S 41 SO 418/14 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
41
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 SO 418/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die ungedeckten Kosten für die Unterbringung des Antragstellers in einem Alten- und Pflegeheim vorläufig für die Zeit ab Oktober 2014 für zunächst 6 Monate, längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner verpflichtet ist, die ungedeckten Heimkosten des Antragstellers zu tragen.

Der am 25.03.1952 geborene Antragsteller ist verheiratet mit Frau XXX. Er leidet an einer organischen affektiven Störung, den Folgen eines Hirninfarktes, Multiinfarkt-Demenz, essentieller Hypertonie sowie Diabetes mellitus und steht aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts (AG) Lippstadt vom 02.02.2013 unter Betreuung. Seit dem 21.03.2013 wird er im XXX in einer geschlossenen Wohngruppe versorgt. Seine Ehefrau lebt weiterhin in der früher gemeinsamen Wohnung XXX in XXX. Mit Beschlüssen vom 19.02.2013 und vom 15.04.2013 genehmigte das AG Lippstadt die geschlossene Unterbringung des Antragstellers im XXX bis längstens zum 15.04.2014. Mit Bescheid vom 03.06.2013 wurde mit Wirkung vom 21.03.2013 bei dem Antragsteller die Pflegestufe I festgestellt.

Noch während seiner stationären Behandlung in der XXX auf der geschlossenen Station XXX beantragte der Antragsteller – vertreten durch seine Betreuerin – am 12.03.2013 die Übernahme der ungedeckten Heimkosten beim Antragsgegner. Er sei krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, ein selbstständiges Leben zu führen, auf Hilfe von außen angewiesen und verwies insoweit auf eine Stellungnahme der XXX zur Heimnotwendigkeit vom 13.02.2013. Nach Abschluss der stationären Behandlung solle er deshalb in einer geschlossenen Wohngruppe im XXX untergebracht werden. Er sei nicht in der Lage, diese Heimunterbringung aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Aussagekräftige und insbesondere vollständige Angaben zu seinem und dem Einkommen und Vermögen seiner Ehefrau konnte der Antragsteller nicht machen. Die selbst an einer chronischen Psychose leidende Ehefrau war nicht bereit, der Betreuerin des Antragstellers diesbezügliche Auskünfte zu erteilen oder Nachweispapiere auszuhändigen. Lediglich den Kontostand des Girokontos des Antragstellers (XXX EUR 629,77 am 19.02.2013) und eines Sparbuchs (XXX 1.385,82 am 19.02.2013) bei der XXX sowie eine Lebensversicherung bei der XXX(XXX, Rückkaufswert zum 01.04.2013 EUR 2.090,69) und das Eigentum an einem 16 Jahre alten Pkw XXX (amtl. Kennzeichen XXX) wurde nachgewiesen. Auch auf schriftliche Aufforderung durch den Antragsgegner war die Ehefrau des Antragstellers nicht bereit, ihm weitergehende Informationen und Nachweise zu Einkommen und Vermögen zu überlassen.

Mit Bescheid vom 05.08.2013 lehnte der Antragsgegner die Gewährung der beantragten Leistungen wegen des fehlenden Nachweises der Hilfebedürftigkeit ab. Trotz der schriftlichen Aufforderung vom 05.06.2013 und mehrfacher Nachfragen und Erinnerungsschreiben seien hinreichende Nachweise zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers und seiner Ehefrau nicht erbracht worden.

Mit seinem Widerspruch vom 07.08.2013 macht der Antragsteller die Notwendigkeit seiner Unterbringung in dem XXX geltend. Zwar bezögen sowohl er als auch seine Ehefrau eine Altersrente. Damit seien sie jedoch keinesfalls in der Lage, seine Heimunterbringung zu finanzieren. Nach Einrichtung einer Betreuung für die Ehefrau des Antragstellers übersandte der Antragsteller mit Schreiben vom 25.10.2013 und 30.10.2013 Nachweise zu Einkommen und Vermögen: Am 15.05.2013 wies das Girokonto des Antragstellers einen Saldo von EUR 4.485,79 aus. Seine Ehefrau erhielt im Oktober 2013 eine monatliche Rente i.H.v. EUR 366,61. Sie verfügte über ein Girokonto bei der XXX (Nr. 336608810800) mit einem Guthaben von EUR 342,41 (Stand: 28.10.2013) sowie über ein Sparguthaben bei der XXX (Sparkonto Nr. XXX) i.H.v. EUR 22.558,15 (Stand: 28.10.2013). Zur Höhe seiner Rente und dem Stand der Lebensversicherung bei der XXX vermochte der Antragsteller nach wie vor keine Nachweise zu erbringen.

