L 18 AS 672/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 AS 1310/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 672/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2013 geändert. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 13. Januar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 19. April 2011 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 wird aufgehoben, soweit der Beklagte darin die Bewilligung von Leistungen gegenüber der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 in Höhe eines Betrages von insgesamt mehr als 520,28 EUR aufgehoben und die Erstattung eines darüber hinaus gehenden Betrages gefordert hat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010.

Die 1975 geborene Klägerin lebte im Streitzeitraum mit ihren 1997 bzw 2003 geborenen Kindern, den (früheren) Klägern zu 2) und 3), und ihrem Lebensgefährten A G (im Folgenden: G) in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. November 2009 hatte die Klägerin einen Schlaganfall erlitten, aufgrund dessen sie seither auf Dauer außerstande ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Mit Weiterbewilligungsantrag vom 20. Juli 2010 beantragten die Klägerin und ihre Kinder SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. August 2010, wobei die Klägerin darauf hinwies, im Juni 2010 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung (EM) gestellt zu haben. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 20. Juli 2010 der Klägerin, ihren Kindern und G für die Zeit vom 1. August 2010 bis 31. Januar 2011 Leistungen, wobei für den streitigen Zeitraum auf die Klägerin monatlich 452,57 EUR (Regelleistung 323,- EUR zzgl Leistungen für Unterkunft und Heizung - KdU- 129,57 EUR) und die Kinder monatlich jeweils 196,57 EUR (Regelleistung 67,- EUR zzgl KdU 129,57 EUR) entfielen. Mit Änderungsbescheid vom 10. August 2010 übernahm der Beklagte zudem den Zusatzbeitrag der Klägerin zur gesetzlichen Krankenversicherung iHv 8,- EUR monatlich.

Aufgrund einer seit 7. November 2009 auf Dauer vorliegenden vollen EM bewilligte die DRV der Klägerin mWv 1. Juni 2010 Rente wegen voller EM iH eines monatlichen Zahlbetrags von 765,81 EUR (Bescheid vom 2. September 2010); die Rente wird laufend seit 1. November 2010 gezahlt. Seit dem 5. Januar 2010 sind bei der Klägerin zudem ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen "G", "aG" und "H" anerkannt (Schwerbehindertenausweis des Landesamtes für Versorgung und Soziales Potsdam vom 6. September 2010). Nach Anhörung der Klägerin (Schreiben vom 29. November 2010) hob der Beklagte die Bewilligung der SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 auf, und zwar gegenüber der Klägerin in vollem Umfang, dh iHv 905,14 EUR, und gegenüber den Kindern jeweils iH gezahlten Sozialgeldes von insgesamt 126,30 EUR (Bescheid vom 13. Januar 2011); ein Gesamtbetrag von 1.157,74 EUR sei zu erstatten. Hinsichtlich der Kinder erging der an die Klägerin gerichtete Bescheid als deren gesetzliche Vertreterin. Mit weiterem Bescheid vom 13. Januar 2011 stellte der Beklagte die Leistungen an G und die Kinder für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 neu fest. Im Widerspruchsverfahren erteilte der Beklagte den Bescheid vom 19. April 2011, mit dem er hinsichtlich der Kinder die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 auf jeweils 88,94 EUR und den Gesamtbetrag der Erstattung somit auf 1.083,02 EUR reduzierte; zugleich stellte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 19. April 2011 die Leistungen an die Kinder sowie G für den Streitzeitraum entsprechend neu fest. Der Widerspruch im Übrigen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 21. April 2011).

