L 6 AS 22/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 37 AS 5305/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 22/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 39/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. d.Kl. zurückgewiesen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.11.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den automatisierten Datenabgleich gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der im Jahr 1970 geborene Kläger erhielt vom Beklagten von Mai 2005 bis November 2006 Leistungen nach dem SGB II. Über den automatisierten vierteljährlichen Datenabgleich gemäß § 52 SGB II erhielt der Beklagte noch während des laufenden Leistungsbezugs Kenntnis davon, dass der Kläger im Jahr 2004 Einkünfte aus Vermögen erzielt hatte und forderte ihn vergeblich auf, die Höhe seines Vermögens sowie seine Kapitalerträge zu belegen. Der Beklagte entzog bzw. versagte dem Kläger daraufhin Leistungen nach dem SGB II. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel des Klägers blieben ohne Erfolg, da der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen der Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen habe (LSG NRW, Urteil vom 25.03.2013 - L 20 AS 39/08). Seit August 2012 erhält der Kläger wieder fortlaufend Leistungen, die der Beklagte vorläufig bewilligte.

Am 27.12.2012 hat der Kläger Klage erhoben mit der er sich gegen die Durchführung des automatisierten Datenabgleichs nach § 52 SGB II gewendet hat. Das Gesetz stelle nicht sicher, dass nur Daten aus dem Zeitraum des Leistungsbezugs erhoben würden, vielmehr würden auch außerhalb liegende Daten übermittelt. Der automatisierte routinemäßige Datenabgleich in dieser gesetzlichen Form verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Kläger hat beantragt,

1) dem Beklagten aufzuerlegen, den Datenabgleich gemäß § 52 SGB II zu unterlassen,
2) die Rechtswidrigkeit des Datenabgleichs gemäß § 52 SGB II festzustellen, soweit dieser erfolgt ist,
3) die übermittelten Daten zu löschen, soweit Daten gemäß § 52 SGB II übermittelt worden sein.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren, mit dem der Kläger die Durchführung eines Datenabgleich verhindern wollte, ist erfolglos geblieben (Beschluss vom 12.2.2013 - S 37 AS 5304/12 ER und Beschluss des LSG NRW vom 28.3.2013 - L 7 AS 317/13 B ER).

Mit Urteil vom 22.11.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung eines Datenabgleichs nach Maßgabe des § 52 SGB II. Die Vorschrift verstoße nicht gegen das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitete Grundrecht gewähre Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von individualisierten oder individualisierbaren Daten. Eine Beschränkung dieses Rechts sei durch eine einfachgesetzliche Regelung grundsätzlich möglich, wenn diese dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspreche. Dies sei dann der Fall, wenn der Gesetzeszweck aus dem Gesetzestext iVm den Materialien deutlich werde. § 52 SGB II werde diesen Anforderungen gerecht. Die Vermeidung der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II als Gesetzeszweck, werde aus dem Gesetzestext iVm. den Materialien hinreichend deutlich. Außerdem regele § 52 SGB II, welche Behörde sich zu diesem Zweck des automatisierten Datenabgleich bedienen dürfe. Schließlich sei auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Der Datenabgleich erfolge zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit. Er sei nur vorgesehen für solche Angaben, zu denen der Leistungsempfänger bei Antragstellung oder bei einer erheblichen Änderung der Verhältnisse verpflichtet sei. Die Überprüfung der Hilfebedürftigkeit, also der Leistungsberechtigung, stelle einen legitimen Zweck dar. Schutzwürdige Interessen des Bürgers müssten unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gegenüber den Interessen der Allgemeinheit an der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs zurückstehen.

