S 19 AY 8/14 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AY 8/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 1), 3) und 4) ab dem 15.07.2014 bis auf Weiteres, längstens jedoch bis zum 31.12.2014, Leistungen nach § 3 AsylbLG zu bewilligen. Die Antragsgegnerin wird weiter verpflichtet, der Antragstellerin zu 2) ab dem 15.07.2014 bis auf Weiteres, längstens jedoch bis zum 31.12.2014, Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG in Höhe von ungekürzten Leistungen gemäß § 3 AsylbLG zu bewilligen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Bescheid vom 16.06.2014 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller dem Grunde nach.

Gründe:

I.

Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller zu 1) sowie die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin zu 2), sind Mitglieder einer kosovarischen Roma-Großfamilie, die bis 2009 in H. lebte. Der Antragsteller zu 1) hatte bis 2007 in H. von der Beigeladenen Asylbewerberleistungen bezogen. Er verfügte über eine bis zum 31.12.2009 befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Antragstellerin zu 2) war im Rahmen des ausländerrechtlichen Verteilungsverfahrens der Stadt H. zugewiesen worden. Ihr Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt.

Nachdem der Bruder des Antragstellers zu 1) am 06.06.2009 in H. seine damalige Freundin und deren 5-jährigen Sohn, die ebenfalls Angehörige einer Sinti-Großfamilie sind, mit einem Messer schwer verletzt hatte (was u.a. zu einer dauer-haften Querschnittslähmung des Sohnes führte), nahmen Angehörige der Opferfamilie die Suche nach den Tätern bzw. deren Verwandten auf. Aus Angst vor einer drohenden Blutrache verließ die Familie der Antragsteller zu 1) und 2) daraufhin Hals über Kopf H. und reiste nach C. aus. Nach Verurteilung und Inhaftierung des Bruders des Antragstellers zu 1) sowie nach Geburt des Antragstellers zu 4) am 00.00.0000 sowie der Antragstellerin zu 3) am 00.00.0000, bei denen es sich um die Kinder der Antragsteller zu 1) und 2) handelt, reiste die Familie am 10.04.2013 von C. aus erneut in das Bundesgebiet ein. Sie wurden in einer Notunterkunft untergebracht und bezogen in der Folge von der Antragsgegnerin Asylbewerberleistungen. Die Bescheide der Antragsgegnerin über die Bewilligung von Asylbewerberleistungen enthielten stets folgenden Zusatz:

"Die bewilligte Leistung wird zunächst nur für den im Berechnungsbogen genannten Zeitraum gewährt, da über die Leistungsgewährung grundsätzlich von Monat zu Monat neu zu entscheiden ist. Beginnt die Leistungsgewährung im Laufe eines Monats, wird der anteilige Leistungsanspruch kalendertäglich berechnet. Bei unveränderten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen – bitte beachten Sie diesbezüglich die nachfolgenden Hinweise zur Mitwirkungspflicht – erfolgt jedoch auch für die Folgemonate ohne weiteren schriftlichen Bescheid eine Leistungsgewährung in Gestalt der Auszahlung der Leistungen in der mit diesem Bescheid festgesetzten Höhe".

Zuletzt wurden den Antragstellern mit Bescheid vom 12.05.2014 Asylbewerberleistungen für die Zeit vom 01.06. bis 30.06.2014 bewilligt. Nachdem die Antragsgegnerin von der Bezirksregierung B. die Auskunft erhalten hatte, es existiere für die Antragsteller zu 1) und 2) eine ausländerrechtliche Zuweisung nach H., stellte sie die Asylbewerberleistungen mit Bescheid vom 16.06.2014 "mit Wirkung ab dem 16.06.2014" ein. Zur Begründung führte sie aus, angesichts der nach wie vor bestehenden Zuweisungsentscheidung für die gesamte Familie sei die Beigeladene für die Leistungen zuständig. Die Antragsteller legten unter dem 25.06.2014 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden worden ist.

Am 15.07.2014 haben sich die Antragsteller an das Gericht gewandt und Eilrechtsschutz begehrt. Zur Begründung haben sie auf ihre Mittellosigkeit sowie auf den Umstand verwiesen, dass sie derzeit wegen der nach wie auch für sie als Verwandte drohenden Vergeltung durch die Familie des Opfers an einer Rückkehr nach H. gehindert seien. Mit Bescheid vom 16.07.2014 hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung ihres Einstellungsbescheides vom 16.06.2014 angeordnet.

