbei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, das Alter sowie eventuelle Behinderungen der jeweiligen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, das in der Vergangenheit vom Hilfesuchenden gezeigte Verhalten (erstmaliger oder wiederholter Rückstand, eigene Bemühungen, die Notsituation abzuwenden und die Rückstände auszugleichen) und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe zu berücksichtigen sind. Dabei kann es insbesondere darauf ankommen, ob sich der Leistungsberechtigte missbräuchlich verhalten hat. Dies ist im Regelfall zu bejahen, wenn der Hilfesuchende seine Energiekostenvorauszahlungen bewusst nicht leistet und sein Verhalten darauf schließen lässt, dass er auf eine (darlehensweise) Übernahme entstehender Schulden durch den Leistungsträger vertraut oder gar spekuliert. In einem solchen Fall wird die Notlage gezielt zu Lasten des Leistungsträgers herbeigeführt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2013, L 2 AS 842/13 ER-B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.12.2010, L 3 AS 557/10 B ER).

Vorliegend ist die begehrte Übernahme der Rückstände schon nicht gerechtfertigt im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Die Antragstellerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie ihre Lage selbst verschuldet hat und erhebliche Zweifel daran bestehen, dass die Entstehung neuer Stromschulden künftig zuverlässig vermieden wird. Denn vorliegend ist die Antragstellerin bereits wiederholt mit Stromzahlungen in Rückstand geraten, obgleich Sozialleistungsträger bereits in der Vergangenheit entsprechende Rückstände beglichen haben. Bereits mit Beschluss des Sozialgerichts K. vom 14.04.2008 wurde der Landkreis K. durch einstweilige Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ein Darlehen von 1.766,47 EUR zur Begleichung von Stromschulden zu zahlen. Mit Bescheid vom 14.05.2012 gewährte das Jobcenter K. der Antragstellerin auf deren Antrag ein weiteres Darlehen zur Vermeidung der Einstellung der Stromversorgung von 4.823,23 EUR. Einen erneuten Antrag der Klägerin vom März 2013 beschied der Antragsgegner mit dem die Übernahme von Stromschulden in Höhe von 4.344,- EUR ablehnenden Bescheid vom 15.04.2013.

Zum wiederholten Mal sind daher Stromschulden aufgelaufen und zumindest für die Zeit von April 2012 bis Januar 2013 sind sogar überhaupt keine Abschlagszahlungen der Antragstellerin ersichtlich. Vielmehr blieben die Zahlungsaufforderungen und -erinnerungen der E. unter anderem mit dem Hinweis auf eine mögliche Einstellung der Stromversorgung unbeachtet. Damit musste der Antragstellerin klar sein, dass bereits bestehende Schulden nicht abgebaut werden, sondern sich noch weiter erhöhen. Zudem verurteilte das Amtsgericht B. die Antragstellerin bereits mit Urteil vom 18.02.2013 dazu, die Einstellung der Stromversorgung zu dulden. Auch vor diesem Hintergrund und der Nichteinhaltung vereinbarter Ratenzahlungen ist das Verhalten der E. zu sehen, erst nach Begleichung der Rückstände die Stromversorgung - gegebenenfalls durch einen anderen Energieversorger - wiederherzustellen. Nach den glaubhaften Ausführungen des Antragsgegners meldete sich die Antragstellerin zudem erst am 26.03.2013 telefonisch bei diesem und teilte mit, dass um 09:00 Uhr die Stromzufuhr eingestellt werde. Die Antragstellerin selbst teilt mit, am 27.03.2013 einen Antrag bei dem Antragsgegner zwecks Begleichung der Rückstände gestellt zu haben.

Das Verhalten der Antragstellerin über einen derart langen Zeitraum mit mehrmaligem und damit wiederholtem Auflaufen von Stromschulden spricht dafür, dass billigend in Kauf genommen bzw. nicht gezahlt wurde im Vertrauen darauf, dass der Antragsgegner - wie bereits in der Vergangenheit durch Sozialleistungsträger erfolgt - möglicherweise die wieder aufgelaufenen Schulden schon übernehmen und die Stromsperre verhindern bzw. beseitigen wird. In einem solchen Fall sozialwidrigen Herbeiführens von Rückständen erscheint eine Hilfegewährung nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin hat sich die in der Vergangenheit erfolgte Gewährung der Übernahme von Stromschulden nicht zur Warnung werden und es erneut zum Auflaufen von Stromschulden kommen lassen. Bereits im Beschluss vom 14.04.2008 hat das Sozialgericht K. darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin und ihre Familie ihren Lebensstandard einschränken müssen, um aus ihrem Einkommen und gegebenenfalls Unterkunftsleistungen auch die Stromabschläge zu zahlen. Daher hätte die Antragstellerin nach der bereits in der Vergangenheit erfolgten Übernahme von Stromschulden ihren Stromverbrauch mit den entsprechenden finanziellen Verpflichtungen besser im Auge haben müssen. Ihr weiteres Verhalten, das zu der jetzt geltend gemachten Forderung geführt hat, lässt aber den Schluss zu, dass sie nicht gewillt ist, ihren Stromverbrauch entsprechend einzurichten. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Übernahme von Schulden hat nicht den Sinn, den Leistungsberechtigten immer von der Verantwortlichkeit für sein eigenes Handeln freizustellen. Wer sehenden Auges die von ihm eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen nicht oder nur im unzureichenden Maß erfüllt, muss die Folgen tragen. Dies umso mehr, wenn ihm bereits früher Mittel für Stromschulden gewährt worden sind und er sich sein Verhalten von damals nicht vor Augen geführt hat, sondern wiederum Ursachen für das Auflaufen von Stromschulden setzt (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2012, L 14 AS 2105/12 B ER).

