L 9 AS 490/13 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 436/13 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 490/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 27. Juni 2013 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Juli 2013 (S 25 AS 525/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2013 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

Die am 27. Juni 2013 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 27. Juni 2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. Juli 2013 (S 25 AS 525/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2013 anzuordnen,

hat Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Da der Eingliederungsverwaltungsakt nicht auf eine Geldleistung, sondern auf Handlungspflichten des Antragstellers gerichtet ist, findet eine kostenmäßige Beschränkung der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht statt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. April 2013 - L 12 AS 374/13 B ER - m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung entfalten. Der Antrag ist auch sonst zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Eilantrag zu bejahen. Dieses ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller durch den Eingliederungsverwaltungsakt konkrete Handlungspflichten (hier: Nachweis von Bewerbungsbemühungen) auferlegt werden. Aus diesen Handlungspflichten ergibt sich bereits unmittelbar eine Beschwer im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, so dass der vom Sozialgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bayer. LSG vom 20. Dezember 2012 (L 7 AS 862/12 B ER) vertretenen Auffassung, der Antragsteller begehre vorliegend vorbeugenden Rechtsschutz, er sei daher auf die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine ggf. nachfolgende Sanktionsentscheidung zu verweisen, nicht gefolgt werden kann (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2012 - L 12 AS 1044/12 B ER -). Der Antrag ist auch begründet.

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.

Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen (vgl. Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 39 Rdnr. 7) dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 12c, Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2012, § 39 Rdnr. 16).

Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts vom 12. Juni 2013. Die Regelung unter Nr. 1 des Bescheides vom 12. Juni 2013, wonach die Kosten für schriftliche Bewerbungen zuvor zu beantragen sind, ist unklar. Die Formulierung kann zum einen dahingehend verstanden werden, dass die Kosten für schriftliche Bewerbungen nur erstattungsfähig sind, wenn ein entsprechender Antrag vor dem erstmaligen Entstehen von Ausgaben gestellt wurde mit der Folge, dass die Erstattung verauslagter Kosten (Bewerbungsmappen, Portokosten) insgesamt ausscheidet. Der Wortlaut der Bestimmung kann aber auch so verstanden werden, dass ein Antrag auf Erstattung der Kosten jedenfalls vor Erstellung und Absendung der Bewerbungsunterlagen zu erfolgen hat. Dagegen dürfte die Regelung nicht so verstanden werden können, dass die Erstattung von Kosten lediglich von einem vorher gestellten Antrag abhängig ist. Denn dann hätte es des Wortes "zuvor" in der Bestimmung nicht bedurft. Die Regelung unter Nr. 1 des Bescheides vom 12. Juni 2013 ist daher schon nicht bestimmt genug. Im Übrigen ist es nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller die Kosten jedenfalls für die Anzahl an Bewerbungen, zu der er nach dem Bescheid verpflichtet ist, "zuvor" zu beantragen hat. Eine solche Verpflichtung erscheint ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit auch nicht sinnvoll, da die vorherige Beantragung der Kostenerstattung und die Bescheidung durch den Antragsgegner zu zeitlichen Verzögerungen im Bewerbungsverfahren führt und daher häufig die Erfolglosigkeit solcher Bewerbungsbemühungen zur Folge haben wird. Außerdem fehlt es vorliegend an einer eindeutigen Vorgabe der Anzahl der dem Antragsteller auferlegten Bewerbungsbemühungen. Nach Nr. 2 des Bescheides hat der Antragsteller monatlich jeweils "mindestens 3 - 4" schriftliche Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen. Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt die genaue Anzahl der verlangten Bewerbungsbemühungen nicht erkennen. Es fehlt daher an der hinreichenden Bestimmtheit auch dieser Regelung. Hinzuweisen ist noch darauf, dass sich der Anspruch auf Erstattung von Bewerbungskosten aus § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 12. April 2012 (BGBl. I 579) ergibt.

Fehlt es daher aus den genannten Gründen bereits an der hinreichenden Bestimmtheit der Regelungen des Bescheides, bedurfte es keiner Entscheidung, ob der Eingliederungsverwaltungsakt auch konkrete Bestimmungen darüber enthalten muss, welche Leistungen der Hilfebedürftige für entstehende Bewerbungskosten erhält. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte eine wie im vorliegenden Fall verwendete Formulierung

"Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 45 SGB III."

bereits beanstandet worden, da diese unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit völlig offen lasse, ob und ggf. in welcher Höhe die Kosten für schriftliche Bewerbungen erstattet werden. Letztlich werde lediglich eine Prüfung des zu stellenden Kostenerstattungsantrags anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen in Aussicht gestellt. Erforderlich sei aber, die Leistungen für entstehende Bewerbungskosten individuell und eindeutig unter Benennung der für die Gewährung maßgeblichen Gründe festzulegen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2012 – L 15 AS 77/12 B ER - info also 2012, 220; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Juni 2012 - L 19 AS 1045/12 B ER, L 19 AS 1046/12 B ER -).

Unter Berücksichtigung der erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts vom 12. Juni 2013 überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage ist nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGG grundsätzlich ganz anzuordnen, wenn sich einzelne Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II als rechtswidrig erweisen. Eine Eingliederungsvereinbarung bzw. ein sie ersetzender Verwaltungsakt stellt sich als das Instrument einer auf den Einzelfall angepassten Eingliederungsstrategie mit einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen dar, so dass die für die Teilbarkeit eines derartigen Verwaltungsakts erforderliche Annahme, dass dieser von der Behörde auch ohne die als rechtswidrig erkannten Regelungen erlassen worden wäre, grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2012 L 15 AS 77/12 B ER - info also 2012, 220; a. M. LSG Hamburg, Beschluss vom 10. April 2013 - L 4 AS 93/13 B ER -; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 15 Rdnr. 61).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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