S 23 AS 1971/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 1971/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 31.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2012 verpflichtet, den Bescheid vom 25.11.2010 aufzuheben und die Bescheide vom 29.09.2010, 21.03.2011, 17.04.2012 und 29.08.2012 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2011 und für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 12,00 Euro gewährt werden.

Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 43 %.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten zur Wahrnehmung von Sub-stitutionsbehandlungen ohne Abzug einer Eigenbeteiligung.

Der am 1974 geborene Kläger steht seit Jahren laufend im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei dem Beklagten. Aufgrund der bei ihm vorliegenden Drogensucht werden Substitutionsbehandlungen mit Methadon durchgeführt. Diese finden in Q statt.

Auf seine Weiterbewilligungsanträge vom 29.09.2010 und 21.03.2011 bewilligte der Be-klagte dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin mit Bescheiden vom 29.09.2010 und 21.03.2011 Leistungen für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 31.03.2011 und vom 01.04.2011 bis zum 30.09.2011. Zum 01.05.2011 zog die ehe-malige Lebensgefährtin des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung aus. Auf seine Weiterbewilligungsanträge vom 08.02.2012 und 29.08.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheiden vom 17.04.2012 und 29.08.2012 Leistungen für die Zeit vom 01.02.2012 bis zum 31.07.2012 und vom 01.08.2012 bis zum 31.01.2013. Weiterhin änderte der Beklagte mit Bescheiden vom 29.08.2012 die Bescheide für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.09.2011 und vom 01.02.2012 bis zum 31.07.2012 ab und gewährte einen monatlichen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung.

Am 12.11.2010 beantragte der Kläger, der seinerzeit in I wohnhaft war, die Übernahme der ihm für die Fahrten zur Substitutionsbehandlung anfallenden Fahrtkosten.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25.11.2010 ab, da es sich bei den Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung nach den Weisungen des Kreises Paderborn nicht um einen besonderen Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II handele.

Unter dem 14.05.2012 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 25.11.2010. Die Entscheidung sei nicht korrekt gewesen. Die Kosten der Fahrtkarte zur Substitutionsbehandlung nach Q hätten im Rahmen eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II erstattet werden müssen. Jeder Substituierte, der zur täglichen Vergabe kommen und eine entsprechende Wegstrecke zurücklegen müsse, erhalte die Fahrtkostenerstattung. Der Kläger legte die bei ihm noch vorhandenen Fahrkarten in Kopie vor.

Nachdem der Kläger zudem eine Bescheinigung seiner Krankenkasse, wonach diese die Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung nicht übernehme, vorgelegt hatte, gewährte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 31.08.2012 für die Zeit ab dem 01.01.2011 einen Mehrbedarf in Höhe der nachgewiesenen Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung. Dabei berücksichtigte er einen monatlichen Eigenanteil von 12,00 Euro, da die gewährten Regelleistungen bereits einen Anteil für Verkehr enthielten. Die Festsetzung des Eigenanteils erfolge analog der Arbeitshilfe des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) zur Schülerbeförderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Da der Kläger im Zeitraum Oktober bis November 2011 keine Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, könnten diese Fahrtkosten nicht erstattet werden. Der Kläger erhalte eine Nachzahlung in Höhe von 427,70 Euro. Diese setzte sich ausweislich der Anlage zum Bescheid aus den nachgewiesenen Fahrtkosten für Januar 2011 bis April 2011 i. H. v. je 63,80 Euro monatlich, für Mai 2012 bis Juli 2012 i. H. v. je 66,50 Euro monatlich und für August 2012 i. H. v. 69,00 Euro abzüglich des monatlichen Eigenanteils von je 12,00 Euro zusammen.

