S 41 SO 318/14 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
41
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 SO 318/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Sozialgericht Dortmund

Az.: S 41 SO 318/14 ER

Beschluss

In dem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes

xxxxxxxxxxxxx

Antragsteller

gegen

xxxxxxxxxxx

Antragsgegnerin

hat die 41. Kammer des Sozialgerichts Dortmund am 28.08.2014 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxxxxxxxxxx, beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der - sinngemäße - schriftsätzliche Antrag des Antragstellers (AS),

die Antragsgegnerin (AG) im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu ver-pflichten, die Kosten für seine Versorgung mit neuen Sehhilfen sowie den Ersatz eines abgebrochenen Stiftzahnes als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölf-tes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) zu übernehmen,

hat keinen Erfolg. II. 1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Haupt-sache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Ab¬wendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen An¬ordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorlie-gen eines Anordnungs¬grundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl Anordnungsanspruch als auch An¬ordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.

Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sein. Entscheidend ist insoweit, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzu¬warten. Ein wesentlicher Nachteil liegt vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirt¬schaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes schwere und unzumutba¬re, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsachever¬fahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht mehr summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; NVwZ 2005, 927 ff.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben. Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

a) Ein Anspruch des Antragstellers auf die beantragten Leistungen aus dem SGB XII be-steht bereits deshalb nicht, weil ihm entgegen der Auffassung der Leiterin der Justizvoll-zugsanstalt (JVA) Hagen ein diesbezüglich vorrangiger Anspruch (vgl. § 2 SGB XII) ge-genüber dem Land NRW aus § 25 Abs. 1 Untersuchungshaftvollzugsgesetz NRW (UVollzG NRW) zusteht. Danach haben Untersuchungshaftgefangene Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst insbesondere die ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln.

Zwar trifft es zu, wenn die Leiterin der JVA Hagen in ihrer Entscheidung vom 18.07.2014 darauf hinweist, dass die beantragte Versorgung mit Hilfsmitteln (Sehhilfen) und die pro-thetische Zahnversorgung (Stiftzahn) in § 25 Abs. 1 Satz 2 UVollzG NRW – anders als etwa in § 58 (Bundes-)Stravollzugsgesetz (StVollzG) – nicht ausdrücklich erwähnt werden. Gleichwohl greift der Schluss zu kurz, dass schon deshalb die Kosten für diese Gesundheitsleistungen im Falle von Untersuchungshaftgefangenen wie dem Antragsteller nicht übernommen werden können.

Die Antragsgegnerin weist insoweit zutreffend darauf hin, dass es sich dem Wortlaut nach ("insbesondere") bei § 25 Abs. 1 Satz 2 UVollzG NRW nicht um eine abschließende Aufzählung handelt, und deshalb die vom Antragsteller begehrte Kostenübernahme nicht schon nach dem Wortlaut der Norm ausgeschlossen ist. Die sprachliche Anlehnung des § 25 Abs. 1 Satz 1 UVollzG NRW an § 27 Abs. 1 SGB V sowie der ausdrückliche Verweis hinsichtlich Art und Umfang der Leistungen zur Krankenbehandlung auf das SGB V in § 25 Abs. 2 UVollzG NRW lassen in systematischer Hinsicht auch den Schluss zu, dass jedenfalls grundsätzlich der Leistungsumfang des § 25 UVollzG NRW mit dem des SGB V identisch ist.

