L 9 SO 28/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 SO 227/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 28/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Kenntnis im Sinn von § 18 SGB XII hat der Sozialhilfeträger in aller Regel erst dann, wenn ihm die Hilfebedürftigkeit einer Person bekannt wird.
2.
Es reicht nicht aus, wenn ihm der Heimträger ohne nähere Angaben (etwa z.B. zum Einkommen) auf einem Vordruck lediglich den Einzug einer bis dahin nicht hilfebedürftigen Person in die Einrichtung anzeigt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht die Gewährung von Sozialhilfe für den Zeitraum 31.08.2006 bis 03.02.2007 in Höhe von 7940,56 Euro zuzüglich Zinsen.

Die Klägerin ist Trägerin der nach § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zugelassenen Pflegeeinrichtung N-klinik I. Unter anderem mit dem überörtlichen Sozialhilfeträger hat sie eine Vergütungsvereinbarung nach §§ 85, 87 SGB XI getroffen. Nach Abschluss eines Wohn- und Dienstleistungsvertrages vom 30.08.2006 befand sich die 1923 geborene Frau Q (im folgenden: Pflegebedürftige) in der Zeit vom 31.08.2006 bis zu ihrem Versterben am 03.02.2007 zur vollstationären Pflege bei Pflegebedürftigkeit mit Stufe 2 in der vorgenannten Pflegeeinrichtung. Die Pflegebedürftige hat zwei Söhne (L und S Q); L Q hat das Erbe offenbar wegen Überschuldung des Nachlasses ausgeschlagen (Az. des Nachlassgerichts: Amtsgericht S, 14 VI xx/xx). Näheres zum Einkommen und Vermögen der Pflegebedürftigen ist nicht bekannt.

Mit Telefax vom 02.09.2006 teilte die Klägerin dem Beklagen mittels eines ein-seitigen, als "Änderungsmitteilung" überschriebenen Vordrucks mit, dass die am 11.03.1923 geborene Frau Q in ihre Einrichtung eingezogen sei, dass sie Pflegestufe 2 habe und der tägliche Pflegesatz 105,04 Euro betrage. In der Kopfzeile des Vordrucks, in der die Möglichkeit besteht, "PWG" oder "Sozialhilfe" anzukreuzen, wurde letzteres angekreuzt (für die Einzelheiten des Inhalts des Telefax wird auf Bl. 2 der der Verwaltungsakte Bezug genommen). Weitere Angaben enthielt der Vordruck nicht.

Am 13.02.2007 ging bei dem Beklagten eine weitere Änderungsmitteilung der Klägerin erneut in Form eines Vordrucks ein, in der die Klägerin zu dem Betreff "Änderungsmitteilung Pflegewohngeld" das Versterben der Pflegebedürftigen mitteilte und sich zudem erkundigte, weshalb der den Angehörigen der Pflegebedürftigen ausgehändigte "Wohngeldantrag" noch nicht beschieden sei. Zugleich übersandte die Klägerin einen mit Datum 13.02.2007 versehenen Antrag auf Pflegewohngeld, die Mitteilung der AOK Gesundheitskasse über die monatlich bewilligten Pflegeleistungen sowie einen mit dem Datum 05.09.2006 versehenen Antrag auf Pflegewohngeld (für die diesbezüglichen Einzelheiten wird auf Bl. 3 bis 6 der der Verwaltungsakte Bezug genommen). Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin am 15.02.2007 folgendes mit: "Ein Vorgang Q wird hier nicht geführt. Ein Pflegewohngeldantrag ist hier bis heute nicht eingegangen. Hier ist lediglich Ihr Fax vom 06.09.2009 (gemeint ist offensichtlich das Telefax vom 02.09.2006; auf dem Telefax ist das Datum in der vom Sendegerät erstellten Kopfzeile von rechts nach links gedruckt) eingegangen, in welchem Sie den Einzug der Frau Q ohne Einzugsdatum mitteilen."