Im Klageverfahren haben die Klägerin und die seinerzeitigen Kläger zu 2) und 3) geltend gemacht, dass der Beklagte, der von der Rentenantragstellung gewusst habe, nicht berechtigt gewesen sei, einen endgültigen Bescheid zu erteilen. Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebungsentscheidung des Beklagten könne daher nur § 45 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) sein, dessen Voraussetzungen insoweit nicht erfüllt seien. Auch eine entsprechende Anhörung sei nicht erfolgt. Nachdem der Beklagte seine gegenüber der Klägerin geltend gemachte Erstattungsforderung um 124,86 EUR auf 780,28 EUR ermäßigt und die Änderungsbescheide vom 13. Januar 2011 und 19. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 (W 611/11) aufgehoben hatte, hat das Sozialgericht (SG) Potsdam die auf Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 13. Januar 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. April 2011 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Januar 2013). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide seien nach § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt. Die erforderliche Anhörung sei erfolgt. Der Beklagte habe sich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) stützen dürfen. Die Bewilligungsentscheidung sei nicht anfänglich objektiv rechtswidrig gewesen. Der Beklagte habe insbesondere trotz bekannter Antragstellung auf EM-Rente eine endgültige Entscheidung treffen dürfen. Die Voraussetzungen des § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III für eine vorläufige Entscheidung hätten nicht vorgelegen. Die Aufhebungsentscheidung sei auch in der Sache rechtmäßig. Die Einkommensanrechnung habe entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur "gemischten" Bedarfsgemeinschaft zu erfolgen. Danach habe im Streitzeitraum das um die Versicherungspauschale iHv 30,- und die Kfz-Haftpflichtversicherung iHv 28,76 EUR bereinigte Renteneinkommen der Klägerin zu 1) iHv 707,05 EUR den Gesamtbedarf der Klägerin iHv 507,57 EUR (Regelleistung 323,- EUR zzgl KdU 129,57 EUR zzgl Mehrbedarf für Schwerbehinderte mit Merkzeichen "G" 55,- EUR) überstiegen, so dass der Klägerin zu 1) keine SGB II-Leistungen zugestanden hätten und die Erstattungsforderung nach Maßgabe von § 40 Abs. 4 SGB II auf 780,28 EUR - wie von dem Beklagten anerkannt – zu reduzieren gewesen sei. Das übersteigende Renteneinkommen der Klägerin zu iHv 199,48 EUR habe der Beklagte zutreffend nach der Bedarfsanteilsmethode zu jeweils 22,3 % auf den Bedarf der Kinder, der Kläger zu 2) und 3), iHv – nach Abzug des jeweiligen Kindergelds iHv 184,- EUR - jeweils 196,57 EUR angerechnet, woraus sich ein Aufhebungs- und Erstattungsbetrag iHv jeweils 44,47 EUR errechne.

Mit der Berufung verfolgt nach Berufungsrücknahme der Kinder (nur) noch die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Nach Maßgabe der Rechtssätze des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 29. November 2012 (- B 14 AS 6/12 R -) hätte der Beklagte vor der Entscheidung über den Rentenantrag keine endgültige Bewilligungsentscheidung treffen dürfen. Eine rückwirkende Aufhebung habe daher nur nach § 45 SGB X erfolgen dürfen, wofür die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Selbst bei einer Aufhebung nach § 48 SGB X infolge des Zuflusses der EM-Rente hätte die Einkommensanrechnung nicht nach den Grundsätzen der sog gemischten Bedarfsgemeinschaft erfolgen dürfen, sondern nach der horizontalen Berechnungsmethode, da auch der ursprüngliche Bescheid noch von ihrer Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausgegangen sei. Maßgebend sei daher die Probeberechnung des Beklagten im Schriftsatz vom 19. März 2014.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 29. Januar 2013 und den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 13. Januar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 19. April 2011 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 (W 613/11) aufzuheben, soweit der Beklagte darin die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 in einer den Betrag von insgesamt 483,10 EUR übersteigenden Höhe aufgehoben und die Erstattung eines entsprechenden Betrages gefordert hat.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die von der Klägerin in Bezug genommene BSG-Entscheidung sei hier nicht einschlägig. Im Übrigen sei hier nach den Grundsätzen der gemischten Bedarfsgemeinschaft das zugeflossene Einkommen zu verteilen gewesen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakten des Beklagten (Band 1 bis 4) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin – die früheren Kläger zu 2) und 3) haben ihre Berufung im Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen – ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die mit der statthaften isolierten Anfechtungsklage angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide – zuletzt vom 19. April 2011 – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011 sind rechtswidrig, soweit der Beklagte für den in Rede stehenden Zeitraum vom 1. November 2010 bis 31. Dezember 2010 die Bewilligung von Leistungen an die Klägerin in einer monatlichen Höhe von mehr als 260,14 EUR (insgesamt 520,28 EUR) aufgehoben hat und die Erstattung darüber hinausgehender monatlicher Beträge fordert; im Übrigen ist die Berufung nicht begründet und war zurückzuweisen.

