L 7 AS 1288/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 1813/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1288/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 14.07.2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Beschwerde im Wege des einstweiligen Rechtschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 01.04.2015.

Die im Jahre 1956 geborene Antragstellerin erhält seit 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bezieht ein schwankendes Gehalt zwischen ca. 150 EUR und 242,75 EUR monatlich aus einer Tätigkeit für das C Anzeigenblatt und bewohnt ein Eigenheim in X. Die Nebenkosten betragen einschließlich Heizkosten (165,- EUR) 247,68 EUR. Im Juli 2014 wurde dem Antragsgegner von Dritten mitgeteilt, dass außer der Antragstellerin auch Herr R im Haus der Antragstellerin wohne. Die Antragstellerin erklärte dazu, Herr R sei ein guter Freund, der allerdings alleine wohne und sie oft besuche, weil man in Zukunft zusammenziehen wolle. Nach Mitteilung der Gemeinde X ist Herr R seit 1999 unter der Adresse der Antragstellerin gemeldet.

Im März 2015 beantragte die Antragstellerin die Weitergewährung von Leistungen ab April 2015. Auf Aufforderung des Antragsgegners überreichte sie einen mit der Volksbank I eG geschlossenen Darlehensvertrag vom 03.09.2012 über 22.700 EUR. Dieser wies die Antragstellerin und Herrn R als Darlehensnehmer aus. Der Verwendungszweck des Darlehens wurde mit "Renovierungen am Wohnhaus" ausgewiesen. Das Darlehen wird von der Antragstellerin in monatlichen Raten i.H.v. 300 EUR bedient. Als Sicherheit wurden eine neu einzutragende Briefgrundschuld sowie die Abtretung einer Risikolebensversicherung i.H.v. 15.000 EUR durch Herrn R als Versicherungsnehmer vereinbart. Am 23.04.2015 statteten Vertreter des Antragsgegners der Antragstellerin einen unangemeldeten Besuch ab. Hierbei gab die Antragstellerin an, Herr R sei nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1998 bei ihr eingezogen. Die Antragstellerin reichte eine eidesstattliche Versicherung des Herrn R sowie die Erklärung einer Nachbarin zu den Akten, in denen im Wesentlichen mitgeteilt wurde, dass die Antragstellerin und Herr R in einer Wohngemeinschaft zusammen lebten.

Mit Bescheid vom 29.05.2015 lehnte der Antragsgegner den Fortzahlungsantrag ab, weil eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn R bestehe. Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein, das Widerspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Am 28.05.2015 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen. Zur Begründung hat sie vorgetragen und mit einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigt, zwischen Herrn R und ihr bestehe lediglich eine Wohngemeinschaft. Die Antragstellerin hat eine Entgeltabrechnung aus April 2015 (mit einem Gehaltsanspruch von 242,75 EUR) und den Darlehensvertrag mit einer ausgewiesenen Zins- und Tilgungshöhe von 300,- EUR vorgelegt. Hierin wird die Abtretung der Lebensversicherung des Herrn R ausgewiesen und zusätzlich dessen persönliche Haftung als Gesamtschuldner vereinbart.

Mit Beschluss vom 14.07.2015 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Antragstellerin Kontoauszüge nicht rechtzeitig vorgelegt habe.

Gegen den am 16.07.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 23.07.2015. Die Antragstellerin trägt vor, sie stehe nicht in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit Herrn R.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 14.07.2015 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab 01.04.2015 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Aus den vom Senat angeforderten Kontoauszügen ergibt sich, dass der Antragstellerin von Herrn R im Mai 2015 465 EUR und im Juni 2015 300 EUR überwiesen wurden. Zudem erhält die Antragstellerin eine Dividende aus einem Geschäftsanteil der kontoführenden Bank i.H.v. 12,50 EUR zumindest halbjährlich. Herr R hat eine Entgeltabrechnung aus August 2015 überreicht. Aus dieser ergibt sich ein Nettogehalt von 1.459,- EUR.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es fehlt an der Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin, da bei summarischer Prüfung eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 SGB II mit Herrn R besteht mit der Folge, dass gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch dessen Einkommen bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist.

Zu einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) gehört als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II).

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft (BVerfG, Urteil vom 17.09.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, S. 234 ff., 265; Beschluss vom 02.09.2004 - 1 BvR 1962/04) erfordert § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II Bindungen der Partner in einem so engen Verhältnis, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar. Der Gesetzgeber hat mit der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II Tatbestände normiert, die den Schluss auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft zulassen.