Der Widerspruch wurde nach Beteiligung sozial erfahrender Dritter mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2013 als unbegründet zurückgewiesen. Das Vermögen des Antragstellers und seiner Ehefrau betrage insgesamt EUR 27.386,35 und überschreite damit den nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII maßgeblichen Freibetrag von EUR 3.214,- um ein Vielfaches.

Am 19.12.2013 erhob der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Dortmund (Az. S 41 SO 527/13). Zur Begründung führte er aus, dass er aus seinem eigenen Vermögen von vormals EUR 4.486,79 zwischenzeitlich EUR 4.000 zur Deckung der Heimkosten an das XXX gezahlt habe und nunmehr nur über seine monatliche Rente verfüge, die unstreitig zu gering sei, um die laufenden Heimkosten zu decken. Wenn der Antragsgegner die Auffassung vertrete, die Ehefrau des Antragstellers habe die Heimkosten bis zum Erreichen der Vermögensfreigrenze aus ihrem Guthaben zu tragen, lasse er unberücksichtigt, dass diese ebenfalls unter Betreuung stehe und nicht verpflichtet sein könne, aus ihrem Vermögen die Heimkosten ihres Ehemannes zu zahlen, da sie ihre Ersparnisse zur Sicherstellung ihres eigenen Lebensunterhaltes – u.a. der Begleichung der Kosten des ambulanten Betreuungsdienstes "Betreuen und Wohnen" – benötige. Im Übrigen lehne die Ehefrau des Klägers eine Beteiligung an den ungedeckten Heimkosten ab, weil sie dadurch selbst sozialhilfebedürftig würde. Das Guthaben auf dem Sparkonto sei bereits auf EUR 17.923,93 gesunken, auf dem Girokonto verfüge Frau Plaul noch über EUR 892,50 (Stand: 29.08.2014). Die Beklagte kündigte einen Klageabweisungsantrag an, weil das Barvermögen der Ehefrau trotz ihrer Erkrankung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben aus § 19 Abs. 3 SGB XII für den Heimaufenthalt einzusetzen sei.

Unter dem 06.10.2014 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Dortmund gestellt.

Der Heimvertrag des Antragstellers sei wegen der aufgelaufenen Heimkosten i.H.v. EUR 33.973,26 mit Schreiben des XXX vom 01.09.2014 und Wirkung zum 30.09.2014 gekündigt worden. Der Antragsteller befinde sich gegenwärtig zur Behandlung eines Schlaganfalls im Krankenhaus XXX. Im Hinblick auf die vom Krankenhaus zwischenzeitlich angekündigte Entlassung weigere sich das XXX unter Hinweis auf den gekündigten Heimvertrag jedoch, den Antragsteller wieder aufzunehmen, obwohl er bettlägerig sei und geschlossen untergebracht werden müsse. Vor diesem Hintergrund drohe dem Antragsteller Obdachlosigkeit und sei eine Regelung für die Zukunft dringend geboten, zumal der Antragsgegner ohnehin ab Oktober 2014 leistungsverpflichtet sei. Denn das Vermögen der Ehefrau von ca. EUR 19.000 sei mit den ungedeckten Heimkosten zu verrechnen, so dass ab Oktober Hilfebedürftigkeit vorliege. Es müsse überdies inzwischen davon ausgegangen werden, dass die Ehefrau des Antragstellers sich von diesem im familienrechtlichen Sinne getrennt habe, da sie zumindest den Eindruck erwecke, keine eheliche Gemeinschaft mit dem Antragsteller führen zu wollen, sofern sie für die Heimunterbringungskosten des Antragstellers finanzielle Mittel zur Verfügung stellen müsse.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine ungedeckten Heimkosten ab Oktober 2014 zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Antragsteller habe schon keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Unterbringung, Versorgung und Pflege seien derzeit – im Krankenhaus – sichergestellt. Überdies würde der Antragsteller auch bei antragsgemäßer Entscheidung vom XXX nicht wieder aufgenommen. Voraussetzung dafür sei nämlich, dass auch die rückständigen Zahlungen für die Vergangenheit i.H.v. EUR 33.973 geleistet würden. Weiterhin bestehe kein Anordnungsanspruch. Die zwischenzeitlich bekannt gewordene Rente des Klägers i.H.v. EUR 966,81 sei ausreichend, um den (fiktiven) grundsicherungsrechtlichen Bedarf i.S.v. § 27b SGB XII zu decken. Hinsichtlich der nach Abzug der Leistungen der Pflegeversicherung verbleibenden ungedeckten Kosten stehe einem Leistungsanspruch das Barvermögen der Ehefrau des Antragstellers von zur Zeit ca. EUR 18.000,- entgegen. Der Antragsteller sei nicht hilfebedürftig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte zum Verfahren S 41 SO 527/13 sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Wenn die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht, hat dies Auswirkungen auf den Prüfungsmaßstab und verlangt regelmäßig eine abschließende gerichtliche Prüfung, wobei insbesondere bei nicht ausreichender Mitwirkung des Antragstellers eine Beweislastverteilung nicht ausgeschlossen ist. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage aus, ist aufgrund einer am effektiven Rechtsschutz orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (ausführlich und m.w.N.: LSG NRW, Beschluss vom 07.08.2013, Az. L 9 SO 307/13 B ER; L 9 SO 308/13 B, juris-Rn. 4 f.; siehe aber auch BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern in einer Wechselbeziehung. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2014, Az. L 20 SO 436/13 B ER, juris-Rn. 30).

