S 205 AS 8970/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
205
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 205 AS 8970/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Mehrbedarf für Auszubildende im Sinne von § 27 Abs. 2 SGB II kann ein isolierter Streitgegenstand sein.

2. Bei der Ermittlung eines Mehrbedarfs für Auszubildende nach § 27 Abs. 2 SGB II ist abweichend von § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II Einkommen zunächst auf die ausbildungsrelevanten Bedarfe (Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und erst danach auf Mehrbedarfe anzurechnen.

3. Tatsächlich erzieltes Wohngeld ist abweichend von § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzurechnen.
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bewilligungsbescheides des Beklagten vom 10. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2014 verurteilt, der Klägerin weitere Leistungen für Auszubildende für einen Mehrbedarf für Alleinerziehende für Dezember 2013 in Höhe von 100,60 EUR sowie für Januar bis Februar 2014 in Höhe von 88,36 EUR monatlich zu gewähren. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt einen höheren Mehrbedarf für Alleinerziehende als Leistung für Auszubildende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Dezember 2013 bis Februar 2014.

Die 1979 geborene Klägerin lebt zusammen mit ihren Kindern, dem am 1995 geborenen R. H. und der 2008 geborenen M. A. H., in einer Wohnung in B. Die monatliche Miete betrug bis 31. Dezember 2013 460,23 EUR und erhöhte sich zum 1. Januar 2014 auf 474,23 EUR.

Die Klägerin studierte bis Februar 2014. Das Bezirksamt L von B bewilligte der Klägerin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe des Grundbedarfs von 572,00 EUR ab Juli 2013 (Bescheid des Bezirksamts L von B vom 20. Juni 2013).

Die Klägerin erhielt zudem ab November 2013 Wohngeld in Höhe von monatlich 55,00 EUR (Bewilligungsbescheid des Bezirksamts vom 16. Oktober 2013). Für beide Kinder erhielt die Klägerin jeweils 184,00 EUR monatlich Kindergeld. R. H. bezog eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 107,96 EUR. M. A. H. erhielt einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133,00 EUR monatlich.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin für November bis Dezember 2013 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 36,92 EUR und für Januar bis April 2014 in Höhe von monatlich 49,16 EUR (Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 10. Januar 2014).

Die Klägerin erhob hiergegen mit Schriftsatz ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 7. Februar 2014 Widerspruch. Die Klägerin könne die Höhe der gewährten Leistungen nicht nachvollziehen. Der Beklagte habe bei der fiktiven Bedürftigkeitsprüfung den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt. Es bestünde ein Anspruch auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende in voller Höhe.

Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 11. März 2014). Der Bedarf der Klägerin setze sich aus dem Regelbedarf und dem Mehrbedarf für Alleinerziehende zusammen und betrage 519,52 EUR und ab 1. Januar 2014 531,76 EUR. Von dem Einkommen aus BAföG sei ein Anteil von 427,60 EUR berücksichtigungsfähig. Hinzu käme Einkommen aus Wohngeld in Höhe von 55,00 EUR. Nach Anrechnung dieser Einkommen verbliebe noch ein Bedarf für den Mehrbedarf für Alleinerziehende von 36,92 EUR und ab. 1. Januar 2014 in Höhe von 49,16 EUR.

Mit der am 10. April 2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin meint, der Beklagte habe bei der fiktiven Bedürftigkeitsprüfung zu Unrecht den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht eingestellt.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2014 zu verurteilen, der Klägerin einen weiteren Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 100,60 EUR für Dezember 2013 sowie für die Monate Januar bis Februar 2014 in Höhe von 88,36 EUR monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, bei der Bedarfsberechnung sei Einkommen zunächst auf den Regelbedarf, dann auf den Mehrbedarf und erst dann auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung anzurechnen, sodass der Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht mehr zu berücksichtigen sei, da das Einkommen den Regelbedarf komplett und den Mehrbedarf für Alleinerziehende teilweise abdecke.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die der Kammer bei Entscheidung vorlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthafte Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 10. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2014 ist, soweit er angefochten ist, rechtswidrig und beschwert hierdurch die Klägerin (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Alleinerziehende als weitere Leistung für Auszubildende im tenorierten Umfang.

