S 17 AS 4923/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 4923/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Klage eines minderjährigen Kindes auf Leistungen für das Umgangsrecht mit dem Vater bei getrenntlebenden Ex-Eheleuten muss von dem Kind, gesetzlich vertreten durch dessen Eltern erhoben werden. Anderenfalls ist sie unzulässig. Die gesetzliche Vertretung des Kindes richtet sich nach § 1629 BGB.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Tochter des Klägers während der Umgangszeit streitig.

Mit Schreiben vom 01.10.2011 beantragte der Kläger die Bewilligung der Bedarfskos-ten für seine am 10.04.2001 geborene Tochter A während der Umgangszeit. Als um-gangsberechtigte Person habe er im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts nach § 38 Abs. 2 SGB II die Befugnis, Leistungen nach dem SGB II zu beantragen und entgegenzunehmen, soweit das Kind dem Haushalt angehöre (temporäre Be-darfsgemeinschaft). A habe sich zu folgenden Zeiten bei ihm aufgehalten: 21.12.2010 bis 08.01.2011, 20.04.2011 bis 01.05.2011 und 30.08.2011 bis 10.09.2011. Mit weiterem Antrag vom 09.01.2012 beantragte der Kläger die Bewilli-gung (weiterer) Bedarfskosten für seine Tochter A während der Umgangszeit vom 22.12.2011 bis 08.01.2012.

Mit Bescheid vom 03.09.2012 bewilligte die Beklagte laufende Leistungen nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches II. In dem Bescheid lehnte die Beklagte zu-dem den Antrag auf Bedarfskosten für die Tochter A ab. Da in den Zeiträumen vom 30.08.2011 bis 10.09.2011 und vom 22.12.2011 bis 08.01.20112 bereits vom zu-ständigen Jobcenter in Tauberbischofsheim Leistungen für A gewährt worden seien, würden von der Beklagten kein Sozialgeld und keine Kosten der Unterkunft mehr gezahlt werden.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 13.09.2012 Widerspruch ein. Ein An-spruch bestünde, die Beklagte sei örtlich zuständig.

Mit Änderungsbescheid vom 27.11.2012 regelte die Beklagte die laufenden Leistun-gen nach den Bestimmungen des SGB II neu. Eine (weitere) Entscheidung hinsicht-lich der beantragten Bedarfskosten für die Tochter erfolgte in dem Bescheid jedoch nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch hin-sichtlich der Bedarfskosten für die Tochter A. zurück. Eine zeitweise Bedarfsgemein-schaft während der besuchsweisen Aufenthalte liege zwar vor. Die Tochter A erhalte jedoch über die Bedarfsgemeinschaft der Mutter laufend SGB II-Leistungen. An-spruchsberechtigt sei nicht der Kläger, sondern die Tochter. Der Kläger sei nur zur Entgegennahme der Leistungen berechtigt. Der Bedarf der Tochter sei bereits ge-deckt, da sie über laufende Leistungen i.S. des SGB II verfüge.

Mit der am 03.12.2013 erhobenen Klage beim Sozialgericht Karlsruhe verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Seine Tochter A wohne bei seiner Ex-Ehefrau S in T. Er habe wie auch die Ex-Frau das Umgangsrecht nach § 1684 Abs. 1 BGB. Für die beantragten Umgangszeiten liege eine temporäre Bedarfsgemeinschaft vor, in der A dem Haushalt angehöre. Das Sorgerecht über A habe seine Ex-Ehefrau. Die Beklag-te könne das Vorlegen einer Bevollmächtigung der Ex-Ehefrau nicht verlangen. Dies sei nicht nötig und überdies nicht möglich, da die Ex-Frau eine solche Bevollmächti-gung nicht ausstelle.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 03.09.2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2012 zu verpflichten, ihm Bedarfskosten nach § 38 Abs. 2 SGB II in ge-setzlicher Höhe für die Zeiten vom 20.04.2011 bis 01.05.2011, 30.08.2011 bis 10.09.2011 und 22.12.2011 bis 08.01.2012 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung des Abweisungsantrags trägt sie vor, durch § 38 SGB II werde der Kläger lediglich dazu ermächtigt, Leistungen für die Tochter zu beantragen und ent-gegenzunehmen. Hieraus könne jedoch kein Leistungsanspruch abgeleitet werden. Es müssten zusätzlich die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 7 ff. SGB II erfüllt sein. Die Tochter A stehe im laufenden Leistungsbezug über die Bedarfsgemein-schaft der Mutter beim Jobcenter M und der Bedarf sei somit vollständig gedeckt. Wenn die Tochter sich beim Kläger besuchsweise aufhalte, müsse die Mutter die Tochter mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausstatten.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die der Pro-zessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bereits unzulässig. Der Kläger hat keinen eigenen Anspruch auf SGB II-Leistungen für den Umgangs mit seiner Tochter A (dazu 1.). Zudem ist der Kläger nicht befugt, mögliche Ansprüche seiner Tochter im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen (dazu 2.).

1. Der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für den Umgang mit der Tochter steht gemäß § 7 ff. SGB II der Tochter zu (vgl. BSG, U.v. 12.6.2013 - B 14 AS 50/12 R - juris).

