L 4 AS 266/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 485/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 266/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 18. Mai 2010 und der Änderungsbescheid des Beklagten vom 7. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2009 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den SGB II-Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum von Mai bis September 2008 endgültig zu entscheiden.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für Klage- und Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) begehrt von dem Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) die Gewährung von höheren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate Mai bis September 2008.

Der am ... 1971 geborene alleinstehende Kläger bewohnte eine 45 m² große Mietwohnung in D., für die im streitigen Zeitraum eine Grundmiete von 230,00 EUR zuzüglich einer Vorauszahlung auf die Betriebs-, Heiz- und Warmwasserkosten von 80,00 EUR zu zahlen war. Ab Juni 2008 minderte der Kläger die Miete aufgrund einer Geruchsbelästigung und zahlte nur noch insgesamt 287,00 EUR an den Vermieter. Im Zeitraum von August 2007 bis Ende April 2008 war der Kläger als Immobilienmakler selbständig tätig und erhielt vom Beklagten Einstiegsgeld. Nach Auslaufen der Förderung meldete der Kläger das Gewerbe wegen mangelndem wirtschaftlichen Erfolgs ab.

Auf den Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 29. April 2008 und Änderungsbescheid vom 18. Mai 2008 unter Bezugnahme auf § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) vorläufige Leistungen in Höhe von 629,10 EUR für April, 650,70 EUR für Mai und Juni sowie 654,70 EUR für Juli bis September 2008. Zur Begründung führte er aus, das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum könne nur geschätzt werden. Eine abschließende Entscheidung werde nach Vorlage der abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (EKS) sowie weiterer Belege erfolgen. Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen seien nach vollständiger Klärung auf den Leistungsanspruch anzurechnen. Soweit sich abschließend ein Leistungsanspruch in geringerer Höhe ergebe, seien die Leistungen gemäß § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu erstatten. Bei der vorläufigen Leistungsbewilligung berücksichtigte der Beklagte an Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) die Gesamtmiete abzüglich der Kosten der Warmwasserbereitung von insgesamt 303,70 EUR. Zusammen mit der Regelleistung von 347,00 EUR (bzw. 351,00 EUR ab Juli 2008) ergab sich ein Bedarf von 650,70 EUR, auf den er – nur für April 2008 – Einkommen von 21,60 EUR anrechnete.

Im Juni 2008 zeigte der Kläger die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung ab 1. Mai 2008 bei der Firma B. in M. im Umfang von 14,5 Stunden wöchentlich und einem Entgelt von 300,00 EUR an. Er legte eine Einkommensbescheinigung für den Monat Mai 2008 vor. Danach betrug das im Beschäftigungsmonat fällige Entgelt gleichbleibend 300 EUR. In der Anlage EK führte der Kläger aus, die an drei Tagen wöchentlich zurückgelegte Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstelle in M. betrage 64 km. Weiterhin belegte er Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung von 13,86 EUR/Monat und für eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von 20,81 EUR/Monat.

Daraufhin erließ der Beklagte einen "Änderungsbescheid" vom 7. Juli 2008, mit dem er Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. September 2008 in Höhe von 490,70 EUR in den Monaten Mai und Juni 2008 und 494,70 EUR in den Monaten Juli bis September 2008 bewilligte. Auf den Bedarf von 650,74 EUR bzw. 654,70 EUR (ab Juli 2008) rechnete er ein bereinigtes Erwerbseinkommen von 160,00 EUR an. Im Bescheid gab er an, es sei folgende Änderung eingetreten:

"Sie haben ab 01.05.2008 eine Beschäftigung aufgenommen.

Durch die Einarbeitung der Verdienstbescheinigung ist für den Zeitraum vom 01.05.2008 bis 31.07.2008 eine Überzahlung in Höhe von 480,00 EUR entstanden. (mtl. 160,- EUR).

Bezogen auf meinen vorläufigen Bescheid vom 29.04.2008, werde ich die Überzahlung bei der Kasse der Regionaldirektion zum Soll stellen.

Zahlungen sind an die Kasse der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg zu leisten.

Der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wird deshalb teilweise aufgehoben.

Im beigefügten Berechnungsbogen finden Sie Einzelheiten zur Berechnung und Änderung der Leistungshöhe.

Über Ihren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe ich gem. § 40 (1) SGB II in Verbindung mit § 328 (1) Nr. 3 SGB III vorläufig entschieden, weil die Höhe des nach § 11 SGB II zu berücksichtigen Einkommens bzw. die nach § 22 SGB II zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft noch nicht feststehen.

Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind nach vollständiger Klärung der Sach- und Rechtslage auf Ihre zustehenden Leistungen anzurechnen (§ 328 [3] Satz 1 SGB III). Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind die Leistungen zu erstatten (§ 328 [3] Satz 2 SGB III). Wird diese vorläufige Entscheidung nicht aufgehoben oder geändert, erfolgt die endgültige Erklärung nur auf Antrag des Betroffenen (§ 328 [2] SGB III) ..."

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 31. Juli 2008 Widerspruch ein und führte aus, es sei ein zu hohes Erwerbseinkommen angerechnet worden. Seine Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstätte seien nicht vollständig berücksichtigt worden. Zudem müsse wegen einer Überzahlung ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erlassen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte zur Begründung aus: Mit dem angegriffenen Änderungsbescheid sei eine Neuberechnung des Leistungsanspruchs für den Zeitraum von Mai bis September 2008 erfolgt. Aufgrund des tatsächlichen Einkommens habe sich für diesen Zeitraum ein geringerer Leistungsanspruch ergeben, sodass im Zeitraum bis Mai bis Juli 2008 eine Überzahlung von 160,00 EUR monatlich, insgesamt 480,00 EUR, entstanden sei. Auf den Gesamtbedarf von 650,70 EUR für Mai und Juni 2008 bzw. 654,70 EUR ab Juli 2008 sei das zu berücksichtigende Einkommen anzurechnen. Das Nettoeinkommen sei um den Grundfreibetrag gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 SGB II in Höhe von 100,00 EUR und den weiteren Freibetrag nach § 30 SGB II von 20 % in Höhe von 40,00 EUR zu bereinigen. Danach sei ein Einkommen von 160,00 EUR anzurechnen, das den Gesamtanspruch auf 490,70 EUR für Mai und Juni 2008 bzw. 494,70 EUR ab Juli 2008 mindere. Der Kläger habe die überzahlten vorläufigen Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu erstatten.

Am 13. Februar 2009 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, die Begrenzung der Einkommensbereinigung auf 100,00 EUR gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Er sei vor Erlass des Erstattungsbescheides nicht angehört worden. Erstinstanzlich hat er beantragt, den Änderungsbescheid vom 7. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Januar 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Mai bis September 2008 SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe – wie mit den Bescheiden vom 29. April und 18. Mai 2008 – zu gewähren.

Mit Urteil vom 18. Mai 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat ausgeführt: Die angegriffenen Bescheide seien formell rechtmäßig. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger vor ihrem Erlass hinsichtlich der beabsichtigten Erstattungsforderung anzuhören, denn gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) könne von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst würden. Diese Vorschrift sei vorliegend – auch in Ansehung der Rückforderung der überzahlten Leistungen – anzuwenden. Die Bescheide seien auch materiell rechtmäßig, denn der Kläger habe keinen höheren SGB II-Leistungsanspruch, als der Beklagte mit dem Änderungsbescheid vom 7. Juli 2008 endgültig festgesetzt habe. Tatsächlich sei der Anspruch ab Juni 2008 aufgrund der Mietminderung sogar geringer. Das erzielte Erwerbseinkommen sei ordnungsgemäß bereinigt worden. Bei Leistungsberechtigten, die bis zu 400,00 EUR monatlich verdienten, trete anstelle der Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II ein Betrag von insgesamt 100,00 EUR. Die Absetzung höherer Aufwendungen sei nach den gesetzlichen Vorschriften, an deren Verfassungsmäßigkeit kein Zweifel bestehe, nicht möglich. Es liege ein sachlicher Grund dafür vor, Personen, die mehr als 400,00 EUR verdienten, anders zu behandeln als geringfügig Beschäftigte, die keine Sozialversicherungsbeiträge zahlten. Die Grenze beruhe darauf, dass diejenigen, die Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen leisteten, bei der Berechnung des SGB II-Leistungsanspruchs weitergehende Absetzungsmöglichkeiten erhalten sollten, als diejenigen, die lediglich sog. Minijobs ausübten. Die Überzahlung von 160,00 EUR monatlich sei zutreffend berechnet und gemäß § 328 Abs. 3 SGB III zu erstatten. Der vorläufige Bescheid vom 29. April 2008 habe sich mit Erlass der endgültigen Entscheidung erledigt. Die Berufung werde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil die Verfassungskonformität von § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II noch nicht obergerichtlich geklärt sei.