Am 01.10.2012 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.08.2012. Er habe zwar Recht bekommen, allerdings nur rückwirkend bis zum 01.01.2011. Bei einem definitiv falschen Bescheid hätten auch die weiteren Monate, November und Dezember 2010, berücksichtigt werden müssen. Auch der Einbehaltung des Eigenanteils sei zu widersprechen. Alle Fahrkarten seien vor einer angeblichen Änderung hinsichtlich der Eigenbeteiligung angefallen, die Nichterstattung beruhe auf einem falschen Bescheid aus dem Jahr 2010. Es könne nicht sein, dass bei der rückwirkenden Erstattung im Jahr 2012 ein Eigenanteil einbehalten werden solle, da bereits ein Anteil für Verkehr in der Regelleistung enthalten sei. Die Regelleistung sei eine pauschale Leistung und könne nicht gekürzt oder erhöht werden. Die Begründung, dass ein Anteil an Verkehrskosten in der Regelleistung enthalten sei, erscheine fragwürdig. Mit der Fahrkarte zur Substitution könne er die Strecke von Q nach I befahren. Andere Fahrten könne er dann aus der Re-gelleistung nicht mehr bestreiten.

Der Widerspruch wurde durch den Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sei am 15.05.2012 gestellt worden. Er könne somit gem. § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II lediglich bis zum 01.01.2011 zurückwirken. Eine Erstattung der Fahrtkosten für die Monate November und Dezember 2010 scheide damit aus. Weiterhin sei in der Regelleistung nach § 20 SGB II ein Anteil von 12,00 Euro für die Beförderung mit dem öffentlichen Personennahverkehr enthalten. Mithin sei ein Anteil in diesem Umfang nicht erstattungsfähig.

Mit der hiergegen am 06.11.2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus, die ihm entstandenen Fahrtkosten stellten einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf dar. Er sei medizinisch auf die Substitutionsbehandlung angewiesen und müsse regelmäßig von seinem Wohnort zur Apotheke und zu seinem behandelnden Arzt fahren. Zwar sei in der Regelleistung nach § 20 SGB II für die Nutzung von Verkehrsdienstleistungen ein Anteil enthalten. Jedoch sei eine derart enge Behandlungsfrequenz mit der dadurch entstehenden Höhe von Fahrtkosten davon nicht erfasst. Seine Situation sei mit derjenigen der Hilfebedürftigen, denen die in der Gesetzesbegründung genannten Sonderbedarfe entstünden, wie z. B. Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Ehegatten und Putz- und Haushaltshilfen für Rollstuhlfahrer, vergleichbar. Insbesondere die in der Beschlussempfehlung genannte Fallgruppe der dauerhaft benötigten Hygienemittel bei bestimmten Erkrankungen wie HIV und Neurodermitis mache deutlich, dass gerade im Bereich von Erkrankungen Bedarfslagen entstehen könnten, die die Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz beträfen und anderweitig nicht gedeckt werden könnten. Er könne den erheblichen Betrag von ca. 70,00 Euro monatlich nicht aus den ihm gewährten Grundsicherungsleistungen tragen und sei auch nicht in der Lage, die Kosten anderweitig zu decken. Eine wohnortnähere Behandlung sei ihm nicht möglich. Eine Berücksichtigung des im Regelsatz enthaltenen Anteils für Verkehr könne nicht erfolgen. Es handele sich bei den Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung um einen besonderen Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, für den im Regelsatz kein Anteil enthalten sei. Der Abzug des im Regelsatz enthaltenen Anteils sei daher rechtswidrig. Weiterhin habe der Beklagte die Fahrtkosten für November und Dezember 2010 wegen eines Verstoßes gegen seine Aufklärungs- und Be-ratungspflichten nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zu erstatten.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 31.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2012 zu verpflichten, den Bescheid vom 25.11.2010 aufzuheben und die Bescheide vom 29.09.2010, 21.03.2011, 17.04.2012 und 29.08.2012 dahingehend abzuändern, dass ihm für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2011 und für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012 weitere Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 12,00 Euro gewährt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Im Erörterungstermin am 31.10.2013 hat der Kläger die Klage hinsichtlich der zunächst begehrten Fahrtkostenerstattung für die Monate November und Dezember 2010 zurück-genommen. Die Beteiligten haben sich im Termin zudem mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist begründet.