2. Ausgehend von diesen Maßgaben sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gegeben. Der Antragsteller hat Anordnungsgrund und –anspruch glaubhaft gemacht.

a) Bei auf die Übernahme der laufenden Heimkosten gerichteten Eilverfahren liegt eine ein gerichtliches Eingreifen erfordernde Notlage (Anordnungsgrund) jedenfalls dann vor, wenn der Heimträger eine Kündigung des Heimvertrages ausgesprochen hat und eine Räumungsklage anhängig gemacht worden ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 01.09.2014, Az. L 9 SO 321/14 B ER m.w.N., das offen lässt, ob eine anhängige Räumungsklage für die Annahme eines Anordnungsgrundes erforderlich ist), weil spätestens dann die konkrete Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Verlustes des Heimplatzes und von Obachlosigkeit vorliegt. Im Fall des Antragstellers besteht zur Überzeugung der Kammer dann aber erst Recht eine solche Notlage: Der Heimvertrag ist mit Schreiben des Heimträgers vom 01.09.2014 und Wirkung zum 30.09.2014 gekündigt worden. Zwar wurde keine Räumungsklage erhoben. Die Situation des Antragstellers ist jedoch – weil er sich aufgrund einer stationären Krankenhausbehandlung bereits nicht mehr in der Pflegeeinrichtung befindet und aufgrund der Kündigung des Heimvertrages über kein rechtlich gesichertes Rückkehrrecht (mehr) verfügt –, sogar mit der eines bereits geräumten Heimbewohner vergleichbar, dem der Verlust des Heimplatzes nicht nur konkret droht, sondern bei dem dieser Verlust bereits eingetreten ist. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller sich gegenwärtig noch in einem Krankenhaus befindet und deshalb trotz Kündigung und fehlendem Rückkehrrecht (bisher) nicht unmittelbar obdachlos geworden ist, ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners nichts anderes. Denn ein Krankenhaus bietet dem Antragsteller schon im Hinblick auf seine eigentliche Aufgabe und die darauf ausgerichteten Kapazitäten keine zur Vermeidung von Obdachlosigkeit geeignete Aufenthaltsmöglichkeit, und sei es auch nur für die Dauer eines gerichtlichen Hauptsachverfahrens. Gerade wegen seiner Ausrichtung auf die Krankenbehandlung deckt ein Krankenhaus darüber hinaus auch nicht auf zumutbare Weise den beim Antragsteller vorliegenden Bedarf an Unterbringung und Pflege.

b) Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus § 19 Abs. 5 SGB XII (i.V.m. § 61 SGB XII, sog. "erweiterte Sozialhilfe"). Danach haben die in den Absätzen 1 bis 3 des § 19 genannten Personen dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in dem Umfang zu ersetzen, in denen ihnen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten ist und Leistungen erbracht worden sind. Zwar lässt der Wortlaut der Vorschrift nicht ohne weiteres auf einen darin verbrieften Anspruch des Leistungsempfängers schließen, sondern setzt einen solchen in Verbindung mit dem Vorbehalt des Gesetzes (§ 31 SGB I) nur voraus ("und sind Leistungen erbracht worden"). Die Entstehungsgeschichte der Norm, mit der der Gesetzgeber an die Vorgängervorschriften §§ 11 Abs. 2 und 29 BSHG anknüpfen wollte (BT-Drs. 15/1514, S. 57; vgl. ausführlich Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 19 Rn 35 ff. m.w.N.), weist § 19 Abs. 5 SGB XII jedoch als Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlage für eine (endgültige) Leistung mit vorläufigem Charakter aus (Coseriu, aaO., § 19 Rn 37), die es – auf der Rechtsfolgenseite – in das pflichtgemäße Ermessen des Sozialhilfeträgers stellt, dem Bedarfsdeckungsgrundsatz Vorrang vor dem Nachranggrundsatz einzuräumen (Schoch, in: LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 19 Rn 19), indem er von den Bestimmungen zum Einsatz von Einkommen und Vermögen bei der Leistungsgewährung absehen und stattdessen Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. Auf Tatbestandsseite setzt dies jedoch mit Blick auf den Wortlaut ("ist den [ ] genannten Personen die Aufbringung der Mittel [ ] im Sinne des Abs. 3 zumutbar") und den Zweck der Vorschrift – Erbringung von Leistungen in einer gegenwärtigen Notlage trotz fehlender Bedürftigkeit (Schoch, aaO., § 19 Rn 20) – nach Auffassung der Kammer zudem voraus, dass der vom Leistungsempfänger der Sache nach geltend gemachte Anspruch allein im Hinblick auf die Regelungen zu Einkommen und Vermögen nicht durchgreift. Darüber hinaus muss nach wohl allgemeiner Auffassung (vgl. nur Coseriu, aaO., § 19 Rn 38; Schoch, aaO., § 19 Rn 20 f.; Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, § 19 Rn 20, jeweils m.w.N.) und in Anknüpfung an die Vorgängervorschriften aus dem BSHG ein sog. begründeter Fall vorliegen, der im Hinblick auf den Zweck der erweiterten Sozialhilfe nur dann bestehen soll, wenn eine gegenwärtige Notlage vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2012, Az. B 8 SO 20/11 R, juris-Rn 16), der der Hilfebedürftige trotz fehlender Bedürftigkeit nicht selbst begegnen kann (Coseriu, aaO., § 19 Rn 38; Schoch, aaO., § 19 Rn 20 f., jeweils m.w.N.).

aa) In der Sache macht der Antragsteller – der seinen (fiktiven) Bedarf i.S.v. § 27b SGB XII aus seiner Rente i.H.v. EUR 966,81 zu decken vermag – letztlich einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 1 Satz 5. Fall SGB XII in Höhe der durch seine Rente und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Heimkosten geltend. Die diesbezüglichen Voraussetzungen des 7. Kapitels SGB XII liegen ausweislich der Feststellungen der Pflegeversicherung im Bescheid vom 03.06.2013 vor.

Dem Anspruch steht – davon geht der Antragsgegner zu Recht aus – jedoch (allein) Vermögen nach §§ 19 Abs. 3, 90 Abs. 1 SGB XII entgegen. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII wird Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten und (u.a.) ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Nach dem dadurch in Bezug genommenen § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen, wobei nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII die Leistung nicht vom Einsatz kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden darf. Nachdem der Antragsteller zwischenzeitlich EUR 4.000 zur Deckung der Heimkosten eingesetzt hat, verfügt er zwar selbst nicht mehr unmittelbar über Vermögen, dass über den nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII maßgeblichen Freibetrag i.H.v. EUR 3.214 hinausgeht. Allerdings verfügte seine Ehefrau noch im August 2014 über ein Vermögen i.H.v. rund EUR 18.000 und es ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich, dass das aktuell bei der Ehefrau vorhandene Vermögen die Vermögensfreigrenze des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII unterschritten hat.