Die Antragsteller begehren ihrem schriftsätzlichen Vorbringen nach, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen bis auf weiteres, jedenfalls bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch, Asylbewerberleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren,

sowie,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16.06.2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie verweist auf ihre erklärte Bereitschaft, den Antragstellern allenfalls Leistungen für eine Fahrkarte für die Rückkehr nach H. zu erbringen.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Sie sieht jedenfalls ihre Zuständigkeit nicht als gegeben an.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts eine telefonische Auskunft der zuständigen Kriminalhauptkommissarin in H. eingeholt. Danach ist es in der Vergangenheit nicht zu Übergriffen der Familie des Opfers gegenüber der Familie der Antragsteller gekommen. Die Familie des Opfers wohne nach wie vor in H., so dass nicht auszuschließen sei, dass bei Rückkehr der Antragsteller nach H. Vergeltung für die Tat des Bruders des Antragstellers zu 1) geübt werde.

Hinsichtlich der weiteren wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Richtige Antragsart ist ein Antrag auf einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie daneben ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16.06.2014. Zwar hat die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Bescheides vom 16.06.2014 eine "Einstellung" der zuletzt mit Bescheid vom 12.05.2014 gewährten Asylbewerberleistungen verfügt. Angesichts der bisherigen ausdrücklichen Zusätze in den einzelnen Bescheiden bestehen indessen für die Kammer keine Zweifel, dass die bisherigen Bewilligungsentscheidungen der Antragsgegnerin nicht als Dauerverwaltungsakte ergangen sind, sondern sie von Monat zu Monat neu über die zu gewährenden Leistungen entschieden hat. Damit aber stellt sich die "Einstellung" allenfalls als Aufhebung der Bewilligungsentscheidung für die Zeit vom 16.06. bis 30.06.2014 dar; denn ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 12.05.2014 war der Bewilligungszeitraum jenes Bescheides vom 01.06. bis 30.06.2014. Im Übrigen handelt es sich um die Ablehnung künftiger Asylbewerberleistungen (ab dem 01.07.2014). Richtige Klageart wäre im Rahmen eines durchzuführenden Hauptsacheverfahrens folglich eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Da sich die Rechtsschutzform im einstweiligen Rechtsschutz nach der im Hauptsacheverfahren gegebenen Klageart richtet, ist folglich eine Regelungsanordnung richtige Antragsart (dazu unter 1.). Denn es geht um die Verpflichtung der Antragsgegnerin, auch über den 30.06.2014 hinaus Asylbewerberleistungen zu erbringen. Daneben indessen ist ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begrenzt auf die Zeit vom 16.06. bis 30.06.2014 richtige Antragsart (dazu unter 2.). Denn in der Hauptsache wäre gegen die Einstellung für die Zeit vom 16.06. bis 30.06.2014 die Anfechtungsklage richtige Klageart, da bei Obsiegen die Bewilligungsentscheidung vom 12.05.2014 wieder aufleben würde.

1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).

Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die Antragsteller zu 1) und 2) erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG und die Antragsteller zu 3) und 4) die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG. Gleichwohl haben sie keinen Anspruch gegen die Beigeladene auf Erbringung von Leistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG. Denn die Beigeladene ist für derartige Leistungen nicht örtlich zuständig.

Eine Zuständigkeit der Beigeladenen könnte sich allenfalls aus § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ergeben. Danach ist für Asylbewerberleistungen die nach § 10 AsylbLG bestimmte Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte auf Grund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist.

Eine solche Verteilungsentscheidung liegt jedoch im Hinblick auf die Antragsteller zu 1), 3) und 4) nicht vor. Was den Antragsteller zu 1) anbelangt, so folgert die Kammer dies aus dem aktenkundigen Schreiben der Städteregion B1 an die Bezirksregierung B. vom 29.11.2013 (Bl. 226 der Verwaltungsvorgänge) sowie aus den Ausführungen der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren. Da die Antragsteller zu 3) und 4) überdies erst nach der Flucht der Familie aus H. geboren wurden, kann schon deshalb für sie keine Verteilungsentscheidung nach H. vorliegen.