Streitgegenständlich ist die Bewilligung der Regelleistung nebst Mehrbedarfen für den Kläger im Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2011 und vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012.

Gegenstand des Verfahrens ist dabei der Überprüfungsbescheid vom 31.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2012, mit welchem der Beklagte seinen ursprünglich ablehnenden Bescheid vom 25.11.2010 aufgehoben und dem Kläger einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für den streitgegenständlichen Zeitraum unter Abzug eines Eigenanteils in Höhe von 12,00 Euro gewährt hat. Mit dem Bescheid vom 25.11.2010 hatte der Beklagte in der Sache die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung in den Bescheiden vom 29.09.2010, 21.03.2011, 17.04.2012 und 29.08.2012 im Hinblick auf die darin konkludent enthaltene ablehnende Entscheidung über die Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II gemäß § 44 SGB X überprüft und bestätigt. Zwar lassen die Bescheide vom 25.11.2010 sowie vom 31.08.2012, letzterer in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2012, eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit den genannten Bescheiden erfolgte Bewilligung für die streitgegenständlichen Zeiträume nicht erkennen. Vielmehr wird darin ausgeführt, es werde "ab 01.01.2011 ein Mehrbedarf in Höhe der nachgewiesenen Fahrtkosten" gewährt. Dies allein lässt aber - aus der insoweit für die Auslegung maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann - nicht den Schluss zu, der Beklagte habe abschließend für die Zukunft über den geltend gemachten Mehrbedarf entscheiden wollen. Zu einer solchen Entscheidung mit Bindungswirkung für die Zukunft wäre er wegen der in § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II vorgesehenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen nicht berechtigt gewesen. Die Bewilligungsentscheidungen wegen der Folgezeiträume weisen dementsprechend jeweils eigenständige Entscheidungen über "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (inklusive Mehrbedarfe)" aus (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26.05.2011, Az. B 14 AS 146/10 R m. w. N.). Dementsprechend kann sich die Klage zulässigerweise nur auf höhere laufende Leistungen für die oben genannten Zeiträume richten. Die Bewilligungsentscheidungen wegen der Folgezeiträume hat der Kläger im Hinblick auf die Höhe der Regelleistung einschließlich der Mehrbedarfe nicht fristgerecht mit einem Rechtsbehelf angegriffen. Sie sind nach Aktenlage bestandskräftig geworden, ihre Einbeziehung in das laufende Klageverfahren scheidet aus (vgl. hierzu BSG, a.a.O.). Streitgegenstand sind zudem nicht die gesamten mit den oben genannten Bewilligungsbescheiden geregelten Bewilligungszeiträume vom 01.10.2010 bis zum 31.03.2011, vom 01.04.2011 bis zum 30.09.2011, vom 01.02.2012 bis zum 31.07.2012 und vom 01.08.2012 bis zum 31.01.2013. Der Kläger hat seinen Klageantrag ausdrücklich auf die - sich aus der Anlage zum Bescheid vom 31.08.2012 ergebenden - Monate beschränkt, für die der Beklagte (nach Vorlage entsprechender Fahrtkostennachweise) bereits einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II bewilligt hat.

Streitgegenstand sind zudem allein die Ansprüche des Klägers auf den Regelbedarf sowie die geltend gemachten Mehrbedarfe, der Kläger hat den Streitgegenstand ausdrücklich auf die Regelleistung unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II beschränkt. Die Kammer hatte demgemäß nicht über die Rechtmäßigkeit der Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung zu entscheiden (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7 AS 8/06 R). Eine weitere Aufspaltung des Streitgegenstandes ist hingegen nicht möglich. Die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und kann damit nicht allein Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass das Begehren des Klägers auf Gewährung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs. 6 SGB II gemeinsam mit der Regelleistung zu behandeln ist. Es ist insoweit auf den streitgegenständlichen Zeitraum abzustellen und zu prüfen, ob in dem streitigen Zeitraum insgesamt Anspruch auf Gewährung einer höheren Leistung besteht. Die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist dann unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.11.2011, Az. B 4 AS 138/10 R m.w.N.; S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2010, § 21, Rn. 11).

Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der angefochtene Be-scheid vom 31.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2012 insoweit rechtswidrig ist, als dem Kläger darin ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II unter Abzug eines Eigenanteils in Höhe von 12,00 Euro gewährt wird. Denn der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X i. V. m. § 21 Abs. 6 SGB II in Höhe der vollständigen von ihm nachgewiesenen Fahrtkosten.

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4), sog. erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II.

Zur Bedarfsgemeinschaft gehört gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II als Partnerin oder Partner des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs.1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II dem Grunde nach erfüllt, da er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und das 67. Lebensjahr (§ 7 a SGB II) noch nicht vollendet sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat und erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II gewesen ist. Er ist auch hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 9 SGB II gewesen, da er nicht über bedarfsdeckendes Einkommen bzw. Vermögen verfügt hat.

Für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2011 hat der Beklagte dem Kläger sowie der mit ihm damals in Bedarfsgemeinschaft lebenden ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers die in § 20 Abs. 4 SGB II vorgesehene Regelleistung für zwei Partner der Bedarfsgemein-schaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, in Höhe von je 328,00 Euro monatlich gewährt. Weiterhin hat der Beklagte im Einklang mit § 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II einen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung in Höhe von 2,3 % des maßgeblichen Regelbedarfs (gerundet jeweils 8,00 Euro im Monat) gewährt. Hierauf hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise Einkommen der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers in Form von Kindergeld in Höhe von 184,00 Euro sowie Rente in Höhe von 108,24 Euro abzüglich der Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro (§ 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 6 Abs.1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II-Verordnung (ALG II-V)) angerechnet.

Für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012 hat der Beklagte dem nunmehr alleinstehenden Kläger die in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehene Regelleistung für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind, in Höhe von 374,00 Euro gewährt. Weiterhin hat der Beklagte dem Kläger einen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung in Höhe von 8,60 Euro entsprechend § 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II gewährt.

Die monatlichen Leistungen sind um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu erhöhen. Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht, § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II. Der Mehrbedarf ist nach Satz 2 der Vorschrift unab-weisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Bei den hier streitgegenständlichen Fahrtkosten zur Wahrnehmung von Substitutionsbe-handlungen handelt es sich – was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist – um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf im Einzelfall. Insbesondere stellen die Fahrtkosten für die Wahrnehmung von Substitutions-behandlungen einen besonderen Bedarf in diesem Sinne dar, denn sie sind im Regelbedarf nicht enthalten. Der Regelbedarf enthält zwar einen Anteil für Fahrtkosten, diese betreffen allerdings nur die üblichen Fahrten im Alltag (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.03.2013, Az. L 7 AS 1911/12 m.w.N.). Es handelt sich auch nicht um einen einmaligen Bedarf, da die Substitutionsbehandlung über Monate laufend durchgeführt werden muss. Der Mehrbedarf weicht seiner Höhe nach weiterhin erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab (etwa betrugen die Fahrtkosten im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen 63,80 Euro und 69,00 Euro monatlich). Schließlich ist der Mehrbedarf auch nicht unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Klägers gedeckt. Insoweit kann der Kläger insbesondere nicht auf Umverteilungen innerhalb der pauschalierten Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, d. h. die Möglichkeit, höhere Ausgaben in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen, verwiesen werden, da dies zu einer dauerhaften erheblichen Unterdeckung seiner übrigen Bedarfe führen würde (vgl. hierzu auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21, Rn. 86).