Das Vermögen der Ehefrau ist dem Antragsteller gegenüber wegen § 19 Abs. 3 SGB XII auch zu berücksichtigen, weil nicht glaubhaft gemacht ist, dass die Ehefrau des Antragstellers zwischenzeitlich von diesem i.S.v. § 19 Abs. 3 SGB XII getrennt lebt. Ob ein solches Getrenntleben vorliegt, bestimmt sich nicht nach dem vom Antragsteller für maßgeblich gehaltenen bürgerlich-rechtlichen Begriff des Getrenntlebens (§ 1567 Abs. 1 BGB, vgl. dazu Grube, aaO., § 19 Rn 15 m.w.N.), sondern ist nur dann zu bejahen, wenn sich aus den die Beziehung der Ehegatten zueinander kennzeichnenden Gesamtumständen ergibt, dass mindestens einer von ihnen den Willen hat, sich vom anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebensgemeinschaft auf Dauer zu trennen. Die Annahme eines derartigen Trennungswillens setzt nicht voraus, dass die Eheleute keinerlei Kontakt mehr zueinander haben. Maßgebend ist allein, ob die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Eheleute nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht nur vorübergehend aufgehoben ist und der Wille, füreinander einzustehen, nicht mehr besteht (Coseriu, aaO., § 27 Rn 14 m.w.N.). Der Antragsteller selbst hält die Haltung seiner Ehefrau im Schriftsatz vom 15.10.2014 diesbezüglich für unklar. Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls nicht positiv festzustellen, dass die psychisch ebenfalls schwer beeinträchtigte Ehefrau des Antragstellers freiverantwortlich und nicht durch die psychische Erkrankung beeinträchtigt den Willen, füreinander einzustehen, aufgegeben hat. Nach dem im Rahmen des Hauptsacheverfahrens vorgelegtem Schriftsatz des Bevollmächtigten der Ehefrau des Antragstellers vom 07.08.2014 ist überdies nicht auszuschließen, dass die Weigerung, das Vermögen der Ehefrau des Antragstellers für die ungedeckten Heimkosten des Antragstellers aufzuwenden, eher von deren Betreuerin als von ihr selbst ausgeht. Das Vermögen seiner Ehefrau ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht deshalb nicht zu berücksichtigen, weil es mittlerweile hinter der Summe der ungedeckten Heimkosten zurückbleibt und deshalb bei einer Verrechnung die Grenze des Schonvermögens unterschritten würde. Denn soweit Vermögen über das Schonvermögen hinaus besteht, steht es dem Anspruch auf Sozialhilfe solange ("Monat für Monat", LSG NRW vom 14.07.2011, Az. L 9 SO 258/10, juris-Rn 47 m.w.N.) entgegen, bis der Wert des vorhandenen Vermögens den Betrag des Schonvermögens erstmals tatsächlich unterschreitet. Weder ist – mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage (BSG, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 19/10 R, juris-Rn 27 und vom 20.09.2012, Az. B 8 SO 20/11 R, juris-Rn 14) – ein fiktiver Verbrauch von Vermögen zu berücksichtigen, noch darf vorhandenes Vermögen mit etwaig bestehenden finanziellen Verpflichtungen des Hilfeempfängers saldiert werden (sog. "Bruttoprinzip", vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, aaO., § 20 Rn 20 m.w.N.).

