L 4 AS 159/14 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 445/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 159/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26. März 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer und Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) erstrebt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage sowie die Verpflichtung des Beschwerdegegners und Antragsgegners (im Folgenden: Antragsgegner), einen für ihn bei der D. R. M. gestellten Rentenantrag zurückzunehmen.

Der am ... 1950 geborene Antragsteller bezieht mit seiner Ehefrau laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Nach einem vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 24. Oktober 2013 gewährte der Antragsgegner einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 771,63 EUR (Antragsteller: 185,52 EUR Regelbedarf; 200,29 EUR Kosten der Unterkunft [KdU]; Ehefrau: 185,52 EUR Regelbedarf; 200,30 EUR Kosten der Unterkunft [KdU]). Bereits mit Schreiben vom 9. September 2013 hatte der Antragsgegner den Antragsteller aufgefordert, einen Antrag auf Altersrente bei der zuständigen D. R. M. zu stellen. Den dagegen gerichteten Widerspruch vom 10. Oktober 2013 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 24 Oktober 2013 zurück. Dagegen hatte der Antragsteller Klage am 22. November 2013 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben (S 7 AS 2797/13) und gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (S 7 AS 2781/13 ER). In dem Verfahren S 7 AS 2781/13 ER hatte das SG Ermittlungen bei der D. R. M. eingeholt. Dieser bezifferte den aktuellen Anspruch des Antragstellers auf Altersrente auf 690,58 EUR brutto (abzüglich Sozialversicherungsbeiträge) und bei einem Rentenbeginn am 1. Mai 2016 auf 741,85 EUR. Mit Beschluss vom 22. Januar 2014 hatte das SG die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, den für den Antragsteller gestellten Antrag auf Altersrente zurückzunehmen. Dagegen hatte der Antragsgegner kein Rechtsmittel eingelegt und den für den Antragsteller gestellten Rentenantrag beim Rentenversicherungsträger mit Schreiben vom 5. Februar 2014 zurückgenommen. Das Hauptsacheverfahren S 7 AS 2797/13 endete mit einem rechtskräftigen Anerkenntnisgerichtsbescheid zu Lasten des Antragsgegners.

Mit Bescheiden vom 5. Februar 2014 und 12. Februar 2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller erneut auf, bis zum 1. März 2014 einen Antrag auf geminderte Altersrente bei der D. R. M. zu stellen, und führte zur Begründung aus: Die Aufforderung zur Beantragung einer geminderten Altersrente sei eine Ermessensentscheidung. Nach einer Auskunft der D. R. betrage die geminderte Rente 690,58 EUR, was zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Antragsteller ausreiche. Seine Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei gescheitert. Umfangreiche Bemühungen um eine Beschäftigung seien erfolglos geblieben. Eine Aussicht auf die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung innerhalb der kommenden drei Monate bestehe nicht. Die geminderte Rentenhöhe führe nicht zu einem Ausnahmefall nach der sog. Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV). Es lägen auch keine Ausnahmetatbestände zur Vermeidung unbilliger Härten vor. Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller jeweils am 24. Februar 2014 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Der Antragsgegner lasse den Beschluss des SG außer Acht. Die Wiederholung des Verfahrens durch den Antragsgegner sei weder fair noch nachvollziehbar und laufe dem Sinn und Zweck der gerichtlichen Entscheidung zuwider. Von der ermittelten geminderten Altersrente seien allein ca. 76 EUR an die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung abzuführen. Der verbleibende Betrag genüge nicht zur Existenzsicherung. Im Übrigen sei das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht worden, so dass er weiterhin Interesse an einer Beschäftigung habe.

