L 8 AS 1229/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AS 3800/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 1229/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Schlussüberschussanteil

(Ausbezahlte) Schlussüberschussanteile aus einer Kapitallebensversicherung sind eher Vermögen im Sinne des § 12 SGB II als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.
I. Auf die Berufung der Kläger werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. September 2012 abgeändert und die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 7. April 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 5. August 2011 aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die teilweise Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.08.2010 bis 30.09.2010.

Die am ...1952 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1 stand im streitigen Zeitraum gemeinsam mit ihrem am ...1948 geborenen, erwerbsfähigen Ehemann, dem Kläger zu 2, im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Kläger waren jeweils Inhaber einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei der Versicherung "Alte Leipziger", welche am 01.08.2010 fällig wurden. Sie hatten die Versicherungen gegenüber der ARGE M E (im Folgenden: ARGE), einer Rechtsvorgängerin des Beklagten, bereits bei ihrer erstmaligen Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II am 24.10.2004 angegeben und in der Folgezeit regelmäßig Informationen zum aktuellen Stand der Versicherung eingereicht. Am 16.03.2010 legten die Kläger jeweils eine Vertragsauskunft der "Alten Leipziger" vom 02.03.2010 über den Stand der Versicherung vor. Auf Seite 2 des an die Klägerin zu 1 gerichteten Schreibens heißt es unter der Überschrift "Mögliche Ablaufleistung (beitragspflichtig)"

"Am Ablaufdatum 01.08.2010 zahlen wir die Erlebensfallsumme in Höhe von: 6.548,00 EUR aus. Hinzu kommt die Überschussleistung, die im Voraus nicht feststeht, in Höhe von:

Überschussleistung: 2.171,19 EUR Beteiligung an Bewertungsreserven: 0,00*EUR

Gesamtleistung (einschließlich Erlebensfallsumme): 8.719,19 EUR

* Zum Berechnungstermin kommt ein Beteiligungswert an den Bewertungsreserven hinzu, welcher noch nicht ermittelt werden kann. Aufgrund von Kapitalmarktschwankungen und damit verbundenen Schwankungen der Bewertungsreserven kann die Beteiligung höher oder niedriger ausfallen oder sogar ganz entfallen."

In dem Schreiben an den Kläger zu 2 war bei im Übrigen identischer Formulierung eine Erlebensfallsumme in Höhe von 6.224,00 EUR und eine Überschussleistung in Höhe von 2.216,61 EUR ausgewiesen.

Mit Bescheid vom 07.06.2010 bewilligte die ARGE den Klägern für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 709,03 EUR. Einkommen berücksichtigte sie dabei in der Bedarfsberechnung nicht.

Unter dem 02.08.2010 forderte die ARGE die Kläger auf, Nachweise über die mit Blick auf das Ablaufdatum zum 01.08.2010 erfolgten Auszahlungen der Versicherungssummen und die Kontoauszüge mit dem Zufluss vorzulegen. Die Kläger teilten mit, sie hätten ihre jeweiligen Versicherungssummen aufgerundet und bei der Sparkassen-Versicherung eingezahlt. Zum Nachweis legten sie die jeweils ab 01.09.2010 gültigen Versicherungsscheine der Sparkassen-Versicherung Sachsen über Rentenversicherungen vor. Die Kläger hatten bereits am 13.08.2010 unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II sowie § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) für beide Versicherungen bei der Sparkassen-Versicherung einen Verwertungsausschluss bis zum Eintritt des jeweiligen Versicherungsnehmers in den Ruhestand vereinbart. Der Versicherungsbeitrag belief sich für die Klägerin zu 1 einmalig auf 9.150,00 EUR, für den Kläger zu 2 einmalig auf 8.900,00 EUR. Die "Alte Leipziger" bestätigte, dass sie die gesamte Ablaufleistung für die Klägerin zu 1 in Höhe von 9.146,77 EUR und für den Kläger zu 2 in Höhe von 8.853,95 EUR am 24.08.2010 auf das Konto der Sparkassen-Versicherung Sachsen überwiesen und dabei als Zahlungsempfänger die Namen der Kläger angegeben habe. In der Ablaufleistung für die Klägerin zu 1 war eine Überschussleistung von 2.171,20 EUR sowie eine Beteiligung an der Bewertungsreserve von 427,57 EUR enthalten; die Überschussleistung setzte sich aus Überschussanteilen von 1.521,45 EUR sowie einer Schlussdividende von 649,75 EUR zusammen. Beim Kläger zu 2 belief sich die Überschussleistung auf 2.216,61 EUR und die Beteiligung an der Bewertungsreserve auf 413,34 EUR; in der Überschussleistung waren Überschussanteile im Umfang von 1.599,26 EUR und eine Schlussdividende von 617,35 EUR enthalten.

Zum 01.01.2011 wurde das Jobcenter M E (nachfolgend: Jobcenter) Grundsicherungsträger für sein Gebiet und damit Rechtsnachfolger der ARGE.

Nach vorheriger Anhörung der Kläger hob das Jobcenter mit zwei gesonderten Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 07.04.2011 die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 01.08.2010 bis zum 30.09.2010 teilweise in Höhe von jeweils 536,07 EUR auf und forderte die Kläger zur Erstattung dieses Betrages auf. Die von der "Alten Leipziger" ausgezahlte Schlussdividende sei als einmalige Einnahme in den Monaten August und September 2010 anzurechnen, so dass dadurch nur ein geringerer SGB II-Leistungsanspruch bestünde. Mit Änderungsbescheid vom 07.04.2011 bewilligte das Jobcenter den Klägern für den Zeitraum vom 01.08.2010 bis 31.08.2010 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 166,51 EUR und für die Zeit vom 01.09.2010 bis 30.09.2010 in Höhe von 179,41 EUR.

Die von den Klägern gegen die Bescheide vom 07.04.2011 erhobenen Widersprüche wies das Jobcenter mit Widerspruchsbescheiden vom 05.08.2011 zurück. Weil die Kläger bei Fälligkeit der Versicherung die Verfügungsbefugnis über die gesamte Versicherung gehabt hätten, habe es ihnen freigestanden, Teile davon für ihren Lebensunterhalt einzusetzen. Die Schlussüberschussanteile seien zusätzlich zur Versicherungssumme erzielt worden, so dass es sich insoweit nicht um umgewandeltes Vermögen handele. Diese Anteile stellten damit Einkommen dar. Durch die Erzielung dieses Einkommens sei eine leistungsrechtlich erhebliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, so dass eine Leistungsaufhebung nach § 40 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) habe erfolgen müssen.

Die Kläger haben am 12.08.2011 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) Klage erhoben. Die Schlussüberschussanteile seien ihnen nicht zugeflossen, sondern direkt in die Rentenversicherung bei der Sparkassen-Versicherung übergegangen. Die Umwandlung der Kapitalanlageform dürfe nicht anders behandelt werden als deren Verlängerung. Das Geld habe ihnen tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden. Auch jetzt könnten sie aufgrund des vereinbarten Verwertungsausschlusses nicht über das Geld verfügen. Schließlich sei ein Großteil der Schlussdividende schon vor dem Beginn ihres SGB II-Leistungsbezugs entstanden und zu diesem Zeitpunkt bereits ihrem Vermögen zugewachsen. So sei in einem Schreiben der "Alten Leipziger" vom 17.07.2004 ein Schlussüberschussanteil der Klägerin zu 1 in Höhe von 581,00 EUR und des Klägers zu 2 in Höhe von 552,00 EUR ausgewiesen.

Zum 01.01.2012 wurde der Beklagte Grundsicherungsträger für sein Gebiet und damit insoweit Rechtsnachfolger des Jobcenters.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, insbesondere habe der Beklagte zu Recht die Schlussüberschussanteile als Einkommen angerechnet. Diese unterfielen als "Früchte" des Schonvermögens nicht dem Vermögensschutz. Dabei sei insbesondere unerheblich, wann die Anteile schuldrechtlich entstanden seien. Maßgeblich sei allein, wann das Geld zugeflossen sei. Insoweit reiche es aus, dass die Kläger im Zeitpunkt der Fälligkeit die Möglichkeit gehabt hätten, auf das Kapital zuzugreifen und darüber zu verfügen. Dieser faktische Zufluss sei ausreichend. Da den Klägern das Geld bei Fälligkeit der Versicherungssumme als bereites Mittel zur Verfügung gestanden habe, sei von einem Zufluss im August 2010 auszugehen. Weil die Kläger die Möglichkeit gehabt hätten, zu diesem Zeitpunkt auf das Geld zuzugreifen, sei der nunmehr geltende Verwertungsausschluss nicht maßgeblich. Schließlich erfolge mit der Anrechnung im Fall der Versicherungsumschichtung keine Ungleichbehandlung gegenüber Fällen, in denen eine Vertragsverlängerung erfolge. In der letztgenannten Konstellation bestehe – anders als vorliegend – keine Zugriffsmöglichkeit auf das Kapital, da durch eine Verlängerung die Fälligkeit hinausgeschoben werde.

Gegen den am 10.10.2012 zugestellten Gerichtsbescheid wenden sich die Kläger mit ihrer am 02.11.2012 zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) erhobenen Berufung. Sie sind der Ansicht, die Schlussüberschussanteile seien nicht als Einkommen sondern als Vermögen zu werten. Zur Begründung verweisen sie auf eine Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.11.2013 – L 13 AS 5234/08 – juris). Zudem sei eine Aufhebung der Leistungsbewilligung vorliegend an § 45 SGB X zu messen. Dem Beklagten sei aufgrund der durch sie – die Kläger – vorgelegten Auskünfte der "Alten Leipziger" vom 02.03.2010 zum Zeitpunkt der ursprünglichen Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 07.06.2010 bereits bekannt gewesen, dass zum 01.08.2010 Überschussanteile anfallen würden. Da dennoch endgültig Leistungen bewilligt worden seien, sei der Bescheid vom 07.06.2010 als von Anfang an rechtswidrig anzusehen. Die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 45 SGB X seien jedoch nicht gegeben. Zudem sei auch die Jahresfrist für den Erlass eines Rücknahme- und Erstattungsbescheids abgelaufen.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. September 2012 die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 7. April 2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 5. August 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und ist der Ansicht, aus den Schreiben der Versicherung vom 02.03.2010 sei nicht herauszulesen gewesen, dass die Kläger die Versicherungen zum 01.08.2010 auflösen und nicht fortschreiben bzw. verlängern wollten. Die Möglichkeit einer Verlängerung habe zudem theoretisch bis zum Ablauf der Versicherung bestanden. Eine vorläufige Bewilligung habe daher nicht erfolgen müssen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in den Gerichtsakten enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft, weil das angefochtene Urteil die Kläger mit mehr als 750,00 EUR beschwert (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Denn der Beschwerdewert errechnet sich aus der Summe der streitigen Ansprüche. Das gilt auch im Fall der subjektiven Klagehäufung (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13.07.2004 – B 1 KR 33/02 R – juris RdNr. 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 144 RdNr. 16).

2. Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide vom 07.04.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 05.08.2011 waren vielmehr aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen.

Gleichgültig, ob die Rechtsauffassung der Kläger zutrifft, dass die Schlussdividende Vermögen ist, oder die Rechtsauffassung des Beklagten, dass dieser Schlussüberschussanteil Einkommen darstellt, sind die mit der Klage angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtswidrig. Denn im ersten Fall ist den Klägern mit der Schlussdividende kein Einkommen zugeflossen, so dass kein Raum für eine teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für streitigen Zeitraum (01.08.2010 bis 30.09.2010) besteht (dazu a). Im anderen Fall ist die Leistungsbewilligung zwar wegen Erzielung von Einkommen teilweise rechtswidrig, doch liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 07.06.2010 nicht vor (dazu b).

a) Sind die den Klägern von der "Alten Leipziger" ausbezahlten Schlussdividenden ebenso wie die restlichen Ablaufleistungen aus ihren dortigen Lebensversicherungen Vermögen im Sinne des § 12 SGB II, dürfen sie ebenso wenig wie jene bei der Berechnung ihrer SGB II-Leistungsansprüche berücksichtigt werden, da auch für den auf sie entfallenden Anteil an den Rentenversicherungen bei der Sparkassen-Versicherung derselbe Verwertungsausschluss gilt (§ 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II).

Während nach § 12 Abs. 1 SGB II als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen sind, wovon allerdings nach § 12 Abs. 2 und 3 SGB II Freibeträge abzusetzen und bestimmte Bestandteile ausgenommen sind, sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen wendet das BSG in ständiger Rechtsprechung die sog. modifizierte Zuflusstheorie an: Danach ist Einkommen grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl. BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R – juris RdNr. 23; Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R – juris RdNr. 18; Schmidt in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 11 RdNr. 15). Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (BVerwG, Urteil vom 18.2.1999 – 5 C 35/97 – juris RdNr. 15 ff.). Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung. Es wird auch im SGB II ausschließlich auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert abgestellt (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R – juris RdNr. 18). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Zufluss dieser Mittel beansprucht werden kann.

Gemessen daran handelt es sich bei Sparguthaben um Vermögen – und zwar auch dann, wenn es ausgezahlt wird (BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 57/07 R – juris RdNr. 17). Dagegen sind Zinsgutschriften aus Sparguthaben Einkommen, wenn sie dem Hilfebedürftigen nach Antragstellung zugeflossen sind – und zwar auch dann, wenn es sich bei dem verzinsten Kapital um Schonvermögen handelt (vgl. BSG a.a.O. RdNr. 18 f.). Diese Differenzierung lässt sich indessen auf Kapitallebensversicherungen – wie sie hier im Streit stehen – nicht ohne Weiteres übertragen. Zwar wird bei diesen wirtschaftlich gesehen ebenfalls Geldkapital einem anderen entgeltlich zur Nutzung überlassen, doch lassen sich bei ihnen die Früchte aus der Kapitalnutzung nicht einfach identifizieren. Bei Kapitallebensversicherungen wird zwischen der garantierten Versicherungsleistung und der Beteiligung am Überschuss sowie an den Bewertungsreserven unterschieden. Da Lebensversicherungen meist eine sehr lange Vertragsdauer haben, werden die garantierte Leistung und die vereinbarte Prämie sehr vorsichtig kalkuliert; daraus ergibt sich zwangsläufig in den meisten Jahren ein Überschuss des Versicherers (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 51 f.). Da dieser Überschuss nicht durch die unternehmerische Leistung des Versicherers, sondern konstruktionsbedingt entsteht, wird er zu einem gewissen Anteil an die Versicherungsnehmer zurückerstattet. Zu dieser Überschussbeteiligung macht das Gesetz insbesondere in § 153 VVG Vorgaben. Überschussanteile können dem Versicherungsnehmer unwiderruflich oder widerruflich zugeteilt werden; widerruflich zugeteilte Beträge werden meist als Schlussüberschussanteile bezeichnet, da sie erst bei Vertragsende ("zum Schluss") unwiderruflich werden sollen. In den Überschussanteilen werden in der Regel Früchte aus der Nutzung des Kapitals – d.h. der gezahlten Beiträge – enthalten sein; sie sind mit diesen aber schon deswegen nicht zwingend identisch, weil die Überschüsse zu einem Gutteil auch aus Prämien bestehen können. Das für die wirtschaftliche Bewertung rechtlicher Gestaltungen besonders sensible Steuerrecht knüpft denn auch in § 20 Abs. 1 Nr. 6 Einkommensteuergesetz nicht an die vertraglich vereinbarten Bestandteile der Versicherungsleistung an, sondern definiert bei Kapitallebensversicherungen als (Kapital-)Ertrag den Unterschiedsbetrag zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf die Lebensversicherung entrichteten Beiträge. Würde dies auf das Recht des SGB II übertragen, stellte bei Kapitallebensversicherungen nur der Substanzwert (eingezahlte Beiträge) Vermögen dar, nicht aber deren (jeweiliger) Verkehrswert. Dies widerspräche nicht allein der Rechtsprechung zur (Un-) Wirtschaftlichkeit der Verwertung von Lebensversicherungen (vgl. nur BSG, Urteil vom 20.02.2014 – B 14 AS 10/13 R – juris RdNr. 30 ff.), sondern auch dem Gesetz, das in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II bei Kapitallebensversicherungen mit Verwertungsausschluss nicht allein den Substanzwert von der bedarfsmindernden Berücksichtigung ausnehmen will.

Ausgehend hiervon spricht sehr viel dafür, auch Schlussüberschussanteile – wozu die hier ausgezahlte Schlussdividende zählt – als Vermögen im Sinne von § 12 SGB II zu qualifizieren (dahingehend auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2013 – L 13 AS 5234/08 – juris RdNr. 37).

b) Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn auch bei einer Qualifikation der Schlussüberschussanteile als Einkommen können die mit der Klage angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide keinen Bestand haben.

Denn der Beklagte kann die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 07.06.2010 nicht auf § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen. Vielmehr kommt vorliegend als Ermächtigungsgrundlage nur § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X in Betracht.

Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 45 SGB X und § 48 SGB X hat das BSG in seinem Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R – juris RdNr. 17 f. ausgeführt:

" Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab (vgl. BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr. 4, RdNr 13; BSGE 65, 221, 222 = SozR 1300 § 45 Nr. 45 S 141; vgl. zuletzt auch BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 45/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 36 RdNr 15). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen (vgl. BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1, RdNr 6 m.w.N.). Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl. bereits BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 39, RdNr 16).

Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist damit kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Aufhebung einschlägige Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X wäre demgegenüber nur dann anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergibt (BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 39, RdNr 16 unter Hinweis auf BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1, RdNr 6)."

Unter Anlegung dieser Maßstäbe war der Bewilligungsbescheid vom 07.06.2010 rechtswidrig, weil er nicht vorläufig gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. § 328 SGB III erging, sondern endgültig. Dies hat zur Folge, dass sich seine Aufhebung an § 45 SGB X und nicht an § 48 SGB X messen lassen muss.

Mit dem Bewilligungsbescheid vom 07.06.2010 wurden Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis zum 31.10.2010 bewilligt. Bei Erlass dieses Bescheides stand objektiv bereits fest, dass den Klägern zum 01.08.2010 die Lebensversicherungen bei der "Alten Leipziger" ausbezahlt werden würden. Nachdem die Kläger schon am 16.03.2010 Vertragsauskünfte über die Versicherungsverträge vorgelegt hatten, wusste der Beklagte auch davon. Dass der Beklagte positive Kenntnis von dem Umstand der Auszahlung hatte, wird insbesondere durch sein Schreiben vom 02.08.2010 an die Kläger dokumentiert. Dort heißt es:

"Mit Ablaufdatum zum 01.08.2010 erhalten Sie und Ihr Ehemann Ihre Lebensversicherung von der Alten Leipziger ausgezahlt. Bitte füllen Sie die Anlage VM aus. Bitte reichen Sie die Nachweise über die ausgezahlten Versicherungssummen und die Kontoauszüge mit dem Zufluss ein."

Der Beklagte hat damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er positiv von dem Umstand der Auszahlung des Geldes Kenntnis hatte. In Anbetracht dieses klaren Schreibens ist die Argumentation des Beklagten im Berufungsverfahren, man habe aus dem Schreiben der Versicherung vom 02.03.2010 nicht herauslesen können, dass die Kläger den Versicherungsvertrag zum 01.08.2010 auflösen und nicht fortschreiben wollten, nicht haltbar. Denn das Schreiben vom 02.08.2010 zeigt ja gerade, dass der Beklagte keine Zweifel an der Vertragsbeendigung hatte. Gefragt wird nicht, ob der Vertrag beendet wurde, sondern nach der Feststellung des Umstandes des Ablaufdatums zum 01.08.2010 und der damit verbundenen Auszahlung wird zur Vorlage der entsprechenden Auszahlungsnachweise aufgefordert. Der Beklagte wusste also von dem Umstand der Vertragsbeendigung und der Auszahlung. Lediglich die Tatsache, wie hoch die Ablaufleistung tatsächlich sein würde, war noch unklar. Dies hatten die Kläger auch nicht zu verantworten, weil denknotwendig zum Zeitpunkt der Bewilligung am 07.06.2010 noch nicht feststand, in welcher Höhe die Versicherung zum Stichtag tatsächlich zahlen würde.

Unter Berücksichtigung dieses Erkenntnisstandes hat der Beklagte seiner Leistungsbewilligung von vornherein eine unzutreffende – wenn auch für die Kläger zunächst günstige – Tatsachengrundlage zugrunde gelegt. Er hat nämlich Leistungen ohne Ansetzung von Einkommen bewilligt, obwohl die Versicherungszahlung – wie vorstehend ausgeführt – objektiv feststand und dem Beklagten sogar subjektiv bekannt war. Aus dem Bewilligungsbescheid vom 07.06.2010 ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte sich eine spätere Überprüfung im Hinblick auf die Einkommenserzielung vorbehalten wollte; insbesondere fehlt ein Hinweis darauf, dass die Kläger zunächst die konkrete Höhe der Versicherungsleistungen nachweisen müssen und im Anschluss daran eine Überrechnung der Leistungsbewilligung erfolgen wird. Mithin ist der Beklagte seinen Verpflichtungen in nicht ausreichendem Maße nachgekommen. Denn die Verwaltung ist grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines endgültigen Bescheids die Sachlage vollständig aufzuklären. Der Erlass eines endgültigen Bescheides trotz erst künftig ermittelbarer, allenfalls prospektiv schätzbarer Umstände ohne rechtliche Schätzungsbefugnis statt eines vorläufigen Bescheides ist von Anfang an rechtswidrig (BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R – juris RdNr. 17; Urteil vom 02.06.2004 – B 7 AL 58/03 R – juris RdNr. 14). Dem Beklagten hätte es vorliegend oblegen, vor Erlass des Bewilligungsbescheides bei den Klägern die konkrete Höhe der zu erwartenden Auszahlung abzufragen, um das Einkommen ordnungsgemäß in dem Bewilligungsbescheid zu berücksichtigen oder er hätte – ohne nochmalige Rückfrage bei den Klägern – die Bewilligung lediglich vorläufig erlassen dürfen (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in der Fassung vom 21.12.2008 i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III).

Der Umstand, dass der Beklagte seine Aufhebungsverfügung nicht zutreffend auf § 45 SGB X, sondern fehlerhaft auf § 48 SGB X gestützt hat, ist allein nicht klagebegründend. Denn das so genannte "Nachschieben von Gründen" (besser: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird. Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (BSG, Urteil vom 29.06.2000 – B 11 AL 85/99 R – juris RdNr. 24; Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R - juris RdNr 16 f.; Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R – juris RdNr. 34). Da vorliegend eine Rücknahme für die Vergangenheit bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X als gebundene Entscheidung ohne Ausübung von Ermessen zu treffen wäre (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III), stünde auch § 43 Abs. 3 SGB X einer Umdeutung nicht entgegen.

Auch der Umstand, dass der Beklagte die Kläger nur zu einer Aufhebung nach § 48 SGB X nicht aber zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X angehört hat, führt nicht zu einer formellen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Denn bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R – juris RdNr. 21 m.w.N.; von Wulffen in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 24 RdNr. 9). Vorliegend hat der Beklagte – ausgehend von seiner Rechtsansicht – die Kläger mit zwei getrennten Schreiben vom 21.02.2011 zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X angehört. Die Kläger haben sich daraufhin mit Schreiben vom 15.03.2011 geäußert. Damit wurde dem Erfordernis der Anhörung Genüge getan.

Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rücknahme nach § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, 2 Satz 3 SGB X liegen nicht vor.

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit einer der Vertrauensausschlussgründe des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt. Diese sind vorliegend zur Überzeugung des Senats jedoch nicht gegeben.

Der Vertrauensausschlussgrund des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X (Erwirken durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung) liegt ersichtlich nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (Beruhen auf Angaben, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat) sind vorliegend nicht erfüllt. Denn die Kläger haben das Bestehen und den Inhalt der Versicherungsverträge dem Beklagten gegenüber von vornherein offengelegt. Unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber dem Beklagten sind nicht festzustellen.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Für die Frage der groben Fahrlässigkeit kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BSG auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsempfängers sowie auf die besonderen Umstände des Falles an (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff): der Betroffene muss einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt haben und deshalb dasjenige nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSG, Urteil vom 31.08.1976 – 7 RAr 112/74 – juris RdNr. 19; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 45 RdNr. 52). Ein Verschuldensvorwurf in diesem Sinne lässt sich gegenüber den Klägern jedoch nicht begründen.

Die Kläger sind nach eigenen Angaben stets davon ausgegangen, dass die Versicherungsverträge zu ihrem geschützten Vermögen zählen. Für sie war es daher nur folgerichtig, dass in dem Bewilligungsbescheid vom 07.06.2010 auch in dem Monat August 2010 oder den Folgemonaten kein Einkommen angerechnet worden ist und eine endgültige Leistungsbewilligung vorgenommen wurde. Positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung in Bezug auf die Nichtanrechnung der im August 2010 zugeflossenen Schlussüberschussanteile hatten die Kläger damit von vornherein nicht. Aufgrund der geplanten "Umwandlung" der Verträge bei der "Alten Leipziger" in neue Versicherungsverträge waren die Kläger ferner (wie im Übrigen heute noch immer) der Ansicht, dass auch das dort angelegte Geld – welches sie zudem mit einem Verwertungsausschluss gesichert haben – dem vollen Vermögensschutz unterliegt. Eine – auch nur anteilsmäßige – Qualifizierung der Versicherungsleistung als Einkommen und eine daraus resultierende Anrechnung haben die Kläger von vornherein nicht in Betracht gezogen. Aus der Akte ist ersichtlich, dass die Kläger ihre Bewilligungsbescheide stets gründlich lesen und überprüfen sowie bei Unklarheiten Kontakt zum Beklagten suchen oder Widerspruch erheben. Die Kläger haben nicht ansatzweise in Betracht gezogen, dass Teile der ausbezahlten Versicherungssumme als Einkommen zu qualifizieren sind. Da es sich bei der Frage der Anrechnung von Schlussüberschussanteilen als Einkommen unter Berücksichtigung der Zuflussproblematik um eine durchaus komplexe Rechtsfrage handelt, deren Bejahung nicht unbedingt mit dem Gerechtigkeitsempfinden von juristischen Laien in Einklang steht, kann den Klägern nach ihrem individuellen Einsichtsvermögen der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit im Hinblick auf die fehlende Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbewilligungsbescheides nicht gemacht werden. Auch bezogen auf das Unterlassen der Anordnung einer vorläufigen Leistungsbewilligung kann der Senat eine Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Kläger aus diesem Grund nicht feststellen.

Vertrauensausschlussgründe nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X liegen mithin nicht vor. Die Kläger haben mit der Neuanlage der gesamten Versicherungssumme unter Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses jeweils eine Vermögensdisposition getroffen, die sie nicht mehr rückgängig machen können. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Regelbeispiels für überwiegenden Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 SGB X erfüllt. Da Anhaltspunkte für eine atypische Konstellation nicht ersichtlich sind und vom Beklagten auch nicht vorgetragen wurden, ist das Vertrauen der Kläger auf den Bestand der Bewilligungsentscheidung unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme als schutzwürdig anzusehen. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Rücknahme nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X liegen also nicht vor. Damit scheidet eine Umdeutung der fehlerhaft auf § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und § 330 Abs. 3 SGB III gestützten Aufhebungsbescheide in Rücknahmebescheide nach § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X sowie § 330 Abs. 2 SGB III aus.

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 07.04.2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 05.08.2011 sind daher rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Sie waren mithin aufzuheben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

Dr. Wahl Stinshoff Voigt
Rechtskraft
Aus
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