Eine Zuständigkeit der Beigeladenen ergibt sich indessen auch nicht für die Antragstellerin zu 2). Zwar hat in ihrer Person ursprünglich eine Verteilungsentscheidung nach H. vorgelegen. Indessen stellt sich die Frage, ob diese nicht durch die zwischenzeitliche Aus- und Wiedereinreise erloschen ist (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.12.2011 – L 20 AY 4/11 = juris, Rdnr. 86 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerwG). Die Kammer kann es jedoch im Eilverfahren dahin stehen lassen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Zuweisungsentscheidung für die Antragstellerin zu 2) fortbesteht, ergäbe sich keine Zuständigkeit der Beigeladenen, weil die Voraussetzungen des § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG i.V.m. § 11 Abs. 2 AsylbLG vorliegen und damit eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin als zuständiger Behörde des tatsächlichen Aufenthaltsortes gegeben ist.

Hierbei folgt die Kammer der Auffassung, dass in den Fällen des Zuwiderhandelns gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung stets die Behörde des tatsächlichen Aufenthalts des Ausländers nach § 11 Abs. 2 AsylbLG i.V.m. § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG örtlich zuständig ist (VG Gießen, Urteil vom 28.03.2000 – 6 E 1592/98 = juris Rdnr. 15; SG Berlin, Urteil vom 21.01.2009 – S 88 AY 32/08 = juris Rdnr. 20; VG Magdeburg, Urteil vom 13.02.2002 – 6 A 489/01 MD = juris Rdnr. 20) bzw. eine nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG bestehende örtliche Zuständigkeit der Behörde des Zuweisungsbereichs bis zur Rückkehr des Ausländers "ruht" und die Behörde des tatsächlichen Aufenthalts des Ausländers nach § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG örtlich zuständig ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2012 – L 20 AY 7/12 B ER = juris Rdnr. 34; Groth, in: jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 11 AsylbLG Rdnr. 30 f.)

Nach § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG ist die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Dies ist die entsprechende Behörde der Antragsgegnerin, weil die Antragstellerin zu 2) sich seit ihrer Wiedereinreise hier aufhält.

Was den Leistungsumfang anbelangt, darf nach § 11 Abs. 2 AsylbLG die Behörde des tatsächlichen Aufenthaltsortes Leistungsberechtigten, die sich in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten. Zwar liegen diese Voraussetzungen in der Person der Antragstellerin zu 2) vor (soweit man nicht bereits von einem Erlöschen der Verteilungsentscheidung ausgeht, s.o.). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin umfasst die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe jedoch nicht lediglich das Ermöglichen der Rückreise nach H., sondern die vollständigen Leistungen nach § 3 AsylbLG. Zwar beschränkt sich die "nach den Umständen unabweisbar gebotene" Hilfe gemäߧ 11 Abs. 2 AsylbLG in der Regel auf die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. Jedoch kann die unabweisbar gebotene Hilfe auch weitergehende Leistungen umfassen, die bis zu den regulären Leistungen reichen können, wenn Gründe vorliegen, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung unzumutbar erscheinen lassen, (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.02.2014 – L 8 AY 98/13 B ER = juris Rdnr. 37; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.05. 2011 – L 8 AY 31/11 B ER = juris Rdnr. 10 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Denn nach der von der Kammer eingeholten telefonischen Auskunft bei dem zuständigen Kommissariat der Kriminalpolizei in H. besteht nach wie vor eine latente Bedrohungslage und es ist nicht auszuschließen, dass die Familie des Antragstellers zu 1) Vergeltungs- bzw. Racheakten ausgesetzt ist, die Leib und Leben bedrohen, wenn sie nach H. zurückkehrt. Abgesehen vom Grad der Wahrscheinlichkeit einer solchen Vergeltung ist die Kammer bereits angesichts der im Rahmen eines Eilverfahrens im Zweifel zu treffenden Folgenabwägung (dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 = juris) gehalten, zugunsten der Antragsteller zu entscheiden, zumal das Grundrecht der Antragsteller auf Leben und körperlich Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) Beachtung verlangt.

Die im vorliegenden Fall zu erbringende "unabweisbar gebotene Hilfe" umfasst Leistungen auf der Grundlage von § 3 AsylbLG. Denn selbst bei einem ausländerrechtlich zu missbilligenden Auflagenverstoß stellt sich die Frage, ob mit Rücksicht auf das Grundrecht zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das auch nach dem AsylbLG zu beachten ist, der Lebensunterhalt auf dem Niveau des Existenzminimums zu sichern ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.05.2014 – L 20 AY 91/13 B = juris). Da eine solche schwierige Rechtsfrage im Rahmen eines Eilverfahrens regelmäßig nicht zu klären ist, besteht bereits angesichts der zu treffenden Folgenabwägung (s.o.) ein Anspruch auch der Antragstellerin zu 2) auf Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Ein Anordnungsgrund ist gegeben. Denn es wird um existenzsichernde Leistungen gestritten und den mittellosen Antragstellern kann nicht zugemutet werden, den Ausgang des Widerspruchsverfahrens bzw. eines nachfolgenden Klageverfahrens abzuwarten.