In diesem Zusammenhang kann auch ein Abzug von den dem Kläger im Rahmen des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II zu erstattenden nachgewiesenen Fahrtkosten zur Wahrnehmung von Substitutionsbehandlungen in Form des in der Regelleistung enthal-tenen Eigenanteils für Mobilität in Höhe von 12,00 Euro - auch im Hinblick auf die in der Vorschrift vorgenommene Verweisung auf Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten - nicht in rechtmäßiger Weise vorgenommen werden. Zwar enthält der Regelbedarf - wie bereits ausgeführt - einen Anteil für Fahrtkosten, dieser betrifft allerdings nur die üblichen Fahrten im Alltag. Würde man diesen Anteil durch Anrechnung auf die Fahrtkosten zur Wahrnehmung der Substitutionsbehandlung "aufzehren", stünden dem Kläger für die üblichen Fahrten im Alltag keine Mittel mehr zur Verfügung. Er wäre gezwungen, bei den anderen von der Regelleistung umfassten Bedarfen Abstriche zu machen. Dies ist insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II definitionsgemäß um einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf handelt, nicht hinzunehmen. Denn hierdurch käme es zu einer dauerhaften Kürzung der Regelleistung. Dem Kläger wäre es dann auf Dauer entweder nicht möglich, seinen allgemeinen Mobilitätsbedarf zu decken, oder er wäre gezwungen, bei anderen Bedarfen Einsparungen vorzunehmen. Abgesehen davon ist eine Rechtsgrundlage für einen Abzug vom tatsächlich entstandenen und im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II zu berücksichtigenden Bedarf bzw. eine "Verrechnung" mit Teilen der Regelleistung nicht ersichtlich. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II besteht ein Rechtsanspruch des Leistungsberechtigten auf Anerkennung des Mehrbedarfs. Wenn also ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht, so ist dieser nach § 21 Abs. 6 SGB II - ohne Abzüge - zu übernehmen. Es handelt sich eben um einen Zusatzbedarf, der Kläger kann insoweit nicht auf die Regelleistung verwiesen werden. Es ist der Betrag zu übernehmen, der erforderlich und angemessen ist, um den Bedarf zu decken (vgl. S. Knickrehm/Hahn, a.a.O., Rn. 77 m.w.N.).

Der Kläger hat für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2011 jeweils monatliche Fahrt-kosten in Höhe von 63,80 Euro, für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.07.2012 in Höhe von monatlich 66,50 Euro und für den Monat August 2012 in Höhe von 69,00 Euro nach-gewiesen. Diese Fahrtkosten sind von dem Beklagten ohne Abzug zu Übernehmen, die von dem Beklagten vorgenommenen Abzüge in Höhe von monatlich 12,00 Euro sind nachzuzahlen.

Eine Nachzahlung der Leistungen für die streitigen Zeiträume ist auch von der Rückwirkung des Antrags nach § 44 SGB X erfasst. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Dabei wird nach Satz 2 der Vorschrift der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, nach § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB X anstelle der Rücknahme der Antrag. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II gilt § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Da der Kläger den Antrag nach § 44 SGB X am 14.05.2012 gestellt hat, können Sozialleistungen für die Zeit ab dem 01.01.2011 nachgezahlt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer hat insoweit berücksichtigt, dass der Kläger ursprünglich neben der Bewilligung weiterer Fahrtkosten i. H. v. 12,- Euro für acht Monate (= 96,- Euro) auch die Erstattung der nachgewiesenen Fahrtkosten i. H. v. je 63,80 Euro für die Monate November und Dezember 2010 begehrt, die Klage insoweit aber im Erörterungstermin zurück genommen hat.

Die Berufung war zuzulassen.

Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, § 144 Abs. 1 S. 2 SGG. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 96,00 Euro (8 * 12,- Euro) und erreicht nicht die Berufungssumme. Auch sind keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr streitig. Die Berufung war aber zuzulassen, da die Frage des Abzugs einer Eigenbeteiligung in Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Mobilität von dem Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II grundsätzliche Bedeutung hat und bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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