L 4 AS 332/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 365/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 332/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides aus einem Betriebskostenguthaben.

Der ... 1954 geborene Kläger zu 1. sowie die am ... 1955 geborene Klägerin zu 2. sind verheiratet und stehen im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Kläger bewohnen eine 70,71 m² große Mietwohnung, für die ab 1. Juni 2007 eine Gesamtmiete von 409,84 EUR (Grundmiete: 242,34 EUR; Vorauszahlung für Heizung einschließlich Modernisierungszuschlag: 48,50 EUR; Betriebskostenvorauszahlung: 119,00 EUR) zu zahlen war. Ab dem 1. August 2008 reduzierte sich die Gesamtmiete auf 398,84 EUR. Mit Leistungsbescheid vom 7. März 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2008 einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 1.005,00 (Regelsatz der Kläger 2 x 312,00 EUR; Kosten der Unterkunft (KdU): 2 x 190,49 EUR). Hierbei hatte der Beklagte den Richtwert der Stadt D.-R. zur Gewährung von Unterkunft und Heizkosten angewandt, was zu Lasten der Kläger zu einem nicht gedeckten KdU-Bedarf in Höhe von 28,86 EUR geführt hatte.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 verlangte der Beklagte von den Klägern die Vorlage der Betriebskostenabrechnung 2007. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten über ein Telefongespräch vom 11. Februar 2009 zwischen ihm und dem Vermieter der Kläger teilte der Mitarbeiter des Vermieters (Wohnungsverein D.) mit, dass bei den Klägern keine Mietschulden mehr vorlägen. Es bestünde jedoch noch ein Guthaben in Höhe von 109,74 EUR, welches nicht ausbezahlt werde.

Am 20. Februar 2009 legte Rechtsanwalt T. für die Kläger dem Beklagten die Betriebskostenabrechnung 2007 vor und machte geltend: Die Kläger hätten ihm die Abrechnung in Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren beim Sozialgericht Dessau-Roßlau vorgelegt. Statt es direkt dem Beklagten zu übersenden, habe er es irrigerweise an das Gericht weitergeleitet.

Die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2007 vom 28. Mai 2008 wies ein Guthaben zu Gunsten der Kläger in Höhe von 217,09 EUR aus. Wegen eines negativen Mietkontostandes in Höhe von 136,19 EUR, reduzierte sich der Rückerstattungsbetrag auf ein Guthaben von 80,90 EUR. In dem Schreiben gab der Vermieter an, er beabsichtigte die Erstattung des Betrages Anfang Juli 2008, wenn ihm die Bankverbindung mitgeteilt worden sei. Rechtsanwalt T. fragte mit Fristsetzung bis zum 30. April 2009 mit Schreiben vom 14. April 2009 beim Beklagten an, ob sich die Kläger das Restguthaben vom Vermieter auszahlen lassen könnten.

Mit Anhörungsschreiben vom 4. Mai 2009 teilte der Beklagte den Klägern mit: Für Juni 2008 sei von einem um 100,86 EUR zu hohen Leistungsbezug auszugehen, da eine Anrechnung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung 2007 in Gesamthöhe von 201,72 EUR (Betriebskosten: 131,68 EUR; Heizkosten 85,41 EUR abzüglich 15,37 EUR für Warmwasseraufbereitung) erfolgen müsse. Dies ergebe eine Überzahlung von je 100,86 EUR. Mit Schreiben vom 19. Mai 2009 teilte Rechtsanwalt T. für die Kläger mit, dass ein Guthaben in Höhe von 201,72 EUR aus der Betriebskostenabrechnung des Jahres 2007 zu keinem Zeitpunkt ausbezahlt worden sei. Vielmehr habe der Vermieter aufgrund der Zahlungspraxis der Miete durch den Beklagten – wie auch in der Vergangenheit – überhaupt keine Auszahlungen vorgenommen. Dies bestätigten die Kläger in einer persönlichen Erklärung vom 19. Mai 2009.