Auf die anfallenden Pflege- und Unterbringungskosten zahlte die Pflegekasse der Pflegebedürftigen monatlich 1279,- Euro. Die Klägerin bzw. deren Angehörige - näheres ist nicht bekannt - zahlten im Zeitraum 2006 bis 2010 in Teilbeträgen insgesamt 1636,75 Euro.

Am 16.12.2010 erhob die Klägerin gegen den Beklagten eine zunächst als Leistungsbegehren formulierte Klage beim Sozialgericht Düsseldorf (Az.: S 28 SO 594/10), in dem sich die Beteiligten am 21.01.2012 vergleichsweise darauf einigten, dass der Beklagte sich auf Grund des Antrages in der Klageschrift verpflichtet zu entscheiden, ob ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege (für die Pflegebedürftige) bestanden hat.

Mit Bescheid vom 29.02.2012 lehnte der Beklagte die Übernahme der für die Pflegebedürftige in der Zeit vom 31.08.2006 bis 03.02.2007 entstandenen Heimkosten aus Mitteln der Sozialhilfe ab. Ein Antrag auf Hilfe zur Pflege sei bis zum Tod der Pflegebedürftigen nicht gestellt worden; auch sonst sei nicht i.S.v. § 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vor dem Tod bekannt geworden, dass die Voraussetzungen für die begehrte Hilfe zur Pflege vorlägen. Dem widersprach die Klägerin am 19.03.2012. Bereits mit der Einzugsmitteilung vom 02.09.2006 sei ein aktueller und konkreter Bedarf der Hilfe zur Pflege geltend gemacht worden. Auch auf den Pflegewohngeldantrag vom 05.09.2012 sei der Beklagte zu Unrecht untätig geblieben. Die weitere Sachverhaltsaufklärung hätte seitens des Beklagten von Amts wegen betrieben werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hinreichende Anhaltspunkte für die Hilfebedürftigkeit der Pflegebedürftigen seien dem Telefax vom 02.09.2006 nicht zu entnehmen.

Hiergegen hat die Klägerin am 21.05.2012 Klage erhoben. Nach Abzug der Leistungen der Pflegeversicherung verbleibe ein ungedeckter Bedarf in Höhe vom 7940,56 Euro (für die Berechnung wird auf Bl. 44 f. der Gerichtsakte Bezug genommen). Die Pflegebedürftige sei mit dem Krankenwagen in ihre Einrichtung gebracht worden; ihr Sohn S habe erklärt, er wolle sich um die Angelegenheit seiner Mutter kümmern - dies habe er aber offensichtlich nicht getan. Bereits ein Telefonanruf eines Dritten könne genügen, um dem Träger der Sozialhilfe Kenntnis i.S.v. § 18 SGB XII zu verschaffen. Mit dem Telefax vom 02.09.2006 sei die Notwendigkeit der Hilfe dargetan worden bzw. erkennbar gewesen. § 18 SGB XII habe nicht den Zweck, Leistungen der Sozialhilfe für die Vergangenheit auszuschließen, sondern diene dazu, ein antragsunabhängiges rechtzeitiges Eingreifen der Sozialhilfe sicherzustellen. Für das Einsetzen der Sozialhilfe genüge es, wenn der Bedarfsfall als solcher bekannt sei.

Mit Beschluss vom 30.01.2012 hat das Sozialgericht die Klage, soweit sie die Gewährung von Pflegewohngeld nach dem Landespflegesetz NRW betrifft, abgetrennt (neues Az.: S 28 SO 480/12) und sodann an das Verwaltungsgericht Düsseldorf verwiesen (dortiges Aktenzeichen: 21 K 278/13, das Verfahren ist noch anhängig).