Gegen das am 04.12.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.01.2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II, der den Datenabgleich im Verhältnis zum Bundesamt für Finanzen regelt, sei verfassungswidrig und dürfe nicht ausgeführt werden. Eine Einschränkung, wie weit die Abfrage beim Bundesamt für Finanzen in die Vergangenheit gehen dürfe, sei nicht festgelegt. Da es sich um die Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung handele, dürfe die Regelung nur dem parlamentarischen Gesetzgeber überlassen werden, nicht jedoch durch Verordnung geregelt oder dem Ermessen oder der Willkür der Behörde überlassen werden. Im Übrigen sei in der Vorschrift aber auch nur von Leistungsempfängern die Rede.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.11.2013 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den Datenabgleich nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zukünftig zu unterlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten und der Akten des Sozialgerichts Dortmund S 37 AS 303/08 (L 7 AS 1155/11), S 37 AS 5304/12 ER (L 7 AS 370/13 B ER) und S 31 AS 294/07 (L 20 AS 39/08) Bezug genommen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Die vom Kläger im Berufungsverfahren allein weiter verfolgte sog vorbeugende Unterlassungsklage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger für dieses Unterlassungsbegehren das zu fordernde qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis (vgl zur Einordnung der Unterlassungsklage als echte Leistungsklage und zum qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl § 54 Rdnr 42, 42a mwN; BSG Urteil vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95 - juris Rdnr 15). Da der Beklagte gesetzlich verpflichtet ist, jeweils zu Beginn eines Quartals die Daten gem. § 52 Abs.1 Nr. 3 SGB II zu erheben, und der Kläger weiterhin im Leistungsbezug nach dem SGB II steht, ist auch zu befürchten, dass dieses - vom Kläger als widerrechtlich behauptetes Verhalten - weiterhin ernstlich zu befürchten ist. Dem Kläger ist es hier nicht möglich, nachträglich effektiven Rechtsschutz zu erlangen, da nach Erhebung der Daten durch den Beklagten, diese tatsächliche Handlung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die behauptete Verletzung ist (nach Abgleich/Auswertung der übermittelten Daten) auch nicht lediglich durch deren spätere Löschung zu beseitigen.

Die Unterlassungsklage ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat keinen. Anspruch gegen den Beklagten, den Datenabgleich gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zu unterlassen.

Nach dieser Vorschrift überprüfen die Bundesagentur und die zugelassenen kommunalen Träger (alle) Personen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober im Wege des automatisierten Datenabgleichs darauf, ob und welche Daten nach § 45d Abs. 1 und 45e des Einkommenssteuergesetzes (EStG) an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt worden sind.

Der vom Kläger beanstandete Datenabgleich wurde und wird - dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig - in Übereinstimmung mit der einfachgesetzlichen Regelung durchgeführt: Der Beklagte überprüft vierteljährlich ohne konkreten Anlass und ohne zuvor das Einverständnis der Leistungsempfänger einzuholen, ob für diese die o.a. Daten übermittelt wurden. Die Überprüfung erfolgt durch einen automatischen Abgleich der Personendaten aller Leistungsempfänger mit den Daten der Personen des Bundesamtes für Finanzen, für die Kapitalerträge gemeldet wurden. Nur wenn Mitteilungen für Leistungsempfänger vorliegen, erhält der Beklagte über eine entsprechende Rückmeldung Kenntnis von dem im Hintergrund abgelaufenen Abgleich und leitet aus der Fachabteilung weitere Prüfungen und/oder Ermittlungen ein. Ansonsten werden die dem Beklagten automatisch übermittelten Datensätze vom Bundesamt für Finanzen gem. § 52 Abs. 3 Satz 1 SGB II nach Durchführung des Abgleichs der Verpflichtung aus § 52 Abs. 3 Satz 3 SGB II entsprechend unverzüglich gelöscht.

Da Kapitalerträge aus Vermögen sich auf einen davorliegenden Zeitraum beziehen und das Bundesamt für Finanzen über bereits übermittelte Kapitalerträge informiert, werden bei erstmaliger Antragstellung oder nach leistungsfreien Zeiträumen auch Daten über Kapitalerträge abgeglichen, die vor Beginn des (neuen) Leistungszeitraums entstanden sind.

Mit dem automatisierten Datenabgleich wird zwar in das durch Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Dieser Eingriff auf der Grundlage und nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II begegnet aber keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

In seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrifft das allgemeine Persönlichkeitsrecht Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit, die sich für den Einzelnen aus informationsbezogenen Maßnahmen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, ergeben. Es gibt dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung flankiert und erweitert den grundrechtlichen Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit, indem es ihn schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnen lässt. Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter entstehen, so insbesondere wenn personenbezogene Informationen in einer Art und Weise genutzt und verknüpft werden, die der Betroffene weder überschauen noch beherrschen kann. Vor allem mittels elektronischer Datenverarbeitung können aus solchen Informationen weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen als auch Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit mit sich bringen können (s Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschluss vom 13.6.2007 1 BvR 1550/03 juris Rdnr 86 f mwN).