In zwei gleich lautenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 7. Oktober 2009 verlangte der Beklagten von den Klägern unter Aufhebung der Entscheidung vom 11. (7.) März 2008 für den Zeitraum Juni 2008 die Rückzahlung von je 37,60 EUR (insgesamt 75,20 EUR). Hiergegen legten die Kläger am 23. Oktober 2009 Widerspruch ein und machten geltend: Ihnen sei kein Geld vom Vermieter aus der Betriebskostenabrechnung des Jahres 2007 ausbezahlt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 wies der Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 12. Februar 2010 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben, die Aufhebung der Bescheide begehrt und ihren bisherigen Standpunkt bekräftigt.

Der Beklagte hat dagegen ausgeführt: Es komme nicht darauf an, ob ein Guthaben tatsächlich an die Kläger ausgezahlt worden sei. Maßgebend sei nur, ob eine Verrechnung mit bestehenden Forderungen des Vermieters aus dem Mietverhältnis hätte vorgenommen werden können. Aus der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 sei für Heizkosten eine Rechnungsbetrag von 602,20 EUR ausgewiesen. Nach Abzug der Kosten für Warmwasserbereitung in Höhe von 141,24 EUR ergebe dies berücksichtigungsfähige Heizkosten in Höhe von 480,76 EUR. Nach Gegenüberstellung der von dem Beklagten vorausgezahlten Heizkosten in Höhe von 555,96 EUR ergäbe dies eine Überzahlung des Beklagten von 75,20 EUR. Das Guthaben sei für den Bewilligungsmonat Juni 2008 zu berücksichtigen.

In einem Erörterungstermin vom 18. Januar 2011 hat die Kammervorsitzende einen rechtlichen Hinweis erteilt: Es sei umstritten, ob ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung auch dann angerechnet werden könne, wenn es den Hilfebedürftigen tatsächlich nicht zugeflossen, sondern von dem Vermieter anderweitig verrechnet worden sei. Zudem sei nach der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 davon auszugehen, dass eine eventuelle Rückzahlung des Vermieters erst Anfang Juli 2008 auf das Konto der Kläger hätte erfolgen können. Ein fiktiver Guthabenzufluss Anfang Juli 2008 hätte daher erst für den Leistungsbezug im August 2008 Berücksichtigung finden können.

Auf Nachfrage des SG hat der Vermieter der Kläger mit Schreiben vom 16. März 2011 ausgeführt: Im Mai 2008 habe das Mieterkonto der Kläger eine offene Forderung von 136,19 EUR ausgewiesen. Diese Forderung habe sich im Laufe von insgesamt vier Jahren stetig aufgebaut, weil die monatlichen Zahlungen durch den Beklagten nicht genau der jeweiligen Mietforderung entsprochen hätten. Auch die Betriebskostenabrechnung für die Jahre 2005 und 2006 endete mit einem Guthaben zu Gunsten der Kläger. Diese Guthaben seien durch den Beklagten jeweils mit einer seiner nächsten Zahlungen verrechnet worden. Dies sei aus den vorgelegten Kontoauszügen des Mieterkontos zu erkennen. Ab April 2009 hätten die Kläger das monatliche Nutzungsentgelt dann selbst überwiesen. Im September 2009 sei das Mieterkonto ausgeglichen worden.

Mit Urteil vom 17. April 2012 hat das SG die Bescheide vom 7. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2010 aufgehoben, die Berufung zugelassen und zur Begründung ausgeführt: Aus der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 sei den Klägern kein Rückzahlungsanspruch und auch kein Guthaben entstanden, der zur Minderung ihrer Aufwendungen für KdU geführt haben könnte. Zwar schließe die Betriebskostenabrechnung mit einem positiven Saldo zu Gunsten der Kläger in Höhe von 217,09 EUR ab. Der nach der Verrechnung mit Forderungen des Vermieters verbleibende Erstattungsbetrag in Höhe von 80,90 EUR sei jedoch tatsächlich erst im September 2009 an die Kläger ausgezahlt worden. Eine Gutschrift bzw. Rückzahlung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II läge nur vor, wenn den Hilfebedürftigen durch die Gutschrift zumindest für eine logische Sekunde ein verwendbarer Betrag zur Verfügung gestanden habe. Die bloß interne Erfassung eines Rückzahlungsanspruchs sei daher keine einkommensrelevante Gutschrift im Sinne des Gesetzes.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 10. Mai 2012 zugestellte Urteil am 4. Juni 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R komme es bei einem Guthaben nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Guthaben erlangt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. April 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie haben geltend gemacht: Zu keinem Zeitpunkt hätten sie das Betriebskostenguthaben erhalten bzw. Verfügungsgewalt hierüber erlangt. Der Beklagte habe darzulegen, in welcher Weise die Auszahlung des Guthabens überhaupt hätte durchgesetzt werden können. Schließlich hätten die Kläger aufgrund der vorausgehenden Absprache zwischen dem Vermieter und den Beklagten nie über das Guthaben verfügen können.