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 29.02.2012 in Form des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für den Aufenthalt der Hilfebedürftigen in der N-klinik I vom 31.08.2006 bis 03.02.2007 offengebliebene Pflege- und Unterbringungskosten in Höhe von 7940,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.12.2010 zu übernehmen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 14.11.2013, der Klägerin bekanntgemacht am 23.12.2013, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bis zum Versterben der Pflegebedürftigen sei dem Beklagten Kenntnis i.S.v. § 18 SGB XII nicht vermittelt worden. Allein die Mitteilung vom 02.09.2006 lasse nicht auf Bedürftigkeit der Pflegebedürftigen schließen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20.01.2014 eingelegten Berufung. Bereits im September 2006 habe sich für den Beklagten die konkrete Möglichkeit für einen sozialhilferechtlichen Bedarf abgezeichnet und Anlass für weitere Ermittlungen geboten. Dies genüge für das Einsetzen der Sozialhilfe. Auch die durch die Vergütungsvereinbarung angelegte dauerhafte vertragliche Bindung und die aus dem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis resultierende Gewährleistungspflicht des Beklagten begründe einen besonderen Vertrauensschutztatbestand der Einrichtung und ihrer Bewohner. Es sei allgemein bekannt, dass die Leistungen der Pflegekasse bei stationärer Betreuung in der Regel nicht ausreichend seien.

Der Beklagte hat entgegnet, Kenntnis i.S.v. § 18 SGB XII setze voraus, dass der Leistungsträger positives Wissen derjenigen Tatsachen habe, die ihn in die Lage versetzen, die Leistungen - gegebenenfalls nach etwaigen weiteren Ermittlungen z.B. zum Umfang der Hilfe - zu erbringen. Mindestvoraussetzung hierfür sei Kenntnis vom Notfall, d.h. die Notwendigkeit der Hilfe müsse dargetan oder sonst erkennbar sein. Das Ankreuzen eines Kästchens auf einem Vordruck vermittle keine Kenntnis in diesem Sinne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2013 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 zu verpflichten, ihr 7940,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.12.2010 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) erhobene Klage abgewiesen, denn der angegriffene Bescheid vom 29.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege für die in ihrer Einrichtung gepflegte Pflegebedürftige.

1. Einer (notwendigen) Beiladung gem. § 75 Abs. 2 1. Alt. SGG der beiden Söhne der Pflegebedürftigen bedurfte es nicht. Eine Beiladung von L Q scheidet schon deshalb aus, weil dieser das Erbe seiner Mutter ausgeschlagen hat (vgl. zur Entbehrlichkeit der Beiladung bei Ausschlagung des Erbes: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.11.2010, Az.: L 1 SO 8/10, juris Rn. 24). Aber auch einer Beiladung des Sohnes S Q bedurfte es nicht. Selbst wenn dieser Erbe seiner Mutter geworden wäre, ist er am Rechtstreit nicht derart beteiligt, dass eine Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Denn ein Leistungsanspruch der Pflegebedürftigen wäre mit ihrem Tod gemäß der in § 19 Abs. 6 SGB XII geregelten Sonderrechtsnachfolge allenfalls auf die Klägerin, nicht aber im Wege der zivilrechtlichen Erbfolge auf den Erben übergegangen. Die Versagung der Sozialhilfe durch den Beklagten betrifft daher mögliche Erben nicht unmittelbar in eigenen Rechten, sondern hat - etwa aufgrund einer Inanspruchnahme der Erben durch die Klägerin wegen noch offener Heimkosten - lediglich reflexartig Auswirkung auf deren wirtschaftliche Interessen (vgl. ausführlich: LSG NRW, Beschluss vom 27.04.2014, Az.: L 20 SO 465/13 B, juris Rn. 24 ff.). Eine derartig mittelbare Beeinträchtigung rechtfertigt eine notwendige Beiladung nicht.

2. Der angegriffene Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege bei stationärer Unterbringung für die Pflegebedürftige im Zeitraum 31.08.2006 bis 03.02.2007 liegen nicht vor.

a) Die Klägerin ist zwar als mögliche Sonderrechtsnachfolgerin der Pflegebedürftigen aktivlegitimiert. Denn gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII steht der Anspruch des Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder Pflegegeld, soweit die Leistung dem Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tod demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Einrichtungen in diesem Sinne sind gem. § 13 Abs. 1 und 2 SGB XII auch stationäre oder teilstationäre Pflegeeinrichtungen, zu denen das Haus N-klinik I als stationäre Pflegeeinrichtung unzweifelhaft gehört. Soweit die Pflegebedürftige daher zu Lebzeiten einen Sozialhilfeanspruch gehabt hat, geht dieser unverändert auf die Einrichtung über, so dass die Einrichtung als "vorleistender Dritter" in ihrem Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe geschützt wird (vgl. zur Funktion des § 19 Abs. 6 SGB XII: Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 19, Rn. 48).