Gegen das am 1. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Juni 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe einen Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen. Bei der Berechnung des Freibetrags nach § 11 Abs. 2 SGB II sei zu berücksichtigen, dass er an vier Tagen pro Woche von seinem Wohnort zu seiner Arbeitsstelle nach M. gefahren sei. Sein Erwerbseinkommen sei um die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten zu bereinigen. Soweit dies gesetzlich nur für monatliche Einkommen von über 400,00 EUR vorgesehen sei, liege ein Verstoß gegen Art. 3 GG vor. Die Ungleichbehandlung von Einkommensbeziehern sei nicht sachlich gerechtfertigt. Die Abgrenzung danach, ob das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung oder einer sonstigen Beschäftigung stamme, berücksichtige nicht, dass auch für geringfügig Beschäftigte vom Arbeitgeber Pauschalbeiträge zur Sozialversicherung abgeführt würden.

Nach seinem schriftlichen Vorbringen beantragt der Kläger,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 18. Mai 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Änderungsbescheids vom 7. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2009 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Mai bis September 2008 höhere SGB II-Leistungen unter einer weitergehenden Bereinigung seines Einkommens zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend und verweist auf ein Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 6. Oktober 2010 (Az.: S 27 AS 189/09, juris). § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Im Erörterungstermin am 19. März 2013 hat die Berichterstatterin auf einen Rundungsfehler im angegriffenen Bescheid hingewiesen. Der Anhörungsfehler sei durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens möglicherweise geheilt worden. Im Termin haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Mit Schreiben vom 20. Juli 2015 hat die Berichterstatterin auf Bedenken an der Rechtmäßigkeit des "Änderungsbescheids" vom 7. Juli 2008 hingewiesen, die sich auch mit dem Widerspruchsbescheid nicht erledigten. Es bestünden Zweifel, ob dieser die nach § 328 Abs. 3 SGB III erforderliche abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch darstelle. Die Bezeichnung als "Änderungsbescheid" lege nahe, dass die vorläufige Bewilligung geändert worden sei. Darauf deute auch der verwendete Mustertext zur vorläufigen Leistungsbewilligung hin. Dagegen spreche die Berechnung einer Überzahlung und die Ankündigung, diese bei der Kasse "zum Soll" zu stellen. Indes werde keine Erstattung nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB X gefordert. Sie hat auf den Terminbericht des BSG vom 29. April 2015 zum Verfahren B 14 AS 31/14 R hingewiesen und um Mitteilung gebeten, ob die Beteiligten weiterhin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien. Dies hat der Beklagte im Schriftsatz vom 28. Juli 2015 bejaht und ausgeführt, seiner Auffassung nach sei eindeutig im angegriffenen Bescheid eine endgültige Leistungsfestsetzung erfolgt. Das ergebe sich aus dem Verfügungssatz und der Sollstellung der Überzahlung. Der Kläger hat am 25. August 2015 schriftlich erklärt, er sei weiterhin mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG, erhoben worden. Sie ist auch statthaft im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Senat ist an die Zulassung der Berufung durch SG im Urteil gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Änderungsbescheid des Beklagten vom 7. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2009, mit dem er die SGB II-Leistungen des Klägers für die Monate Mai bis September 2008 in geringerer Höhe als zuvor festsetzte und die Soll-Stellung einer Überzahlung in Höhe von 480,00 EUR ankündigte. Gegen diese Bescheide wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, mit der er die Gewährung höherer endgültiger SGB II-Leistungen fordert.

Die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ist die zutreffende Klageart, soweit der Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung entschieden hat. Trifft der Änderungsbescheid vom 7. Juli 2008 jedoch nur eine vorläufige Leistungsbewilligung, ist – soweit es um höhere vorläufige Leistungen geht – die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsverpflichtungsklage richtig, weil die Entscheidung über vorläufige Leistungen im Ermessen der Behörde liegt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, Az.: B 4 AS 139/10 R, juris RN 16). Soweit der Kläger ersichtlich eine endgültig höhere Leistungsgewährung begehrt, ist davon auszugehen, dass er sinngemäß einwendet, die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsgewährung lägen nicht mehr vor, und er zumindest hilfsweise den Beklagten zur endgültigen Entscheidung verpflichtet sehen will. Insoweit ist die Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage auf Erlass eines neuen (endgültigen) Bescheids unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gericht zulässig, die als Minus in der erhobenen Leistungsklage enthalten ist (vgl. BSG, a.a.O., RN 16 unten).