Der Antragsgegner zahlte die Leistungen für März 2014 zunächst nicht aus, verfügte mit Bescheid vom 28. März 2014 die vorläufige Leistungseinstellung und führte zur Begründung aus: Der Antragssteller habe keinen Antrag auf Gewährung einer geminderten Altersrente gestellt, was nun vom Antragsgegner nachgeholt worden sei. Der erstmalige Bezug der geminderten Rente werde daher im laufenden Monat April 2014 erfolgen. Hiergegen legte der Antragsteller am 4. April 2014 Widerspruch ein und wiederholte seine Rechtsauffassung zur rechtswidrigen Leistungseinstellung. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2014 wies der Antragsgegner die Widersprüche vom 24. Februar 2014 gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorrangigen Altersrente als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Die vorzeitige Altersrente unter Abschlägen sei eine vorrangig in Anspruch zu nehmende Leistung im Sinne des § 12a SGB II. Der Fall des § 65 Abs. 4 SGB II sei beim Antragsteller nicht gegeben, da er nicht am 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet habe, sondern dies erst am 5. Dezember 2008 eingetreten sei. Auch die weiteren Einschränkungen gemäß § 13 Abs. 2 SGB II in Verbindung mit der UnbilligkeitsV seien nicht gegeben, so dass eine unbillige Härte nicht festgestellt werden könne. Die Differenz zwischen einer geminderten Altersrente zum 1. Januar 2014 (690,58 EUR) und einer Rente bei einem Rentenbeginn am 1. Mai 2016 (741,85 EUR) betrage 51,27 EUR. Der Antragsteller könne seinen Grundsicherungsbedarf daher aus der geminderten Altersrente vollständig decken. Zudem reduziere sich auch der Leistungsanspruch der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, weil die den Bedarf des Antragstellers übersteigende Rentenzahlung auf deren Bedarf anzurechnen sei. Schließlich bestehe zwischen der geminderten und ungeminderten Altersrente nur eine geringe monatliche Differenz. Der Antragsteller sei seit 1993 mit kurzen Unterbrechungen von geförderten Weiterbildungen und Beschäftigungen auf dem zweiten Arbeitsmarkt arbeitslos. Eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt sei bislang nicht gelungen. Es bestehe diesbezüglich auch zukünftig keine Erfolgsaussicht.

Am 25. Februar 2014 hat der Antragsteller vom SG im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und die Auszahlung der für März 2014 bewilligten Leistungen begehrt. Die Leistungseinstellung für März 2014 sei rechtswidrig. Der Antragsgegner habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, da die vorzeitige Altersrente nicht zur Existenzsicherung ausreiche.

Der Antragsgegner hat sein Vorgehen verteidigt und ausgeführt: Die Auszahlung der für den Monat März 2014 bewilligten SGB II-Leistungen sei zwischenzeitlich veranlasst worden. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 12a SGB II seien dagegen gegeben. Eine Unbilligkeit nach § 13 Abs. 2 SGB II liege nicht vor. Der tatsächliche Bedarf des Klägers betrage 545,29 EUR (Regelbedarf: 345,00 EUR; hälftige KdU: 200,29 EUR). Dieser Bedarf könne einschließlich der zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge aus der zu erwartenden Altersrente voll gedeckt werden. Erhebliche finanzielle Nachteile seien mit Eintritt in die Altersrente nicht verbunden.