b) Der Anspruchsübergang geht aber ins Leere, da ein Anspruch der Pflegebedürftigen bis zu ihrem Versterben nicht entstanden war, so dass nunmehr auch nicht nachträglich der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin Sozialhilfe zu bewilligen ist.

Sozialhilfe ist zwar - bis auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - nach § 18 SGB XII antragsunabhängig zu gewähren, was einen "niederschwelligen" Zugang zu den Hilfen des SGB XII gewährleisten soll (Sächsisches LSG, Urteil vom 06.03.2013, Az.: L 8 SO 4/10, juris Rn. 23). Voraussetzung für das "Einsetzen" und damit den zeitlichen Beginn der Sozialhilfe ist aber, dass dem Leistungsträger bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Kenntnis in diesem Sinne hatte der Beklagte (oder auch ein sonstiger Leistungsträger i.S.v. § 18 Abs. 2 SGB XII) bis zum Tod der Pflegebedürftigen nicht.

(1) Kenntnis i.S.v. § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die positive Kenntnis aller Tatsachen voraus, die den Leistungsträger in die Lage versetzen, die Leistung zu erbringen (Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 18, Rn. 12). Auf welche Weise und vom wem er Kenntnis erhält, ist unerheblich (Bucher in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Loseblatt Stand April 2014, § 18, Rn. 12). Es ist nicht erforderlich, dass die Behörde bereits Kenntnis der konkreten Höhe oder vom genauen Umfang der Leistung hat (BSG, Urteil vom 02.02.2012, Az.: B 8 SO 5/10 R, juris Rn. 18). Für das Einsetzen der Sozialhilfe genügt es, wenn die Behörde Kenntnis vom Bedarfsfall als solchem hat, d.h. ihr erstens der Bedarf und zweitens die Hilfebedürftigkeit bekannt werden (BSG, Urteil vom 10.11.2011, Az.: B 8 SO 18/10 R, juris Rn. 21). Die Kenntnis muss sich auf den konkreten Einzelfall beziehen und wird nicht allein dadurch vermittelt, dass die Entstehung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs in bestimmten Situationen "üblich" ist (Sächsisches LSG, Urteil vom 06.03.2013, Az.: L 8 SO 4/10, juris Rn. 25). Auch die bloße Vermutung oder entfernte Möglichkeit eines Notfalles ist für das Einsetzen der Sozialhilfe nicht ausreichend (Coseriu in: jurisPK-SGB XII, § 18, Rn. 30). Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Sozialhilfeträger einerseits nicht verpflichtet ist, die Notwendigkeit der Hilfe zu "erahnen" (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.11.2010, Az.: L 1 SO 8/10, juris Rn. 27; Dauber in: Mergler/Zink, SGB XII, Loseblatt 24. EGL August 2013, § 18, Rn. 12), es andererseits aber genügt, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Notlage im Sinne des SGB XII bestehen und die weiteren "Details" dann im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X aufgeklärt werden.

(2) Ausgehend von diesen Maßgaben hatte der Beklagte bis zum Versterben der Pflegebedürftigen keine Kenntnis, die ein Einsetzen der Sozialhilfe zur Folge gehabt hätte.

Die dem Beklagten bekannt gewordenen Informationen bis zum Versterben der Pflegebedürftigen beschränken sich auf den Inhalt des Telefax vom 02.09.2006. Der mit Datum 05.09.2006 datierte Pflegewohngeldantrag ist bei dem Beklagten erst am 13.02.2007 als Teil eines 4-seitigen Telefax eingegangen. Ein früherer Eingang ist der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen; ein Telefax-Protokoll, welches gegebenenfalls für einen früheren Eingang bei dem Beklagten sprechen würde, hat die mit der materiellen Beweislast belastete Klägerin nicht vorgelegt (vgl. allg. zur Beweislast im Rahmen von § 18 SGB XII: Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 18, Rn. 65). Das von der Klägerin vorgelegte Sendeprotokoll, welches den Sendebericht für ein ein-seitiges Telefax enthält, datiert vom 02.09.2006 und bezieht sich erkennbar allein auf den mit Datum 02.09.2006 versehenen ein-seitigen Vordruck.

