S 14 AS 4304/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 4304/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Sowohl die Aufforderung zur Beantragung vorrangiger Sozialleistungen (hier Altersrente) als auch die eigene Antragsstellung durch den Grundsicherungsträger), bedürfen einer Ermessensausübung. Die Aufforderung zur Beantragung einer vorrangigen Sozialleistung ist ein Verwaltungsakt.
2.) Die Aufforderung zur persönlichen Beantragung vorrangiger Sozialleistungen (hier Altersrente), erledigt sich nicht durch die eigene Antragsstellung durch den Grundsicherungsträger. Die Anfechtungsklage bleibt daher statthaft.
3.) Die Aufforderung zur persönlichen Beantragung vorrangiger Sozialleistungen (hier Altersrente) wird durch die eigene Antragsstellung durch den Grundsicherungsträger nicht vollzogen. Die eigene Antragsstellung ist insbesondere keine Ersatzvornahme im Sinne des Vollstreckungsrechts.
4.) Die eigene Antragsstellung durch den Grundsicherungsträger ist nicht im Sinne eines Folgenbeseitigungsanspruches zurückzunehmen.
5.) Der eigene Antrag des Grundsicherungsträgers kann auch durch den Hilfeempfänger selbst jederzeit noch zurückgenommen werden, er hat aber trotzdem ein Interesse zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der eigenen Antragsstellung des Grundsicherungsträgers.
I. Der Bescheid vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zur eigenen Rentenantragsstellung gegenüber dem beigeladenen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht befugt war. II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Beklagten an den Kläger Altersrente bei der Beigeladenen zu beantragen und über die Rechtmäßigkeit einer erfolgten eigenen Antragsstellung des Beklagten für den Kläger bei der Beigeladenen.

Der 1951 geborene Kläger wurde mit Bescheid vom 26. Juni 2013 aufgefordert Altersrente bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg zu beantragen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2013 zurückgewiesen. Der Kläger beantragte die Rente nicht. Der Beklagte stellte daher mit Schreiben vom 12. Juli 2013 einen eigenen Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg. Diese leitete den Antrag zuständigkeitshalber an die Beigeladene weiter. Über den Rentenantrag ist noch nicht entschieden.

Mit seiner am 16. August 2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Aufhebungsbegehren weiter. Er ist ferner der Auffassung, dass der Beklagte zur Rücknahme des für den Kläger gestellten Rentenantrages im Sinne eines Folgenbeseitigungsanspruches zu verurteilen wäre.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß:

Der Bescheid vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zur eigenen Rentenantragsstellung gegenüber dem beigeladenen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht befugt war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist hierzu im Wesentlichen auf die streitgegenständlichen Entscheidungen.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig. Die Kammer konnte nach § 124 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

II. a) Bezüglich des Bescheides vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2013 ist die erhobene Anfechtungsklage zulässig und begründet. Die richtige Klageart ist auch die Anfechtungsklage. Zunächst handelt es sich bei der Aufforderung zur eigenen Rentenantragsstellung um einen Verwaltungsakt. Die Aufforderung zur Rentenantragsstellung beinhaltet eine hoheitliche Regelung des Einzelfalles durch eine Behörde und hat Außenwirkung (vgl. hierzu § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X); so auch SG Hannover S 68 AS1296/12; i.E. auch LSG NRW L 19 B 371/09 ER). Insbesondere liegt kein Fall eines bloßen vorbereitenden Verwaltungshandelns vor (vgl. hierzu von Wulffen SGB X, 7. Aufl. § 31 Rn 27 und Eicher SGB II, 3. Aufl. § 5 Rn 32), denn die Entscheidung des Beklagten, dass der Kläger aufzufordern war einen Rentenantrag zu stellen, hatte Außenwirkung und diente nicht der bloßen internen Vorbereitung einen eigenen Rentenantrag für den Kläger zu stellen. Der Verwaltungsakt ist auch aufzuheben, denn er hat sich insbesondere nicht durch die Rentenantragsstellung des Beklagten für den Kläger erledigt (womit keine Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 131 Absatz 1 S. 3 SGG als statthafte Klageart in Betracht kommt). Der Begriff der Erledigung wird im SGG nicht definiert. Es ist auf die Dauer der Wirksamkeit in § 39 Absatz 2 SGB X, bzw. die Regelungen zur Nichtigkeit zurückzugreifen (vgl. Meyer-Ladewig SGG, 10. Aufl. § 131 Rn 7a). Wegen der erfolgten eigenen Rentenantragsstellung des Beklagten käme hier nur eine Erledigung wegen Zweckerreichung in Betracht. Die eigene Rentenantragsstellung des Beklagten ersetzt aber nicht den Antrag des Klägers, zumindest nicht solange der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht eine bestandskräftige Entscheidung erlassen hat, denn so lange der eigene Antrag des Beklagten noch zurückgenommen werden kann, bleibt die Verpflichtung des Klägers zur persönlichen Rentenantragsstellung bestehen. Der eigentliche Zweck der Regelung des § 5 Absatz 3 SGB II ist nicht durch eine Rentenantragsstellung erreicht, sondern erst durch die Gewährung bzw. Nichtgewährung anderer, vorrangiger Sozialleistungen.

