S 31 AS 3733/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 3733/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind zwischen den Beteiligten nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren höhere Leistungen nach SGB II und wenden sich gegen eine Erstattungsforderung.

Die Kläger sind Eheleute, die mit ihrem Sohn zusammen wohnen, der eine eigene Bedarfsgemeinschaft darstellt. Pro Kopf fielen Kosten der Unterkunft und Heizung von monatlich 199,84 EUR an. Die Klägerin zu 1) erzielte Erwerbseinkommen in schwankender Höhe, wobei der Lohn immer im Folgemonat ausgezahlt wurde. Den Klägern wurden für die Zeit von April bis September 2011 vorläufig Leistungen bewilligt, zuletzt mit Bescheid vom 03. Mai 2011; und zwar der Klägerin zu 1) monatlich 186,80 EUR und dem Kläger zu 2) monatlich 186,81 EUR. Dabei rechnete der Beklagte ein prognostiziertes monatliches Durchschnittseinkommen an. Der Anrechnungsbetrag belief sich auf monatlich 670,00 EUR.

Die Klägerin reichte ihre Lohnabrechnungen ein, die letzte am 27. Juli 2012. Das Einkommen betrug im April 2011 1309,73 EUR brutto/1036,32 EUR netto, im Mai 2011 1316,18 EUR brutto/1048,06 EUR netto, im Juni 2011 1256,85 EUR brutto/994,49 EUR netto, im Juli 2011 1244,03 EUR brutto/948,44 EUR netto, im August 2011 1122,38 EUR brutto/888,07 EUR netto und im September 2011 1459,92 EUR brutto/1172,09 EUR netto. Mit zwei Bescheiden vom 12. Juni 2013 setzte der Beklagte die Leistungen für April bis September 2011 endgültig fest und ordnete eine Erstattung für jeden Kläger in Höhe von 211,68 EUR an. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein. Sie machten geltend, sie seien nicht angehört worden. Die Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X sei nicht eingehalten worden. Das angenommene Einkommen treffe nicht zu. § 40 Abs. 4 SGB II sei nicht berücksichtigt worden. Mit Änderungsbescheiden vom 10. Juli 2013 wurden die Leistungen höher festgesetzt, den Klägern wurde jeweils monatlich 157,56 EUR bewilligt. Die Erstattungsforderung wurde reduziert auf 175,44 EUR für die Klägerin zu 1) und 175,50 EUR für den Kläger zu 2). Dabei ging der Beklagte von einem Durchschnittsbrutto von monatlich 1284,85 EUR und einem Durchschnittsnetto von monatlich 1020,56 EUR aus. Angerechnet wurde ein monatlicher Betrag von 740,56 EUR. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2013 zurückgewiesen. Daraufhin haben die Kläger am 08. August 2013 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, § 48 Abs. 4 SGB X sei nicht beachtet worden, wobei nach § 40 SGB II Verwaltungsakte dann im Bereich des SGB II nur binnen eines Jahres aufgehoben werden könnten. Eine Anhörung sei nicht erfolgt. Die Anrechnung eines monatlichen Durchschnittseinkommens sei fehlerhaft, es müsse monatlich abgerechnet werden. Bei Ansetzung eines monatlichen Durchschnittseinkommens seien nicht 740,56 EUR, sondern 738,50 EUR anzurechnen.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 12. Juni 2013 in der Fassung der Bescheide vom 10. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 16.Juli 2013 aufzuheben, hilfsweise, die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakten des Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Die endgültige Festsetzung der Leistungen ist rechtmäßig, dasselbe gilt für die angeordnete Erstattung. Die endgültige Festsetzung konnte gemäß § 24 Abs. II Nr. 3 SGB X ohne Anhörung erfolgen, weil der Beklagte nicht von den Angaben der Kläger zu ihrem Einkommen abgewichen ist. Falls eine Anhörung erforderlich gewesen sein sollte, wäre dieser Mangel ohnehin durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden.

Für die endgültige Festsetzung gilt auch keine Jahresfrist. Denn es handelt sich nicht um eine Entscheidung nach § 45 oder § 48 SGB X. Selbst wenn eine Jahresfrist gelten würde, wäre diese von dem Beklagten eingehalten, denn die letzte Lohnabrechnung hat die Klägerin am 27. Juli 2012 eingereicht, die endgültige Festsetzung erfolgte mit Bescheid vom 12. Juni in der Fassung des Bescheides vom 10. Juli 2013.

Hier hatte der Beklagte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 SGB III vorläufig über die Leistungen der Kläger entschieden. Demnach konnte er, ohne daß § 48 oder § 45 SGB X anzuwenden wären, endgültig über die Leistungen der Kläger entscheiden. Der Bedarf der Kläger beträgt monatlich 328,00 EUR Regelsatz zuzüglich 199,84 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, also 527,84 EUR. Das monatliche Durchschnittseinkommen der Klägerin zu 1) betrug brutto 1284,85 EUR und netto 1020,56 EUR. Von dem durchschnittlichen Nettoeinkommen sind gemäß § 11b Abs. 2 SGB II 100,00 EUR als Freibetrag abzusetzen, anstelle der Beträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 – 5 SGB II. Höhere Abzüge hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Ferner sind Abzüge nach § 30 SGB II vorzunehmen, der hier gemäß § 77 Abs. 3 SGB II anstelle des § 11b Abs. 3 SGB II gilt. Für das Einkommen der Klägerin zwischen 100,00 EUR und 800,00 EUR sind 20 %, also 140,00 EUR, und für den Betrag zwischen 800,00 EUR und 1200,00 EUR 10 %, also 40,00 EUR, abzusetzen. Von dem Nettoeinkommen in Höhe von 1020,56 EUR sind demnach abzuziehen 100,00 EUR, 140,00 EUR und 40,00 EUR, so daß ein Anrechnungsbetrag von 740,56 EUR verbleibt. Das Einkommen ist hälftig, also in Höhe von 370,28 EUR auf den jeweiligen Bedarf der Kläger von 521,81 EUR anzurechnen, so daß jedem Kläger monatlich ein Leistungsbetrag von 157,56 EUR zusteht, wie auch von dem Beklagten errechnet.

Der Beklagte hat die endgültige Festsetzung zu Recht nach dem monatlichen Durchschnittseinkommen vorgenommen. Zwar ergibt sich aus § 11 Abs. 2 SGB II der Grundsatz, daß Einnahmen im jeweiligen Monat anzurechnen sind. Nach § 13 SGB II können Einzelheiten jedoch durch Verordnung geregelt werden. Nach § 2 Abs. 3 der ALG II-V kann bei schwankenden laufenden Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit bei einer vorläufigen Bewilligung ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt werden. Die Verordnung bestimmt darüber hinaus, daß bei der endgültigen Bewilligung das vorläufige Durchschnittseinkommen weiterhin zugrunde zu legen ist, wenn das tatsächliche monatliche Durchschnittseinkommen dieses um nicht mehr als 20,00 EUR übersteigt. Daraus läßt sich zur Auffassung der Kammer hinreichend entnehmen, daß bei der endgültigen Festsetzung stets (ohne Ausübung von Ermessen) ein Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen ist, entweder das vorläufig angenommene oder das tatsächliche (so auch Söhngen in Juris Praxiskommentar, § 11 SGB II Rdnr. 66, LSG NRW im Urteil L 12 AS 691/11 als obiter dictum, LSG Sachsen-Anhalt im Urteil L 5 AS 487/10; anderer Auffassung mit beachtlichen Argumenten SG Nordhausen im Urteil S 22 AS 7699/11, SG Leipzig im Urteil S 18 AS 2159/11, SG Berlin im Urteil S 197 AS 355/12).

Diese Auslegung entspricht der Intention des Verordnungsgebers, den Verwaltungsaufwand zu verringern. Die Interessen der Leistungsempfänger werden durch diese Auslegung nicht wesentlich tangiert. Anders als bei einer vorläufigen Festsetzung nach Durchschnittseinkommen kann bei der endgültigen Festsetzung nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts auch dann kein Nachteil für die Leistungsempfänger entstehen, wenn das Durchschnittseinkommen das in einem Monat tatsächlich erzielte Einkommen weit übersteigt. Denn es handelt sich um eine nachträgliche Abrechnung, bei der es anders als bei laufender Leistung nicht zu einer Bedarfsunterdeckung kommen kann.

Nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III erweist sich auch die Erstattungsanordnung als rechtmäßig. Danach sind die aufgrund vorläufiger Entscheidung erbrachten Leistungen zu erstatten, soweit ein Leistungsanspruch endgültig nur in geringerer Höhe zuerkannt wird. § 40 Abs. 4 SGB II ist hier nicht anwendbar. Der Klägerin zu 1) sind 6 x 186,80 EUR, also 1120,80 EUR vorläufig bewilligt worden. Endgültig bewilligt worden sind ihr 945,36 EUR. Daraus ergibt sich ein Erstattungsbetrag von 175,44 EUR, wie auch von dem Beklagten errechnet. Dem Kläger zu 2) sind monatlich 186,81 EUR vorläufig bewilligt worden, also 1120,86 EUR. Endgültig bewilligt worden sind ihm 6 x 157,56 EUR, also 945,36 EUR. Der Erstattungsbetrag beträgt demnach 175,50 EUR, wie auch von dem Beklagten zu Recht errechnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die an sich ausgeschlossene Berufung zugelassen, weil die Zulässigkeit der Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens bei einer endgültigen Festsetzung grundsätzliche Bedeutung hat
Rechtskraft
Aus
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