L 8 SO 306/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 SO 708/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 306/14 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.Die Gefährdung des Wohls eines im Ausland lebenden Kindes ist bei einem Leistungsempfänger nach dem SGB XII nur relevant, wenn für diesen selbst eine un zumutbare Situation besteht, der alleine mit Mitteln des Sozialhilferechts begegnet werden kann.
2.Bei bereits seit einem Jahr anhaltender Trennung von einem zwölfjährigen Kind mit Aufenthalt bei den Großeltern kann iR von § 86b SGG der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über hohe Kosten der Familienzusammenführung abgewartet werden.
3.Im Rahmen der Ermessensleistung nach § 73 SGB XII ist zu beachten, inwieweit die Fahrtkosten überhaupt erforderlich waren. Außergewöhnlich hohe Kosten rechtfertigten meist nicht den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 Satz 1 SGB XII.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Gegenstand dieser Entscheidung ist eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts München (SG) vom 11. Dezember 2014. Mit seinem Beschluss hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Der 1944 geborene Antragsteller ( N.) ist italienischer Staatsangehöriger und steht im Leistungsbezug beim Antragsgegner (Grundsicherung). Zuletzt ist mit Bescheid vom 5.3.2014 der Bewilligungsbescheid vom 11.7.2013 (bis 31.3.2015) geändert worden. Grund hierfür war u.a. die Abwesenheit des Sohnes des Antragstellers (A. N.). Dieser ist 2003 geboren und italienischer und brasilianischer Staatsangehöriger. Nach der vorgelegten Kopie einer Urkunde eines brasilianischen Familiengerichts vom 6.12.2007 ist dem Antragsteller das Sorgerecht übertragen worden.

Am 20.11.2014 brachte der Antragsteller beim Antragsgegner vor, am 14.12.2014 nach Brasilien fliegen zu wollen, um dort seinen zwölfjährigen Sohn abzuholen und ihn mit nach Deutschland zu nehmen. Dessen italienischer Pass sei abgelaufen und müsse in Brasilien erneuert werden. Daher benötige er Geld für die Flugkosten in Höhe von circa 3000 bis 4000 EUR. Nach einer Recherche des Antragsgegners beim italienischen Generalkonsulat in B-Stadt genügte eine schriftliche Einwilligungserklärung des Vaters sowie ein Passantrag mit einer Kopie des italienischen Passes, ohne dass der Antragsteller persönlich in Brasilien vorsprechen müsse.

Mit Bescheid vom 1.12.2004 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für einen Flug nach Brasilien ab. In einer persönlichen Vorsprache vom 5.12.2014 hat der Antragsteller sein Missfallen beim Antragsgegner bekundet. Gleichzeitig legte er die Kopie des italienischen Ausweises mit einer Gültigkeit bis 2017 vor.

Am 5.12.2014 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistung seiner Flugkosten zu verpflichten. Zur Ausreise seines Sohnes sei es nötig, einen brasilianischen Pass zu beantragen und vorab eine gerichtliche Genehmigung des Jugendgerichts in Brasilien einzuholen. Vorgelegt wurde ein Flugticket vom 28.12.2013 des Sohnes A. R. über einen Hinflug vom 24.1.2014 und einen Rückflug vom 14. und 15.12.2014.

Nach der Begründung des Beschlusses des SG vom 11. Dezember 2014 war der Antrag unbegründet, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Gegen die Zugrundelegung des einfachgesetzlichen, aus § 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG, § 920 II ZPO abgeleiteten Maßstabes bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar sei das Elternrecht des Antragstellers durch Art. 6 Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt. Das Recht auf Umgang mit seinem Sohn gehöre aber nicht uneingeschränkt zum soziokulturellen Existenzminimum.

In der Sache mache der Antragsteller Kosten geltend, die im Rahmen der Ausübung seines Sorgerechts für seinen Sohn entstünden. Diese Kosten seien dem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt zuzuordnen (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII Stand 08/11, § 73 Rn. 13). Damit käme allenfalls die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht. Danach sollten die notwendigen Leistungen als Darlehen erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden könne. Dies habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Seine persönliche Anwesenheit in Brasilien sei nicht die einzige Möglichkeit, dem Sohn die notwendigen Reisedokumente zu beschaffen. Sowohl der Antragsteller als auch sein Sohn seien italienische Staatsangehörige. Der Antragsteller habe bisher nicht dargelegt, dass er erfolglos versucht hätte, von Deutschland aus einen Pass zu beantragen. Er habe lediglich gegenüber dem Antragsgegner angegeben, dass es keinen Sinn machen würde, mit den italienischen oder brasilianischen Behörden in B-Stadt zu sprechen. Eine Passbeschaffung von Deutschland aus wäre wesentlich günstiger als ein Flug nach Brasilien. Es handele sich damit nicht um einen unabweisbar gebotenen Bedarf.

