L 10 AS 1393/14 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 186 AS 11308/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1393/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2014 wird zurückgewiesen, soweit dieser Beschluss die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen zum Gegenstand hat (L 10 AS 1393/14 B ER). Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz zur Hälfte, weitergehende Kosten sind nicht zu erstatten. Der Beschluss wird aufgehoben, soweit der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W in B abgelehnt worden ist (L 10 AS 1394/14 B ER PKH); dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W in B beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W in B beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (L 10 AS 1393/14 B ER) gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin, mit dem das SG es abgelehnt hat, ihm für die Zeit vom 01. April 2014 bis zum 30. September 2014 weitere Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 158,73 EUR monatlich (mit nicht bestandskräftigem, endgültigem Bescheid vom 22. April 2014 wurden insoweit 181,27 EUR bewilligt) nach § 22 Abs 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlen, ist nicht begründet. Für eine entsprechende Regelungsanordnung iS des § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) fehlt der Anordnungsgrund.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es demnach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an.

Der Anordnungsanspruch ist zweifelsfrei begründet. Der Antragsteller ist durch den (Untermiet-) Vertrag vom 28. August 2012 verpflichtet, für das von ihm unter Mitnutzung von Bad und Küche der Zwei-Zimmer-Wohnung bewohnte möblierte Zimmer einem Mietzins von 340,00 EUR zu entrichten. Er ist insoweit einer wirksamen vertraglichen Verpflichtung ausgesetzt (vgl Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R Rdnr 24, juris; Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 RdNr 15, juris) für eine Verteilung nach Kopfteilen ist in einer solchen Situation, die durch die vertragliche Fixierung der Pflichtenstellung gekennzeichnet ist, kein Raum (BSG Urteil vom 18. April 2008 – B 14/11b AS 61/06 R RdNr 19, 22, juris; Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 161/11 R, RdNr 16, juris). Insoweit geht es nicht darum, was von dem Antragsgegner erwartet werden kann (dessen Schriftsatz vom 08. Juli 2014), sondern um die Anwendung von höchstrichterlich (in nachvoll-ziehbarer Weise) konkretisiertem Gesetzesrecht.

Die begehrte Regelungsanordnung kann dennoch nicht ergehen, weil es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt.

Aus dem Vortrag des Antragstellers ergibt sich nicht mehr, als dass die Kosten der Unterkunft nicht in der Höhe gewährt werden, in der sie tatsächlich anfallen. Welche (allgemein durchaus nahe liegenden) Nachteile daraus gegenwärtig drohen, dh welche konkreten Gefährdungen bezüglich des Erhalts einer Unterkunft eingetreten sind oder zumindest unmittelbar bevorstehen, wird nicht deutlich. Insbesondere ist nicht dargelegt oder erkennbar, dass dem Antragsteller ein gegenwärtiger Nachteil droht. Der Fall gibt keinen Anlass, abschließend abstrakt generell zu präzisieren, welche Anforderungen insoweit im Einzelnen zu stellen sind, denn der Antragsteller hat es bei allgemeinen Überlegungen zur Notwendigkeit vorläufiger Entscheidungen über Leistungen für Unterkunft und Heizung belassen und damit jedenfalls die Anfor-derungen verfehlt, die an die immer einzelfallbezogene Glaubhaftmachung eines besonderen Eilbedürfnisses zu stellen sind, und die nicht "automatisch" entfallen, weil ein Anordnungsanspruch besteht, sondern sich allenfalls vermindern. Dabei wird man im vorliegenden Zusammenhang zusätzliche individualisierte Bemühungen nicht verlangen müssen, wenn ein Räumungstitel erstritten ist (dann kann dem Eilbedürfnis allerdings – wenn vermieterseitig Fortsetzungswille nicht besteht – entgegenstehen, dass "nichts mehr zu retten ist"). Im Regelfall ist nach Auffassung des Senats ein ausreichender Anlass für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegeben, wenn das Bestehen einer Kündigungslage glaubhaft gemacht ist, da dann – von besonderen Sachlagen abgesehen – das Risiko des (bei erfolgreichem Anordnungsverfahren) vermeidbaren Wohnungsverlusts, dem entgegenzuwirken hinreichender Grund für eine einstweilige Regelung ist, konkrete Form angenommen hat. Als einen Anordnungsgrund ausschließende besondere Sachlage würde es der Senat dabei ansehen, wenn im Einzelfall mit der Durchsetzung einer Kündigung – etwa unter nahen Verwandten – nicht zu rechnen ist, wenn eine zu erwartende Kündigungsandrohung/Mahnung unterblieben ist oder wenn die Aufgabe der Wohnung aus anderen Gründen bevorsteht, das Verfahren also nicht dem Erhalt der Wohnung, sondern der Vermeidung von Schulden dienen soll. Der verbreiteten Auffassung, ein Anordnungsgrund bestehe (jedenfalls) erst dann, wenn eine Räumungsklage erhoben ist (etwa Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – L 12 AS 1449/13 B RdNr 12, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juli 2012 – L 18 AS 1867/12 B, juris) folgt der Senat damit nicht, denn zum einen erscheint es nicht zweckmäßig, mit einstweiligem Rechtsschutz erst zu dem Zeitpunkt einzusetzen, zu dem die absehbaren Kosten des Zivilprozesses angefallen sind, zum anderen wird die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Rechtshängigkeit der Räumungsklage mit der Überlegung "gerechtfertigt", diese Handha¬bung führe zu sachgerechten Ergebnissen, weil die Kündigungswirkungen noch durch Zahlung der rückständigen Miete innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs 3 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (durch den Grundsicherungsträger) abgewendet werden könnten. Die Argumentation ist – worauf der Bevollmächtigte des Antragstellers zurecht hinweist – nicht unproblematisch, da sie regelhaft nur dann gilt, wenn die Räumungsklage nicht auch auf eine ordentliche Kündigung gestützt wird, der eine nachträgliche Zahlung innerhalb der Frist des § 569 Abs 3 Nr 2 BGB im Grundsatz nicht entgegensteht (Bundesgerichtshof (BGH) Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04 RdNR 13ff, juris; Urteil vom 10. Oktober 2012 – VIII ZR 107/12 RdNr 28, juris); in diesem Fall bestehen nur beschränkte Abwendungsmöglichkeiten nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles (dazu BGH Urteil vom 16. Februar 2005, aaO, RdNr 20; Urteil vom 10. Oktober 2012, aaO, RdNr 31).

