L 7 AS 4641/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 4514/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4641/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch eine Rentenzahlung ist gem. § 11 Abs. 2 SGB II erst ab Beginn des Monats, in welchem die tatsächliche Auszahlung erfolgt, als Einkommen zu berücksichtigen. Eine wesentliche Änderung nach § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X ist damit erst im Monat des Zuflusses eingetreten.
Auf die Berufungen der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2012 abgeändert.

Die Bescheide des Beklagten vom 13. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2011 werden aufgehoben, soweit darin für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 30. November 2010 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II aufgehoben und die Erstattung festgesetzt worden ist.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt 6/7 der außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung und Erstattung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum von Juni bis Dezember 2010 streitig.

Die 1955 geborene Klägerin und der Kläger, ihr 1950 geborener schwerbehinderter Ehemann, bezogen seit 2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 6. Mai 2010, 10. August 2010 und 15. Oktober 2010 bewilligte ihnen der Beklagte für die Zeit von Juni 2010 bis November 2010 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in monatlicher Höhe von jeweils EUR 299,88 (Mai 2010) bzw. EUR 338,38 (ab Juni 2010). Mit weiterem Bescheid vom 3. November 2010 bewilligte der Beklagte für den Folgezeitraum ab Dezember 2010 erneut laufende Leistungen in Höhe von monatlich je EUR 338,38.

Mit Bescheid vom 19. November 2010 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) dem Kläger rückwirkend ab dem 1. Juni 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem monatlichen Zahlbetrag von EUR 599,76. Am 24. November 2010 ging eine Mitteilung der DRV über die Rentengewährung bei der Agentur für Arbeit ein und wurde noch am gleichen Tag an den Beklagten weitergeleitet. Darin wurde für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 31. Dezember 2010 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 4.212,32 ausgewiesen. Die Akten des Beklagten enthalten weiter eine Mehrfertigung des Rentenbescheides ohne Eingangsdatum. Gleichfalls am 24. November 2010 legte der Kläger dem Beklagten ein Schreiben seiner Krankenkasse vom 23. November 2010 vor, in welchem diese mitteilte, der Rentenbescheid sei dort am 23. November 2010 eingegangen, Krankengeld sei letztmals bis zum 10. November 2010 gezahlt worden.

Mit Schreiben vom 25. November 2010, am 26. November 2010 zur Post gegeben, machte der Beklagte gegenüber der DRV einen Erstattungsanspruch auf den zu gewährenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 5.745,95 geltend. Bei der DRV ging das Erstattungsbegehren des Beklagten am 29. November 2010 ein. Diese teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 1. Dezember 2010 mit, die Rentennachzahlung sei am 29. November 2010 abgerechnet worden. Sie sei in Höhe von EUR 2.560,00 an die Krankenkasse des Klägers angewiesen worden. Der verbleibende Betrag in Höhe von EUR 1.652,32 sei an den Kläger ausgezahlt worden. Es werde anheimgestellt, sich bezüglich der Erstattung zunächst mit dem Kläger in Verbindung zu setzen. Sollte danach die Verrechnung nach § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) begehrt werden, solle sich der Beklagte nochmals mit der DRV in Verbindung setzen.

Die Nachzahlung wurde am 29. November 2010 abgerechnet und an diesem Tage auch angewiesen (Schreiben der DRV vom 25. November 2014). Die Nachzahlung ging am 6. Dezember 2010 auf dem Konto der Klägerin ein.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2010 wandte sich der Beklagte erneut an die DRV und machte nochmals einen Erstattungsanspruch geltend. Es liege nicht in seiner Zuständigkeit, sich mit dem Rentner bezüglich einer Rückforderung in Verbindung zu setzen. Die Erstattung der Rentennachzahlung sei vorrangig. Hierauf teilte die DRV mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 mit, der Erstattungsanspruch sei nach Abrechnung der Nachzahlung an die Krankenkasse und den Versicherten eingegangen. Eine Befriedigung des Erstattungsanspruchs sei somit nicht mehr möglich, da zum Zeitpunkt der Auszahlung der Nachzahlung an den Versicherten keinerlei Hinweise auf eine Leistungsgewährung durch den Beklagten vorgelegen hätten.

Mit Anhörungsschreiben vom 10. Januar 2011 hörte der Beklagte die Kläger zu einer beabsichtigen Aufhebung und Erstattung für den Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Dezember 2010 in Höhe von EUR 1.219,82 an. Die Kläger trugen hierzu vor, am 22. November 2010 den Rentenbescheid beim Beklagten vorgelegt zu haben, dieser habe sofort Kopien gefertigt.