Der zunächst zuständige 5. Senat des LSG hat den Vermieter zu einer ergänzenden Stellungnahme vom 3. September 2013 aufgefordert, der darin geltend machte: Die Betriebskostenabrechnung des Jahres 2007 habe ein Guthaben in Höhe von 217,09 EUR ergeben. Dem stehe eine Mietforderung von 136,19 EUR entgegen, was zu einem positiven Saldo in Höhe von 80,90 EUR geführt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei er (der Vermieter) davon ausgegangen, dass der Beklagte in einer seiner nächsten Zahlungen dieses Guthaben verrechnen werde, so wie er es in den Jahren 2005 und 2006 auch gemacht habe. Zumindest sei eine Erklärung vom Beklagten erwartet worden, wie das Guthaben hätte konkret verrechnet werden können. Hierzu sei es jedoch nicht gekommen. In der Folge sei es dann wohl zu einer Zustimmung des Beklagten gekommen, das Guthaben an die Kläger auszuzahlen. Dies habe dann zur Verrechnung im September 2009 geführt. Die genauen Umstände dieser Verrechnung seien nicht mehr aufklärbar. Es bestehe jedoch eine betriebliche Praxis, Guthaben nicht auszuzahlen, wenn noch offene Forderungen aus dem Mietverhältnis zu zahlen seien.

Der 5. Senat des LSG hat mit Schreiben vom 24. September 2013 unter anderem darauf hingewiesen, dass die Begrenzung der Unterkunftskosten von Seiten des Beklagten auf einen Betrag von 381,00 EUR bei einer tatsächlichen Miete von 409,84 EUR unrichtig gewesen sein könnte. Die Absenkung der Unterkunftskosten dürfte dabei nicht auf einem "schlüssigen Konzept" beruhen.

Am 1. Januar 2014 ist das Verfahren in die Zuständigkeit des 4. Senats des LSG Sachsen-Anhalt übertragen worden. Die Kläger lehnten vergleichsweise Lösungen ab und machten ergänzend geltend: Sie hätte vom Beklagten nicht die vollen Kosten der KdU erhalten und daher monatlich einen Teilbetrag der Miete von ihrer Regelleistung finanzieren müssen. Der vom Vermieter mitgeteilte Negativsaldo beruhe auf nicht bewilligten KdU-Kosten. Der darüber hinausgehende fiktive Erstattungsbetrag in Höhe von 80,90 EUR sei nie ausbezahlt worden.

Der Berichterstatter hat in einem Erörterungstermin vom 23. Mai 2014 unter anderem auf das Urteil des BSG vom 12. Dezember 2013, B 14 AS 83/12 R, hingewiesen. Es sei zweifelhaft, ob die Kläger über das Guthaben tatsächlich hätten verfügen können, da es eine entgegenstehende Verwaltungspraxis des Beklagten gegenüber dem Vermieter in den Vorjahren gegeben habe.

Der Beklagte hat dagegen geltend gemacht: In der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 habe der Vermieter die Kläger aufgefordert, eine Bankverbindung mitzuteilen. Von daher sei das Guthaben ab diesem Zeitpunkt auch realisierbar gewesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die mit Zulassung der Berufung durch das SG zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 7. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 19. Januar 2010 sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte ist nicht berechtigt, den Bewilligungsbescheid vom 11. März 2008 aufzuheben und von den Klägern für den Erstattungszeitraum vom 1. bis 30. Juni 2008 je 37,60 EUR zurückzuverlangen.