Streitgegenstand ist allein der Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende. Dabei kann die Kammer offen lassen, ob sie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgt, wonach Mehrbedarfe nach § 21 SGB II nicht isolierter Streitgegenstand sein können (BSG, Urt. v. 6.4.2011 – B 4 AS 3/10 R; kritisch mit beachtlichen Argumenten Nolte, NZS 2013, 10ff.), denn einen einheitlichen Leistungsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts könnte die Klägerin nicht geltend machen, da sie von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gerade ausgeschlossen ist (§ 7 Abs. 5 SGB II). Jedenfalls in derartigen Fällen zeigt sich, dass ein Mehrbedarf isoliert geltend gemacht werden können muss, da anderenfalls bei Befolgung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Leistungsberechtigte bei einem erhobenen Anspruch auf Mehrbedarf für Auszubildende keine zulässige Klage erheben könnten.

Rechtsgrundlage ist § 7 Abs. 5, 27 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 2, § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II in der seit dem 1. April 2012 geltenden Fassung.

Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 7 Abs. 5 SGB II). Auszubildende im Sinne des § 7 Absatz 5 SGB II erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe der folgenden Absätze (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Leistungen werden in Höhe der Mehrbedarfe nach § 21 Absatz 2, 3, 5 und 6 SGB II und in Höhe der Leistungen nach § 24 Absatz 3 Nummer 2 SGB II erbracht, soweit die Mehrbedarfe nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen gedeckt sind (§ 27 Abs. 2 SGB II). Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 SGB II maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben (§ 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II).

Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 SGB II liegen dem Grunde nach vor. Die Klägerin erhält grundsätzlich keine Leistungen nach dem SGB II, da sie im nun noch streitbefangenen Zeitraum eine nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung absolvierte. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II, da sie ihre Tochter, die im Streitzeitraum unter 7 Jahre alt war, alleine erzieht.

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist der Mehrbedarf der Klägerin nicht, auch nicht teilweise durch das zu berücksichtigende Einkommen gedeckt. Bei der fiktiven Bedarfsberechnung zur Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 27 Abs. 2 SGB II ist abweichend von § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II das zu berücksichtigende Einkommen zunächst auf die ausbildungsgeprägten Bedarfe (Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) anzurechnen und erst dann erst auf einen etwaigen Mehrbedarf.

Vorab ist bei der Bedarfsermittlung zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit ihren Kinder wegen des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 5 SGB II eine sogenannte gemischte Bedarfsgemeinschaft bildet und daher eine sogenannte vertikale Einkommensanrechnung zu erfolgen hat (Bernzen, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 27 Rn. 34). Da die Kinder über nicht bedarfsdeckendes Einkommen verfügen und damit kein Einkommensüberhang besteht, der bei dem Bedarf der Klägerin zu berücksichtigen wäre, kommt es allein auf ihren Bedarf und ihr Einkommen an.

Bei dieser fiktiven Bedürftigkeitsprüfung ist § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II entgegen der Auffassung der Beteiligten nicht anzuwenden.

Das Gesetz bestimmt in § 27 Abs. 2 SGB II lediglich, dass Einkommen bei der Bedarfsermittlung zu berücksichtigen ist (" , soweit Mehrbedarfe durch zu berücksichtigendes Einkommen ( ) gedeckt ist."). Welches Einkommen zu berücksichtigen ist, richtet sich nach allgemeiner Auffassung nach der allgemeinen Regeln zur Einkommensberücksichtigung (§ 11 – 11b SGB II).

Die Vorschrift normiert hingegen nicht, in welcher Reihenfolge zu berücksichtigendes Einkommen auf die einzelnen Bedarfe einzusetzen ist (vgl. Bernzen, aaO, § 27 Rn. 30). Vertretbar wäre, wie es der Beklagte getan hat, nach § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II Einkommen erst auf den Regelbedarf, dann auf den Mehrbedarf und dann auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzurechnen (so auch Peters, in: Estelmann, SGB II, XII/13, § 27 Rn 11; Frank-Schinke, ZfF 2011, 121, 128; Schmidt, in: Oestreicher, SGB II/XII, IV/12, § 27 Rn. 21). Ebenso erscheint vertretbar, Einkommen zunächst auf die typischen allgemeinen ausbildungsgeprägten Bedarfe (Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und erst danach auf nicht ausbildungsgeprägte, besondere Mehrbedarfe anzurechnen (so Bernzen, aaO, § 27 Rn. 43; wohl auch S. Knickrehm, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Sozialrecht, 3. Aufl., § 27 SGB II Rn. 3). Die erkennende Kammer hält die letztgenannte Ansicht für vorzugswürdig.

Dabei ist vorab daran zu erinnern, dass selbst wenn § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II anzuwenden wäre, nicht ausgeschlossen ist, von der darin normierten Einsatzreihenfolge Abweichungen zuzulassen. § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II selbst berücksichtigt nicht den Zweck etwaiger Einkommen, sondern beruht einzig und ausschließlich nur auf der unterschiedlichen Finanzierung der Leistungen (Spellbrink/G. Becker, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 19 Rn. 22). Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Abweichungen zuzulassen sind, wenn Sinn und Zweck der Art der Einnahme dies gebieten. So wird eine tatsächlich geleistete Untermiete nicht nach § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II zunächst auf den Regelbedarf angerechnet, sondern auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (BSG, Urt. v. 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R). Auch Wohngeld wird abweichend von § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung angerechnet (siehe dazu im Einzelnen die späteren Ausführungen).

Unabhängig hiervon ist zu konstatieren, dass § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht bei der fiktiven Bedürftigkeitsprüfung anzuwenden ist. Die Bedarfe nach § 27 Abs. 2 SGB II für Auszubildende werden in § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II gerade nicht erwähnt (vgl. Spellbrink/G. Becker, aaO, § 19 Rn. 19).

§ 27 Abs. 2 SGB II enthält keine Bestimmung, in welcher Reihenfolge Einkommen einzusetzen ist.

§ 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II, wonach der Zuschuss zu den ungedeckten Bedarfen für Unterkunft und Heizung zu gewähren ist, "soweit der Bedarf in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 SGB II ungedeckt ist", ist systematisch nicht eindeutig. Einerseits könnte der Umkehrschluss gezogen werden: Wenn in § 27 Abs. 3 SGB II der Bedarf in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 SGB II zu berechnen ist, müsste der Bedarf nach § 27 Abs. 2 SGB II wegen des fehlenden Verweises anderweitig berechnet werden müssen. Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgen wollte, führt eine entsprechende Anwendung von § 19 Abs. 3 SGB II gerade wegen einer entsprechenden Anwendung zu keinem klaren Ergebnis, würde dies doch gerade bedeuten, dass § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht wortlautgetreu, sondern wegen des Sinn und Zwecks der jeweils einschlägigen Vorschrift anderweitig angewendet werden muss.

Ausgehend hiervon ist bei einer allenfalls entsprechenden Anwendung des § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II (vgl. Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, I/12, § 19 Rn 66) Einkommen zunächst auf den Regelbedarf, dann auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung und erst dann auf etwaige Mehrbedarfe anzurechnen.

Hierfür spricht bereits die Gesetzesbegründung. Der Gesetzgebers wollte mit der Schaffung des § 27 Abs. 2 SGB II die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und nachfolgend des Bundessozialgerichts erstmals gesetzlich umsetzen, dass der Leistungsausschluss für Auszubildende nur für so genannte ausbildungsgeprägte Bedarfe galt, also ein Anspruch auf Mehrbedarfe zum Lebensunterhalt zusätzlich zu berücksichtigen ist (BT-Drs. 17/3404, S. 103). Dabei erkannte der Gesetzgebers ausdrücklich an, dass zu dem ausbildungsgeprägten Bedarf die Regelbedarfe für den Lebensunterhalt sowie die Bedarfe für Unterkunft und Heizung gehören (BT-Drs. 17/3404, S. 103). Schon vor diesem Hintergrund liegt es nahe, das ausbildungsgeprägte Einkommen (hier: BAföG) zunächst auf die ausbildungsgeprägten Bedarfe anzurechnen und erst im Falle des Überschusses auch auf nicht ausbildungsgeprägte Mehrbedarfe.