Mit Beschluss vom 26. März 2014 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Beschluss vom 22. Januar 2014 im Verfahren S 7 AS 2781/13 ER entfalte keine Wirkungen mehr, da der Antragsgegner nach der Entscheidung neue Bescheide erlassen habe. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei nicht vorzunehmen, da nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide bestünden. Die Voraussetzungen des § 12a Satz 1 SGB II seien gegeben. Der Kläger habe das 63. Lebensjahr vollendet. Die Verpflichtung zur Antragstellung beim Rentenversicherungsträger entfalle auch nicht nach Prüfung der UnbilligkeitsV. Es liege kein Fall des § 3 UnbilligkeitsV vor, da der Antragsteller nicht demnächst eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch nehmen könne. Die ungekürzte Regelaltersrente beginne für den Antragsteller erst am 1. Mai 2016. Eine absehbare Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsgegner habe die notwendigerweise vorzunehmende Ermessensentscheidung erkannt und dieses Ermessen nach Sinn und Zweck des § 12a SGB II ausgeübt. Er habe die UnbilligkeitsV berücksichtigt, ohne diese rechtsfehlerhaft als abschließend zu bewerten. Zwar habe der Antragsgegner versäumt, die Ehefrau des Antragstellers bei der Prüfung einer Hilfebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) einzubeziehen. Dies wirke sich jedoch nicht aus. Zunächst habe der Antragsgegner zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller mit seiner geminderten Altersrente seinen existenzsichernden Grundsicherungsbedarf selbst abdecken könne. Dies gelte auch unter Zugrundelegung der für 2014 zu gewährenden Regelleistung. Das Eintreten einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII sei weder erkennbar noch glaubhaft gemacht. Auch unter Betrachtung der Bedarfsgemeinschaft gelte nichts anderes. Unter Einbeziehung des Einkommens der Ehefrau verringere sich ihre Hilfebedürftigkeit durch die geminderte Altersrente. Auch für die Ehefrau sei keine Hilfebedürftigkeit im Fall des Eintritts der eigenen Altersrente zu erwarten. Die vorläufige Leistungseinstellung im Bescheid vom 28. März 2014 sei jedoch rechtswidrig, da hierfür keine Rechtsgrundlage bestehe. Aktuell habe der Antragsteller noch keine Zahlungsansprüche gegen den Rentenversicherungsträger. Solange keine "bereiten Mittel" zur Verfügung stünden, seien die Leistungen nach dem SGB II weiter auszuzahlen.

Der Antragsteller hat gegen den am 27. März 2014 zugestellten Beschluss am 3. April 2014 Beschwerde beim SG eingelegt und ergänzend ausgeführt: Das SG hätte die Prüfung nicht nur auf die Leistung für März 2014 beziehen dürfen, sondern entsprechend des Bescheides vom 24. Oktober 2013 die Leistungen bis zum 30. April 2014 zusprechen müssen. Die Auswirkungen der geminderten Altersrente seien nicht hinreichend deutlich und das Ermessen damit nicht vollständig ausgeübt worden. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung seien überzogen hoch. Die geforderten Berechnungen, in welcher Weise sich die vorzeitige Altersrente prognostisch auswirken könne, seien für ihn nicht absehbar. So könne die zukünftige Entscheidung des zuständigen Sozialhilfeträgers im Falle des Hilfebedarfs nicht eingeschätzt werden. Auch das Selbstbestimmungsrecht werde verletzt, wenn ein Arbeitswilliger durch die Zwangsverrentung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werde. Die Vorschrift des § 12a SGB II unterliege auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Norm stehe noch aus.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

1. den Beschluss des SG Dessau-Roßlau vom 26. März 2014 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 5. und 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014 anzuordnen,

2. den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, den Rentenantrag bei der D. R. M. vom 28. März 2014 zurückzunehmen.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Senat hat eine Stellungnahme der D. R. M. vom 15. Mai 2014 eingeholt. Hiernach habe es der Rentenversicherungsträger gegenüber dem Antragsgegner abgelehnt, ein Rentenverfahren für den Antragsteller einzuleiten, da die Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung S 7 AS 2797/13 noch immer fortwirke.

Der Antragssteller hat vorgetragen, er habe für die Monate April/Mai 2014 keine Leistungen erhalten. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, dass Hauptsacheverfahren S 7 AS 2797/13 sei mittels Anerkenntnisgerichtsbescheid rechtskräftig abgeschlossen worden. Mit Schreiben vom 26. Mai 2014 habe er der Rechtsauffassung der D. R. M. widersprochen und gehe von der Zulässigkeit seines für den Antragsteller gestellten Rentenantrages aus.

Zwischenzeitlich hat der Antragsgegner mit Bescheiden vom 20. Mai 2014 und vom 16. Mai 2014 gegen die Bedarfsgemeinschaft die Leistungsbewilligung für April 2014 aufgehoben und den Leistungsanspruch für den Bewilligungszeitraum 1. Mai bis 31. Oktober 2014 beschieden. Die dagegen gerichteten Widersprüche hat der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2014 zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Klage sowie einen Antrag auf einstweiligen Rechtschutz gestellt. Das SG hat im Verfahren S 11 AS 1328/14 ER dem Begehren mit Beschluss vom 14. Juli 2014 teilweise stattgegeben. Auf Nachfrage hat der Antragsteller eingeführt, dass er gegen diesen Beschluss keine Beschwerde eingelegt habe.