Eine Kündigungslage für eine außerordentliche Kündigung begründet insbesondere ein Mietrückstand von zwei Monatsmieten (§ 543 Abs 3 Nr 3 BGB). Es ist nicht vorgetragen, dass diese Situation besteht. Eine ordentliche Kündigung setzt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses voraus, das in dem hier interessierenden Zusammenhang gegeben ist, wenn der Mieter seine vertraglichen Verpflichtungen nicht unerheblich verletzt (§ 573 Abs 1, Abs 2 Nr 1 BGB). Dies hat der BGH für Fälle rückständiger Miete dahingehend präzisiert, dass die Erheblichkeitsgrenze nicht überschritten sei, wenn der Rückstand eine Monatsmiete nicht übersteigt und zudem die Verzugsdauer weniger als einen Monat beträgt (BGH Urteil vom 10. Oktober 2012, aaO, RdNr 20). Auch zum Bestehen von Rückständen in diesem Umfang ist nicht vorgetragen. Der Eintritt von Verhältnissen, die eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, steht – ausgehend von der nach dem Vortrag gebotenen Annahme, dass derzeit keine Mietrückstände bestehen – auch nicht unmittelbar bevor, da der Antragsteller monatlich für seinen Bedarf an Unterkunft und Heizung Leistungen von mehr als der Hälfte der aufzuwendenden Mietkosten erhält, dh – sofern er seine Zahlungen an den Vermieter auf diesen Be¬trag beschränkt – erst nach mehr als zwei Monaten die Kündigungslage eintritt. In dieser Situation musste sich der Senat keine Rechenschaft darüber ablegen, welche Bedeutung er (etwa für die notwendige Intensität der Glaubhaftmachung drohender Wohnungslosigkeit) der Besonderheit beimisst, dass hier auch nicht abschätzbar geworden ist, ob und ggfs welche persönlichen Interessen des (Unter-)Vermieters die Verhältnisse mitbestimmen. Insoweit erscheint es nicht fern-liegend, dass wirtschaftliche Zugeständnisse oder ein gesteigertes Interesse am Fortbestand der aktuellen Verhältnisse daraus resultieren, dass sich der Vermieter die Option erhalten will, die Wohnung mit zu bewohnen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren in der Sache beruht auf § 193 SGG. Dem Antragsgegner waren die Kosten des Verfahrens erster Instanz teilweise aufzuerlegen, da er den materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers aus § 22 Abs 1 SGB II zu Unrecht in Frage gestellt und damit Anlass für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben hat. Da das SG den Antrag (auch) mit im Ergebnis zutreffenden Ausführungen zum Anordnungsgrund abgelehnt hat, setzen sich die Veranlassungsgesichtspunkte nicht in das Beschwerdeverfahren fort.

Dem Antragsteller war für beide Instanzen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen, da die Rechtsverfolgung im Hinblick darauf, dass der Anordnungsgrundes begründet und die Grundlagen der Bestimmung des Anordnungsanspruchs umstritten sind, nicht ohne Erfolgsaussicht war (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 Abs 1 Satz 1, 121 Abs 2 1. Alt ZPO).

Eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren soweit es die PKH betrifft (L 10 AS 1394/14 B ER PKH) ist entbehrlich; Gerichtskosten werden nicht erhoben und außergerichtliche Kosten werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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