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage statthaft. Die seinerzeit zeitgleich ergangenen Neufeststellungsbescheide, die mit den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden eine "Bescheideinheit" bildeten, hat der Beklagte im Verhandlungstermin beim SG aufgehoben.

Entscheidend für den vorliegenden Rechtsstreit ist zunächst, ob die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufhebungsentscheidung am Maßstab des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (hier in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I 1706) iVm § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X oder an der Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 45 Abs. 1, Abs. 2 bis 4 SGB X zu messen ist. Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab (vgl BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R = SozR 4-1300 § 45 Nr 12; BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4; BSGE 65, 221, 222 = SozR 1300 § 45 Nr 45 S 141; vgl auch BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 45/09 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 36). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen (vgl BSG SozR 4-1300 § 45 Nr 12; BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1). Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl BSG SozR 4-1300 § 45 Nr 12; BSG, Urteil vom 21. Februar 2011 - B 4 AS 21/10 R = BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39).

Vorliegend ist der Bewilligungsbescheid vom 20. Juli 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. August 2010 nicht schon deshalb anfänglich objektiv rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte – wie die Klägerin meint - keine endgültige Entscheidung hätten treffen dürfen. Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist zwar kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht, zB bei bestehendem Arbeitsverhältnis mit schwankender Entlohnung. In derartigen Fällen ist typischerweise der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr.1a SGB II (seit 1. Januar 2011 § 40 Abs. 2 Nr 1 SGB II)iVm § 328 Abs. 1 SGB III eröffnet. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Aufhebung einschlägige Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X wäre demgegenüber nur dann anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergibt (vgl BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R = SozR 4-1300 § 45 Nr 13; BSG SozR 4-1300 § 45 Nr 12; BSG vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 21/10 R = BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39 unter Hinweis auf BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1).

Der Beklagte hat indes nicht aufgrund eines nicht vollständig aufgeklärten und aufklärbaren Sachverhalts entschieden, weil zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidung(en) der Klägerin kein Einkommen zugeflossen war und auch nicht absehbar war, ob die Klägerin aus einer etwaigen EM-Rentenbewilligung (zukünftig) Einkommen erzielen würde. Dem Beklagten war zwar die Rentenantragstellung der Klägerin bekannt und er wusste zudem, dass aufgrund des am 7. November 2009 erlittenen Schlaganfalls Zweifel an der Erwerbsfähigkeit der Klägerin bestanden. Dies allein rechtfertigt bzw verpflichtet den Beklagten aber nicht, über die Bewilligung von SGB II-Leistungen dann nur vorläufig zu entscheiden. Dies folgt bereits aus § 44a SGB II in der hier noch heranzuziehenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) (im Folgenden: alter Fassung – aF -). Diese Vorschrift statuiert eine "Nahtlosigkeitsregelung" nicht nur für den Fall, dass zwischen den Leistungsträgern tatsächlich Streit über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit besteht. Vielmehr gilt § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II aF mit seiner endgültigen Zahlungspflicht des SGB II-Trägers auch für den Fall, dass der SGB II-Träger von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgeht, sich aber nicht um eine Klärung der Angelegenheit mit dem zuständigen Sozialhilfeträger bemüht (vgl BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 2 mwN). Ist der SGB II-Träger daher in den genannten Fallgestaltungen zur endgültigen Leistung verpflichtet, kann nichts anderes gelten, wenn ein EM-Rentenantrag gestellt worden ist, über den aber – und damit auch nicht über das Vorliegen voller EM auf Dauer - noch keine Entscheidung vom zuständigen Rentenversicherungsträger ergangen ist. Im Übrigen folgt aus dem Vorliegen voller EM auf Dauer ohnehin nicht ohne weiteres, dass auch fehlende Erwerbsfähigkeit iS der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II vorliegt. Nach Maßgabe von § 44a SGB II aF war der Hilfebedürftige bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle vielmehr "bereits im Vorfeld so zu stellen, als sei er erwerbsfähig" (vgl BSG aaO). Demgemäß ist der Beklagte verfahren.