In diesem Sinne stellt sich der Bescheid vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2013 auch als rechtswidrig dar und verletzt die Rechte des Klägers.

Nach § 5 Absatz 3 S. 1 SGB II können die Leistungsträger nach dem SGB II einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellt. Hierbei steht die eigene Antragsstellung durch den Leistungsträger ("können stellen") in dessen Ermessen (vgl. dazu SG Hannover aaO; Eicher aaO Rn 35). Über den Wortlaut von § 5 Absatz 3 S. 1 SGB II hinaus bedarf aber auch schon die Aufforderung zur Rentenantragsstellung durch den Leistungsempfänger einer Ermessensentscheidung (vgl. dazu LSG NRW aaO; LSG Hessen L 7 AS 88/11 B ER; SG Hannover aaO; Eicher aaO). Diese erweiternde Auslegung ist auch angezeigt, denn andernfalls wäre der Leistungsempfänger, der den Antrag aufforderungsgemäß stellt, benachteiligt, weil in seinem Fall die Ermessensentscheidung vor der Entscheidung der Behörde zur persönlichen Antragsstellung nicht mehr stattfände (vgl. LSG NRW aaO; SG Hannover aaO). Ein entsprechendes Ermessen hat der Beklagte hier nicht ausgeübt. Seine Einlassung, er habe Ermessen ausgeübt, ist nicht zielführend, da sich die Ermessensausübung aus der Entscheidung selbst ergeben muss und nicht aus den Gedankengängen des Sachbearbeiters (vgl. dazu Meyer-Ladewig aaO § 54 Rn 28a). Die Aufforderung zur persönlichen Rentenantragsstellung beinhaltet keinerlei Ermessenserwägungen, so dass die Einlassung des Beklagten neben der Sache ist.