Der vom Kläger beanstandete automatisierte quartalsmäßige Datenabgleich beinhaltet eine solche Gefährdungslage.

Mit der automatisierten Anfrage beim Bundeszentralamt für Steuern gem. § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ermittelt der Beklagte, welche Daten dem Bundeszentralamt von den für den Steuerabzug verpflichteten Stellen bis zum 1. März des Jahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen, gemeldet worden sind. Die im Anschluss an diesen Datenabgleich erhebbaren Informationen über Kapitalerträge des Leistungsempfängers können für den Persönlichkeitsschutz des Klägers bedeutsam sein. Sie können insbesondere Erkenntnisse über die in der Vergangenheit erzielten Kapitalerträge und damit über das in der Vergangenheit vorhandene Vermögen erbringen. Aufgrund dieser Informationen kann der Beklagte dann weiter ermitteln, ob ggf. in welchem Umfang für den Leistungsbezug relevantes Vermögen vorhanden war. Es handelt sich deshalb um einen bewussten Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Eingriff erfolgt mit der für Normen zur Ermächtigung von Grundrechtseingriffen erforderlichen Bestimmtheit und Normenklarheit.

Das Bestimmtheitsgebot findet im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG selbst. Ermächtigt eine gesetzliche Regelung zu einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so hat das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit die spezifische Funktion, eine hinreichend präzise Umgrenzung des Verwendungszwecks der betroffenen Informationen sicherzustellen (BVerfG, aaO, juris Rdnr 96 mwN). Es soll sicherstellen, dass die die Gesetze ausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können; ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann (BVerfG, aaO, juris Rdnr 94 mwN).

Mindestvoraussetzung ist die Angabe im Gesetz, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben zu der geregelten Informationserhebung berechtigt sein soll.

§ 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II genügt den Mindestvoraussetzungen an die Bestimmtheitsanforderungen (BVerfG, aaO, juris Rdnr 98 mwN), indem dort angegeben wird, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben zu der geregelten Informationserhebung berechtigt sein soll. Her werden durch ein Bundesgesetz die Bundesagentur für Arbeit und die zugelassenen kommunalen Träger ermächtigt, im Wege des automatisierten Datenabgleichs Personen daraufhin zu überprüfen, ob und welche Daten nach § 45d Abs. 1 und 45e des Einkommenssteuergesetzes (EStG) an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt worden sind. Damit ist festgelegt, dass bestimmte Behörden (Bundesagentur für Arbeit und zugelassene kommunale Träger) bestimmte Daten (gemäß § 45d EStG) für einen bestimmten (begrenzten) Zeitraum (in § 45d EStG festgelegt) über einen bestimmten Personenkreis (Leistungsempfänger) im Wege des automatisierten Datenabgleich erheben dürfen.

Unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels und der Intensität des Eingriffs ist der Eingriff nach Maßgabe der in § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II getroffenen Regelung zur Überzeugung des Senats verhältnismäßig. Er dient einem legitimen Zweck, ist als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen.

Der automatisierte Datenabgleich (auch) nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II hat das Ziel, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld II zu verhindern. Er soll die Überprüfung des beim Arbeitslosengeld II zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens sicherstellen. Das automatisierte Verfahren soll ermöglichen, den Datenabgleich zwischen der Bundesagentur und den genannten Stellen - hier dem Bundeszentralamt für Steuern - durchzuführen (BTDrucks 15/1516, 64). Der automatisierte Datenabgleich dient der Aufdeckung von nicht angegebenem Vermögen und Leistungsmissbrauch, gleichzeitig der Abschreckung gegenüber Antragstellern, die bestimmte Vermögenswerte nicht angeben wollen (s Harich in Eicher, SGB II, 3 Aufl., § 52 Rdnr 6).