Insbesondere vor diesem Hintergrund ist im Übrigen die Schuldenübernahme nicht etwa allein deswegen schon gerechtfertigt, weil in der Bedarfsgemeinschaft vier Kinder im Alter von 9, 10, 14 und 18 leben, denen das Verhalten der Antragstellerin nicht unmittelbar zum Vorwurf gemacht werden kann. Zwar kommt dem von einer Stromsperre betroffenen Personenkreis, etwa wegen der erhöhten Schutzbedürftigkeit von Kindern, besondere Bedeutung zu. Ein allgemeiner Rechtssatz, wonach das Vorhandensein minderjähriger Kinder stets die Schuldenübernahme rechtfertigen würde, besteht jedoch nicht. Zudem ist zu bedenken, dass die Antragstellerin, die auf die Folgen der Stromsperre für ihre Kinder besonders hingewiesen hat, als Personensorgeberechtigte selbst vorrangig verpflichtet ist, sich um deren Versorgung zu kümmern (vgl. im Übrigen auch SG Nürnberg, Beschluss vom 20.06.2012, S 6 AS 547/12 ER, wonach sich die Kinder das Verhalten ihrer Eltern als ihrer gesetzlichen Vertreter gemäß § 278 Satz 1 Alt. 1 i. V. m. §§ 1626, 1629 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - zurechnen lassen müssen). Es kann letztlich nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen, wenn sie dieser Aufgabe nicht im ausreichenden Maße nachkommt. Erschwernisse hinsichtlich der Nutzung von Haushaltsgeräten wie etwa einer Waschmaschine sind bei der selbst herbeigeführten Situation hinzunehmen. Zudem ist zu beachten, dass der Antragsgegner der Antragstellerin einen Gasheizofen und Gaskocher mit 2 Brennern mitsamt Gasflasche - insbesondere nutzbar zum Kochen und Erzeugen von warmem Wasser - zur Verfügung gestellt hat. Im Übrigen sind insoweit und auch mit Blick auf die Jahreszeit gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht zu befürchten (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.12.2010, L 3 AS 557/10 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.01.2010, L 29 AS 2052/09 B ER). Im Weiteren erfolgte von Seiten des Antragsgegners der telefonische Hinweis an das Gericht, dass der Antragstellerin auch die Übernahme der Aufwendungen für Schwimmbadbesuche im Zusam-menhang mit der Wahrnehmung der Körperhygiene angeboten wurde.

Unabhängig von der Verortung eines missbräuchlichen Verhaltens - ob nun im Rahmen der Rechtfertigung oder des Ermessens - sind Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermes-sensentscheidung im Weiteren nicht ersichtlich. Im Übrigen standen insbesondere nach dem Vortrag des Antragsgegners finanzielle Mittel insbesondere durch Einnahmen bzw. Leistungsbewilligungen zur Verfügung. Ob über die vorigen Ausführungen hinaus Gerichts-, Mahn-, Inkasso- bzw. Sperrkosten überhaupt übernahmefähig sind, braucht im Weiteren nicht entschieden zu werden.

Zu berücksichtigen ist im Übrigen auch die Höhe der mittlerweile aufgelaufenen Forderungen gegen die Antragstellerin, sodass mit einer Rückführung in nennenswertem Umfang in Zukunft nicht zu rechnen ist. Die darlehensweise Bewilligung staatlicher Transferleistungen - mit ungewisser Rückzahlung durch den Darlehensnehmer - hat weiterhin den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit zu genügen. Keinesfalls darf die Transferleistung dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Erstattungsansprüchen freizustellen. Diese Wirtschaftlichkeit ist vorliegend nicht mehr gegeben (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2013, L 2 AS 842/13 ER-B). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin bislang und in der Vergangenheit insbesondere Angeboten des Antragsgegners im Zusammenhang mit einer Schuldnerberatung oder anderen Unterstützungsangeboten nachgekommen ist.

Vor diesem Hintergrund war auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes auch nicht im Einzelnen einzugehen und der Antrag abzulehnen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved