S 7 AL 1978/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1978/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 2 SGB III liegt nicht vor, wenn der Versicherte, der einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen hat und ursprünglich geplant hat, direkt nach Durchlaufen der Altersteilzeit eine Rente mit Abschlägen zu beziehen, sich aufgrund einer nunmehr wegen einer Gesetzesänderung existierenden besseren Rentenoption dafür entscheidet, zunächst Arbeitslosengeld zu beziehen und erst später eine abschlagsfreie Rente zu beantragen.

Für die Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, muss auch das spätere Verhalten des Versicherten Berücksichtigung finden.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014 (84 Tage x 20,58 EUR = 1728,72 EUR), für den die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt hat.

Die 1951 geborene Klägerin arbeitete seit 1990 als Verwaltungsangestellte bei dem K. V. (im Folgenden: Arbeitgeber). Am 18.12.2002 schloss sie mit ihrem Arbeitgeber einen Altersteilzeitvertrag ab, der das bis dahin unbefristete Arbeitsverhältnis in ein bis zum 31.03.2014 befristetes Arbeitsverhältnis umwandelte. Nach § 2 des Vertrages vereinbarten sie die Ableistung der Arbeitszeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 01.10.2006 bis 30.06.2010 und einer Freistellungsphase vom 01.07.2010 bis zum 31.03.2014.

Nach persönlicher Arbeitslosmeldung beantragte die Klägerin bei der Beklagten zum 01.04.2014 Arbeitslosengeld. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2014 den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014 fest, da die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis durch Abschluss des Altersteilzeitvertrages gelöst habe und ihre Arbeitslosigkeit habe vorhersehen müssen.

Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen aus, aufgrund des zum 01.07.2014 in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung könne sie nunmehr abschlagsfrei ab dem 63. Lebensjahr, welches sie im September 2014 vollende, nach 45 Arbeitsjahren eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte beziehen. Dies habe sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages nicht vorhersehen können.

Mit Bewilligungsbescheid vom 08.05.2015 bewilligte ihr die Beklagte Arbeitslosengeld in Höhe von kalendertäglich 20,58 EUR für die Zeit vom 24.06.2014 bis zum 23.12.2015.

Den Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2014 zurück. Durch Abschluss des Altersteilzeitvertrages habe sie die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Ein wichtiger Grund für das versicherungswidrige Verhalten liege nicht vor, wenn sich die Arbeitslose nach Beendigung der Beschäftigung in Altersteilzeit arbeitslos melde, anstatt planmäßig Altersrente - gegebenenfalls auch mit Abschlägen - zu beziehen.

Deswegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt sie aus, bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages sei sie bereit gewesen, Rentenabschläge in Höhe von 9 % in Kauf zu nehmen. Dies habe sich aber durch die gesetzliche Neuregelung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte geändert, wonach sie mit Vollendung des 63. Lebensjahres eine abschlagsfreie Rente in Anspruch nehmen könne. Im Hinblick auf das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.11.2013 (Az. S 5 AL 983/12) könne in einem solchen Sachverhalt ein wichtiger Grund zu sehen sein. In der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2015 hat sie angegeben, nachdem sie sich für eine Rentenbeantragung erst zu Oktober 2014 entschieden hatte, habe sie sich nicht um eine Vermeidung der Arbeitslosigkeit bemüht.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 08.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergäbe sich insbesondere nicht aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Sozialgerichts München. Eine Gesetzesänderung zu ihren Lasten seit Abschluss des Altersteilzeitvertrages sei nicht eingetreten. Vielmehr habe sie mit Rentenabschlägen in Höhe von 9 % gerechnet, was zum 01.04.2014 auch der zu diesem Zeitpunkt weiterhin geltenden Rechtslage entsprochen habe.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014, weil die Beklagte für diesen Zeitraum zu Recht eine Sperrzeit festgestellt hat.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Sperrzeiteintritts ist § 159 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III). Danach ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt unter anderem vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen hat der Arbeitnehmer darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen (§ 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III).

Indem die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen des Altersteilzeitvertrages ihr ursprünglich unbefristetes Arbeitsverhältnis in ein bis zum 31.03.2014 befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt hat, hat sie ihr Beschäftigungsverhältnis gelöst (siehe hierzu: BSG, Urteil vom 21.07.2009, Az. B 7 AL 6/08 R- juris, Rn. 11) und ist dadurch nach Ende der Freistellungsphase beschäftigungslos geworden. Da sie kein konkretes Anschlussarbeitsverhältnis in Aussicht gehabt hat, hat sie die Beschäftigungslosigkeit vorsätzlich herbeigeführt (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12 - juris, Rn. 25).

Auf einen wichtigen Grund für ihr versicherungswidriges Verhalten i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III kann sich die Klägerin nicht berufen. Zwar kann der Abschluss eines Altersteilzeitvertrages einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellen (BSG, Urteil vom 21.07.2009, Az. B 7 AL 6/08 R - juris, Rn. 14). Dies gilt aber nur dann, wenn sich der Versicherte entsprechend der Gesetzesintention des Altersteilzeitgesetzes verhält. Gesetzgeberisches Ziel ist die Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch Herstellung eines nahtlosen Übergangs zwischen Altersteilzeitbeschäftigung und Rentenbeginn ohne Zwischenschritt über die Arbeitslosigkeit. Der Leistungsbezug bei der Beklagten sollte also gerade vermieden werden (BR-Drs. 208/96, S. 22).

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht ausreichend, dass sie im Dezember 2002 beabsichtigt hat, nach Durchlaufen der Altersteilzeit im April 2014 unter Inkaufnahme eines Abschlages in Höhe von 9 % in Rente zu gehen. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrages erfordert nämlich nicht nur die im Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages bestehende Absicht, nach Durchlaufen der Altersteilzeit Rente zu beantragen. Vielmehr muss für die Bestimmung der Frage, ob ein wichtiger Grund in diesem Sinne vorliegt, auch das folgende Verhalten des Versicherten Berücksichtigung finden. Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom 20.04.1977 (Az. 7 Rar 112/75 - juris, Rn. 16) entschieden. Danach kann, wenn der wichtige Grund nachträglich entfällt, von der Verhängung einer Sperrzeit unter Abwägung der Interessen des Versicherten mit denen der Versichertengemeinschaft nur dann abgesehen werden, wenn der Versicherte alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, den Eintritt des Versicherungsfalls zu vermeiden. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes allein und ausschließlich im Zeitpunkt des versicherungswidrigen Verhaltens ist nach dieser Rechtsprechung gerade nicht ausreichend (so aber SG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2015, Az. S 5 AL 3838/14).

Dem entspricht es, wenn das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12 entschieden hat, dass der Abschluss eines Altersteilzeitvertrages nur dann einen wichtigen Grund darstellt, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses subjektiv geplant hatte, nach Ende der Altersteilzeit nahtlos in den Rentenbezug zu wechseln, dies objektiv möglich erschien und im Weiteren dann auch tatsächlich angestrebt wurde. Auch das LSG Baden-Württemberg verlangt demnach für die Bejahung eines wichtigen Grundes mehr als dessen singuläres Vorliegen im Zeitpunkt des versicherungswidrigen Verhaltens.

Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass ein Versicherter, der von seinem ursprünglichen Plan, eine vorzeitige abschlagsbehaftete Rente zu beziehen, aufgrund späterer finanziell attraktiverer Rentengestaltungen Abstand genommen hat, den zunächst vorliegenden wichtigen Grund selbständig sanktionslos beseitigen könnte.

Aus diesen Erwägungen hält die Kammer es für sachgerecht, den Entschluss der Klägerin, nunmehr zunächst Arbeitslosengeld zu beziehen und entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nach Vollendung des 63. Lebensjahres im September 2014 die neue gesetzliche Regelung der abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch zu nehmen, im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes zu berücksichtigen.

In Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Versichertengemeinschaft führt das nachträgliche Abstandnehmen von der ursprünglich geplanten Rentenbeantragung zu April 2014 durch Inanspruchnahme der zeitlich erst später möglichen finanziell attraktivsten Rentenoption dazu, dass sich die Klägerin insgesamt nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu ihren Gunsten berufen kann. Denn ein Versicherter, der sich nach Durchlaufen der Altersteilzeit trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Altersrente dazu entschieden hat, sich erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, trägt gerade nicht zu der durch das Altersteilzeitgesetz angestrebten Arbeitsmarktentlastung bei. Vielmehr führt er bewusst den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit herbei und verwirklicht gerade das Verhalten, das nach dem gesetzgeberischen Willen mit einer Sperrzeit belegt werden soll (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12, juris - Rn. 28). Hieran ändert der Umstand nichts, dass der Entschluss der Klägerin finanziell nachvollziehbar ist. Es ist ihr Risiko, dass durch nachträgliche Gesetzesänderungen bessere Rentenoptionen entstehen. Dieses Risiko hat sie mit Abschluss des Altersteilzeitvertrages im Jahr 2002 und der damit einhergehenden verbindlichen Planung ihres restlichen Berufslebens auf sich genommen.

Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch nicht aus dem von der Klägerin zitierten Urteil des SG München vom 05.11.2013, Az. S 35 AL 983/12 - juris. Insbesondere hat das SG München die Aussage, auf die sich die Klägerin bezieht - ein wichtiger Grund könne bejaht werden, wenn zwischen dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages und dem Renteneintritt hinsichtlich des mit dem vorzeitigen Renteneintritt verbundenen Abschlags Änderungen eintreten - im Rahmen eines obiter dictums getätigt. Die Entscheidung enthält weder eine Klarstellung, welche Änderungen des Rentenabschlages geeignet sein sollen, einen wichtigen Grund darzustellen. Noch setzt sich das Gericht mit der Frage auseinander, inwieweit der Versicherte im Rahmen seiner Obliegenheiten verpflichtet ist, trotz finanziell lohnenswerter Rentenalternativen Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Nach alledem kann sich die Klägerin nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes berufen.

Bedenken gegen den Beginn und die Dauer der Sperrzeit bestehen nicht. Insbesondere stellt die Dauer von 12 Wochen keine besondere Härte im Sinne von § 159 Abs. 3 Nr. 2b SGB III dar. Nach dieser Vorschrift verkürzt sich die Sperrzeit auf sechs Wochen, wenn eine zwölfwöchige Sperrzeit für die arbeitslose Person nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Eine besondere Härte liegt vor, wenn nach den Gesamtumständen des Einzelfalls die Regeldauer im Hinblick auf die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen als objektiv unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG, Urteil vom 04.09.2001, Az. B 7 AL 4/01 R - juris, Rn. 21). Besteht ein Rentenanspruch und wird dennoch Arbeitslosengeld beantragt, so handelt es sich um den Normalfall einer Sperrzeit bei Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrages. Entscheidet sich ein Versicherter, nach Durchlaufen der Altersteilzeit dafür, nicht eine (mit Abschlägen verbundene) Altersrente in Anspruch zu nehmen, sondern sich erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, so wird damit bewusst der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit herbeigeführt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2014, Az L 13 AL 283/12, - juris, Rn. 32). Im Übrigen hat sich die Klägerin nach eigenen Angaben, nachdem sie sich entschieden hatte, entgegen der ursprünglichen Planung nicht zu April 2014, sondern erst zu Oktober 2014 in Rente zu gehen, nicht mehr um eine Vermeidung der Arbeitslosigkeit bemüht. Insofern kann dahinstehen, ob das nachträgliche Bemühen, die Arbeitslosigkeit zu verhindern, die Annahme eines Härtefalls rechtfertigen könnte.

Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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