L 34 AS 1868/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 131 AS 13753/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1868/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2015 geändert. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wird vollständig abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über die Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller für die Zeit vom 06. Juli bis zum 31. Dezember 2015 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu zahlen.

Der 1993 geborene, über die bulgarische Staatsangehörigkeit verfügende Antragsteller war - ausweislich einer Meldebescheinigung vom 27. Mai 2015 - vom 30. Mai 2009 bis zum 11. Februar 2011 und ist seit dem 23. Mai 2011 durchgehend in Berlin gemeldet. Seit Mai 2015 bewohnt er unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift eine 32 m² große Einzimmerwohnung, für die monatlich neben einer Grundmiete in Höhe von 304,00 EUR Vorauszahlungen für die Heizung (ohne Warmwasser) in Höhe von 57,00 EUR sowie für kalte Betriebskosten in Höhe von 52,00 EUR zu zahlen ist. Der Antragsteller verfügt weder über einen Schulabschluss noch über einen erlernten Beruf.

Bis zum 31. Mai 2015 bezog der bis dahin bei seiner Mutter gemeldete Antragsteller vom Jobcenter Berlin F-K Leistungen. Am 08. Mai 2015 beantragte er im Hinblick auf seinen Umzug in dessen Zuständigkeitsbereich beim Antragsgegner die Gewährung von Grundsicherungsleistungen und gab an, sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufzuhalten. Mit Bescheid vom 15. Juni 2015 lehnte der Antragsgegner die Leistungsgewährung ab und berief sich zur Begründung darauf, dass der Antragsteller bisher weder über ein Daueraufenthaltsrecht verfüge noch Arbeitnehmer oder Selbständiger sei und daher vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei.

Hiergegen hat der Antragsteller am 23. Juni 2015 Widerspruch eingelegt, geltend gemacht, bereits seit dem 30. Mai 2009 in Deutschland gemeldet zu sein und eine Freizügigkeitsbescheinigung vom 25. Juni 2009 vorgelegt, in der als Zeitpunkt der Anmeldung der 30. Mai 2009 benannt ist. Über den Widerspruch ist – soweit ersichtlich – bisher nicht entschieden.

Am 07. Juli 2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er geltend gemacht, sich im Jahre 2011 etwa drei Monate lang in H aufgehalten zu haben, ohne sich dort anzumelden. Er habe seinerzeit Kontakt mit der Polizei gehabt, was seinen Aufenthalt auch während der Meldelücke belegen könne. Vom 19. April 2013 bis zum 31. Januar 2014 sei er bei der Firma "d GmbH" und vom 01. April 2014 bis zum 31. Juli 2014 bei der Firma "A GmbH" beschäftigt gewesen. Vom 13. Juni 2013 bis zum 08. November 2014 habe er eine Freiheitsstrafe verbüßt. In dieser Zeit habe er gearbeitet und einen Sprachkurs besucht. Nach seiner Haftentlassung habe er bei seiner Mutter gelebt. Seit Mai 2015 habe er eine eigene Wohnung, für die er nur im ersten Monat die Miete noch habe zahlen können. Aktuell unterstütze ihn seine Mutter, die selber Leistungen nach dem SGB II beziehe, mit Mahlzeiten und ab und zu 3,00 EUR bis 5,00 EUR Taschengeld. Dazu sei sie – wie sie inzwischen eidesstattlich versichert hat – aufgrund einer Nachzahlung durch das Jobcenter zurzeit in der Lage. Sie gewähre ihm mithin Unterhalt. Er leite sein Aufenthaltsrecht damit nicht allein aus der Arbeitsuche her. Er habe ein Aufenthaltsrecht vielmehr auch als Familienangehöriger.

Auf gerichtliche Anforderung, seine Arbeitsbemühungen zu belegen, hat der Antragsteller schließlich ausgeführt, sich seit seiner Entlassung aus der Haft noch nicht um Arbeit beworben zu haben. Er habe vielmehr erst wieder etwas leben wollen und zudem befürchtet, dass ihn aufgrund seiner Vergangenheit keiner einstellen wolle. Er habe aber vor, wieder zu arbeiten und im Gefängnis gut Deutsch gelernt. Die ihn zurzeit unterstützende Sozialarbeiterin versuche, ihn in das Schulsystem zu integrieren.

Mit Beschluss vom 22. Juli 2015 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner – unter Antragsabweisung im Übrigen sowie unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe - im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller – vorbehaltlich einer früheren bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - für die Zeit vom 06. bis zum 31. Juli 2015 Arbeitslosengeld II in Höhe von 703,77 EUR sowie für die Monate August bis Dezember 2015 in Höhe von je 812,00 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller nach summarischer Prüfung zwar nicht über ein Aufenthaltsrecht, und zwar insbesondere weder wegen Arbeitsuche noch als Familienangehöriger, verfüge. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne dies jedoch an seinem gewöhnlichen Aufenthalt nichts ändern. Auch sei er nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Auf Antragsteller, die über kein Aufenthaltsrecht – auch nicht zur Arbeitsuche - verfügten, sei der Leistungsausschluss seinem klaren Wortlaut nach nicht anwendbar. Daran könne auch die so genannte Dano-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nichts ändern. Die Kammer schließe sich der Rechtsprechung des 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg an.

Gegen den ihm am 23. Juli 2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30. Juli 2015 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Er meint, der Antragsteller verfüge über kein Aufenthaltsrecht und sei damit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Aus der Dano-Entscheidung des EuGH vom 11. November 2014 folge eindeutig, dass dieser Leistungsausschluss europarechtskonform sei.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2015 ist nach § 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Auch ist sie begründet.

Anders als das Sozialgericht Berlin geht der Senat nicht davon aus, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zugunsten des Antragstellers vorliegen, er nämlich sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Im Gegenteil sieht er es nicht als überwiegend wahrscheinlich an, dass das Gericht der Hauptsache den Antragsgegner verurteilen würde, dem Antragsteller Leistungen zur Grundsicherung zu gewähren.

Der Antragsteller hält sich derzeit nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung als bulgarischer Staatsangehöriger ohne materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland auf. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass er unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt im Sinne der §§ 2 ff. des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – FreizügigG/EU - i.d.F. des Gesetzes vom 27. Juli 2015 sein könnte. Insoweit wird auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts Berlin in seinem angefochtenen Beschluss verwiesen, denen der Senat sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Namentlich vermag der Senat ebenso wenig wie das Sozialgericht ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers als Familienangehöriger (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3 und 4 FreizügG/EU) oder ein solches zum Zwecke der Arbeitsuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a. FreizügigG/EU) zu erkennen. Die für die Arbeitsuche erforderliche ernstliche Absicht, eine Beschäftigung aufnehmen zu wollen, ist beim Antragsteller nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat seine Bevollmächtigte ihn im Laufe des Verfahrens ausdrücklich dahin zitiert, dass er sich nach Entlassung aus der Haft im November 2014 – mithin seit nunmehr etwa elf Monaten - noch nicht um Arbeit beworben habe, sondern nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe erst einmal wieder etwas leben wolle. Auch die vage Ankündigung, eine Sozialarbeiterin versuche, ihn in das Schulsystem zu integrieren, rechtfertigt insoweit keine andere Einschätzung. Gleiches gilt mit Blick auf die dem Antragsteller unter dem 25. Juni 2009 erteilte Freizügigkeitsbescheinigung, denn dieser kommt nach innerstaatlicher Rechtsprechung eine nur deklaratorische Bedeutung für das sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zu (vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R – juris, Rn. 13 m.w.N.).

Davon, dass der Antragsteller gleichwohl nach dem SGB II leistungsberechtigt sein könnte, geht der Senat – anders als das Sozialgericht – nicht aus. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners folgt dies zwar nicht aus der Dano-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 - juris). Denn zutreffend hat bereits das Sozialgericht dargelegt, dass der EuGH darüber zu entscheiden hatte, ob ein Leistungsausschluss für Unionsbürger, die auf Arbeitsuche sind und nicht über genügend Existenzmittel verfügen, gegen Unionsrecht verstößt. Nicht aber hatte er darüber zu befinden, ob sich ein derartiger Leistungsausschluss im deutschen Recht überhaupt findet bzw. dessen tatbestandliche Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind.

Wohl aber geht der Senat unter Berücksichtigung des Wortlauts der maßgeblichen Bestimmungen, ihrer Systematik und Entstehungsgeschichte sowie des sich daraus ergebenden gesetzgeberischen Willens davon aus, dass für Unionsbürger, die sich in Deutschland ohne materielles Aufenthaltsrecht aufhalten, kein Leistungsanspruch nach dem SGB II besteht.

Ein Anspruch auf das begehrte Arbeitslosengeld II könnte sich für den Antragsteller, der allein lebt und damit keiner Bedarfsgemeinschaft angehört, nur aus § 7 Abs. 1 SGB II ergeben. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ausgenommen sind hingegen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, sowie diejenigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

Der derzeit 22jährige und sich damit in der richtigen Altersgruppe befindende, mangels sonstiger Erkenntnisse i.S.d. § 8 SGB II erwerbsfähige und bei summarischer Prüfung mangels ersichtlichen Einkommens und Vermögens nach § 9 SGB II auch hilfebedürftige Antragsteller hat seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Denn insoweit ist es – wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – unbedeutend, ob der Antragsteller sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält oder nicht (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – juris, 3. Orientierungssatz sowie Rn. 17 ff.; EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R – juris, Rn. 13). Bei strikt am Wortlaut orientierter Betrachtung wäre er schließlich weder nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II noch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (geschweige denn nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II als Leistungsberechtigter nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes) vom Leistungsbezug ausgeschlossen, ohne dass es hier darauf ankäme, ob der Ausschluss von Leistungen für Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Denn zum einen hält der Antragsteller sich bereits seit mehr als drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Zum anderen kann er – wie ausgeführt – gerade kein Aufenthaltsrecht aus einem Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsuche herleiten.

Gleichwohl geht der Senat nicht davon aus, dass der Antragsteller unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 SGB II fällt. Das SGB II regelt die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diese soll nach § 1 Abs. 2 SGB II dazu beitragen, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können (Satz 1). Weiter soll sie erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen (Satz 2). Dementsprechend sind die Leistungen der Grundsicherung insbesondere darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt bzw. deren Dauer verkürzt oder ihr Umfang verringert wird (Satz 3 Nr. 1), die Erwerbsfähigkeit einer leistungsberechtigten Person erhalten, verbessert oder wieder hergestellt wird (Satz 3 Nr. 2) und Anreize zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit geschaffen und aufrecht erhalten werden (Satz 3 Nr. 6). Auf der Grundlage dieser Zielbestimmungen fordert § 2 SGB II, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte - alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen (Abs. 1 Satz 1), - aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken (Abs. 1 Satz 2), - eine ihnen angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit übernehmen, wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist (Abs. 1 Satz 3) und - ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen (Abs. 2 Satz 2). Dass auf Seiten des Antragstellers ein Wille bestehen würde, diese Forderungen zu erfüllen, ist unter Berücksichtigung seines Vortrages im Rahmen des hiesigen Verfahrens nicht ersichtlich.

Auch wenn die vorgenannten Ziel- und Handlungsnormen letztlich nur Programmsätze enthalten, müssen sie im Rahmen der Auslegung der einzelnen Vorschriften des SGB II Beachtung finden (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 14/09 R – juris, Rn. 15). Vor diesem Hintergrund erscheint es nahe liegend, dass der Gesetzgeber es als selbstverständlich angesehen hat, dass es im Rahmen des SGB II bei der Begründung von Rechten eines Einzelnen – maßgeblich in § 7 Abs. 1 SGB II - stets nur um Personen gehen soll, die überhaupt Arbeit suchend sind, sei es, dass er "Person" im Sinne von "Arbeitsuchende bzw. Arbeitsuchender" versteht (so Husmann, jurisPR-SozR 11/2014), sei es, dass er davon ausgeht, Erwerbsfähigkeit umfasse auch Erwerbswilligkeit, und/oder in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II mit "Ausländerinnen und Ausländern" stets nur solche vor Augen hatte, die sich überhaupt (zumindest) zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Dass er den grundsätzlichen Willen zur Arbeitsuche hingegen als unbedeutend für die Leistungsberechtigung angesehen hat, vermag der Senat dem Gesetz nicht zu entnehmen. Insbesondere folgt dies zu seiner Überzeugung nicht aus den Sanktionsvorschriften. Diese mögen ihrer Formulierung nach auch den Fall erfassen, dass überhaupt keine Arbeitsbereitschaft besteht. Primär aber sieht der Gesetzgeber es in diesen als Pflichtverletzung an, wenn Eigenbemühungen nachgewiesen werden (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) oder die Aufnahme Arbeit verweigert wird (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Entsprechendes Fehlverhalten aber kann auch bei Personen vorkommen, die grundsätzlich durchaus arbeitswillig sind.

Für ein entsprechendes Grundverständnis würde im Übrigen auch die gesetzgeberische Entscheidung sprechen, in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht ausdrücklich einen Leistungsausschluss für Ausländerinnen und Ausländer zu normieren, die sich (nicht einmal) zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Denn dass eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II für diese Personengruppe zu eklatanten Wertungswidersprüchen führt, ist offensichtlich (vgl. hierzu z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B -, juris, Rn. 34 mit ausführlichem Überblick zum Meinungsbild).

Schließlich zeigt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte, d.h. die Materialien zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass der Gesetzgeber von der Option des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch machen wollte (vgl. BT-Drucks 16/5065 S. 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S. 13). Obwohl im Kontext der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern durch die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG beabsichtigte der bundesdeutsche Gesetzgeber danach, neben den von Art. 24 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen. Es wäre vor diesem Hintergrund überhaupt nicht nachvollziehbar, dass er zwar erwerbsgeminderte Ausländer vom Bezug von Sozialleistungen und Arbeit suchende Ausländer vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausschließen wollte, hingegen erwerbsfähigen Unionsbürgern anderer Mitgliedsstaaten, die nicht an der Aufnahme einer Arbeit interessiert sind, Leistungen nach dem SGB II zubilligen wollte.

Der gesetzgeberische Wille, dass Angehörigen anderer EU-Mitgliedsstaaten, die sich in Deutschland ohne materielles Aufenthaltsrecht aufhalten, d.h. die unionsrechtlich nicht freizügigkeitsberechtigt sind, keine Leistungen nach dem SGB II zustehen, mag bei der Formulierung des § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II nicht in der gebotenen Klarheit Ausdruck gefunden haben, ist der Norm aber zur Überzeugung des Senats nach vorstehenden Ausführungen zu entnehmen.

Weiter kommt hier auch eine vorläufige Leistungsbewilligung nach § 40 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB II mit Blick auf das Vorabentscheidungsersuchen des BSG (EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R – juris) nicht in Betracht. Das Ersuchen des BSG betrifft den Aufenthalt eines Unionsbürgers in der Bundesrepublik zum Zwecke der Arbeitsuche und hat damit eine andere Fallgestaltung zum Gegenstand.

Schließlich sind dem Antragsteller zur Überzeugung des Senats auch nicht mit Blick darauf vorläufig Leistungen zuzusprechen, dass es mangels ausreichender Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Ausländerbehörde versäumt worden sein mag, ihn auszuweisen, und nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris, Rn. 94). Der Antragsteller profitiert nach summarischer Prüfung davon, dass er bei materiell-rechtlich nicht bestehendem Aufenthaltsrecht bisher nicht ausgewiesen wurde. Aus diesem Vorteil kann er jedoch keinen Anspruch darauf ableiten, während des unberechtigten Aufenthalts finanziell durch Leistungen nach dem SGB II unterstützt zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.

Dem Antragsteller war schließlich nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Verfahrensführung aufzubringen. Abgesehen davon, dass es auf die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht ankommt, da nach im Wesentlichen stattgebender erstinstanzlicher Entscheidung der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hatte, ist die Frage, ob Angehörigen anderer EU-Mitgliedsstaaten, die sich ohne materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sein können, zwischen den einzelnen Senaten des LSG Berlin-Brandenburg umstritten.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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