Die materielle Rechtmäßigkeit der Bescheide beurteilt sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 7. März 2008, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit seit Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, dass zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat.

Das in der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 ausgewiesene Guthaben ist Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Hiernach stand den Klägern auf der Grundlage der Betriebskostenabrechnung gegen den Vermieter ein Guthaben in Höhe von 80,90 EUR zumindest bis zur Verrechnung des Betrages durch den Vermieter im September 2009 dem Grunde nach zu. Dabei hat die Erteilung der Gutschrift von Seiten des Vermieters am 28. Mai 2008 zu einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse geführt.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Fassung vom 21. Dezember 2008 ist geregelt, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern. Nach dem genauen Wortlaut der Betriebskostenabrechnung vom 28. Mai 2008 konnten die Kläger frühestens im Juli 2008 – nach Bekanntgabe ihrer Bankverbindung – mit einer Rückerstattung rechnen. Die Annahme des Beklagten, den Monat der Rückzahlung bereits auf den Juni 2008 zu bestimmen, ist unrichtig, da die Kläger frühestens im Juli 2008 mit einer Rückerstattung hätten rechnen können. Dies hätte den Beklagten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II verpflichtet, die Gutschrift erst für den Bewilligungszeitraum August 2008 zu berücksichtigen. Der vom Beklagten für die Erstattung herangezogene Bewilligungsmonat Juni 2008 ist daher fehlerhaft und rechtfertigt bereits die Aufhebung der Bescheide.

Selbst bei Zugrundelegung des vom Beklagten herangezogenen Aufhebungszeitraums im Juni 2008 weist der vorliegenden Fall aufgrund der Umstände des Einzelfalls erhebliche Besonderheiten auf, die gegen eine Verfügungsfähigkeit der Kläger aus der Betriebskostenabrechnung in der Zeit von Juni 2008 bis April 2009 sprechen und zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Bescheide führen müssen.

Dabei ist der Einwand der Kläger unerheblich, sie hätten das Guthaben selbst nie vom Vermieter erhalten. Schließlich ist die tatsächliche Buchung des Guthabens auf dem Konto des Leistungsberechtigten nicht notwendig, um die Rechtsfolge des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II auszulösen. Entscheidend ist nicht die tatsächliche Zahlung eines bestimmten Geldbetrags unmittelbar an den Hilfebedürftigen oder die tatsächliche Gutschrift zugunsten des Hilfebedürftigen, sondern ob die Aufwendungen für Unterkunft oder Heizung durch die Rückzahlung oder das Guthaben tatsächlich gemindert werden. Dies ist der Fall, wenn dem Hilfebedürftigen die Mittel aus der Gutschrift oder der Rückzahlung konkret zur Verfügung stehen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. Februar 2012, L 3 AS 189/11, juris). Eine Betriebskostenabrechnung kann daher nur dann als anrechnungsfähiges Einkommen bewertet werden, wenn der Begünstigte Mieter auch die "tatsächliche Verfügungsgewalt" über das Guthaben besitzt und diesen Vermögensvorteil ohne weiteres hätte realisieren können. Dies bedeutet, dass die Gutschrift dem Mieter als "bereites Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen muss (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, juris).