Hierfür spricht auch die Systematik von § 27 Abs. 2 SGB II und § 7 Abs. 5 SGB II. § 27 Abs. 2 SGB II soll den Ausschluss von Leistungen für ausbildungsgeprägte Bedarfe nach § 7 Abs. 5 nicht umgehen, sondern nur ergänzen (Bernzen, aaO, § 27 Rn. 43). Daher muss es für die Mehrbedarfsberechnung unbeachtlich bleiben, zu welchen Anteilen Einkommen den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und den Bedarf an Unterkunfts- und Heizkosten abdecken (Bernzen, aaO). Entscheidend ist allein die Frage, ob Einkommen und Vermögen in einer Höhe anrechenbar sind, die diese klassisch ausbildungsgeprägten Bedarfe noch übersteigt (Bernzen, aaO). Die Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Mehrbedarfsleistungen verlangt daher zunächst eine "fiktive Bedürftigkeitsberechnung" nach §§ 9, 11 ff SGB II in Verbindung mit der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (AlgII-V) ohne Annahme eines Mehrbedarfsanspruchs dem Grunde nach (Bernzen, aaO). Zeigt sich dabei, dass anrechenbares Einkommen und Vermögen nicht ausreichen, um die typischerweise ausbildungsgeprägten Bedarfe (Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts, Bedarf an Unterkunfts- und Heizkosten) zu decken, ist der jeweilige Mehrbedarfsanspruch in der sich rechnerisch aus § 21 Abs. 3 SGB II ergebenden zu ermittelnden Höhe verwirklicht (vgl. Bernzen, aaO). Ergibt sich umgekehrt, dass zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen die typischerweise ausbildungsgeprägten Bedarfe übersteigen, sind sie in dieser übersteigenden Höhe auf den sich rechnerisch aus § 21 Abs. 3 SGB II ergebenden Mehrbedarfsanspruchs leistungsmindernd anzurechnen (vgl. Bernzen, aaO).

Für die hier vertretene Auslegung spricht auch der Sinn und Zweck der Mehrbedarfsberücksichtigung, die insoweit auch in der Gesetzesbegründung Anklang gefunden hat (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 103). Der Gesetzgeber beabsichtigte, die ursprünglich auf das Bundesverwaltungsgericht zu § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurückgehende Rechtsprechung umzusetzen, wonach der Leistungsausschluss für Auszubildende nur für ausbildungsgeprägte Bedarfe gilt und Mehrbedarfe auch bei Auszubildenden zu bewilligen sind (vgl. zum ernährungsbedingen Mehrbedarf nach § 23 Abs. 4 BSHG bereits BVerwG, Buchholz 436.0 § 26 BSHG Nr 2). Hierzu führte das Bundesverwaltungsgericht aus (BVerwG, aaO, Rn. 10, juris):

"So einleuchtend es erschien (und erscheint), daß das Sozialhilferecht nicht die Grundlage dafür hergeben kann, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen, so erschien (und erscheint) es ebenso einleuchtend, daß eine durch die genannten Gesetze dem Grunde nach als förderungsfähig anerkannte Ausbildung nicht daran scheitern kann, daß in der Person des Auszubildenden Umstände vorliegen, die einen besonderen Bedarf begründen, Umstände, die herkömmlicherweise mit der Ausbildung nichts zu tun haben."

Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an. Danach wäre eine an sich förderungsfähige Ausbildung zum Scheitern verurteilt, wenn der Auszubildende gezwungen wäre, das ausbildungsgeprägte Einkommen zur Finanzierung des nicht ausbildungsgeprägten Bedarfs zu verwenden, nur weil er besondere Bedarfe hat, die keinerlei Bezug zur Ausbildung selbst haben. Dies würde letztlich Personen mit Mehrbedarfen – vom Gesetzgeber sicherlich nicht beabsichtigt – von einer geförderten Ausbildung ausschließen. Letztlich wäre es system-, sach- und sinnwidrig, nicht ausbildungsbedingte Mehrbedarfe mit ausbildungsbedingtem Einkommen zu finanzieren, obschon dieses nicht ausreicht, um die ausbildungsbedingten Bedarfe zu erfüllen.

Bei Berücksichtigung der hier vertretenen Einsatzreihenfolge (Regelbedarf, Bedarf für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarf für Alleinerziehende) ergibt sich folgende fiktive Bedürftigkeitsberechnung:

Der Regelbedarf betrug im Dezember 2013 monatlich 382,00 EUR (Nr. 1 der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2013 vom 18. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2175)) und ab Januar 2014 monatlich 391,00 EUR (Nr. 1 der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2014 vom 16. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3857)).

Der Bedarf der Klägerin für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) lag im Dezember 2013 bei 135,08 EUR. Der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft betrug in Dezember 2013 noch 460,23 EUR. Hiervon in Abzug zu bringen ist das Wohngeld von 55,00 EUR. Es handelt sich um keine zweckbestimmte Einnahme nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II, denn es besteht Zweckidentität mit der Leistung für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II mit der weiteren Folge, dass das Wohngeld abweichend von § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf den Unterkunftsbedarf anzurechnen ist (LSG Saarland, Urt. v. 25.05.2010 – L 9 AS 9/07, Rn. 78, juris; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, I/15, § 11 Rn. 592). Dass sich die Gewährung von Wohngeld einerseits und Leistungen nach dem SGB II auszuschließen, ist unschädlich, solange es als bereites Mittel zur Deckung des Bedarfs zur Verfügung steht (LSG Saarland, aaO; LSG Sachsen-Anhalt, B. v. 02.12.2008 – L 5 B 273/08 AS ER, Rn. 72, juris). Da die Klägerin ein Teil des aus 3 Personen bestehenden Haushalts ist, besteht ihr Bedarf nach dem Kopfteilprinzip in Höhe von einem Drittel des noch verbleibenden Bedarfs (405,23 EUR./. 3 = 135,08). Ab Januar 2014 erhöhte sich der Gesamtbedarf auf 474,23 EUR abzüglich Wohngeld in Höhe von monatlich 55,00 EUR, mithin 419,23 EUR. Auf die Klägerin entfällt daher ab Januar 2014 ein Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 139,74 EUR.

Der hiernach zu berücksichtigende Bedarf für Unterkunft und Heizung ist in dieser Höhe einzustellen. Der im BAföG enthaltene Unterkunftsanteil in Höhe von 224,00 EUR (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG) ist nicht in Abzug zu bringen. Diese Deckelung des Unterkunftsbedarfs beruht auf einer teleologischen Reduktion des § 27 Abs. 3 SGB II zur Bestimmung des Zuschusses zu den ungedeckten Bedarfen für Unterkunft und Heizung (vgl. BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr 32). Hier geht es indes nicht um eine etwaige Begrenzung ungedeckter ausbildungsgeprägter Bedarfe, sondern um einen zusätzlichen, nicht ausbildungsgeprägten Mehrbedarf.

Auf den so ermittelten ausbildungsgeprägten Bedarf von (382,00 EUR + 135,08 EUR=) 517,08 EUR im Dezember 2013 und von (391,00 EUR + 139,74 EUR=) 530,74 EUR ab Januar 2014 ist das zu berücksichtigende Einkommen anzurechnen. Von dem BAföG in Höhe von 572,00 EUR ist ein Anteil von 20 Prozent als zweckbestimmte Einnahme (§ 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II) abzuziehen (vgl. BSG, SozR 4-4200 § 11 Nr 21) sowie 30,00 EUR Versicherungspauschale (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V). Hiernach ist noch ein Einkommen aus BAföG in Höhe von (572,00 EUR – 114,40 EUR – 30,00 EUR=) 427,60 EUR anzurechnen.

Somit reicht das Einkommen (427,60 EUR) nicht um den ausbildungsgeprägten Bedarf (517,08 EUR bzw. 530,74 EUR) zu decken, sodass für die Anrechnung von Einkommen auf den nicht ausbildungsgeprägten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II kein anzurechnendes Einkommen mehr übrig ist.

Der Mehrbedarf ist daher in gesetzlicher Höhe zu gewähren, wobei die Klägerin nach ihrem Begehren in der Klageschrift und dem gestellten Antrag auch für die Zeit ab Januar 2014 lediglich den Bedarf für Alleinerziehende in Höhe von 137,52 EUR begehrte und der Mehrbedarf insoweit nicht in Höhe von 140,76 EUR zuzusprechen war. Das Gericht darf nach § 123 SGG nur über den erhobenen Anspruch entscheiden und nicht über das Begehren hinausgehen (vgl. nur Lowe, in: Hintz/Lowe, SGG, 1. Aufl., § 123 Rn. 8).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da die Klage eine Geldleistung betrifft, die 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und die Klage keine laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung war zuzulassen, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Rechtsfrage, in welcher Reihenfolge Einkommen bei einer fiktiven Bedürftigkeitsprüfung zur Bestimmung eines Mehrbedarfs bei Auszubildenden nach § 27 Abs. 2 SGB II anzurechnen ist, ist für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung und höchstrichterlich nicht geklärt.
Rechtskraft
Aus
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