Ein eigener Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht aus § 38 Abs. 2 SGB II her-leiten. Nach § 38 Abs. 2 SGB II hat eine umgangsberechtigte Person für Leistungen an Kinder im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts die Befugnis, Leistungen nach diesem Buch zu beantragen und entgegenzunehmen, soweit das Kind dem Haushalt angehört. Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 38 Abs. 1 SGB II ergibt sich, dass es sich insoweit um eine gesetzliche Vertretungsbefugnis. d.h. eine beschränkte gesetzliche Vertretungsmacht, nicht jedoch um eine gesetzliche Er-mächtigung, die Leistungen für das Kind im eigenen Namen zu beantragen und ent-gegenzunehmen, handelt. Abs. 2 setzt dementsprechend ein Handeln des um-gangsberechtigten Elternteils im Namen des Kindes voraus (vgl. Aubel, in: juris-PK - SGB II, 3. Aufl. 2012, Stand: 22.12.2014, § 38 Rn. 11).

Demnach konnte der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II nicht vom Kläger im eigenen Namen geltend gemacht werden.

2. Darüber hinaus kann der Kläger auch nicht im fremden Namen - im Namen seiner Tochter A - Ansprüche geltend machen. Die streitgegenständliche Klage konnte folg-lich nicht in eine von dem Kläger als Vertreter der Tochter erhobene zulässige Klage umgedeutet werden.

Der Kläger ist insoweit nicht prozessführungsbefugt. Prozessführungsbefugnis ist Prozessvoraussetzung und liegt vor, wenn der Kläger berechtigt ist, Leistungen an sich oder an einen Berechtigten zu verlangen (Leitherer, in: Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 11. Aufl. 2014, § 69 Rn. 4).

a. Eine (Allein-)Prozessführungsbefugnis lässt sich nicht aus § 38 Abs. 2 SGB II herlei-ten.

Die Wirkung des § 38 SGB II erstreckt sich nur auf das Verwaltungsverfahren (LSG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.11.2013 - L 32 AS 2879/13 B-ER - juris, Rn. 34). § 38 Abs. 2 erzeugt keine Vertretungsbefugnis für das gerichtliche Verfahren, sondern nur für Verwaltungs- und Vorverfahren (OLG Jena, B.v. 4.7.2014 - 1 UF 71/14 - juris; LSG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.11.2013, a.a.O.).

Die vermutete Bevollmächtigung nach § 38 Abs. 1 SGB II und die Vertretungsbefug-nis nach § 38 Abs. 2 SGB II ermächtigen nicht zur Klageerhebung, da die Klageer-hebung - und damit auch die Antragstellung - keine das Verwaltungsverfahren betref-fende Handlung mehr darstellt, sondern eindeutig eine Prozesshandlung ist. Bei ge-meinsamer Ausübung des Sorgerechts getrennt lebender Eltern, besteht im sozialgerichtlichen Verfahren kein Alleinvertretungsrecht des umgangsberechtigten Elternteils. Bei fehlendem Einvernehmen kann ein Antrag beim Familiengericht gestellt werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 35).

b. Auch aus seiner Eigenschaft als Vater lässt sich keine Prozessführungsbefugnis be-gründen.

Die Tochter A ist als minderjähriges, beschränkt geschäftsfähiges Kind nicht selbst prozessfähig i.S. des § 71 Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. §§ 104 ff. BGB. Insbesondere ist die Geltendmachung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht lediglich rechtlich vorteilhaft i.S. des § 107 BGB (BSG, U.v. 2.7.2009 -B 14 AS 54/00 R- BSGE 104, 48).

Soweit der Kläger - wie zunächst im Schriftweg vorgetragen - nur ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB besitzt und das alleinige Sorgerecht nach §§ 1626, 1671 BGB der Mutter, also der Ex-Ehefrau des Klägers, obliegt, ist insoweit die Mutter gem. § 1629 BGB Alleinvertretungsbefugt. Die alleinvertretungsbefugte Ex-Ehefrau hat dem Klä-ger keine Vollmacht für die Geltendmachung der streitigen Ansprüche der Tochter erteilt.

Selbst wenn der Kläger und seine Ex-Ehefrau - wie im Rahmen der mündlichen Ver-handlung nunmehr behauptet - das gemeinsame Sorgerecht zustehen sollte, ist der Kläger nicht berechtigt alleine Ansprüche für die Tochter A gerichtlich einzuklagen. Nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB vertritt ein Elternteil das Kind allein, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 BGB übertra-gen ist. Die beiden Alternativen sind erkennbar nicht erfüllt.

Eine Alleinvertretungsbefugnis des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 1687 Abs. 1 Satz 4 BGB. Solange sich das Kind mit Einwilligung des Elternteils bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser danach zwar die Befugnis zur alleinigen Entscheidung und Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. Diese Befugnis beschränkt sich aber nur auf tatsächliche Umstände wie Ernährung und andere (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 36).

Folglich hat der Kläger lediglich die Möglichkeit, für das sozialgerichtliche Klagever-fahren eine familiengerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen (OLG Jena, B.v. 4.7.2014 - 1 UF 71/14 - juris). Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils, soweit sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, die Entscheidung einem Elternteil übertragen.

3. Nach § 144 SGG ist eine Berufung nicht zulässig.

Der Streitgegenstand betrifft keinen Geldwert in Höhe von 750,- EUR oder mehr. Soweit der Kläger Regelbedarf geltend macht, hat er den Wert der Klage auf 351,54 EUR beziffert. Die geltend gemachten Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind zwar nicht beziffert. Ausweislich des Berechnungsbogens für den Monat September 2012 in der Behördenakte beträgt der Bedarf für den Mietanteil 144,- EUR, der Nebenkostenanteil 21,- EUR und der Zeitkostenanteil 27,50 EUR für den Kläger. Somit dürfte sich nach dem Kopfprinzip kein Anspruch von insgesamt mehr als 750,- EUR ergeben.

Die Berufung war auch nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechts-sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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