Gegen einen am 28. Januar 2011 erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid legten die Kläger am 24. Februar 2011 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 12. April 2011 half der Beklagte dem Widerspruch ab und hob den Bescheid vom 28. Januar 2011 auf.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. April 2011 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gegenüber dem Kläger teilweise auf, und zwar für Juni 2010 in Höhe von EUR 121,70, für Juli bis September 2010 in Höhe von monatlich EUR 124,25 und für Oktober bis Dezember 2010 in Höhe von EUR 87,13, insgesamt EUR 755,84. Weiter wurde die Erstattung des Betrages von EUR 755,84 gem. § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) festgesetzt.

Mit weiterem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gleichfalls vom 13. April 2011 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Klägerin teilweise auf, und zwar für Juni 2010 in Höhe von EUR 52,56, von Juli bis September 2010 in Höhe von EUR 50,01 und von Oktober bis Dezember 2010 in Höhe von EUR 87,13. Gleichzeitig setzte er die Erstattung gem. § 50 SGB X in Höhe von EUR 463,98 fest.

Mit Änderungsbescheid vom 27. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 31. Mai 2011 in Höhe von monatlich EUR 504,50. Hierbei berücksichtigte er als Einkommen der aus den Klägern bestehenden Bedarfsgemeinschaft die dem Kläger gewährte Rente in Höhe von EUR 569,76 (Zahlbetrag EUR 599,76 abzüglich EUR 30,00 Einkommensbereinigung).

Die gegen die Bescheide vom 13. April 2011 am 10. Mai 2011 eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2011 zurück. Zur Begründung führte er aus, die Kläger hätten im Aufhebungszeitraum höhere Leistungen erhalten, als ihnen rechtlich zugestanden habe. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle Einkommen im Sinne des § 11 SGB II dar, welches im Rahmen der Leistungsberechnung zu berücksichtigen sei. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V. m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe würde. Auf Grund der Rentenauszahlung hätten die Kläger im Aufhebungszeitraum höhere Leistungen erhalten, als ihnen rechtlich zugestanden habe. Die zu Unrecht erhaltenen Leistungen in Höhe von EUR 755,84 bzw. EUR 463,98 seien deshalb zurückzufordern.

Die hiergegen von den Klägern am 18. August 2011 erhobene Klage hat das Sozialgericht Freiburg (SG) mit Urteil vom 28. September 2012, zugestellt am 13. Oktober 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Gründe des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2011 bezogen.

Hiergegen haben die Kläger - der Kläger vertreten durch seine Ehefrau als Betreuerin (Betreuerausweis des Amtsgerichts vom 27. Dezember 2011) - am 7. November 2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Klägerin hat vorgetragen, sie hätten sofort nach Erhalt des Rentenbescheids mit der Rentenstelle telefoniert um mitzuteilen, dass sowohl die Krankenkasse als auch die Agentur für Arbeit Regressansprüche hätten. Zeitgleich hätten sie Kopien des Schreibens "von den Rentenstelle mit Datum 19. November 2010" persönlich an die Krankenkasse und die Agentur für Arbeit weitergeleitet. Den Passus, dass die Rente zurückbehalten werde, hätten sie gelb markiert.

Auf Anfrage des Senats hat die DRV mitgeteilt, eine telefonische Mitteilung über einen eventuellen Erstattungsanspruch der Kommunalen Arbeitsförderung sei aus den dort vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich.

Auf die Verfügung des Senats hat der Beklagte mit Schreiben vom 15. September 2014 mitgeteilt, die Individualisierung der Forderungen könne nicht mehr nachvollzogen werden. Es werde ein Teil-Anerkenntnis abgegeben, die angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, dass sich der zu erstattende Betrag des Klägers auch in den Monaten Juni bis September auf jeweils EUR 87,13 belaufe. Der Bescheid ist entsprechend teilweise aufgehoben worden. Die Kläger haben das Teil-Anerkenntnis nicht angenommen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2012 sowie die Bescheide vom 13. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Kläger sind zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ist auch die Berufung der Klägerin zulässig. Bei der Berechnung des Beschwerdewerts werden gem. § 5 ZPO mehrere mit einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengefasst; dies gilt auch bei subjektiver Klagehäufung, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (Hk-SGG/Littmann, 4. Auflage § 144 Rdnr. 9).