Diese tatsächliche Verfügungsmöglichkeit hatten die Kläger in der Zeit von Juni 2008 bis April 2009 nicht. Nach den unbestrittenen Angaben des Vermieters vom 16. März 2011 und vom 3. September 2013 gab es für die Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2005 bis 2006 eine ständige Verwaltungspraxis des Beklagten mit dem Vermieter. Hiernach hatte der Beklagte im Fall von Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen in Absprache mit dem Vermieter stets selbst die Verrechnung vorgenommen. Für die Abrechnungsjahre 2005 und 2006 hatten die Kläger daher in Kenntnis dieser Praxis nie auf Auszahlungen aus zugestellten Betriebskostenabrechnungen bestanden. Wegen dieser Verwaltungspraxis haben sie auch keinerlei Aktivitäten entwickelt, um den Vermieter zu einer Überweisung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung 2007 zu veranlassen. Dies ist auch verständlich, da sie bis April 2009 mit den gesamten Mietzahlungen nie etwas zu tun hatten. Vielmehr waren bis März 2009 die jeweiligen Mietzahlungen und Guthabenverrechnungen jeweils in Abstimmung zwischen dem Beklagten und dem Vermieter vorgenommen worden. Aus dieser ständigen Verwaltungspraxis hat sich dann auch die verständliche Erwartung der Kläger und auch des Vermieters entwickelt, für die streitige Betriebskostenabrechnung 2007 eine Verrechnung des Guthabens von Seiten des Beklagten zu erwarten. Es widersprach zudem der ständigen Geschäftspraxis des Vermieters, im Fall der Kläger eventuelle Guthaben aus einer Betriebskostengutschrift konkret auszuzahlen. Zum einen erfolgten die Zahlungen vom Beklagten, der die Verrechnung zu bestimmen hatte und zum anderen bestand bei den Klägern ein Negativsaldo auf ihrem Mieterkonto, was eine Auszahlung ausschloss. Nach der verständigen Erwartungshaltung des Vermieters und der Kläger musste die Guthabenverrechnung für das Jahr 2007 wegen des bisherigen Zahlungsverhaltens des Beklagten allein im Rechtsverhältnis zwischen Vermieter und Beklagten erfolgen. Das Ansinnen des Beklagten, von den Klägern zu erwarten, die erhaltene Betriebskostenabrechnung des Jahres 2007, entgegen dieser jahrelangen Verwaltungspraxis selbst vom Vermieter zu fordern, erscheint vor diesem Hintergrund überraschend und lebensfremd. Angesichts dieser Vorgeschichte konnten die Kläger nie von einer Verfügungsfähigkeit und Überweisungsfähigkeit über das Guthaben ausgehen. Dem standen die ständige Geschäftspraxis des Vermieters und die bisherigen Verrechnungsabreden zwischen dem Vermieter und dem Beklagten klar entgegen. Dies musste auch dem Beklagten bei kritischer Würdigung seiner eigenen Verwaltungspraxis offenkundig sein. Schließlich hätten die Kläger wegen der vorherigen Verwaltungspraxis kaum selbst darauf kommen können, dass in Abweichung zur bisherigen Praxis, sie nun selbst die Möglichkeit haben sollen, die Auszahlung des Guthabens zu verlangen.

Nach der verwaltungsinternen Entscheidung des Beklagten, die Verwaltungspraxis zu ändern, hätte der Beklagte den Klägern unmissverständlich klar machen müssen, dass die Gutschrift vom 28. Mai 2008 nunmehr für sie tatsächlich "realisierbar" geworden ist, da er die Mietzahlungen und auch die Verrechnungen von Guthaben in der Zukunft nicht mehr vornehmen werde. Dieser Wechsel der Verwaltungspraxis ist zeitlich aus Sicht der Kläger frühestens im Mai 2009 anzunehmen. Nach dem anwaltlichen Anschreiben vom 14. April 2009 und dem Anhörungsschreiben vom 4. Mai 2009 konnten auch die Kläger erkennen, dass der Beklagte künftig keine Verrechnung von Guthaben mit dem Vermieter mehr vornehmen werde. Damit war erst im Mai 2009 vom Beklagten eine Situation geschaffen worden, die es den Kläger ermöglicht hatte, von der konkreten Realisierungsfähigkeit und Auszahlung des Guthabens auszugehen. Zu dieser Verrechnung ist es dann auch tatsächlich im September 2009 gekommen. In Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II hätte damit erst im Juni 2009 eine Verrechnung des Guthabens mit dem jeweiligen Leistungsanspruch erfolgen können. Der vom Beklagten herangezogene Bewilligungsabschnitt von Juni 2008 ist daher auch aus diesem Grunde fehlerhaft und muss zur Aufhebung der Bescheide führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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