bb) Beim Antragsteller besteht auch ein begründeter Fall, d.h. es liegt eine gegenwärtige Notlage vor, der der Hilfebedürftige trotz fehlender Bedürftigkeit nicht selbst begegnen kann (vgl. oben unter 2. b)). Letztlich liegt der gemeinsamen Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen die Vorstellung des Gesetzgebers zu Grunde, dass im Rahmen einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII die Personen einander auch tatsächlich die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen, d.h. das Vermögen den Mitgliedern der Einsatzgemeinschaft auch gemeinsam zur Verfügung steht. Wird diese Vermutung enttäuscht und steht (zugerechnetes) Vermögen dem Bedürftigen tatsächlich nicht zur Deckung des eigenen (existenzsichernden) Bedarfs zur Verfügung, besteht ein begründeter Fall i.S.v. § 19 Abs. 5 SGB XII (Coseriu, aaO., § 19 Rn 38; Schoch, aaO., § 19 Rn 21) und ist die Bedarfslücke durch den Sozialhilfeträger – nach Auffassung der Kammer im Wege der erweiterten Sozialhilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII (offen gelassen in BSG, Urteil vom 20.09.2012, Az. B 8 SO 13/11 R, juris-Rn 15) – zu füllen (sog. Tatsächlichkeitsprinzip, vgl. Coseriu, § 27 Rn 26; Grube, aaO., § 27 Rn 7; Schoch, aaO., § 27 Rn 20). Soweit in solchen Fällen statt der Anwendung von § 19 Abs. 5 SGB XII die Gewährung von "echter" Sozialhilfe unter Geltendmachung eines Kostenersatzanspruches nach § 103 Abs. 1 SGB XII erwogen wird (Coseriu, aaO., § 27 Rn 26), folgt die Kammer dem nicht. § 103 Abs. 1 SGB XII ist seinem Wortlaut nach auf die Konstellationen beschränkt, in denen der Ersatzpflichtige "die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat". Diese Voraussetzungen werden – mangels Bedürftigkeit i.S.v. § 19 Abs. 3 SGB XII – in Fällen wie dem vorliegenden jedoch gerade nicht erfüllt, so dass sie dem § 103 Abs. 1 SGB XII nur bei einer den Wortlaut erweiternden Auslegung unterfielen. Sie lassen sich jedoch zwanglos unter § 19 Abs. 5 SGB XII subsumieren, so dass diesem Weg der Vorzug zu geben ist.

cc) Auf Rechtsfolgenseite stellt § 19 Abs. 5 SGB XII es in das Ermessen des Sozialhilfeträgers, ob erweiterte Sozialhilfe geleistet wird, so dass insoweit grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht. Im Hinblick auf die Umstände, die zur Überzeugung der Kammer zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes führen, ist vorliegend jedoch von einer Ermessensreduzierung auf Null und von einem Anspruch des Antragstellers im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auszugehen.

Ein Anspruch auf die Übernahme auch der beim XXX für die Zeit von der Aufnahme des Antragstellers im März 2013 bis zur Kündigung des Einrichtungsvertrages mit Ablauf des September 2014 bereits aufgelaufenen Heimkosten i.H.v. EUR 33.973,26 besteht hingegen zur Überzeugung der Kammer im Rahmen dieses Eilverfahrens nicht. Zwar hält das XXX im Schreiben an die Betreuerin des Antragstellers vom 29.09.2014 eine erneute Aufnahme des Antragstellers für möglich, wenn die in der Vergangenheit aufgelaufenen Kosten beglichen und zugleich eine Kostenzusage für zukünftige Kosten vorgelegt würde. Zum Einen steht jedoch nicht fest, dass das XXX den Antragsteller aufgrund einer – letztlich bis zur Entscheidung in der Hauptsache befristeten und bloß vorläufigen – Verpflichtung des Antragsgegners durch eine gerichtliche einstweilige Anordnung wieder aufnimmt. Zum Anderen ist nicht glaubhaft gemacht, dass zur Beseitigung der gegenwärtigen Notlage des Antragstellers (vgl. oben unter 2 a)) eine Wiederaufnahme gerade in das XXX notwendig ist, weil die Aufnahme in (irgend-)ein anderes Alten- und Pflegeheim nicht möglich und / oder zur Beseitigung der Notlage des Antragstellers nicht hinreichend ist. Denn es ist durch nichts belegt worden, dass beim zwischenzeitlich infolge eines Schlaganfalles nach eigenen Angaben bettlägerigen Antragsteller nach Ablauf der durch das AG Lippstadt diesbezüglich genehmigten Zeitspanne überhaupt noch eine geschlossene Unterbringung erforderlich wäre und eine solche gerade im XXX erfolgen müsste.

In zeitlicher Hinsicht hält die Kammer es auch mit Blick auf den Aufwendungsersatzanspruch des Antragsgegners aus § 19 Abs. 5 SGB XII und das bei der Ehefrau des Antragstellers höchstens noch zur Verfügung stehende Vermögen von rund EUR 18.000 für gerechtfertigt, ihn zur Übernahme der ungedeckten Kosten für zunächst sechs Monate zu verpflichten. Bei Vorliegen unveränderter Umstände geht die Kammer jedoch davon aus, dass die Leistungsgewährung auch über diesen Zeitraum hinaus erfolgt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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