L 11 AS 558/15 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 332/15 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 558/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn keine (offenbaren) Erfolgsaussichten für den Widerspruch bestehen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 16.07.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist der Eintritt einer Minderung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (-SGB II-) und die Aufhebung der Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.08.2015. Dem 1970 geborenen, alleinstehenden Beschwerdeführer bewilligte der Beschwerdegegner mit Bescheid vom 02.04.2015 Alg II für die Zeit bis 31.08.2015. Bereits mit Bescheiden vom 15.01.2015 und 17.02.2015 hatte der Beschwerdegegner den Eintritt einer Sanktion bzw. den vollständigen Wegfall des Alg II festgestellt. Auf den am 04.03.2015 unterbreiteten, mit Rechtsfolgenbelehrung versehenen Vermittlungsvorschlag (Tätigkeit bei der Firma T.) bewarb sich der Beschwerdeführer erst nach dem Erhalt der Anhörung am 19.05.2015 wegen Nichtbewerbung mit Schreiben vom 25.05.2015, worin er ausführte, die Stelle entspreche nicht ganz seinen Fähigkeiten und Kenntnissen und er sei im Moment aus gesundheitlichen Gründen nicht belastbar, zur Nachtarbeit könne er nur bedingt eingesetzt werden. Mit Bescheid vom 22.06.2015 stellte der Beschwerdegegner den vollständigen Wegfall des Alg II für die Zeit vom 01.7.2015 bis 30.09.2015 fest und hob die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.08.2015 auf. Sachleistungen seien mangels Antrages nicht zu gewähren. Ein Antrag könne aber noch gestellt werden. Dagegen legte der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Er habe sich beworben, habe aber noch keinen Vorstellungstermin bekommen. Zur Zumutbarkeit verweise er auf ein Attest der Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr.K. vom 04.08.2011, laut dem Tätigkeiten mit Heben und Tragen von schweren Lasten, wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen sowie Überkopfarbeiten nicht zumutbar seien. Den Widerspruch wies der Beschwerdegegner mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück. Dagegen hat der Beschwerdeführer Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 10 AS 378/15). Dem Beschwerdeführer sind am 01.07.2015 und 04.08.2015 Lebensmittelgutscheine iHv. je 196 EUR ausgestellt worden. Am 10.07.2015 hat der Beschwerdeführer Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen den Bescheid vom 22.06.2015 zum SG gestellt. Der Sanktionsbescheid sei rechtswidrig, denn der Beschwerdegegner habe es unterlassen, Sachleistungen zu bewilligen, obwohl der Ermessensspielraum des Beschwerdegegners diesbezüglich auf 0 reduziert sei. Das SG hat mit Beschluss vom 16.07.2015 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Der Vermittlungsvorschlag sei mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich nicht rechtzeitig und dann für den Arbeitgeber in abschreckender Weise beworben. Das vorgelegte Attest sei vier Jahre alt und die Notwendigkeit eines schweren Hebens und Tragens sei dem Vermittlungsvorschlag nicht zu entnehmen gewesen. Sachleistungen seien auf Antrag zu erbringen und stünden im Ermessen des Beschwerdegegners. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid sei aufgehoben worden. Dagegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Aus dem Vermittlungsvorschlag seien die Rechtsfolgen hinsichtlich einer Nicht- bzw. einer verspäteten Bewerbung nicht zu entnehmen. Im Übrigen dürfe die Erbringung von Sachleistungen nicht von einem Antrag abhängig gemacht werden. Eine Ermessensentscheidung habe der Antragsgegner hinsichtlich der Erbringung von Sachleistungen nicht zu treffen. Zudem werde auf dem Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha vom 26.05.2015 - S 15 AS 5157/14 - verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beschwerdegegners sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 anzuordnen. Der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage gegen den Aufhebungs- und Sanktionsbescheid vom 22.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 hat keine aufschiebende Wirkung, denn mit diesem Bescheid hat der Beschwerdegegner über eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende entschieden (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II). Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und der Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches bzw. einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse des Beschwerdeführers unter Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist. Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten unvorstellbar ist (vgl. den Beschluss des Senates vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidungen des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen Keller a.a.O. Rdnr. 12f, Beschluss des Senates a.a.O.). Das SG hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches (bzw. nunmehr der Klage) gegen den Bescheid vom 22.06.2015 zu Recht abgelehnt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen des SG gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen. Im Rahmen des Vermittlungsvorschlages ist der Beschwerdeführer über die Rechtsfolgen einer Nichtbewerbung bzw. einer verspäteten Bewerbung belehrt worden. Er ist aufgefordert worden, sich "umgehend" zu bewerben. Nachdem bereits mehrere Sanktionen festgestellt worden waren, kam ein Wegfall der Leistungen in Betracht. Einwände hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Tätigkeit bei der Firma T. werden im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht mehr erhoben. Das vom Beschwerdeführer zunächst vorgelegte Attest, das ein schweres Heben und Tragen ausschließt, stammt aus dem Jahre 2011 und ist nicht mehr aktuell. Somit ergeben sich vorliegend im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keine Hinweise auf eine zumindest offenbare Rechtswidrigkeit der festgestellten Sanktion. Der Beschwerdeführer bringt hierzu auch nichts vor, er stützt sich lediglich auf die fehlende Bewilligung von Sachleistungen im Bescheid vom 22.06.2015. Im Rahmen des Sanktionsbescheides ist der Antragsteller aber auf die Möglichkeit der Beantragung von Sachleistungen hingewiesen worden. Dabei regelt § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausdrücklich, dass diese Ermessensleistungen nur auf Antrag zu erbringen sind; minderjährige Kinder leben nicht im Haushalt des Antragstellers. Der Auffassung des Beschwerdeführers zum fehlenden Erfordernis eines Antrages kann daher nicht gefolgt werden. Dabei überrascht den Senat die Tatsache, dass der Beschwerdeführer den Bezug zweier Lebensmittelgutscheine über je 196 am 01.07.2015 und 04.08.2015 völlig unerwähnt lässt. Die vom Sozialgericht Gotha geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und Sanktionsregelungen teilt der Senat nicht. Insbesondere sind vom Bundesverfassungsgericht keine voraussetzungslosen steuerfinanzierten Staatsleistungen gefordert worden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 -; BSG Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - sowie Knickrehm/Hahn in Eicher SGB II, 3. Aufl., § 31 Rdnr. 7). Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zu bewilligen (§ 73a SGG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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