2. Streitgegenstand sind die Bescheide des Beklagten vom 13. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2011 in Form des Teilanerkenntnisses vom 15. September 2014, gegen die sich die Kläger mit der Anfechtungsklage wenden (§ 54 Abs. 1 SGG).

3. Die Berufungen sind auch - über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus - teilweise begründet, soweit sie sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2010 richten. Der Beklagte hat insoweit die Bewilligung von Alg II im Hinblick auf die Rentenbewilligung durch die DRV ab dem 1. Juni 2010 zu Unrecht teilweise aufgehoben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Aufhebung hat u. a. mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zu erfolgen, sofern nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzieht worden ist, das zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

Die Rentennachzahlung des Klägers stellt laufendes Einkommen dar. Laufende Einnahmen sind solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden (BSG, Urteil v. 21. Dezember 2009 - B 14 AS 46/08 R - juris). Auch die erste Auszahlung einer laufend zu zahlenden Leistung stellt eine laufende Leistung dar, auch wenn - wie vorliegend bei der Rentennachzahlung - ein aufgestauter Betrag zur Auszahlung kommt (vgl. Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl. § 11 Rdnr. 37).

Die Berechnung und Berücksichtigung von Einkommen war im streitigen Zeitraum in der aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 13 SGB II erlassenen Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) in der Fassung vom 17. Dezember 2007 geregelt. Seit dem 1. April 2011 richtet sich die Berücksichtigung von Einkommen nach den durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in das SGB II eingefügten §§ 11 ff. SGB II.

Nach § 2 Abs. 2 Alg II-V sind laufende Einnahmen (aus nichtselbständiger Tätigkeit) für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Diese Regelung gilt gem. § 4 Sätze 1, 2 Nr. 1 Alg II-V auch für Sozialleistungen. Hierzu zählen auch Renten wegen Erwerbsminderung (vgl. Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. § 11 Rdnr. 110); die einmalige Erbringung einer an sich laufenden Leistung ändert deren grundsätzliche Qualifizierung nicht (vgl. zur Nachzahlung von Arbeitsentgelt Bundessozialgericht (BSG), Urteil v. 16. Mai 2012 - B 4 AS 154/12 R - juris Rdnr. 21).

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 14. Februar 2014 - B 14 AS 51/12 R - juris Rdnr. 13) ist entsprechend der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zuletzt vertretenen modifizierten Zuflusstheorie auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen abzustellen, soweit nicht rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (normativer Zufluss). Eine insoweit maßgebliche rechtliche Bestimmung des Zuflusses wird allein in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V dahingehend getroffen, dass die Einnahmen nicht erst ab dem Tag des tatsächlichen Zuflusses, sondern bereits ab Beginn des Monats, in welchem sie zufließen, zu berücksichtigen sind. Bereits im Urteil vom 23. November 2006 (B 11b AS 17/06 B - juris) hatte des BSG ausgeführt, Sinn und Zweck der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X, welche auch die Anrechnung von Einkommen auf zurückliegende Zeiträume erfasse, liege darin, den Bezug von Sozialleistungen auch für einen Zeitraum rückgängig zu machen, für den die Änderung der Verhältnisse noch nicht eingetreten sei. Diese Anrechnung vollziehe sich, wie auch der Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X deutlich zum Ausdruck bringe, im Wege der Fiktion ("gilt"). Für laufende Einnahmen bestimmte § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V, dass diese dem Monat des erfolgten Zuflusses zugerechnet würden. Die fiktive Bestimmung des Anrechnungszeitraums wird für den Bereich des SGB II im streitigen Zeitraum durch § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg-II V somit dahingehend konkretisiert, dass nicht auf den tatsächlichen (taggenauen) Zufluss des Einkommens, sondern auf den Beginn des Monats, in welchem das Einkommen zugeflossen ist, abzustellen ist.

Das BSG hat sich der Rechtsprechung des BVerwG angeschlossen, das insoweit ausgeführt hatte, zur Frage, wann etwas zufließe, sei grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen. Damit werde nicht unzulässig an einen mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt angeknüpft, sondern einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenübergestellt. Allerdings könne abweichend vom tatsächlichen Zufluss rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt werden. Ein solcher vom tatsächlichen abweichender, normativer Zufluss finde sich z.B. in der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) (DVO zu § 76 BSHG) (BVerwG, Urteil v. 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 - BVerwGE 108, 296 - juris Rn. 16). Gerade als kein Beispiel für einen solchen normativen Zufluss hat des BVerwG die Fälle nach § 84 Abs. 2 und 3 BSHG angesehen, wonach der Einsatz des Einkommens aus einer späteren Zeit für einen Bedarf in früherer Zeit verlangt werden konnte.