Die im Telefax vom 02.09.2006 enthaltenen Angaben reichen nicht aus, um ein Bekannt-werden der Voraussetzungen für die Sozialhilfeleistung im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB XII zu begründen. Durch Angabe von Name, Alter, Pflegesatz und Pflegestufe liegen zwar hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass es der Sache nach möglicherweise um Hilfe zur Pflege geht. Der "Bedarf" als das eine Element des Bedarfsfalles dürfte daher durch das Telefax vom 02.09.2006 dem Beklagten bekannt geworden sein.

Keine hinreichende Kenntnis vom Bedarfsfall hatte der Beklagte aber deshalb, weil ihr die Kenntnis über die Hilfebedürftigkeit der Pflegebedürftigen durch das Telefax vom 02.09.2006 nicht vermittelt wurde. Der Vordruck vom 02.09.2006 enthält keinerlei Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Pflegebedürftigen. Die wirtschaftliche Bedürftigkeit wird nicht einmal behauptet, geschweige denn durch jedenfalls rudimentäre Angaben etwa zur Rente der Pflegebedürftigen näher skizziert. Allein das Kreuz im Feld Sozialhilfe in der Kopfzeile des Vordrucks vermittelt dem Beklagten keine Kenntnis der Hilfebedürftigkeit. Es handelt sich hierbei erkennbar um eine den Verwaltungsabläufen dienende Angabe, die eine einfache und schnelle Zuständigkeitszuordnung ermöglichen soll. Im Übrigen wird mit der bloßen Behauptung "Sozialhilfe" der für das Einsetzen der Sozialhilfe erforderliche Notfall keineswegs zumindest in seinem Grundzügen beschrieben, da Angaben zum tatsächlichen Lebenssachverhalt gleichwohl gänzlich fehlen. Allein der Einzug in ein Pflegeheim sagt nichts über die Hilfebedürftigkeit des Pflegebedürftigen aus. Soweit die Klägerin einer Entscheidung des VG Augsburg vom 16.09.2003 (Az.: 3 K 03/889) anderes entnimmt, geht ihr Verweis fehl. Der genannten Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in der mit der Einzugsmitteilung zugleich mitgeteilt wurde, dass ein Sozialhilfeantrag gestellt worden sei (siehe die vorgenannte Entscheidung, juris Rn. 10) und damit die Hilfebedürftigkeit des Pflegebedürftigen geltend gemacht wurde. Gleiches gilt für die von der Klägerin genannte Entscheidung des OVG NRW vom 20.06.2001 (Az.: 12 A 3386/98). Auch dort bestanden aufgrund des Alters der Klägerin, ihres Schulbesuchs und ihrer fehlenden Erwerbstätigkeit hinreichende Anhaltspunkte für ihre Hilfebedürftigkeit (siehe die vorgenannte Entscheidung, juris Rn. 22). Der Einzug in ein Pflegeheim hat - was die Klägerin aber offenbar meint - auch nicht "automatisch" Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII zur Folge. Zu Recht hat der Beklagte im vorangegangen Verfahren S 28 SO 594/10 darauf hingewiesen, dass trotz hoher Pflege- und Unterbringungskosten viele Bewohner in einem Pflegeheim etwa aufgrund zu Anfang (noch) vorhandenen Vermögens zunächst Selbstzahler sind.