§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II ordnet die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift des SGB III über die vorläufige Entscheidung (§ 328 SGB III) an. § 328 Abs. 3 Satz 1 SGB III bestimmt, dass aufgrund vorläufiger Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen sind. Nach § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III sind aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird. Vorliegend hatte der Beklagte nach Wegfall der Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsgewährung aufgrund des nunmehr feststehenden Erwerbseinkommens eine endgültige Bewilligungsentscheidung gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB III zu treffen. Eine Änderung der vorläufigen Bewilligung war nicht mehr zulässig, nachdem der Grund für die Vorläufigkeit "ungeklärte Einkommenshöhe" entfallen war.

Eine solche abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch enthält der angegriffene Änderungsbescheid vom 7. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2009 nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit. Insoweit ist nicht relevant, dass die Beteiligten im bisherigen Verlauf des Verfahrens davon ausgegangen sind, der angegriffene Bescheid stelle die abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch dar. Aus der Gesamtregelung von § 328 Abs. 2 und 3 SGB III ergibt sich, dass vorläufige Bewilligungen als bloße Zwischenentscheidungen (vgl. Eicher/Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 40 RN 37) auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung angelegt sind. Nur dann, wenn sich keine Änderungen ergeben, bedarf es keiner gesonderten abschließenden Entscheidung. Aber auch in diesen Fällen muss der Leistungsträger einen endgültigen Bescheid erlassen, wenn der Leistungsberechtigte es wünscht (§ 328 Abs. 2 SGB II). Insbesondere in den Fällen des § 328 Abs. 3 SGB III – wenn ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe besteht – ist die vorläufige Bewilligung von Amts wegen durch eine endgültige Entscheidung zu ersetzen, um Unklarheiten über die endgültig zu beanspruchende Leistung zu beseitigen und eine die Beteiligten bindende Regelung herbeizuführen.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass eine Regelung der Vorläufigkeit für sich eigenen Verfügungscharakter hat. Es ist deshalb nach der Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) erforderlich, dass sich aus dem Verwaltungsakt eindeutig ergibt, ob und inwieweit die Verwaltung eine vorläufige Bewilligung verfügt hat. Die "Typus prägenden Merkmale" der vorläufigen Entscheidung müssten unzweifelhaft erkennbar sein. Das BSG betont insoweit (vgl. Urteil vom 6. April 2011, Az.: B 4 AS 119/10 R, juris RN 20f. mit weit. Nachw.; ebenso: Urteil vom 10. Mai 2011, Az.: B 4 AS 139/10 R, juris RN 15f.), die vorläufige Leistungsgewährung sei eine Leistung sui generis und ein aliud zu endgültigen Bewilligungsentscheidung. Deshalb müsse deutlich gemacht werden, wenn mit einem Bescheid nicht wie üblich endgültige, sondern nur vorläufige Leistungen gewährt werden. Um der Einebnung der Verschiedenartigkeit der Ansprüche zu begegnen, komme daher regelmäßig eine auf endgültige Leistungen gerichtete Klage bei von der Behörde nur vorläufig gewährten Leistungen nicht in Betracht.

Eine entsprechende Klarheit der Regelung muss für den Bescheid gelten, mit dem eine zuvor verfügte vorläufige Leistungsbewilligung durch eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch ersetzt werden soll (§ 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Denn mit der abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch wird die zuvor erfolgte vorläufige Leistungsgewährung beendet und eine abschließende Regelung mit Bindungswirkung für die Beteiligten getroffen. Auch diese muss so deutlich sein, dass auf den ersten Blick erkennbar ist, dass der Beklagte nunmehr abschließend und endgültig den Leistungsanspruch des Klägers feststellen treffen wollte. Wie die Regelung der Vorläufigkeit hat auch deren Auflösung durch eine endgültige Leistungsfestsetzung Verfügungscharakter. Es ist deshalb erforderlich, dass sich aus dem Verwaltungsakt eindeutig ergibt, ob und in wie weit die Verwaltung eine vorläufige Bewilligung verfügt hat, bzw., ob und inwieweit sie eine vormals vorläufige Entscheidung durch eine nunmehr endgültige ersetzt hat (vgl. zur vorläufigen Leistungsbewilligung: BSG, Urteil vom 6. April 2011, B 4 AS 119/10 R, juris RN 18 bis 20; so wohl auch: BSG, Terminbericht zum Urteil vom 29. April 2915, Az.: B 14 AS 31/14 R, juris). Es muss auch für Dritte erkennbar sein, ob eine vorläufige Regelung getroffen wird, oder ob es sich um einen Bescheid mit Bindungswirkung handelt. Zudem ist bei der Auslegung eines Bescheids maßgebend, wie der Empfänger ihn verstehen durfte (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Auszugehen ist vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990, Az.: 4 RA 57/89, juris). Der Empfänger kann sich nicht darauf berufen, er habe die Erklärung in einem bestimmten Sinne verstanden, wenn sie objektiv – unter Berücksichtigung aller Umstände – nicht so verstanden werden konnte.