Ausgehend hiervon ist eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass der Bewilligungsbescheide in der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2010 nicht eingetreten. Weiteres als das bereits bei Erlass der Bescheide berücksichtigte Einkommen, das dem Anspruch auf Alg II (teilweise) hätte entgegenstehen können, ist den Klägern in der Zeit vom 1. Juni 2010 bis 30. November 2010 nicht zugeflossen (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Mai 2014 - L 11 AS 610/11 - juris). Dieses Einkommen des Klägers, insbesondere das diesem gewährte Krankengeld, hat der Beklagte in den Bewilligungsbescheiden zutreffend berücksichtigt. Der Anrechnungszeitraum nach § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X beginnt damit am 1. Dezember 2010 (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.06.2010 - L 11 KR 551/09 - juris Rdnr. 40).

Allerdings wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X sei dahingehend anzuwenden, dass bereits von einem fiktiven Zufluss der Rentenzahlung in der Zeit, für welche rückwirkend eine Rente bewilligt worden ist, auszugehen sei, weil eine anderweitige Anwendung der Alg II-V nicht von der Regelung des § 13 Nr. 1 SGB II gedeckt wäre und der Kläger sowohl die Rentenleistung als auch das Alg II für dieselbe Zeit behalte dürfte (Udsching/ Link, SGB 2007, 513; Eicher/Greiser in: Eicher SGB II, 3. Aufl., § 40 Rdnr. 77; a.A. Geiger, a.a.O., § 11 Rdnr. 18; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rdnr. 223). Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Diese Auffassung bedürfte bereits insoweit einer Korrektur, als nicht die gesamte Rentennachzahlung an den Kläger ausbezahlt worden ist, sondern nur der um den an die Krankenkasse abgeführten Betrag gekürzte Teil. Weiter ist zu berücksichtigen, dass ab dem 1. April 2011 das Zuflussprinzip in § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II gesetzlich geregelt worden ist und danach § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X kein höherrangiges Recht (mehr) darstellt. Zudem spricht auch die Erwägung, Doppelleistungen zu verhindern, nicht gegen die Anwendung des Zuflussprinzips. Denn zum einen können Bereicherungsansprüche des Grundsicherungsträger (§ 816 Abs. 2 BGB) gegeben sein (Udsching/Link, a.a.O., S. 520). Zum anderen hat der Grundsicherungsträger die Möglichkeit wie bei sonstigen Einnahmen von Leistungsbeziehern, die tatsächlich zufließende Rentennachzahlung ab dem Monat des Zuflusses als Einkommen zu berücksichtigen. Dies führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen in der Weise, dass der Leistungsberechtigte für dieselbe Zeit eine Doppelleistung erhalten würde. Denn die Berücksichtigung der Rentennachzahlung erfolgt lediglich in einem anderen Zeitraum, nämlich im Monat des Zuflusses und gegebenenfalls, sofern dadurch der Leistungsanspruch für diesen Monat entfallen sollte, in den Folgemonaten.

4. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig, als mit ihnen die Bewilligung von Alg II für den Monat Dezember 2010 teilweise i.H.v. jeweils EUR 87,13 aufgehoben und gegenüber den Klägern die Erstattung von jeweils EUR 87,13 geltend gemacht worden ist. Denn jedenfalls in dieser Höhe ist auf Grund des Zuflusses der Rentennachzahlung im Dezember 2010 die Bedürftigkeit der Kläger entfallen.

a) Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind insoweit formell rechtmäßig. Insbesondere sind die Kläger ordnungsgemäß angehört worden (§ 24 SGB X).

b) Auch die Voraussetzungen für eine - auf den Beginn des Monats - rückwirkende (teilweise) Aufhebung gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X haben vorgelegen. Denn durch den Zufluss der Rentennachzahlung am 6. Dezember 2010 i.H.v. EUR 1.652,32 ist gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des Bewilligungsbescheids eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II setzt u.a. gem. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II Hilfebedürftigkeit voraus. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die im Dezember dem Kläger zugeflossene Rentennachzahlung war gem. § 11 SGB II, §§ 2 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Alg II-V als Einkommen zu berücksichtigen, und zwar gem. § 9 Abs. 2 SGB II auch bei der mit dem Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägerin.