Die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten vom 20. Juli 2010 bzw 10. August 2010 waren auch nicht deshalb anfänglich objektiv rechtswidrig, weil die Klägerin schon bei Bekanntgabe der Bescheide nicht erwerbsfähig iS der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II war. Zwar steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die schwerstbehinderte und hilflose Klägerin seit ihrem Schlaganfall vom 7. November 2009 auf Dauer nicht mehr iSv § 8 Abs. 1 SGB II in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, dh auch zum Zeitpunkt der Verlautbarung der Bewilligungsentscheidungen. Hieraus folgt indes nicht, dass diese Entscheidungen anfänglich objektiv rechtswidrig waren. Denn aus der Tatsache fehlender Erwerbsfähigkeit der Klägerin als solcher folgt kein allgemeiner SGB II-Leistungsausschluss (wie etwa beim Bezug von Altersrente nach § 7 Abs. 4 SGB II). Vielmehr kommt bei nicht Erwerbsfähigen, die – wie hier die Klägerin – mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (G) in Bedarfsgemeinschaft lebten, ein Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der hier noch heranzuziehenden, bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF; jetzt § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II) in Betracht, soweit kein Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches – Sozialhilfe – (SGB XII) besteht (vgl BSG aaO; vgl aber BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 51/09 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 23: wer vom Leistungsbezug gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II ausgeschlossen ist, "kann keine eigenen rechtlichen Ansprüche im Rahmen des SGB II geltend machen"), was bei der Klägerin der Fall war. Der Beklagte selbst hat hierauf ausdrücklich und zutreffend mit seinem Schriftsatz vom 19. März 2014 hingewiesen. Selbst wenn aber von einem objektiv bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen vorliegenden generellen Leistungsausschluss der Klägerin aufgrund fehlender Erwerbsfähigkeit auszugehen wäre, wäre indes nicht von einer anfänglich objektiven Rechtswidrigkeit iSv § 45 SGB X auszugehen. Denn auch in diesen Fällen noch nicht endgültig festgestellter Erwerbsunfähigkeit ist der Betreffende nach § 44a SGB II so zu stellen, als sei er erwerbsfähig.

Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung des Beklagten kann somit nur § 48 SGB X sein. Im Übrigen wäre der Beklagte auch bei Annahme einer anfänglich objektiv rechtswidrigen Bewilligung wegen fehlender Erwerbsfähigkeit der Klägerin berechtigt und verpflichtet gewesen, wegen nachträglich geänderter Verhältnisse die Bewilligungsentscheidung für den streitigen Zeitraum nach 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (teilweise) aufzuheben. Der Verwaltungsakt ist danach zwingend (vgl § 330 Abs. 1 Satz 3 SGB III) mWv Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. § 48 SGB X ist auch auf anfänglich rechtswidrige Dauerverwaltungsakte anwendbar, wenn sich die Verhältnisse nachträglich ändern. § 45 SGB X sperrt die Aufhebung nach § 48 SGB X wegen einer nachträglichen Änderung in jenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, auf denen die (ursprüngliche) Rechtswidrigkeit nicht beruht, nicht (vgl BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R – mwN aus der Rspr des BSG).

Durch den Zufluss der laufenden EM-Rentenzahlbeträge im November und Dezember 2010 iHv jeweils 765,81 EUR erzielte die Klägerin Einkommen iSv § 11 SGB II aF. Dieses Einkommen ist – nach Bereinigung um die Versicherungspauschale iHv 30,- EUR monatlich und die Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung iHv 23,68 EUR - anzurechnen, und zwar entgegen der Auffassung des Beklagten nicht nach den Grundsätzen einer "gemischten" Bedarfsgemeinschaft. Der von dem Beklagten mit Bescheid vom 10. August 2010 übernommene GKV-Zusatzbeitrag der Klägerin iHv 8,- EUR monatlich ist indessen nicht abzusetzen, da der Beklagte die Bewilligung insoweit nicht aufgehoben hat und der entsprechende Bewilligungsbescheid vom 10. August 2010 insoweit weiter den Rechtsgrund für diese Leistung jedenfalls für den Streitzeitraum bildet.