Bei dem gesetzgeberischen Anliegen handelt es sich um einen legitimen Zweck. Die Möglichkeit des automatisierten Datenabgleichs mit dem Bundesamt für Finanzen dient Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung. Der Grundsicherungsempfänger beantragt staatliche Fürsorgeleistungen, die ihm ohne jede Gegenleistung (etwa in Form von vorher gezahlten Beiträgen) nur aufgrund seiner Hilfebedürftigkeit gewährt werden. Der Staat und seine Einrichtungen dürfen nicht nur, sie müssen sogar ein Instrumentarium zur Verfügung stellen um sicherzustellen, dass die vorgesehenen Leistungen nach haushaltswirtschaftlichen Grundsätzen zweckentsprechend verwendet werden, d.h. nur dem anspruchsberechtigten Personenkreis zugewendet werden. Dazu gehört auch der Schutz vor dem Missbrauch, dass die Grundsicherungsleistungen nicht an vermeintlich Bedürftige gewährt werden, die über zu berücksichtigende finanzielle Mittel verfügen, diese jedoch gegenüber dem Grundsicherungsträger verschweigen bzw. nicht offenlegen (BSG, Urteil vom 19.09.2008 - B 14 AS 45/07 R - juris Rdnr 25).

Der automatisierte Datenabgleich mit dem Bundesamt für Finanzen ist auch geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Durch den regelmäßigen Abgleich werden Kapitalerträge ermittelt, die der Leistungsempfänger in der Vergangenheit erzielt hat. Diese lassen Rückschlüsse auf vorhandenes bzw. in der Vergangenheit vorhandenes Vermögen zu. Aufgrund dieser Informationen ist es dem Beklagen durch weitere Ermittlungen möglich festzustellen, ob der Antragsteller/Leistungsempfänger über anrechenbares Vermögen verfügt oder verfügt hat, das für den laufenden oder einen bereits zurückliegenden Leistungszeitraum Auswirkungen auf den Leistungsanspruch dem Grund oder der Höhe nach hat/hatte, ggf. auch ob dem Leistungszeitraum vorgelagerte Vermögensverschiebungen über § 34 SGB II Rechnung zu tragen ist.

Das Mittel des automatisierten Datenabrufs beim Bundeszentralamt für Steuern ist auch erforderlich, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Ein ebenso wirksamer, aber den Leistungsempfänger weniger belastender Weg ist nicht ersichtlich. Insbesondere sind anlassbezogene konkrete Einzelabfragen wegen der hohen Zahl von Kreditinstituten und Leistungsempfängern zum Einen nicht geeignet, zum Anderen käme ihnen eine ungleich stigmatisierendere Funktion zu. Es wäre schon deshalb mit Blick auf den Leistungsempfänger nicht ein milderes Mittel im Verhältnis zum automatisierten Datenabgleich, da aufgrund einer individuellen Anfrage jedes deutsche Kreditinstitut von den sozialrechtlichen Ermittlungen und ggf zugleich (mittelbar) auch von den geänderten, die Kreditwürdigkeit des Leistungsempfängers bestimmenden Faktoren (Hilfebedürftigkeit) erführe. Dagegen ist im Rahmen des automatisierten Verfahrens eine Kenntnisnahme durch die Kreditinstitute auszuschließen (vgl BVerfG, aaO, juris Rdnr 122).

Die hier beanstandete gesetzliche Ermächtigung wahrt auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dieses Gebot verlangt, dass die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen darf. Der Gesetzgeber hat das Individualinteresse, das durch einen Grundrechtseingriff beschnitten wird, den Allgemeininteressen, denen der Eingriff dient, angemessen zuzuordnen. Ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel zur Durchsetzung von Allgemeininteressen darf nicht angewandt werden, wenn die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schwerer wiegen als die durchzusetzenden Interessen (BVerfG, aaO, juris Rdnr 125 mwN).