Die Kammer hat die zu erbringenden Leistungen nicht lediglich bis zur Entscheidung über den Widerspruch der Antragsteller befristet. Hierin liegt kein Verstoß gegen § 123 SGG, denn die Antragsteller haben "jedenfalls" eine solche Entscheidung begehrt und damit zum Ausdruck gebracht, dass dies lediglich ihrem Mindestbegehren entspricht. Eine Verpflichtung zur Leistung bis zum Ergehen einer Entscheidung über den Widerspruch hält die Kammer schon deshalb nicht für opportun, weil sich bei Erlass eines Widerspruchsbescheides die gesamte Problematik in Kürze erneut stellen dürfte. Auf der anderen Seite erscheint eine Befristung der Verpflichtung zur Leistungserbringung bis zum 31.12.2014 sachgerecht, weil bis zu diesem Zeitpunkt möglicherweise eine neue Verteilungsentscheidung der Bezirksregierung B. vorliegt.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller ist ebenfalls zulässig. Die Kammer verkennt nicht, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung angesichts des zeitlich äußerst beschränkten Regelungsgehalts des Einstellungsbescheides lediglich bedeutet, dass die Leistungen für die Zeit vom 16.06. bis 30.06.2014 auszuzahlen sind und damit ein Zeitraum betroffen ist, der vor Eingang des Eilantrags bei Gericht liegt. Gleichwohl vermag sie ein Rechtsschutzbedürfnis nicht zu verneinen. Denn die Antragsteller haben mit Einlegung des Widerspruchs ihre außergerichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, zumal die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Einstellungsbescheides erst zu einem Zeitpunkt angeordnet hat, als der Eilantrag bereits bei Gericht anhängig war.

Der Antrag ist auch begründet. Maßstab ist eine umfassende Abwägungsentscheidung, in die insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs einzubeziehen sind. Gerade in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung behördlich nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet worden ist, hat im Zweifel das öffentliche Vollzugsinteresse zurückzustehen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 12d m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht die zu treffende Abwägungsentscheidung zugunsten der Antragsteller aus. Denn es spricht einiges dafür, dass der Einstellungsbescheid vom 16.06.2014 in mehrfacher Hinsicht materiell rechtswidrig ist.

Als Rechtsgrundlage für die Einstellungsentscheidung vom 16.06.2014 kommt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht die Vorschrift des § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG in Betracht. Denn hierbei handelt es sich um eine reine Zuständigkeitsbestimmung, nicht indessen um eine Befugnisnorm, auf welche die Aufhebung von bereits bewilligten Leistungen gestützt werden könnte.

Als Rechtsgrundlage für diesen Bescheid kommt allein § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Betracht. Auf die Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X kann sich die Antragsgegnerin demgegenüber schon deshalb nicht stützen, weil keine (nachträgliche) wesentliche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, die dem Bescheid vom 12.05.2014 zu Grunde lagen. Denn unterstellt, es hätte in der Tat für sämtliche Antragsteller eine Zuweisungsentscheidung nach H. bestanden, so wäre der Bescheid vom 12.05.2014 allenfalls ursprünglich rechtswidrig gewesen. Dass die Antragsgegnerin diese Erkenntnis möglicherweise erst nach Erlass des Bescheides vom 12.05.2014 gewonnen hat, reicht für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X nicht aus. Überdies ist zweifelhaft, ob es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 12.05.2014 um einen Dauerverwaltungsakt im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X handelt.

Die Voraussetzungen des § 45 SGB X liegen jedoch nicht vor. Es fehlt bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung vom 12.05.2014, da – wie dargelegt – sämtliche Antragsteller weiterhin Anspruch auf Leistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG haben. Überdies hat die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Rücknahmeentscheidung keinerlei Ermessen ausgeübt. Hierzu war sie im Rahmen des § 45 SGB X verpflichtet (dazu allgemein BSG, Urteil vom 15.02.1990 – 7 RAr 28/88 = juris Rdnr. 21 m.w.N.). Gründe für eine "Ermessensreduzierung auf Null", d.h. auf die Rücknahme als einzig richtige Entscheidung, sind nicht ersichtlich, so dass auch dieser Aspekt zur Rechtswidrigkeit des Einstellungsbescheides vom 16.06.2014 führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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