b) Bezüglich des Klagebegehrens, den Rentenantrag des Beklagten zurückzunehmen, ist dieser unzulässig (aA SG Hannover aaO, ohne dies jedoch ausdrücklich zu problematisieren). Zulässig hingegen ist der in der Leistungsklage immanente Feststellungsantrag. Der Leistungsantrag des Klägers beinhaltet die Verfolgung eines Folgenbeseitigungsanspruchs im Sinne des § 131 Absatz 1 S. 1 und 2 SGG. Dieser kann nach dem Wortlaut des Absatzes 1 S. 1 und 2 nur dann greifen, wenn der betroffene Verwaltungsakt bereits vollzogen ist. Wie auch der Begriff der Erledigung ist der Begriff des Vollzugs nicht legal definiert. Der Vollzug eines Verwaltungsaktes wird jedoch (anders als die Erledigung) durch die Behörde vorgenommen. Ein Verwaltungsakt, dem nachgekommen wird, wird nicht vollzogen, er erledigt sich allenfalls. Der Vollzug bezweckt die Umsetzung des Verwaltungsaktes durch die Behörde ggf. mit Zwangsmitteln und wird auch als Vollstreckung bezeichnet (vgl. hierzu die Formulierung in § 16 Absatz 1 VwVG Bbg "Ein Verwaltungsakt wird von der Behörde vollzogen ( )"; Engelhardt/App VwVG/VwZG, 7. Aufl. § 15 Rn 8 sowie § 86b Absatz 1 S. 2 SGG, der zwischen "Vollzug" und "Befolgung" unterscheidet, woraus sich ergibt, dass der Vollzug immer durch die Behörde veranlasst ist). Hierfür hat der Gesetzgeber die Regelungen des VwVG geschaffen (für das Land Brandenburg korrespondieren hierzu die Regelungen des VwVG Bbg). Das VwVG Bbg differenziert hierbei die Vollstreckung in Geldleistungen und die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen (VwVG Bbg Abschnitt II Unterabschnitt I, §§ 15 - 25). Die Verpflichtung zur Stellung eines Rentenantrages ist gerichtet auf die Abgabe einer Willenserklärung, so dass von den Zwangsmitteln des § 17 VwVG Bbg grundsätzlich nur das Zwangsgeld in Betracht kommt (vgl. §§ 17, 20 VwVG Bbg; § 11 VwVG). Daran ändert sich auch nichts durch die Befugnis der Behörde aus § 5 Absatz 3 SGB II einen eigenen Antrag auf Sozialleistungen zu stellen. Hierdurch wird keine Ersatzvornahme im Sinne des § 19 VwVG Bbg vorgenommen, der Verwaltungsakt wird also durch die eigene Antragsstellung des Trägers der Grundsicherungsleistungen nicht vollzogen. Die eigene Antragsstellung der Behörde dient nicht der Umsetzung der Aufforderung zur persönlichen Antragsstellung durch den Kläger. Es handelt sich viel eher um ein aliud. Die Behörde wird auf Grund einer erneuten (internen) Beschlussfassung parallel zur (fruchtlosen) Aufforderung an den Kläger tätig. Es handelt sich um ein Verwaltungshandeln nicht mit dem Ziel die Rentenantragsstellung durch den Kläger zu vollziehen, sondern mit dem Ziel einen eigenen Antrag für den Leistungsempfänger zu stellen. Auch wenn man den Begriff des Vollzuges im Sinne des § 131 Absatz 1 S. 1 u. 2 SGG weiter auslegen wollte als die vollstreckungsrechtliche Umsetzung, beispielsweise im Sinne einer Erledigung, wäre eine Erledigung ebenfalls nicht eingetreten (s. dazu unter a). Daher ist eine Leistungsklage, gerichtet auf Folgenbeseitigungsanspruch im Sinne des § 131 Absatz 1 S. 1 u.2 SGG, hier nicht statthaft.

Statthaft hingegen ist die der Leistungsklage immanente Feststellungsklage. Diese ist auch zulässig, denn der Kläger hat ein Feststellungsinteresse. Dieses entfällt insbesondere nicht dadurch, dass der Kläger auf anderem Wege erreichen könnte, dass die Rentenantragsstellung durch den Beklagten entfiele. Zwar ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger den von dem Beklagten gestellten Antrag selbst zurücknehmen kann, der Beklagte wird ja nur für den Kläger tätig und der Kläger bleibt der Inhaber seiner Rechte (vgl. dazu Eicher aaO Rn 38), die Situation stellt sich also nicht anders dar als wenn der Kläger einen von seinem Bevollmächtigten für ihn gestellten Antrag selbst wieder zurücknehmen würde, dieser Weg ist aber nicht gleich effektiv. Der Kläger würde zum einen damit Gefahr laufen, dass die Aufhebungsentscheidung des Sozialgerichts hier ggf. durch eine Berufung aufgehoben würde, was dazu führen würde, dass der Kläger zur persönlichen Antragsstellung verpflichtet bliebe und die Rücknahme des Antrages des Beklagten durch den Kläger ggf. den Tatbestand von § 34 SGB II erfüllen würde oder ihm ein Verstoß gegen § 2 SGB II vorgeworfen werden könnte, mit für den Kläger nachteiligen Folgen. Zum anderen geht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Antragsstellung durch den Beklagten über eine bloße Rücknahme durch den Kläger hinaus. Denn durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit wird dem Beklagten ebenfalls aufgezeigt, dass im Falle der Wiederholung ein identisches Verhalten des Beklagten rechtswidrig wäre. Diese Feststellung würde bei der bloßen Rücknahme des Antrages nicht getroffen.

Die Feststellungsklage ist auch begründet, denn der eigene Antrag des Beklagten war rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Beklagte hat auch bezüglich der eigenen Antragsstellung kein Ermessen ausgeübt, insofern wird auf die Ausführungen unter a) verwiesen. Die Antragsstellung durch den Beklagten ist zu behandeln wie die Antragsstellung durch einen vollmachtlosen Vertreter im Sinne des § 177 BGB. Die Beigeladene wird daher den Kläger nach § 177 Absatz 2 BGB zur Genehmigung aufzufordern und, sofern diese nicht erfolgt, den Rentenantrag zurückzuweisen haben.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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