Die Klägerin unterfiel im streitigen Zeitraum keinem Leistungsausschluss vom SGB II (wie etwa beim Bezug von Altersrente nach § 7 Abs. 4 SGB II). Vielmehr hatte sie als nicht Erwerbsfähige, die – wie hier im Streitzeitraum – mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (G) im gemeinsamen Haushalt als Partner der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr 3c SGB II in Bedarfsgemeinschaft lebte, einen Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF, da kein Anspruch auf "Leistungen" nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bestand (vgl BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R -). Aufgrund der bedarfsdeckenden EM-Rente stand ihr kein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII zu – was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist -, so dass auch der in § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB II geregelte Vorrang, der auf "Leistungen", nicht aber einen dem Grunde nach bestehenden Leistungsanspruch nach dem Vierten Kapitel des SGB XII abhebt, hier nicht zum Tragen kommt (vgl auch LSG Thüringen, Beschluss vom 7. Juli 2005 – L 7 AS 334/05 ER – juris, in dem Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII aufgrund eines entgegenstehenden Rentenanspruchs nicht gewährt wurden). Der Nachrang des Sozialgeldes reicht aber nur "soweit", als Leistungen nach den §§ 41 ff SGB XII gewährt werden (Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rz. 5; Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl § 28 Rn 14). Die Klägerin gehörte als dauerhaft voll erwerbsgeminderte Person zwar zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis für eine Leistung nach §§ 41 ff SGB XII, Leistungen hiernach werden ihr jedoch weder gewährt noch hatte sie einen individuellen Leistungsanspruch, da sie ihren Lebensunterhalt aus ihren Rentenzahlungen beschaffen konnte (§ 41 Abs. 2 SGB XII).

Das für die Berechnung nach den Grundsätzen einer gemischten Bedarfsgemeinschaft herangezogene und zutreffende Argument, dass eine Bedarfsunterdeckung bei dem vom SGB II-Leistungsbezug Ausgeschlossenen zu vermeiden ist, greift hier daher nicht. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II aF bestimmt, dass jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gilt, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Hieraus folgt, dass zunächst der Bedarf jeder Person einzeln und hieraus der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln ist. In einem weiteren Schritt wird dieser Gesamtbedarf dem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenübergestellt. Der danach nicht durch Einkommen gedeckte Gesamtbedarf wird alsdann im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfs am Gesamtbedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt. Dieses gilt auch in den Fällen, in denen das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt. Ist allerdings ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, ist § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II einschränkend dahingehend auszulegen, dass als Gesamtbedarf nur der Bedarf der hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzusehen ist. Diesem Gesamtbedarf ist das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüberzustellen, das sich nach Abzug des eigenen Bedarfs des nicht hilfebedürftigen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft ergibt (vgl zum Ganzen grundlegend BSG, Urteil vom 15. April 2008 – B 14/7b AS 58/06 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 5). Grund hierfür ist, dass der vom Leistungsbezug nach dem SGB II Ausgeschlossene ansonsten den auf ihn entfallenden Anteil am Gesamtbedarf nicht geltend machen könnte und auch Sozialhilfe nicht beanspruchen könnte, weil sein Einkommen nach § 19 SGB XII zuerst auf seinen eigenen Bedarf angerechnet würde. So liegt der Fall hier aber gerade nicht, weil die Klägerin "zumindest potenziell anspruchsberechtigt nach dem SGB II" (vgl BSG aaO Rn 48) ist, und zwar nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF, und somit der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft bei einer Geltendmachung der Einzelansprüche gedeckt werden kann und hier durch die bewilligten Leistungen in dem in Rede stehenden Zeitraum auch tatsächlich gedeckt wurde, eine tatsächliche Unterdeckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft somit gar nicht vorlag.