Modifizierte, d.h. verringerte Anforderungen an die Kenntniserlangung i.S.v. § 18 SGB XII folgen auch nicht aus dem Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI und dessen Bindungswirkung (§ 75 Abs. 5 SGB XII) für den Sozialhilfeträger. Für die Erbringung von Leistungen durch zugelassene Pflegeeinrichtungen an bedürftige Hilfeempfänger gelten die sozialhilferechtlichen Grundprinzipien weiter, d.h. der Leistungserbringer hat im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses einen Anspruch auf Vergütung nur insoweit, als der Leistungsempfänger selbst einen durch Bescheid zuerkennten Anspruch auf Sozialhilfeleistungen hat (allg. zum Dreiecksverhältnis bei zugelassenen Pflegeeinrichtungen: Jaritz/Eicher in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 75, Rn. 151 f.). Die vertraglichen Vereinbarungen in der Beziehung zwischen Leistungserbringer und Sozialhilfeträger können schon aus systematischen Gründen - da mit ihnen allein das Leistungsverschaffungsverhältnis ausgestaltet wird - keine gestaltende Wirkung auf den Anspruch im Grundverhältnis zwischen Hilfeempfänger und Sozialhilfeträger entfalten. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Leistungserbringer anlässlich des in § 19 Abs. 6 SGB XII angeordneten Anspruchsübergangs gewissermaßen eine "Doppelrolle" übernimmt und zugleich die Position des Hilfeempfängers einnimmt.

(3) Die Kenntnis des Beklagten ist auch nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu "fingieren". In der Literatur wird zwar erwogen, im Einzelfall aufgrund zu Unrecht unterbliebener weiterer Ermittlungen von Amts wegen die Kenntnis des Sozialhilfeträgers durch ein "Kennenmüssen" zu ersetzen (Coseriu in: jurisPK-SGB XII, § 18, 2. Aufl. Rn. 31 mit Verweis auf die insoweit ablehnenden Stimmen der Rechtsprechung). Anhaltspunkte für eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht sind aber nicht zu erkennen. Bei den dem Beklagten bis zum Versterben der Pflegebedürftigen bekannten Informationen handelt es sich - allenfalls - um äußert vage Hinweise auf eine potentielle Hilfebedürftigkeit. Solche lösen weder den Hilfefall selbst noch die Pflicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen aus (Buchner in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Loseblatt Stand April 2014, § 18, Rn. 15).

(4) Die Kenntnis i.S.v. § 18 SGB XII ist für das Einsetzen der Sozialhilfe auch nicht entbehrlich. Nach aktueller Rechtsprechung des BSG soll es zwar im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX (Zuständigkeitsklärung bei Teilhabeleistungen) keine Rolle spielen, ob der Sozialhilfeträger Kenntnis vom Antrag auf Teilhabeleistungen hatte bzw. ob ein solcher Antrag rechtzeitig an ihn weitergeleitet wurde (BSG, Urteil vom 14.05.2014, Az.: B 11 AL 6/13 R, juris Rn. 21). Streitbefangen sind hier aber nicht Leistungen zur Teilhabe, sondern Leistungen zur Pflege.

c) Ein Anspruch der Klägerin aus eigenem Recht auf der Rechtsgrundlage des § 25 SGB XII ist ebenfalls ausgeschlossen. Hiernach hat jemand unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, die er in einem Eilfall erbracht hat, und die bei rechtzeitigem Einsetzen der Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären. Ein Eilfall im Sinne dieser Vorschrift ist nur dann anzunehmen, wenn in einer plötzlich auftretenden Notlage sofort gehandelt werden muss und nach Lage der Dinge eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen gewesen ist (Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 25, Rn. 9). Vorliegend ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass eine rechtzeitige und inhaltlich aussagekräftige Information des Beklagten, die zum Einsetzen der Sozialhilfe i.S.v. § 18 SGB XII geführt hätte, objektiv nicht möglich gewesen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Klägerin gehört, da sie geltend macht, einen kraft Gesetzes nach § 19 Abs. 6 SGB XII übergegangenen Anspruch auf Sozialhilfe zu haben, zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 Satz 1 SGG (vgl. allg.: BSG, Beschluss vom 01.09.2008, Az.: B 8 SO 12/08 B, juris Rn. 7 f.).

4. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved