L 19 AS 1923/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AS 1392/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1923/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 35/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf die Rev. des Bekl. werden die Urteile des LSG und des SG Köln aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.08.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger sowie der Beigeladenen im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich gegen seine Verurteilung, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 15.02.2013 bis zum 30.09.2014 zu gewähren.

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1) besuchte in Bulgarien vier Jahre die Schule und arbeitete circa ein halbes Jahr lang als Putzfrau. Nach eigenen Angaben reiste sie am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt verfügte sie über keine deutschen Sprachkenntnisse, sie sprach bulgarisch und etwas serbisch. Sie war bereits mit den Klägern zu 2) und 3) schwanger. Familienangehörige der Klägerin zu 1) halten sich nicht in der Bundesrepublik auf. Bei einer Untersuchung der Klägerin zu 1) am 04.12.2012 stellte das Gesundheitsamt der Stadt L eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko fest und bescheinigte ihr deshalb eine fehlende Reisefähigkeit. Am 09.03.2013 wurden die Kläger zu 2) und 3) geboren. Errechneter Entbindungstermin war der 29.03.2013.

Am 24.11.2012 wurde die Klägerin zu 1) bei einem Ladendiebstahl aufgegriffen und festgenommen. Bei der polizeilichen Vernehmung gab sie an, sich seit zehn Tagen in der Bundesrepublik aufzuhalten. Grund für die Einreise sei ihre Sorge um ihr ungeborenes Kind gewesen, welches sie gesund zur Welt bringen wolle. Gegenüber dem Ausländeramt sowie im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens vor dem Sozialgericht Köln (S 13 AS 688/13 ER) ergänzte die Klägerin, sie sei in Bulgarien von ihrem Ex-Freund, der nicht der Kindsvater sei, aufgrund ihrer Schwangerschaft bedroht worden und daher zu einer in der Bundesrepublik lebenden Freundin geflohen. Durch Urteil des Amtsgerichts L vom 27.11.2012 - 520 Ds 00/12/ 00 Js 00/12 - wurde die Klägerin zu 1) wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5,00 EUR verurteilt.

Am 21.12.2012 stellte die Klägerin zu 1) einen Leistungsantrag beim Beklagten. Bei Antragstellung gab sie an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihrem Ex-Freund suchen müssen und erhofft, dass sie Arbeit finde.

Ab dem 10.01.2013 war die zuvor wohnungslose Klägerin zu 1) durch die Stadt L in Ausübung ihrer ordnungsbehördlichen Aufgaben in einer gewerblichen Unterkunft gegen Unterkunftskosten von 22,00 EUR täglich untergebracht. Nach Geburt der Zwillinge wurde die Familie seitens der Stadt L ab dem 02.04.2013 in der Pension X eingewiesen. Es fielen Unterkunftskosten von 28,00 EUR täglich pro Person an. Zum 02.12.2013 beschlagnahmte die Stadt L die aktuell bewohnte Wohnung der Kläger und wies diese dort ein. Mit Einweisungs- und Nutzungsgebührenbescheiden vom 21.10.2013, 05.03.2014, 30.04.2014, 27.08.2014 und 12.11.2014 wurde die Klägerin zu 1) verpflichtet, der Eigentümerin eine Nutzungsentschädigung in Höhe des Mietwertes zu leisten. Die Eigentümerin, die H Immobilien AG, bezifferte das Nutzungsentgelt mit insgesamt 621,06 EUR monatlich (378,30 EUR Nutzungsentschädigung + 59,76 EUR Zwangseinweisungszuschlag + 141,00 EUR Betriebskosten + 42,00 EUR Heizkosten). Anstelle der Kläger überweis die Stadt L die Nutzungsentschädigung an die Eigentümerin (§§ 19, 39 Abs. 1a OBG NRW), ohne dass die Kläger diese Aufwendungen zwischenzeitlich erstattet hätten (§ 42 Abs. 2 OBG NRW i.V.m. §§ 667 ff. BGB).

Am 20.02.2013 ging auf dem Konto der Klägerin zu 1) ein von der Bundesstiftung "Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" gewährter Betrag von 470,00 EUR ein.

Die Ausländerbehörde der Stadt L leitete im April 2013 ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger ein. Die Klägerin zu 1) gab in diesem Verfahren an, dass sie nach dem Tod ihres Adoptivvaters mit 14 Jahren von ihren Adoptivbrüdern in die Niederlande zwangsverheiratet worden sei. Dort habe sie sexuelle Gewalt erfahren und sei nach einer Straffälligkeit im Alter von 16 Jahren schwanger nach Bulgarien ausgewiesen worden. Ihr erstes Kind sei nach einer Unterbringung in einem Jugendheim adoptiert worden. Sie habe dann in Bulgarien fast sieben Jahre mit einem Mann zusammengelebt, mit dem sie drei Kinder habe. Dieser Ex-Freund habe sie gegen Ende der Beziehung geschlagen und beleidigt. Als er erfahren habe, dass sie von einem anderen Mann schwanger sei, habe er sie tätlich angegriffen und ihr gedroht, sie zu töten, wenn sie das Kind nicht abtreibe. Sie habe um ihr Leben und das des ungeborenen Kindes gefürchtet und sei zu einer Freundin in die Bundesrepublik geflüchtet. Nachdem die Klägerin zu 1) ihr Schicksal geschildert hatte, wurde das Verfahren seitens der Behörde seit Mitte 2013 nicht weiter betrieben.

Mit Bescheid vom 09.04.2013 gewährte die Familienkasse L der Klägerin zu 1) für die Kläger zu 2) und 3) Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 EUR pro Monat. Die Gutschrift des Nachzahlbetrags von 736,00 EUR erfolgte am 15.04.2013 auf dem Konto der Klägerin zu 1).

Mit Bescheid vom 18.10.2013 wurde der Klägerin zu 1) für den Zeitraum vom 09.03.2013 bis zum 08.03.2014 Elterngeld in Höhe von 600,00 EUR monatlich gewährt. Die sich hieraus ergebende Nachzahlung von 4.800,00 EUR wurde wegen eines angemeldeten Erstattungsanspruchs des Beklagten einbehalten. Ab November 2013 erfolgten die laufenden Zahlungen auf das Konto der Klägerin zu 1).

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Eilverfahren vor dem Sozialgericht Köln (S 13 AS 688/13 ER und S 24 AS 3557/13 ER) gewährte der Beklagte der Klägerin zu 1) vorläufig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht seit dem 21.02.2013 bzw. später auch den Klägern zu 2) und 3) für die Zeit bis zum 21.08.2013 die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II einschließlich des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 3 SGB II, darüber hinaus für die Zeit vom 21.02.2013 bis zum 21.08.2013 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie für die Zeit ab dem 16.09.2013 durchgehend die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II unter Anrechnung des Kindergeldes und des Elterngeldes ab November 2013.

Mit Bescheid vom 14.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin zu 1) vom 21.12.2012 auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Hiergegen haben die Kläger am 12.04.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 24 AS 1392/13) erhoben.

Am 06.08.2013 stellte die Klägerin zu 1) für die Bedarfsgemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag. Durch Bescheid vom 15.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Hiergegen haben die Kläger am 25.11.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 24 AS 4485/13) erhoben.

Mit Beschluss vom 19.08.2014 hat das Sozialgericht die Verfahren S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Kläger haben argumentiert, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greife wegen Verstoßes gegen das europäische Gemeinschaftsrecht nicht zu ihren Ungunsten ein. Ihnen stünden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 21.01.2013 bzw. ab dem 09.03.2013 zu.

Mit Urteil vom 19.08.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 und Aufhebung des Bescheides vom 15.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 verurteilt, der Klägerin zu 1) Leistungen ab dem 21.01.2013 und den Klägern zu 2) und zu 3) ab dem 09.03.2013 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 19.09.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15.10.2014 Berufung eingelegt.

Einen am 27.10.2014 gestellten Weiterbewilligungsantrag der Kläger lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2015 ab. Hiergegen haben die Kläger am 23.03.2015 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 19 AS 597/15) erhoben.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Kläger seien gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Er weist darauf hin, dass nach der Geburt eines Kindes in der Regel in den drei darauffolgenden Jahren für den betreuenden Elternteil keine Arbeitsvermittlung oder Integration stattfinde, außer der betreuende Elternteil wünsche dies ausdrücklich. Ein solcher Wunsch sei seitens der Klägerin zu 1) nicht geäußert worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.08.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie tragen vor, die Klägerin zu 1) sei zwar zur Arbeitsuche, aber auch wegen der Bedrohung durch ihren Ex-Freund in Bulgarien in die Bundesrepublik eingereist. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung am 01.06.2013 ihr Begehren auf den Zeitraum ab dem 15.02.2013 - Klägerin zu 1) - bzw. 09.03.2013 - Kläger zu 2) und 3) - bis zum 30.09.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 21.01.2015 hat der Senat die Stadt L als Trägerin der Leistungen nach dem SGB XII nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen. Die Beigeladene ist der Auffassung, den Klägern seien Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, so dass § 21 SGB XII einer Leistungsgewährung durch die Beigeladene entgegenstehe.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M und Beiziehung der im Internet veröffentlichen IAB-Kurzberichte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 21.03.2014 "Anerkannte Abschlüsse und Deutschkenntnisse lohnen sich" und 11/2014 "Kaum eine Region bietet genügend einfache Jobs". Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.06.0215 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Köln - S 36 AS 5106/12 ER, S 13 AS 688/13 ER, S 24 AS 4477/13 ER, S 24 AS 3335/13 ER und S 19 AS 597/15 -, der Akte der Staatsanwaltschaft L 00 Js 00/12, der Ausländerakte der Stadt L und der Akte des Amtes für Soziales und Senioren der Stadt L Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II an die Klägerin zu 1) ab dem 15.02.2013 bzw. an die Kläger zu 2) und zu 3) ab dem 09.03.2013 bis zum 30.09.2014. Die weitergehende Klage betreffend den Zeitraum vom 21.01.2013 bis zum 14.02.2013 bzw. über den 30.09.2014 hinaus haben die Kläger im Berufungsverfahren zurückgenommen. Damit ist das stattgebende Urteil betreffend die Zeiträume vom 21.01.2013 bis zum 14.02.2013 und ab dem 01.10.2014 hinfällig geworden.

Das Sozialgericht hat der Klage für den streitbefangenen Zeitraum zu Recht stattgegeben.

Die Kläger sind beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 15.02.2013 bis zum 30.09.2014 gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II (A.). Die Kläger zu 2) und zu 3) sind anspruchsberechtigt nach §§ 19 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II für die Zeit vom 09.03.2013 bis zum 30.09.2014 (B.).

A. Die Voraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II lagen bei der Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum dem Grunde nach vor (1.). Ihr Leistungsanspruch ist nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II (2.) oder gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (3.) ausgeschlossen. 1. Im streitbefangenen Zeitraum erfüllte die Klägerin zu 1) die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II).

Sie war hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die den Klägern im streitbefangenen Zeitraum zugeflossenen Sozialleistungen (Kindergeld und Elterngeld) deckten den monatlichen Gesamtbedarf (Bedarfe nach §§ 20, 21, 22 SGB II) der drei Kläger, die ab dem 09.03.2013 eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bildeten, nur teilweise. Der Bedarf der Klägerin zu 1) betrug vor der Geburt der Zwillinge ab dem 15.02.2013 monatlich insgesamt 1.106,94 EUR (382,00 EUR Regelbedarf + 64,94 EUR Mehrbedarf Schwangere gemäß § 21 Abs. 2 SGB II + 660,00 EUR Unterbringungskosten im Hotel), nach Geburt der Kläger zu 2) und 3) belief sich der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft auf 3.487,52 EUR monatlich (382,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 137,52 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 448,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 2520,00 EUR Unterbringungskosten Pension X). Nach dem Umzug der Kläger in die aktuelle Wohnung zum 02.12.2013 betrug der Gesamtbedarf 1.588,58 EUR monatlich (382,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 137,52 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 448,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 621,06 EUR Nutzungsentschädigung Wohnung). Mit Anhebung der Regelbedarfe zum 01.01.2014 stieg der Gesamtbedarf auf 1.610,82 EUR monatlich (391,00 EUR Regelbedarf der Klägerin zu 1) + 140,76 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II + 458,00 EUR Sozialgeld der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) + 621,06 EUR Nutzungsentschädigung Wohnung). Diese Gesamtbedarfe wurden durch das monatliche Einkommen der Kläger aus Kindergeld (2 x 184,00 EUR = 368,00 EUR) und Elterngeld (600,00 EUR) nur teilweise gedeckt. Dies gilt auch für den Monat April 2013, in dem der Klägerin zu 1) eine Nachzahlung von Kindergeld in Höhe von 736,00 EUR zugeflossen ist. Aufgrund der erheblichen Unterbringungskosten deckte diese Nachzahlung den Gesamtbedarf (3.487,52 EUR) nicht vollständig. Über sonstiges anrechenbares Einkommen oder berücksichtigungsfähiges Vermögen verfügten die Kläger nicht. Eine Nachzahlung von Elterngeld aufgrund des Bescheides vom 18.10.2013 wurde einbehalten und stand den Klägern damit tatsächlich nicht als bereites Einkommen zur Verfügung. Die Kläger haben ihren Lebensunterhalt im streitbefangenen Zeitraum durch die aufstockend und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erbrachten Zahlungen des Beklagten sowie der vorschussweisen Übernahme der Unterkunftskosten durch die Fachstelle Wohnen der Beigeladenen bestritten.

Als bulgarische Staatsangehörige war die Klägerin zu 1) unabhängig von der bis zum 31.12.2013 erforderlichen Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60). Sie war auch erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB II.

Die Klägerin zu 1) hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. Sie hielt sich im streitbefangenen Zeitraum (und darüber hinaus) zukunftsoffen und ohne erkennbare Anzeichen, dies ändern zu wollen, durchgehend in L auf. Bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU über den Verlust des Rechts zur Einreise und auf Aufenthalt besteht für einen Unionsbürger grundsätzlich ein zukunftsoffener Aufenthalt i.S.v. § 30 SGB I unabhängig davon, ob ein materielles Aufenthaltsrecht gegeben ist (BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.; vgl. auch LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12, wonach das Nichtabstellen auf die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Ausländers bei der Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, 30 SGB I kongruent mit dem in Art. 11 VO (EG) 987/2009 konkretisierten Begriff des Wohnorts ist). Das FreizügG/EU geht von einer Vermutung der Freizügigkeit aus, die einem Unionsbürger bis zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit durch die Ausländerbehörde einen formell rechtmäßigen Aufenthalt vermittelt (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl., § 7 Rn. 10 m.w.N.). Ein Unionsbürger ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU erst nach einer Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU ausreisepflichtig. Ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde von der zuständigen Ausländerbehörde zwar eingeleitet, jedoch seit Mitte 2013 nicht mehr betrieben.

Die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II normierten Leistungsvoraussetzungen sind nicht um die ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines (materiellen) Aufenthaltsrechts zu erweitern (so aber LSG Hessen, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER). Allein die Tatsache, dass bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Ausländers abgestellt wird (siehe BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.), rechtfertigt nicht die Annahme einer unbeabsichtigten Regelungslücke. Dagegen spricht schon allein die Konzeption der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II sind Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Nach § 1 AsylbLG sind u.a. Ausländer leistungsberechtigt, deren materielles Aufenthaltsrecht noch nicht geklärt ist oder die trotz des Fehlens eines materiellen Aufenthaltsrechts sich in der Bundesrepublik aufhalten. Hierzu zählen u.a. vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), also auch vollziehbar nach § 7 FreizügG/EU ausreisepflichtige Unionsbürger. Die Kodifizierung eines solchen Leistungsausschlusses wäre nicht erforderlich, wenn das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts für einen Ausländer Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wäre. Auch haben die Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache E - C-333/13 - angegeben, die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Unionsbürgers und die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung seien formal nicht miteinander verknüpft (siehe hierzu Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtssache E - C-333/13 - Rn. 125).

2. Die Klägerin zu 1) ist im streitbefangenen Zeitraum nicht von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II greift nicht (mehr) ein. Die Klägerin zu 1) ist spätestens am 15.11.2012 in die Bundesrepublik eingereist. Der Senat stützt sich auf deren Angaben über den Zeitpunkt ihrer Einreise bei der polizeilichen Vernehmung am 25.11.2012, die sie in der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2015 bestätigt hat. Damit ist der gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II maßgebliche Dreimonatszeitraum zu Beginn des streitbefangenen Zeitraums, dem 15.02.2013, bereits abgelaufen gewesen.

3. Entgegen der Auffassung des Beklagten greift auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zu Ungunsten der Klägerin zu 1) nicht ein. Danach sind Ausländer und Ausländerinnen und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw. der Gründe des Aufenthaltsrechts am Maßstab des FreizügG/EU (BSG, Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R - ZFSH/SGB 2014, 58 m.w.N.), welches die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach dem AEUV i.V.m. der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 (RL 2004/38/EG) in nationales Recht umsetzt. Es muss positiv festgestellt werden, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik zusteht (BSG, Urteil vom 30.01.2013 a.a.O., m.w.N.). Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.; siehe auch VG Gießen, Urteil vom 16.04.2013 - 7 K 4111/11.GI mit Wiedergabe des Meinungsstandes zur Bedeutung von § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU im Verhältnis zu den Aufenthaltsrechten nach dem FreizügG/EU) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre. Die Klägerin zu 1) hatte im streitbefangenen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (a) oder ein anderes Aufenthaltsrecht (b) inne. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II findet auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung (c).

a) Die Klägerin zu 1) hatte im streitbefangenen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.

Das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsrecht eines Arbeitnehmers zur Arbeitsuche aus Art. 45 Abs. 3 AEUV wird konkretisiert durch die RL 2004/38/EG (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 E - Rn. 61), welche mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in der im streitbefangenen Zeitraum gültigen Fassung vom 21.01.2013 (Gesetz vom 21.01.2013, BGBl. I 86 - a.F. -) ihre Umsetzung in nationales Recht gefunden hat (Dienelt, a.a.O., § 2 FreizügG/EU, Rn. 61). Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. sind u.a. Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich zur Arbeitsuche aufhalten wollen. Im gemeinschaftsrechtlichen Sinne arbeitsuchend ist, wer ernsthaft und mit begründeter Aussicht auf Erfolg einen Arbeitsplatz sucht, wobei dies objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muss (vgl. EuGH, Urteile vom 23.03.2004 - C-138/02 - D, vom 20.02.1997 - C-344/95 und vom 26.02.1991 - C-292/89 - B; OVG Sachsen, Beschluss vom 07.08.2014 - 3 B 507/13 m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.06.2014 - 4 LB 22/13; VGH Bayern, Beschluss vom 11.02.2014 - 10 C 13.2241). Vor der Einfügung der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU mit Wirkung zum 09.12.2014 (Gesetz vom 02.12.2014, BGBl I 1922) wurde einem Unionsbürger eine Zeit zur Arbeitsuche von sechs bis neun Monaten eingeräumt (vgl. auch OVG Sachsen, Beschluss vom 20.08.2012 - 3 B 202/12 Rn. 10; VG München, Urteil vom 02.08.2010 - M 12 K 12.1882, M 12 S). Für die Annahme eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche genügt damit nicht allein die Erklärung eines Unionsbürgers, er halte sich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik auf. Auch wenn der Zeitraum zur Arbeitsuche von sechs bis neun Monaten erst im streitbefangene Zeitraum abgelaufen ist, kann sich die Klägerin zu 1) nicht auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche - auch nicht für einen Teilzeitraum - berufen. Denn ihre Arbeitsuche war objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg. Auch hat sich die Klägerin zu 1) nicht ernsthaft um die Erlangung eines Arbeitsplatzes bemüht. Allein die Stellung eines Leistungsantrags beim Beklagten begründet nicht den Status eines Arbeitsuchenden i.S.d. RL 2004/38/EG bzw. des FreizügG/EU (so aber anscheinend BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O.)

Eine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatte die Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum nicht. In der Zeit vom 15.02.2013 bis zum 21.06.2013 bestand für sie wegen der Schwangerschaft bzw. der vorzeitigen Zwillingsgeburt ein Beschäftigungsverbot nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 MuSchG. Auch für den Zeitraum nach dem 21.06.2013 bestand keine begründete Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Die Klägerin zu 1) verfügte lediglich über eine rudimentäre Schulbildung (vier Jahre), nicht aber über eine verwertbare berufliche Ausbildung oder Qualifikation. Ihre Berufserfahrung beschränkte sich auf eine kurzzeitige ungelernte Tätigkeit in Bulgarien. Die Arbeitsuche wurde erheblich dadurch erschwert, dass sie über keine deutschen Sprachkenntnisse - weder aktiv noch passiv - verfügte. Als bulgarische Staatsangehörige benötigte sie zudem bis zum 31.12.2013 eine Arbeitserlaubnis-EU/Arbeitsberechtigung-EU nach § 284 SGB III, die grundsätzlich nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 S. 1 AufenthG, d.h. insbesondere in Abhängigkeit vom Nichtvorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer (§ 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AufenthG), erteilt werden konnte. Erschwerend kommt hinzu, dass sie als alleinerziehendes Elternteil von zwei Kindern zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf eine gesicherte Kinderbetreuung angewiesen war, die im streitbefangenen Zeitraum nicht vorhanden war. Auch verfügte die Klägerin zu 1) nicht über ein soziales Netzwerk, bestehend aus Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten, über das oftmals Tätigkeiten im Bereich der ungelernten Tätigkeiten vermittelt werden. Der Senat stützt sich insoweit auf die Aussage des Zeugen M, der als Leiter eines Teams von Mitarbeitern des Beklagten, das für die Arbeitsvermittlung und die Integration von Leistungsbeziehern zuständig ist, über die Sachkunde verfügt, die Vermittlungsaussichten von Arbeitsuchenden zu beurteilen. Der Zeuge hat nachvollziehbar und in sich schlüssig bekundet, dass die Vermittlungsaussichten eines Ausländers, der über keine Berufsausbildung und keine rudimentären Deutschkenntnisse verfügt, schlecht sind. Allein schon fehlende deutsche Sprachkenntnisse schränkten die Vermittlungsaussichten erheblich ein. Bei Hinzutreten weiterer Vermittlungserschwernisse, wie z.B. mangelnde Ausbildung oder Alleinerziehung, sei die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, äußerst gering. Hinzu komme, dass der Arbeitsmarkt für ungelernte Tätigkeiten dadurch geprägt sei, dass die Nachfrage nach solchen Tätigkeiten erheblich das Angebot von Arbeitsstellen übersteige und deshalb die Arbeitgeber eine große Auswahl hinsichtlich der Qualifikation und zeitlichen Flexibilität der nachfragenden Arbeitskräfte hätten. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolge bei Migranten mit niedrigem Bildungsniveau im ungelernten Bereich oftmals über Tätigkeiten im Haushalt oder im Gewerbe auf der Basis von Minijobs oder Midijobs, die nicht über den Beklagten, sondern über soziale Netzwerke vermittelt würden. Der Senat hat keinen Anlass, an den Aussagen des Zeugen zu zweifeln. Die Aussagen zu den Vermittlungsaussichten von Ausländern mit niedrigem Bildungsniveau, ohne berufliche Kenntnisse und fehlende Deutschkenntnisse stimmen mit den Feststellungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über die Arbeitsmarktsituation von Migranten in den beiden beigezogenen Studien überein.

Die Klägerin zu 1) hat sich auch nicht ernsthaft um Arbeit bemüht. Eine solche ernsthafte Arbeitsuche ergibt sich nicht allein aus der Tatsache, dass sie sich beim Beklagten arbeitsuchend gemeldet hat.

Der Zeuge hat glaubhaft ausgeführt, dass der Beklagte bei arbeitslos gemeldeten Alleinerziehenden mit Kindern unter drei Jahren von selbst keine Vermittlungsbemühungen unternimmt, soweit dies nicht ausdrücklich erwünscht wird. Dies steht im Einklang mit der Wertung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II, wonach in solchen Fällen eine Arbeitsaufnahme lediglich bei sichergestellter Kinderbetreuung zumutbar ist. Vorliegend war die Klägerin nach eigenen Angaben zwecks Kinderbetreuung auf die Bereitstellung von Kindergartenplätzen angewiesen, um welche sie sich indes erst ab Vollendung des zweiten Lebensjahres der Kinder (und damit nach Ablauf des streitbefangenen Zeitraums) bemüht hat. Sie fragte Vermittlungsbemühungen des Beklagten nicht nach. Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin zu 1) eingeräumt, sie habe im streitbefangenen Zeitraum nicht verstärkt nach Arbeit gesucht. Sie habe gelegentlich in einem bulgarischen Geschäft nach Arbeit gefragt. Mangels konkreter und aussichtsreicher Arbeitsuche bestand ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1) aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. danach nicht.

b) Der Klägerin zu 1) standen auch keine anderen Aufenthaltsrechte zu. Die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU lagen nicht vor. Im streitbefangenen Zeitraum war die Klägerin zu 1) weder Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F.) noch selbständig Erwerbstätige (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU a.F.) und hielt sich nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU a.F.). Sie verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU) und ist auch nicht einem freizügigkeitsberechtigten Familienmitglied nachgezogen (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m § 3 FreizügG/EU a.F.). Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht lagen ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU a.F.).

Ihr stand ferner kein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV zu. Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Klägerin zu 1) übt zwar das alleinige Sorgerecht für zwei minderjährige Unionsbürger aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie aber auch unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebot kein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten.

Zwar wird in der Literatur vertreten, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG finde aufgrund von Art. 18 AEUV auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (vgl. Dienelt a.a.O., § 11 FreizügG/EU Rn. 38f; a.A. Kösel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107). Es handelt sich aber nicht um eine Diskriminierung wegen Staatsangehörigkeit i.S.v. Art. 18 AEUV, wenn § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht auf Personen angewandt wird, die das Sorgerecht für minderjährige Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht ausüben. Der Inländergleichbehandlungsgrundsatz des Art. 18 AEUV gebietet allenfalls die Gleichbehandlung von minderjährigen Unionsbürgern, die über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen mit minderjährigen Deutschen. Eine ungleiche Behandlung von deutschen Minderjährigen, die sich auf das Freizügigkeitsgrundrecht aus Art. 11 Abs. 1 GG berufen können und minderjährigen Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht verstößt nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV. Anknüpfungspunkt ist in diesem Falle nicht die Staatsangehörigkeit, sondern das materielle Freizügigkeitsrecht der Minderjährigen. Das in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegte Diskriminierungsverbot wird für Unionsbürger, die von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten aufzuhalten und zu bewegen, in Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG konkretisiert (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - E). Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG ordnet an, dass jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates aufhält, vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen im Anwendungsbereich des Vertrags, die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates genießt. Danach findet Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG auf Unionsbürger, die sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie, sondern allenfalls auf die dem FreizügG/EU zugrunde liegende Freizügigkeitsvermutung berufen können, keine Anwendung (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER).

Darüber hinaus verleiht Art. 11 GG einem minderjährigen Deutschen ein Recht zum Aufenthalt in Deutschland. Er darf grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, mit seinen Eltern im Ausland zusammenzuleben (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2013 - OVG 7 M 36.13, vgl. zum Ehegattennachzug: BVerwG, Urteil vom 04.09.2012 - 10 C 12/12 - BVerwGE 144, 141). Diesem Status entspricht der Status eines minderjährigen Unionsbürgers, der aus gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften (z.B. aus § 3 FreizügG/EU als Familienangehöriger eines nach § 2 FreizügG/EU berechtigten Unionsbürgers, Art. 10 VO 492/11) ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik hat. Der Status eines minderjährigen Unionsbürgers, der sich nur auf die Freizügigkeitsvermutung des FreizügG/EU a.F. berufen kann und sich damit formell, aber nicht materiell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ist mit dem Status eines minderjährigen Deutschen nicht vergleichbar. Denn anders als deutsche Minderjährige können sie ein materielles Aufenthaltsrecht nicht aus Art. 11 Abs. 1 GG herleiten.

Vorliegend haben die minderjährigen Kläger zu 2) und 3) zwar ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, sie verfügen jedoch über kein materielles Aufenthaltsrecht. Weder steht ihnen ein solches aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU a.F. zu noch handelt es sich bei ihnen um in der Ausbildung befindliche Kinder (ehemaliger) Wanderarbeitnehmer im Sinne von Art. 10 VO 492/11/EU.

Nach alledem verfügte die Klägerin zu 1) im streitbefangenen Zeitraum über kein materielles Aufenthaltsrecht.

c) Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II findet auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung.

Die Formulierung in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II "deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt" verlangt das aktuelle Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts. Es genügt nicht, wenn der Zweck der Arbeitsuche die einzige Möglichkeit ist, aus der sich ein Aufenthaltsrecht ergeben kann. Das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts vor Einleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird auch nicht vermutet (so aber LSG NRW, Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13 ( Revision anhängig B 4 AS 24/14 R ); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 - L 15 AS 202/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2014 - L 20 AS 2697/14 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 14.04.2015 - L 7 AS 225/15 B ER). Gegen eine solche Auslegung spricht schon, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Indikativ und nicht im Konjunktiv gefasst ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 - und vom 19.03.2015 - L 31 AS 1268/14 ( Revision anhängig B 14 AS 15/15 R ); siehe auch LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12). Auch handelt es sich bei dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. bzw. ab 09.12.2014 nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU um einen qualifizierten Tatbestand mit objektivierbaren Kriterien, so dass der Beginn und der Zeitpunkt des Entfallens dieses Aufenthaltsrechts bestimmbar sind (LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12).

Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats findet der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht vor einer Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts nach §§ 2 Abs.7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU durch die Ausländerbehörde keine Anwendung (vgl. Urteile vom 05.05.2014 - L 19 AS 430/13 (Revision anhängig B 14 AS 33/14 R) und vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 (Revision anhängig B 4 AS 64/13 R); Beschluss vom 20.03.2015 - L 19 AS 116/15 B ER m.w.N.; siehe auch LSG Thüringen, Beschluss vom 25.04.2014 - L 4 AS 306/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 und 19.03.2015 - L 31 AS 1268/14 ( Revision anhängig B 14 AS 15/15 R ); LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12 ( Revision B 14 AS 15/14 R ); LSG Hessen, Beschlüsse vom 07.04.2015- L 6 AS 62/15 B ER und vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 05.03.2015 - L 7 AS 2376/14 B ER).

Der Senat sieht keinen Anlass seine Rechtsprechung im Hinblick auf die gegen sie erhobenen Einwände aufzugeben. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kann nicht im Wege teleologischer Auslegung dahingehend erweiternd ausgelegt werden, dass sie neben Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht erfasst (so aber LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschlüsse vom 04.02.2015 - L 2 AS 2224/14 B ER, vom 09.01.2015 - L 12 AS 2209/14 B ER und vom 03.12.2014 - L 2 AS 1623/14 B ER, LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER). Gegen eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung spricht schon der Ausnahmecharakter des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (zum Gebot, Ausnahmevorschriften jedenfalls nur in engen Grenzen analog anzuwenden, vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 32/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 61) unter besonderer Gewichtung der verfassungsrechtlichen Garantie der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG.

§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II stellt den leistungsrechtlichen Grundsatz auf, dass Personen innerhalb der Altersgrenzen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben sowie erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Dieser Grundsatz entspricht der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 und vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134). Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG umfasst bei Ausländern die Sicherstellung des Existenzminimums auch bei kurzer Aufenthaltsdauer oder kurzer Aufenthaltsperspektive in Deutschland in jedem Fall und zu jeder Zeit (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, a.a.O., Rn. 90 f, 120). Dieser Anspruch kann weder aufgrund migrationspolitischer Erwägungen - zur Minimierung von Anreizen für sozialleistungsmotivierte Wanderbewegungen - verringert noch pauschal nach Aufenthaltstiteln differenziert werden. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 SGB II sind ausdrücklich als Ausnahmen konzipiert ("ausgenommen sind."). Ausnahmeregelungen sind insbesondere dann eng auszulegen, wenn sie bestimmte Personengruppen von verfassungsrechtlich geschuldeten Mindeststandards ausschließen (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 30.01.2013, a.a.O., Rn. 26). Die Voraussetzungen für einen "erst recht-Schluss" sind nicht erfüllt, da eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage nicht vorliegen. Für die Ergreifung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wegen Nichtbestehens eines materiellen Aufenthaltsrechts sind ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig (BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 8/13 R).

Hiergegen wird eingewandt, Wortlaut und Aufbau von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II deuteten darauf hin, der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift alle Unionsbürger vom Leistungsbezug ausschließen wollen, die nicht über zusätzliche Aufenthaltsrechte wie das des bis zu dreimonatigen Aufenthaltes oder des Aufenthalts zur Arbeitsuche verfügen und deshalb gelte dieser Leistungsausschluss in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU festgestellt werden könne. Es erscheine sinnwidrig, wenn Unionsbürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht geltend machen könnten, gerade dann Leistungen nach dem SGB II beziehen könnten, wenn sie eine Arbeitsuche nicht einmal beginnen, sie ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben oder sich ihre Arbeitsuche als gescheitert herausstelle. Die leistungsrechtliche Besserstellung von Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht im Vergleich zu arbeitsuchenden Unionsbürgern mit Aufenthaltsrecht verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Auch gebiete Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II - Verhinderung der unangemessenen Belastung der sozialen Sicherungssysteme - Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht in den Leistungsausschluss mit einzubeziehen. Die Anwendung des SGB II auf diese Unionsbürger sei vor dem Hintergrund, dass die Leistung nicht nur zur Unterhaltssicherung, sondern auch zur Integration in den Arbeitsmarkt diene, systemwidrig. Das bis zur Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU bestehende formale Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers könne keine Rechtsposition begründen, die über diejenige eines aufenthaltsberechtigten Unionsbürgers hinausgehe. Allein die Möglichkeit, einer unangemessenen Beanspruchung der Leistungen durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu begegnen, lasse die Erforderlichkeit einer Anwendung des Leistungsausschlusses bis zur tatsächlichen Durchsetzung dieser Maßnahmen nicht zwingend entfallen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschlüsse vom 04.02.2015 - L 2 AS 2224/14 B ER, vom 09.01.2015 - L 12 AS 2209/14 B ER und vom 03.12.2014 - L 2 AS 1623/14 B ER-; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER).

Diese Ausführungen hält der Senat insoweit für nicht überzeugend, als der Gesetzgeber das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts nicht als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von existenzsichernden Leistungen vorgesehen hat. Diese Möglichkeit der Anspruchsbegrenzung hat der Gesetzgeber im SGB II nicht wahrgenommen (siehe hierzu Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtssache E C-333/13 Rn. 125). Auch ist in die Überlegungen mit einzubeziehen, dass der Gesetzgeber im System des SGB XII im Gegensatz zum System des SGB II neben dem Leistungsausschluss bei einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche (§ 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII ) auch einen Leistungsausschluss im Fall der Einreise zum Zweck des Bezuges von Sozialhilfe (§ 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII; vgl. zur Auslegung dieses Ausschlusstatbestandes BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - SozR 4-3500 § 25 Nr. 5 m.w.N.) vorgesehen hat. Von einer unbewussten Regelungslücke auszugehen, hält der Senat daher - auch unter Berücksichtigung der neueren Gesetzgebungsentwicklung (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschluss vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER) - für nicht gerechtfertigt.

Auch wenn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger europarechtskonform ist, bleibt die Gesamtregelung des § 7 Abs. 1 SGB II in sich stimmig und ohne Regelungslücke. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bezweckt bei materiell-rechtlich legalem Aufenthalt zur Arbeitsuche, der nicht von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig ist, diesen gesetzlich zu begrenzen, und im Fall des Wegfalls der Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts die aufenthaltsrechtliche Steuerung durch die Herstellung der Ausreisepflicht zu eröffnen.

Bei einer vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 7 FreizügG/EU wird zum einen ggf. der gewöhnliche Aufenthalt eines Unionsbürgers als Leistungsvoraussetzung beendet (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 11.03.2015 - L 19 AS 141/15 B ER). Zum anderen wird ein solcher Unionsbürger vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II mit einer entsprechenden Überleitung ins Leistungssystem des AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) erfasst (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschlüsse vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER und vom 05.02.2015 - L 6 AS 883/14 B ER). Aus welchem Grund Unionsbürger, die sich aufgrund der Freizügigkeitsvermutung im FreizügG/EU formal rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, der Zugang zu einem existenzsichernden System versperrt sein soll, während Unionsbürgern, deren Aufenthalt materiell rechtswidrig ist und die ausreisepflichtig sind, ein Zugang zu einem existenzsichernden System - nämlich des AsylbLG - eröffnet sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Zugang zu den Leistungssystemen des SGB II bzw. des SGB XII besteht nicht abhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, sondern vom gewöhnlichen Aufenthalt bzw. dem tatsächlichen Aufenthalt. Auch ist die subjektive Verfügbarkeit im Sinne der Arbeitsbereitschaft nicht Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld II. Das Fehlen von Arbeitsbereitschaft im SGB II wird ausschließlich durch Sanktionen (§ 30 ff SGB II) sanktioniert (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13 m.w.N.). Das System des SGB II erfasst alle erwerbsfähigen Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Durch das Konzept des "Forderns und Förderns" sollen die Integration einer erwerbsfähigen Person in den Arbeitsmarkt gefördert und subjektive sowie objektive Vermittlungshemmnisse überwunden werden. Die Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU verbunden mit einer Ausreisepflicht des Unionsbürgers stellt ein geeignetes Instrument dar, eine unangemessene Belastung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern. Für diese Feststellung sind ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig. Es handelt sich nicht um eine gebundene Entscheidung, sondern um eine einzelfallbezogene Ermessenentscheidung (BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 - BVerwGE 121, 297). Hierbei sind die eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigenden öffentlichen Belange gegen die privaten Belange des Unionsbürgers abzuwägen und das unionsrechtlich begründete Verhältnismäßigkeitsgebot sowie die Abschiebungshindernisse nach §§ 55 ff. AufenthG zu berücksichtigen. Es sind u.a. die Dauer des Aufenthalts, das Alter und der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage sowie die soziale und kulturelle Integration in die Abwägung mit einzubeziehen. Damit sieht das FreizügG/EU vor, dass ein Unionsbürger trotz Nichtbestehens eines materiellen Aufenthaltsrechts sich dauerhaft formell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten kann, also nicht grundsätzlich unterstellt werden kann, dass einem solchen Unionsbürger die Ausreise in seinen Heimatstaat verbunden mit der Inanspruchnahme der existenzsichernden Systeme seines Heimatstaates zumutbar ist. Insoweit ist das vorliegende Verfahren auch dadurch gekennzeichnet, dass die zuständige Ausländerbehörde zwar ein Prüfungsverfahren zur Verlustfeststellung eingeleitet, nach Kenntnis vom Schicksal der Klägerin zu 1) von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen jedoch abgesehen hat.

Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.11.2014 in der Rechtssache E - C-333/13 - stützt nicht eine erweiternde Auslegung des Leistungsausschlusses. Hiernach ist es Mitgliedstaaten gestattet, nicht erwerbstätige Unionsbürger, denen im Aufenthaltsmitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 der RL 2004/38/EG auszuschließen, wenn der Zugang zum nationalen Sozialhilfesystem nicht von der materiellen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängt und die Unionsbürger von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen.

Aus diesen Ausführungen ist weder zu entnehmen, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einen solchen Ausschluss regelt, noch dass bei sämtlichen Unionsbürgern, die sich nur formell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, eine solche Zielsetzung - wie sie z.B. § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII voraussetzt - unterstellt werden kann (vgl. hierzu auch LSG Bayern, Beschluss vom 14.01.2015 - L 11 AS 836/14 B ER). Im vorliegenden Fall lässt sich ein solcher finaler Zusammenhang zwischen der Einreise der Klägerin zu 1) und dem Bezug von existenzsichernden Leistungen auch nicht feststellen. Im Vordergrund der Motivation für die Einreise der Klägerin zu 1) standen die Suche nach Schutz vor ihrem gewaltbereiten Partner sowie der Schutz ihres ungeborenen Kindes. Insoweit bestehen keine Zweifel an den Angaben der Klägerin zu ihren im Vordergrund stehenden Einreisegründen - Kenntnis vom Bestehen einer Risikoschwangerschaft, Gefährdung ihrer körperlichen Integrität und der ihres ungeborenen Kindes durch einen Gewalt ausübenden Partner, fehlende familiäre Unterstützung, Flucht in die Anonymität. Allein die Tatsache, dass die Klägerin zu 1) bei ihrer Einreise weder über Einkommen noch Vermögen verfügte und keine realistische Aussicht auf einen Arbeitsplatz hatte, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Einreise zum Zweck des Bezuges existenzsichernder Leistungen erfolgt ist.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass andere Leistungsausschlüsse zu Ungunsten der Klägerin zu 1) eingreifen.

B. Die Kläger zu 2) und 3) haben nach § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II einen Anspruch auf Sozialgeld. Denn sie lebten mit der Klägerin zu 1), einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (s.o.), in Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II und verfügten nicht über ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen, um ihren Lebensunterhalt (samt Unterkunftskosten und Krankenversicherungsschutz) zu bestreiten. Der Leistungsanspruch der beiden Kläger ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG zu erstatten.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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