Die Antragstellerin erfüllt den Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II (Zusammenleben für länger als ein Jahr), da sie - nach ihrem eigenen, revidierten Vortrag - seit 1998 mit Herrn R zusammen lebt. Damit wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet.

Die Annahme einer Einstehensgemeinschaft ist nicht unwiderleglich. Dies hat auch im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 3a SGB II zu gelten, wobei das Vorliegen eines "Vermutungstatbestandes" nach Absatz 3a eine Beweislasterschwernis zu Lasten des Anspruchstellers bewirkt (die Gesetzesbegründung spricht sogar von einer "Beweislastumkehr", vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 19). Welche Anforderungen im Einzelnen zur Widerlegung einer der Vermutungsvarianten erfüllt sein müssen, bedarf indessen anlässlich des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Jedenfalls kann die schlichte Erklärung, nicht in Verantwortungsgemeinschaft zu leben, nicht genügen. Es ist vielmehr Sache des Hilfebedürftigen, plausible Gründe darzulegen, die gegebenenfalls bewiesen sein müssen, durch die Vermutung entkräftet wird bzw. aufgrund derer das Zusammenwohnen als reine Zweck- oder Wohngemeinschaft einzustufen ist (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - L 13 AS 3747/06 ER-B; Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucksache 16/1410).

Hiervon ausgehend ist die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin mit Herrn R nicht widerlegt; es sprechen vielmehr gewichtige Indizien für deren Bestätigung. Die Antragstellerin hat zunächst verschwiegen, dass sie mit Herrn R in einem Haus wohnt. Noch am 07.04.2013 hat sie gegenüber dem Antragsgegner angegeben, das Haus werde nur von einer Person bewohnt und sie bewohne die gesamte Wohnfläche selbst. Bereits der Umstand, dass die Antragstellerin das gemeinsame Wohnen mit Herrn R verschweigen wollte, spricht dafür, dass es sich nach ihrer eigenen Einschätzung um mehr als eine Wohngemeinschaft gehandelt hat. Die gemeinsame Aufnahme eines Kredites, der im Zusammenhang und zugunsten der gemeinsamen Wohnung steht, ist für die Bewertung als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ebenfalls von erheblicher Bedeutung. Dabei ist herauszustellen, dass Herr R als Sicherheit seine Lebensversicherung abgetreten hat. Gegenüber der Bank haften die Antragstellerin und Herr R als Gesamtschuldner. Hierdurch wird eine wirtschaftliche und persönliche Verbundenheit deutlich, die klar für eine erhebliche und verpflichtende Bindung zwischen den Partnern spricht und weit über die Beziehungen in einer reinen Wohngemeinschaft hinausgeht. Mit diesem Vertrag wird eine Einstandspflicht begründet, die auf Jahre als Schuldner verbindet und ein Vertrauen auf Dauer voraussetzt. Im Zeitpunkt der Kreditunterschrift konnte Herr R nicht davon ausgehen, dass die Antragstellerin als langjährige Bezieherin von SGB-II-Leistungen zur Rückzahlung des Kredits in der Lage sein wird.

Unter Zugrundelegung einer somit anzunehmenden Bedarfsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn R liegt Bedürftigkeit nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht vor: Der Regelbedarf der Antragstellerin und von Herrn R beträgt monatlich 798,- EUR (2 * 399 EUR). Hinzu kommen Kosten für Heizung und Nebenkosten i.H.v. 247,68 EUR und der Kredit für die Hausrenovierung i.H.v. 300,- EUR (ohne Differenzierung eines Tilgungsanteils). Dies ergibt eine Summe von 1.345,68 EUR. Dem stehen Einnahmen von zumindest 1609 EUR (1.459,- EUR + 150,- EUR, zugunsten der Antragstellerin ist das Mindesteinkommen berücksichtigt worden) gegenüber. Freibeträge sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zu berücksichtigen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2013 - L 19 AS 2281/12 B ER; im Ergebnis ebenso Beschluss des Senats vom 27.05.2015 - L 7 AS 415/15 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antragstellerin steht keine Prozesskostenhilfe zu (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO), weil im Zeitpunkt der Antragstellung keine hinreichenden Erfolgsaussichten mehr bestanden.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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