c) Dem Erstattungsanspruch des Beklagten hat auch kein vorrangiger Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger entgegengestanden, denn dieser hatte bei seiner Leistungserbringung keine Kenntnis von dem Erstattungsanspruch des Beklagten. Der Senat lässt dahingestellt, ob Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch § 103 SGB X oder § 104 SGB X wäre. Denn nach beiden Normen setzt die Erstattungspflicht voraus, dass der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Selbst geleistet hat der zuständige Leistungsträger, wenn er die Leistung bewirkt hat. Hierbei ist auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung abzustellen (vgl. Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 103 Rdnr. 15, § 104 Rn. 20). Diese bestand vorliegend in der Anweisung der Rente am 29. November 2010. Rechtserhebliche Kenntnis im Sinne von §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1 SGB X besteht dann, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger auf Grund der ihm mitgeteilten Tatsachen rechtlich in der Lage ist, dem Leistungsanspruch des (vermeintlich) Sozialleistungsberechtigen die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X entgegenzuhalten, so dass der erstattungspflichtige Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Leistungsberechtigten verweigern und anstelle dessen den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigen Trägers befriedigen kann. Ausreichend für die rechtserhebliche Kenntnis ist die Kenntnis von der Leistung an sich. Nicht erforderlich ist hingegen die Kenntnis hinsichtlich der Leistungshöhe (Sächsisches LSG, Urteil vom 27. September 2012 - L 3 AL 232/10 - juris Rdnr. 31). Erforderlich ist jedoch eine positive Kenntnis, grobfahrlässige Unkenntnis ist nicht ausreichend (BSG, Urteil v. 30. Januar 2002 - B 5 RJ 26/01 R - juris). Zum Zeitpunkt der Anweisung der Rente hatte die DRV keine positive Kenntnis davon, dass der Kläger im Nachzahlungszeitraum Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte. Die Erstattungsanzeige des Beklagten ging erst danach bei ihr ein. Sie hatte auch keine Kenntnis aufgrund einer Information durch die Klägerin. Zur Überzeugung des Senats hatte die Klägerin die DRV zwar bereits zuvor über den Bezug von Leistungen im Nachzahlungszeitraum informiert. Die Klägerin hat vorgetragen, die DRV unmittelbar nach Erhalt des Rentenbescheides darüber informiert zu haben, dass Leistungen der Agentur für Arbeit erfolgten. Eine schriftliche Fixierung dieses Gesprächs ist in den Unterlagen der DRV zwar nicht enthalten. Für die Richtigkeit dieser Angaben spricht jedoch, dass die DRV mit Schreiben vom 19. November 2010 eine Mitteilung über die Rentengewährung an die Agentur für Arbeit in versandt hat, die dort als Irrläufer qualifiziert und an die Kommunale Arbeitsförderung weitergeleitet worden ist. Allerdings hatte die Klägerin der DRV mitgeteilt, es seien im Nachzahlungszeitraum Leistungen der Agentur für Arbeit erbracht worden. Tatsächlich hatte der Kläger jedoch Leistungen nach dem SGB II von der Kommunalen Arbeitsförderung des Landkreises bezogen. Über diese Leistungen hatte die DRV bei der Erbringung ihrer Leistung keine Kenntnis.

d) Die Aufhebung der Bewilligung und Festsetzung der Erstattung der für den Monat Dezember 2010 erbrachten Leistungen ist jedenfalls in Höhe von jeweils EUR 87,13, wie in den angefochtenen Bescheiden verfügt, rechtmäßig. Denn durch den Zufluss der Rentennachzahlung i.H.v. EUR 1.652,32 ist die Bedürftigkeit der Kläger, selbst unter Berücksichtigung von für jeden Monat der Rentennachzahlung anzusetzenden Absetzbeträgen von je EUR 30,00 für den jeweiligen Monat gem. § 6 Alg II-V (vgl. zum für mehrere Monate nachgezahlten Arbeitsentgelt BSG, Urteil v. 17. Juli 2014 - B 14 AS 25/13 R - juris) in jeweils höherem Umfang entfallen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das überwiegende Obsiegen der Kläger.

6. Gründe für die Zulassung der Revision ( § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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