Nach diesen Maßgaben lässt sich dem angegriffenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids die beabsichtigte endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen.

Der (missverständlich) als "Änderungsbescheid" bezeichnete Verwaltungsakt ist hinsichtlich seines Regelungsgehalts mehrdeutig. Mit einem Änderungsbescheid (gemäß § 48 SGB X) wird üblicherweise Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen Rechnung getragen, indem Leistungen angepasst werden – im Regelfall innerhalb des rechtlichen Rahmens, der durch den zugrundeliegenden Ausgangsbescheid vorgegeben ist. Vorliegend war mehr als eine Änderung der Leistungshöhe erforderlich: Mit der abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch musste der Vorläufigkeitsvorbehalt aufgehoben und dem Kläger eine ihm zustehende Leistung endgültig zuerkannt werden; beides ist dem angegriffenen Bescheid nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen. Er war ersichtlich darauf gerichtet, dass Erwerbseinkommen einzuarbeiten. Aber ob auch der Vorläufigkeitsvorbehalt aufgelöst oder – möglicherweise wegen der vom Kläger vorgenommenen Mietminderung, die zu Änderungen in den KdU führen konnte – noch beibehalten sollte, ergibt sich jedoch nicht. Problematisch ist der Bescheid auch deswegen, weil in der Begründung fett gedruckt ausgeführt wird, mit diesem Bescheid werde "die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts deshalb teilweise aufgehoben", aber auf die vorangegangene vorläufige Leistungsbewilligung nicht Bezug genommen wird. Zudem wird die insoweit maßgebliche Vorschrift des § 328 Abs. 3 SGB III im Zusammenhang mit dem Verfügungssatz nicht benannt. Der Beklagte hat zwar eine Überzahlung berechnet und zu deren Gesamtbetrag von 480,00 EUR ausgeführt, sie ergebe sich "bezogen auf" den vorläufigen Bescheid vom 29. April 2008. Er werde die Überzahlung "zum Soll stellen". Eine ausdrückliche Aufforderung zur Rückzahlung dieses Betrags ist im Bescheid nicht erfolgt. Zudem enthält er nachfolgend in der weiteren Begründung den üblichen Mustertext zur vorläufigen Leistungsbewilligung, der darauf hindeutet, dass (zukünftig) noch eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch und ggf. dann die Forderung einer Erstattung erfolgen wird. Damit lässt sich insgesamt nicht eindeutig entnehmen, dass nunmehr abschließend entschieden wurde. Es bleiben zumindest beachtliche Zweifel.

Da der Bescheid – insbesondere von einem unbeteiligten Dritten – auch so verstanden werden kann, dass die vormalige vorläufige Bewilligung vorläufig zum Nachteil des Betroffenen abgeändert werden sollte, liegt die benötigte abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch im Sinne von § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht vor. Insoweit ist der Umstand, dass die Beteiligten im erstinstanzlichen Verfahren von einer abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch ausgingen, nicht relevant; zumal der Kläger in seinem Widerspruch auch beanstandet hatte, es fehle an einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Erstattungsforderung.

Der angegriffene Bescheid konnte auch nicht gemäß § 43 SGB X in eine endgültige Leistungsfestsetzung umgedeutet werden. Voraussetzung für eine Umdeutung ist nach § 43 Abs. 1 SGB X, dass beide Bescheide, der umzudeutende und der, in den umgedeutet werden soll, auf dasselbe Ziel gerichtet sind. Beide Verwaltungsakte müssen die gleiche materiell-rechtliche Tragweite aufweisen (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X 8. Auflage 2014, § 43 RN 7 unter Verweis auf: BVerwGE 12, 9). Regelungszweck und Regelungswirkungen müssen im Wesentlichen gleichartig sein. Dies ist vorliegend – allein schon wegen der beschriebenen mangelnden Bindungswirkung vorläufiger Bescheide – im Vergleich zur endgültigen Leistungsgewährung nicht der Fall.

Mangels Regelung des endgültigen Leistungsanspruchs bestand auch keine Grundlage für die Festsetzung einer Erstattung gemäß § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Der Bescheid vom 7. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2009 ist insgesamt rechtswidrig. Er war daher aufzuheben und der Beklagte zur endgültigen Entscheidung über den Leistungsanspruch des Klägers für die Monate Mai bis September 2008 zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallfrage auf geklärter Rechtsgrundlage.
Rechtskraft
Aus
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