Etwas anderes ergibt sich jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des UVollzG NRW. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 14/8631, S. 62) ist zwar "[von] der ausdrücklichen Aufnahme der in § 58 Nr. 2 des Straf-vollzugsgesetzes für den Bereich der Strafhaft geregelten Versorgung mit Zahnersatz abgesehen worden, weil Untersuchungshaft nahezu ausschließlich auf einen derart kurzen Zeitraum beschränkt ist, dass ihre Dauer für eine kunstgerechte prothetische Behandlung nicht ausreichen wird." Gleichwohl steht § 25 Abs. 1 Satz 2 UVollzG NRW der beantragten Kostenübernahme durch das Land NRW zur Überzeugung der Kammer nicht entgegen. Denn die Gesetzesbegründung formuliert, dass von der "ausdrücklichen Aufnahme" einer Regelung zur Versorgung mit Zahnersatz abgesehen wurde, nicht jedoch, dass die Versorgung mit Zahnersatz "ausdrücklich nicht aufgenommen wurde". Zusammen mit dem offenen Wortlaut ("insbesondere"), lässt das gerade nicht den Schluss zu, dass auf Grundlage von § 25 Abs. 1 Satz 2 UVollzG NRW überhaupt keine zahnprothetischen Leistungen mehr erbracht werden können. Vielmehr muss die Norm vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung solche Leistungen jedenfalls dann ermöglichen, wenn die – möglicherweise übertrieben positive – Erwartung des Gesetzgebers über die nahezu ausschließlich "kurzfristige" Untersuchungshaft sich – wie im Fall des seit Februar ständig in Untersuchungshaft befindlichen Antragstellers – nicht erfüllt. Es erscheint insoweit wegen Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz und des besonderen Angewiesenseins des Untersuchungshaftgefangenen auf den Träger des Strafvollzuges auch verfassungsrechtlich geboten, in solchen Fällen über § 25 Abs. 1 Satz 2 UVollzG NRW auch eine zahnprothetische Versorgung, mindestens jedoch eine vorläufige Versorgung des Untersuchungshaftgefangenen – bis zum Beginn der Strafhaft bzw. der Entlassung aus der Untersuchungshaft – zu ermöglichen, die Schmerzen lindert und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands verhindert. Auf Grundlage der Gesetzesbegründung erscheint es überdies weder sinnvoll noch geboten, den Untersuchungshaftgefangenen in solchen Fällen auf den örtlichen Sozialhilfeträger zu verweisen. Denn wenn die Gesetzesbegründung gerade darauf abstellt, ob eine wäh-rend der Untersuchungshaft begonnene Zahnbehandlung auch während der Untersuchungshaft abgeschlossen werden kann, nimmt sie letztlich die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel in den Blick: Eine begonnene Behandlung soll beendet und unnütze Kosten vermieden werden, die entstehen, wenn eine während der Untersu-chungshaft begonnene Behandlung nach der Entlassung nicht zu Ende geführt wird. Der wirtschaftliche Einsatz öffentlicher Mittel scheint jedoch bei Kostentragung durch das Land NRW deutlich besser gewährleistet zu sein, als bei Kostentragung durch den örtlichen Sozialhilfeträger. Denn das Land NRW hat durch die Leiterin der JVA Hagen Einfluss auf eine ganze Reihe solcher Umstände, die den Erfolg der Behandlung und damit letztlich den wirtschaftlichen Einsatz öffentlicher Mittel ermöglichen. Sie entscheidet (mit) z.B. über Haftbedingen und darüber, ob ein Untersuchungshaftgefangener während der Dauer der Behandlung von einer Vollzugsanstalt in eine andere verlegt und der Abschluss der Behandlung dadurch vereitelt wird. Der örtliche Sozialhilfeträger hingegen hat überhaupt keinen Einfluss auf solche den Behandlungserfolg betreffende Faktoren. Nimmt man den Willen des Gesetz-gebers ernst, öffentliche Mittel wirtschaftlich einzusetzen, spricht auch dies für eine Auslegung des § 25 Abs. 1 UVollzG NRW, bei der die beantragten Kosten vom Land NRW zu tragen sind.

Die Gesetzesbegründung enthält keine Hinweise darauf, dass und ggf. warum Hilfsmittel vom Anspruch des Untersuchungshaftgefangenen aus § 25 UVollzG NRW bewusst aus-geschlossen werden sollten. Vor dem Hintergrund dieses entstehungsgeschichtlichen Befundes und mit Blick auf den offenen Wortlaut besteht hinsichtlich der streitgegenständlichen Kosten für die Versorgung des Antragstellers mit neuen Sehhilfen (allenfalls) ein Anspruch aus § 25 UVollzG NRW gegen das Land NRW, der dem Anspruch auf Sozialhilfe vorgeht.

b) Selbst wenn man den obigen Ausführungen zum Bestehen eines Anspruchs aus § 25 UVollzG NRW nicht folgen will, hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die im SGB XII allein einschlägige Anspruchsgrundlage des § 48 SGB XII ("Hilfe bei Krankheit"), die hinsichtlich des Inhalts des Anspruchs des Leistungsempfängers auf das SGB V verweist, fehlt es an der Glaubhaftmachung des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen für eine Versorgung mit Sehhilfen (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Bezüglich der zahnprotheti-schen Versorgung hat der Antragsteller weder den Umfang der begehrten Behandlung noch deren Notwendigkeit hinreichend glaubhaft gemacht.

c) Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen besteht für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung kein Raum. Vielmehr wird der Antragsteller sich wegen der be-gehrten Leistungen erneut an die Leiterin der JVA Hagen wenden und gegen eine etwaige ablehnende Entscheidung über seinen Antrag die vorgesehenen Rechtsbehelfe einlegen müssen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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