Wegen weiter Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die zulässigen Anträge sind unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wobei eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur dann in Betracht kommt, wenn die in Streit stehenden Bescheide des Antragsgegners offensichtlich rechtswidrig sind oder aber hinsichtlich deren Rechtmäßigkeit zumindest ernsthafte Zweifel bestehen bzw. eine Vollziehung der angefochtenen Entscheidungen des Antragsgegners eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für den Antragsteller darstellt. Die Tatsachen sind vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft zu machen, § 86b SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderung zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (Bundessozialgericht, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris)

Der Klage des Antragstellers gegen die Bescheide vom 5. und 12. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014, mit dem der Antragsteller sich gegen die Verpflichtung zur Stellung eines vorzeitigen Rentenantrages wendet, hat gem. § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen nicht vor, denn es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 5. und 12. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014.

Der Senat verweist hierzu zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Dessau-Roßlau im Beschluss vom 26. März 2014, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Auch die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe rechtfertigen keine andere Entscheidung. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse), mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse höher als das Vollzugsinteresse einzuschätzen ist. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Bescheides gemäß § 39 SGB II für den Regelfall von einem vorrangigen Vollzugsinteresse ausgegangen ist. Nur ausnahmsweise kann die aufschiebende Wirkung angeordnet werden, wenn ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung des Vollzuges besteht (vgl. BSG, Beschluss vom 29. August 2011, B 6 KA 18/11 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013, L 14 AS 291/13 B ER, jeweils juris; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn 12c).

Diese erforderliche Abwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus, da die angefochtenen Bescheide keinen durchgreifenden Bedenken begegnen.

Rechtsgrundlage für die hier streitige Aufforderung des Antragsgegners an den Antragsteller, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, ist § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach können die Leistungsträger einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte einen solchen Antrag trotz Aufforderung nicht selbst stellt. Auch die Aufforderung zur Stellung des Rentenantrags steht im Ermessen des Leistungsträgers (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013, a.a.O.). § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II setzt dabei eine Pflicht des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen - hier der Rente - voraus. Diese bereits zuvor in §§ 5, 7 und 9 SGB II vorausgesetzte Pflicht, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, wird durch § 12a SGB II nochmals konkretisiert (vgl. BT-Drs 16/7460 S 12 zu § 12a). § 12a SGB II ist dabei in Zusammenhang mit § 65 Abs. 4 SGB II zu prüfen. Dies bedeutet, dass gemäß § 65 Abs. 4 SGB II alle Leistungsberechtigten, die nach dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr in den Genuss der sog. 58er-Regelung kommen können (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Gemäß § 12a Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres gilt dies aber nicht für eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss eine Rente ausnahmsweise dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine ""Unbilligkeit"" gemäß § 13 Abs. 2 SGB II in Zusammenhang mit der ab dem 1. Januar 2008 erlassenen UnbilligkeitsV darstellt. Nach der gesetzlichen Konzeption stellt die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente den Grundsatz und die fehlende Pflicht bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres bzw. bei Unbilligkeit die Ausnahme dar (vgl. zu letzterem BT-Drs. 16/7460 S. 12 zu § 13; LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.).

Der Antragsteller hat – wie der Antragsgegner im Widerspruchsbescheid zutreffend ausführte – erst am 5. Dezember 2008 das 58. Lebensjahr und am 5. Dezember 2013 das 63. Lebensjahr vollendet. Nach den unbestrittenen Darlegungen des Antragsgegners ist die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gescheitert. Es liegt auch erkennbar kein Fall von §§ 2 - 5 UnbilligkeitsV vor. Das gilt auch für § 3 UnbilligkeitsV, nach dem die Inanspruchnahme einer Rente dann unbillig ist, wenn der Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann. Ausweislich der Verordnungsbegründung ist ein Zeitraum von längstens drei Monaten gemeint (vgl. Referentenentwurf zur Unbilligkeitsverordnung Seite 8 unter http://www.bmas.de). Der Antragsteller wird die Regelaltersrente erst ab dem 1. Mai 2016 beziehen können.