Darüber hinaus fehle auch ein Anordnungsgrund i.S. der besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung des Gerichts. Zwar habe der Antragsteller vorgebracht, dass der Rückflug des Sohnes für den 14.12.2014 gebucht sei. Allerdings werde es dem Antragsteller, auch wenn er noch heute ein Flugzeug besteigen sollte, nicht mehr möglich sein, bis zum 14.12.2014 einen Pass für den Sohn zu beantragen und diesen auch zu erhalten. Darüber hinaus halte sich der Sohn bereits seit Januar 2014 in Brasilien bei seiner Großmutter auf. Es sei nicht vorgetragen worden und sei auch nicht ersichtlich, dass das Kindeswohl plötzlich jetzt gefährdet wäre, falls der Sohn des Antragstellers noch länger in Brasilien bleiben müsste.

Hiergegen hat der Antragsteller am 15.12.2014 zur Niederschrift des SG Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Der Bevollmächtigte begründet die Beschwerde am 12.1.2015 (Eingang) damit, dass nach brasilianischem Recht ein Kind mit brasilianischer Staatsangehörigkeit nur mit gültigem brasilianischem Pass ausreisen könne. Außerdem sei für die Ausreise eine Ausreisegenehmigung des Familiengerichts erforderlich, wenn das Kind nicht vom Inhaber des Sorgerechts begleitet werde. Dem Antragsteller sei es trotz mehrfacher Bemühungen nicht gelungen, die Ausreisemöglichkeit für seinen Sohn bei Konsulaten in Deutschland zu erwirken. Der Antragsteller sei gezwungen, seinen Sohn persönlich von Brasilien nach Deutschland abzuholen, weil sonst ein jahrelanges Gerichtsverfahren durchlaufen werden müsste. Die Situation des Sohnes verschlechtere sich derzeit in Brasilien, weil es dessen Großeltern zusehends schwerer falle, ihn von schlechtem Umgang mit Jugendlichen an einem wohnortnahen Armenviertel abzuhalten. Es bestehe eine konkrete Gefahr für das Kindeswohl.

Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 14.1.2014 vorgebracht, dass er sich auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses berufe und die Zurückweisung der Beschwerde beantrage.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht am 15.12.2014 erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, bedarf eine einstweilige Anordnung neben dem Anordnungsanspruch auch eines Anordnungsgrundes. Davon muss der Spruchkörper im Sinne der zwar reduzierten Überzeugungsbildung im einstweiligen Rechtsschutz, jedoch dennoch im Sinne der Glaubhaftmachung überzeugt sein. Hier ist schon die Notwendigkeit der beantragten Leistungen zur Förderung des Umgangsrechts zweifelhaft. Zwar hat der Antragsteller am 20.11.2014 erklärt, dass er am 14.12.2014 nach Brasilien fliegen wolle, um seinen Sohn nach Deutschland zurückzubringen. Später wurde aber bekannt, dass der Rückflug des Sohnes bereits für den 14.12.2014 gebucht war. Schließlich hat es das italienische Konsulat entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht für erforderlich gehalten, dass der Antragsteller persönlich für die Ausreise sorgen müsse. Ebenso hat sich herausgestellt, dass der italienische Pass des Sohnes des Antragstellers noch gültig war. Nach der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigungen des brasilianischen Konsulats vom 23.12.2014 in B-Stadt nach persönlicher Vorsprache des Antragstellers ist die Ausstellung eines brasilianischen Reisepasses aufgrund der nicht eindeutig geklärten elterlichen Sorge nicht möglich. Denn die in Brasilien lebende Mutter weigert sich, eine Einverständniserklärung zur Ausstellung des Reisepasses zu erteilen. Sollten sich die Erziehungsberechtigten nicht einvernehmlich einigen, so könne ein brasilianischer Reisepass nur unter der Voraussetzung ausgestellt werden, dass kraft eines gerichtlichen Beschlusses die alleinige elterliche Sorge eindeutig einem der Eltern übertragen werde. Nach einer früheren Bescheinigung des brasilianischen Generalkonsulats (8.12.2014) ist zur Erlangung einer Reisegenehmigung zur Ausreise ein gültiger brasilianischer Reisepass erforderlich.

Bei dieser Sachlage ist die Notwendigkeit einer persönlichen Anwesenheit des Antragstellers in Brasilien zurzeit nicht ersichtlich. Nach den vorgelegten Bescheinigungen ist zwar ein brasilianischer Reisepass notwendig. Dessen Ausstellung steht aber die Haltung der Mutter des Sohnes des Antragstellers entgegen, nicht das Fehlen einer persönlichen Anwesenheit des Antragstellers. Die bisherigen Behauptungen des Klägers haben sich damit nicht als schlüssig erwiesen.
Auch die Ausführungen zur Gefährdung des Kindeswohls sind bloße Behauptungen. Der Sohn des Klägers lebt nicht ganz alleine in Brasilien. Aus dem Vortrag des Antragstellers ergibt sich, dass er im familialen Umfeld der Großeltern lebt. Ebenso befindet sich die leibliche Mutter, Frau J.M.S. dS., in Brasilien, wie sich aus der Bescheinigung des Generalkonsulats in B-Stadt ergibt. Hieraus ergibt sich auch, dass durchaus ein geordneter Behördenverkehr zwischen den brasilianischen Behörden und den Konsulaten gewährleistet ist. Schon deswegen ist es nicht ersichtlich, weswegen der Antragsteller nicht von Deutschland aus die Ausstellung eines Reisepasses bewerkstelligen kann.