Der Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung wiegt gegenüber dem dargestellten Schutzzweck nicht schwerwiegender. Zur Durchsetzung des legitimen Zwecks ist ein in seinen nachteiligen Auswirkungen außerhalb des Verhältnisses der am Datenabgleich beteiligten Stellen mildes Mittel gewählt worden, das in folgendem Kontext als vergleichsweise geringer Eingriff zu bewerten ist:

Der Leistungsempfänger erhält nach Antragstellung (§ 37 SGB II) und Feststellung der Voraussetzungen Leistungen. Im Rahmen der Antragstellung/des Verwaltungsverfahrens ist er ohnehin gehalten, umfassende Angaben über sein Vermögen und sein Einkommen zu machen und diese etwa durch Vorlage von Kontoauszügen auch über einen mehrere Monate zurückliegenden Zeitraum zu belegen (BSG, Urteil vom 19.09.2009 - B 14 AS 45/07 R). Diese Konstellation mag grundsätzlich nur einen anlassbezogenen Datenabgleich angemessen erscheinen lassen (s BVerfG, aaO, juris Rdnr 144 zu § 93 Abs. 7 AO). Allerdings ist in diesem leistungsrechtlichen Kontext zu berücksichtigen, dass es sich bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit als Anspruchsvoraussetzung um die Feststellung einer sog negativen Tatsache handelt. Um den Nachweis nicht vorhandener bzw. (zur Deckung des Bedarfs) nicht ausreichender Mittel zu führen, bedarf es denklogisch im Ausgangspunkt flächendeckender Ermittlungen. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes sind aber Ermittlungen "ins Blaue hinein" verfassungsrechtlich problematisch (s BVerfG, aaO, juris Rdnr 144), jedenfalls aber nicht geboten. Art und Umfang der Ermittlungen werden in der Regel wesentlich durch Angaben bestimmt, die in der Einflusssphäre der Leistungsberechtigten liegen. Damit bildet § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II aber ein ergänzendes Instrument bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, die Hilfebedürftigkeit als anspruchsbegründende Voraussetzungen festzustellen. Hier wird für einen über die Steuerabführung bereits einsehbaren Teilbereich ein auch nur teilweise flächendeckendes Instrument zur Verfügung gestellt, das hilft, die Angabe des Leistungsempfängers, er verfüge nicht über Vermögen, zu überprüfen. Präventiv wie repressiv wird eine gewisse "Waffengleichheit" hergestellt, da andernfalls der Antragsteller, der wenige Angaben macht und Vermögen verneint, keine weiteren Ermittlungen zur Überprüfung seiner Angaben befürchten müsste.

Der vom Kläger beanstandete (beschränkte) Blick in die Vergangenheit ist vor diesem Hintergrund auch verhältnismäßig. Die gemeldeten Daten (Erträge) betreffen von vorneherein Sachverhalte (Erwirtschaftung von Erträgen aus Vermögen), die in einer (zeitnahen) Vergangenheit liegen. Dies dient zum Einen der Möglichkeit der Überprüfung, ob (diese) Vermögenswerte noch vorhanden sind, aber auch der Frage, ob unzulässige Vermögensverschiebungen zu Lasten des Grundsicherungsträgers in der Vergangenheit vorgenommen worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar § 93 Abs. 8 AO hinsichtlich der Übermittlung von Kontostammdaten an Sozialleistungsträger für verfassungswidrig erklärt, dies jedoch lediglich wegen der Unbestimmtheit der Norm. Es hat jedoch in seinem Urteil vom 13.06.2007 ausdrücklich festgestellt, dass die mit Kenntnis von Kontostammdaten verbundene Konkretisierung des Risikos, staatlichen Ermittlungen (hier: wegen Leistungsmissbrauchs) ausgesetzt zu sein, angesichts der verfolgten Gemeinwohlbelange keine unangemessene Belastung darstelle (vgl. BSG, aaO, juris Rdnr 26; BVerfG, aaO, juris Rdnr 139). Die Schwere des vom Kläger beanstandeten und sicher beachtenswerten Eingriffs, der durch die quartalsmäßige Abfrage ausgelöst wird, steht nicht außer Verhältnis zu dem o. g. Zweck, eventuelle Vermögensverschiebungen zu Lasten des Grundsicherungsträgers aufzudecken und somit Leistungsmissbrauch zu verhindern. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass nach Durchführung der automatisierten Abfrage die Daten unverzüglich gelöscht werden, falls keine Kapitalerträge gemeldet worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193.

Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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