Insbesondere hat der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Nach der Begründung der Bescheide vom 5. und 12. Februar 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014 war ihm die Notwendigkeit der Ermessensausübung bekannt. Zudem hat er alle relevanten Gesichtspunkte in die Ermessensabwägungen einbezogen. So hat der Antragsgegner in nachvollziehbarer Weise begründet, warum im vorliegenden Fall durch die vorzeitige geminderte Altersrente für den Antragsteller keine unzumutbare Härte entsteht.

Der Senat kann offen lassen, ob neben den in der Unbilligkeitsverordnung ausdrücklich geregelten Fällen auch weitere Fallgruppen, in denen die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente möglicherweise eine besondere Härte für den Betroffenen darstellt, im Rahmen des § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen sein können (so Geiger in: Münder, LPK-SGB II, 5. Auflage § 12 a Rn. 6; SG D., Beschluss vom 21. Februar 2014, S 28 AS 567/14 ER) oder nicht (so wohl Knickrehm in: Eicher, SGB II, 3. Auflage § 12a Rdn. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013, L 19 AS 291/13 B ER). Jedenfalls liegen weder nach der UnbilligkeitsV noch nach möglichen atypischen Umständen außerhalb des Anwendungsbereichs der UnbilligkeitsV Gründe vor, die eine besondere Härte hätten rechtfertigen können.

Nach dem vom zuständigen Rentenversicherungsträger ermittelten Vergleich zwischen der vorzeitigen geminderten Altersrente sowie der Regelaltersrente am 1. Mai 2016 (741,85 EUR) ergibt sich nur ein geringer Unterschied von 51,27 EUR. Auch die verminderte vorzeitige Altersrente des Antragstellers in Höhe von 690,58 EUR überschreitet den vom Antragsgegner zutreffend ermittelten tatsächliche Bedarf in Höhe von 545,29 EUR (Regelbedarf: 345,00 EUR; Hälftige Kosten der Unterkunft: 200,29 EUR). Dies gilt selbst dann, wenn hiervon die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen werden würden, was einem Nettobetrag von ca. 620,00 EUR entsprechen würde. Erhebliche finanzielle Nachteile sind im Fall des Antragstellers daher nicht zu erwarten. Der Antragsgegner hat zudem auch die möglichen finanziellen Folgen für die Ehefrau des Antragstellers, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, mit in die Ermessensscheidung einbezogen (vgl. Begründung im Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2014). Rechtsnachteile für die Ehefrau sind weder zu erwarten noch vom Antragsteller glaubhaft gemacht. Die vom Antragsteller geäußerte Vermutung, zukünftig möglicherweise von der Sozialhilfe abhängig zu werden, die nicht mit Tatsachen untermauert ist, genügt hierfür nicht.

Auch die vom Antragsteller vertretene Rechtsauffassung zur Verfassungswidrigkeit des § 12a SGB II hält der Senat für nicht überzeugend. So hat sich das BSG in seinem Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 105/11 R, juris, eingehend mit § 12a SGB II auseinandergesetzt und keine Hinweise für eine Verfassungswidrigkeit gefunden. Der Senat sieht keinen Grund, von dieser zutreffenden Bewertung des BSG abzuweichen.

Die Leistungseinstellung ab April 2014 ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Insoweit hat der Antragsteller ein gesondertes Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes beim SG gestellt, das zumindest teilweise erfolgreich war. Dagegen ist der Antragsteller auch nicht weiter vorgegangen. Ein Zahlungsanspruch für April 2014 und spätere Zeiträume kann daher auch nicht mehr in zulässiger Weise im Wege der Antragserweiterung zum Gegenstand des anhängigen Beschwerdeverfahrens gemacht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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