Aus dem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010 ( – B 14 AS 51/09 R -) folgt keine andere Beurteilung. Denn dort war über eine Bewilligung von SGB II-Leistungen an einen bereits bei Antragstellung im Bezug von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer stehenden Kläger zu befinden. Hier war der Beklagte demgegenüber allein berechtigt (und verpflichtet), nach Maßgabe von § 48 SGB X die der Klägerin bereits bestandskräftig bewilligten SGB II-Leistungen wegen zugeflossener EM-Rentenzahlbeträge rückwirkend insoweit aufzuheben, als dieser Einkommenszufluss zum Wegfall oder zur Minderung des (bewilligten) SGB II-Leistungsanspruchs geführt hatte. Zwar sind bei einem Eingriff in die Bestandskraft auf der Grundlage von § 48 SGB X auch die weiteren, Grund und Höhe der bewilligten Leistungen betreffenden Berechnungsfaktoren zu prüfen (vgl für § 48 SGB X: BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 60). Vorliegend erfolgte die Bewilligung indes auf der Grundlage, dass gemäß § 44a SGB III aF die Klägerin so zu stellen war, als sei sie erwerbsfähig. Hieran kann auch die nachträgliche Berücksichtigung des Renteneinkommens nichts ändern.

Es ergibt sich danach folgende Berechnung für den Streitzeitraum: Auszugehen ist – wie dargelegt - von einem bereinigten monatlichen Einkommen der Klägerin iHv 712,13 EUR, nicht – wie vom SG errechnet – iHv 707,13 EUR. Dieses Einkommen ist nach der horizontalen Berechnungsmethode anzurechnen, wobei ein Bedarf der Klägerin – einschließlich dem in der Probeberechnung vom 19. März 2014 nicht berücksichtigten Mehrbedarf für Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "G" nach Maßgabe von § 28 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 SGB II aF - iHv 507,57 EUR monatlich (Regelbedarf – 323,- EUR - zzgl KdU – 129,57 zzgl Mehrbedarf – 55,- EUR), des G von 488,54 EUR monatlich (Regelbedarf zzgl Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung iHv 36,- EUR zzgl anteilige KdU), und der Kinder – abzüglich des jeweils nur ihnen zuzurechnenden Kindergeldes iHv 184,- monatlich (vgl § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II), das bereits bei der Ermittlung ihres individuellen Bedarfs in Abzug zu bringen ist (vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr Rn 24) – von jeweils 196,57 EUR monatlich zugrunde zu legen ist (Gesamtbedarf 1.389,25 EUR monatlich). Die Bedarfsanteile für die Einkommensverteilung (vgl § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) belaufen sich auf 36,53 % (Klägerin), 35,17 % (G) bzw jeweils 14,15 % (Kinder). Die Bewilligung von Leistungen an die Klägerin durfte daher nur iHv monatlich 260,14 EUR (36,53 % von 712,13 EUR) aufgehoben werden, für beide Monate insgesamt iHv 520,28 EUR. Die Erstattungspflicht der Klägerin folgt insoweit aus § 50 Abs. 1 SGB X. Eine Reduzierung der Erstattungsforderung nach § 40 Abs. 4 SGB II kommt nicht in Betracht, weil der Klägerin die KdU-Leistungen verbleiben. Soweit der Beklagte eine darüber hinausgehende Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung verfügt hat, sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und unterlagen der Aufhebung.

Eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin ist erfolgt. Die angefochtenen Aufhebungsentscheidungen erweisen sich auch als inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF iVm § 33 Abs. 1 SGB X) und sind nicht schon aus diesem Grund materiell rechtswidrig. Es ließ sich zweifelsfrei auch unter Berücksichtigung der zeitgleich ergangenen Neufeststellungsbescheide ersehen, welche Leistungen in welcher Höhe gegenüber welchem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und damit auch der Klägerin aufgehoben werden sollten (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R -). Auch die Aufhebungsfrist nach § 48 Abs. 4 SGB X iVm § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hat der Beklagte gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ergeht nur für das Klage- und Berufungsverfahren, weil der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach bereits anerkannt hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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