Dem Antragsteller selbst ist zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Schon bislang lebte der Antragsteller - wie sich aus den Flugdaten entnehmen lässt - ein Jahr getrennt von seinem jetzt zwölfjährigen Sohn. Eine besondere Dringlichkeit der Familienzusammenführung ist daher nicht ersichtlich. Die in der Person des Sohnes liegenden Gründe sind im Übrigen nur insoweit relevant, als sie die Rechtsstellung des Antragstellers betreffen. d.h., eine Gefährdung des Kindeswohls gehört zum Rechtskreis des Sohnes des Antragstellers und ist nur relevant, soweit für den Antragsteller selbst eine unzumutbare Situation besteht, der alleine mit Mitteln des Sozialhilferechts begegnet werden könnte. Insoweit handelt es sich beim Vorbringen des Klägerbevollmächtigten um allgemein gehaltene Umstände, die das Aufenthaltsland des Sohnes des Klägers betreffen. Ein Aufenthalt bei der Großmutter, in dem Land, in dem sich auch die leibliche Mutter des Sohnes des Antragstellers aufhält, der zudem schon über ein Jahr andauert, scheint nicht unzumutbar. Hier werden im Wesentlichen Gründe in der Person und Lebenssituation des Sohnes des Antragstellers vorgebracht. Um dessen Ansprüche - allenfalls solche der Auslandssozialhilfe, die aber nur für Deutsche geleistet wird - geht es aber in der vorliegenden Sache nicht.

Damit kommt es letztlich nicht mehr auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs an. Dazu sei aber angemerkt, dass es sich allenfalls um Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) handeln könnte. Danach können nur im Ermessenswege Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Sind Bedarfslagen bereits von gesetzlichen Regelungen erfasst, so können auch über § 73 Satz 1 SGB XII nicht die dort bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen umgangen werden. Denn § 73 Satz 1 SGB XII greift nicht bereits dann ein, wenn einzelne Tatbestandsvoraussetzungen sonstiger im SGB XII aufgeführten Hilfen nicht vorliegen oder deren Rechtsfolgen als unzureichend angesehen werden, sondern setzt eine nicht erfasste und damit im SGB XII unbenannte Bedarfssituation voraus. Im Zusammenhang mit der Anwendung des § 73 Satz 1 SGB XII auf dem Leistungsregime des SGB II unterliegende Personen hat das BSG gefordert, dass die Bedarfssituation einen Grundrechtsbezug aufweist. Diese Rechtsprechung ist auch auf Fälle ohne SGB II-Bezug zu übertragen. Denn der Gesetzgeber hat Leistungen nicht zur Deckung aller möglichen Bedarfe vorzuhalten. Er ist - auch von Verfassungswegen - nur verpflichtet, die existenziellen Bedarfe zu decken und insoweit ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten. Maßgeblich ist letztlich nur, ob wegen einer drohenden Verletzung von Grundrechten die Deckung eines Bedarfs, der eine Nähe zu den im SGB XII geregelten Tatbeständen aufweist, durch staatliche Leistungen nach § 73 Satz 1 SGB XII erforderlich ist. Diese Grundrechtsrelevanz ist vom Leistungsbegehrenden substantiiert darzulegen (vgl. Böttiger in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 73 SGB XII, Rn 24ff.). Im Rahmen der Ermessensleistung nach § 73 SGB XII konnte nach der Rechtsprechung beachtet werden, ob bzw. inwieweit die Fahrtkosten überhaupt erforderlich waren. Dies hat das BSG bei der Abholung von zwölf- bzw. vierzehnjährigen Kindern in Zweifel gezogen (vgl. BSG v. 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - juris Rn. 24 - BSGE 97, 242-254 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1). Auch außergewöhnlich hohe Kosten rechtfertigten danach nicht den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 Satz 1 SGB XII; insbesondere dürfte dies auch hinsichtlich hoher Flugkosten zu Besuchen bei sich im Ausland aufhaltenden Kindern gelten.

Der Beschluss des SG erging daher zu Recht. Der Antrag war abzulehnen, auch soweit er auf darlehensweise Übernahme der Flugkosten gerichtet ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

III.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist nach §§ 73a SGG, 114 ff. ZPO abzulehnen. Es fehlt an hinreichenden Erfolgsaussichten. Insoweit wird auf Ziffer II. des Beschlusses Bezug genommen. Auch insoweit sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Auch dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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