L 20 SO 388/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 48 SO 344/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 388/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 31.08.2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt C aus C wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Kosten, die durch die Unterbringung der vormaligen Antragstellerin in einem Pflegeheim entstanden sind.

Die am 00.00.1936 geborene und am 00.10.2015 verstorbene vormalige Antragstellerin N U befand sich seit dem 24.06.2014 in vollstationärer Pflege in dem von der Beigeladenen betriebenen Pflegeheim "K-haus" in H. Sie bezog eine Altersrente i.H.v. ca. 800 EUR (seit Oktober 2014: 875 EUR); seit Juli 2014 erhielt sie außerdem Leistungen der Pflegestufe III aus der Gesetzlichen Pflegeversicherung. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin - der Beschwerdeführer - bezieht Pensionsbezüge i.H.v. ca. 2.240 EUR sowie eine Altersrente i.H.v. ca. 280 EUR.

Am 24.06.2014 beantragte die Beigeladene für die vormalige Antragstellerin beim Antragsgegner die Übernahme ungedeckter Heimkosten. Über diesen Antrag wurde bisher nicht entschieden; insoweit ist inzwischen ein Klageverfahren wegen Untätigkeit beim Sozialgericht Duisburg anhängig (S 48 SO 346/15).

Am 13.07.2015 hat die vormalige Antragstellerin um Eilrechtsschutz vor dem Sozialgericht Duisburg nachgesucht.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, weder sie noch ihr Ehemann verfügten über ausreichendes Einkommen zur Deckung der Kosten der Heimunterbringung. Nach einer Aufstellung der Beigeladenen vom 11.06.2015 erreichten die rückständigen Beträge inzwischen einen Betrag von 31.333,41 EUR; es drohe die Kündigung des Heimvertrages. Ferner liefen stetig zu hohe, nicht voll gedeckte Versicherungsbeiträge zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung an. Der Antragsgegner habe bisher keine Entscheidung über den Antrag getroffen, obwohl sie sämtlichen Mitwirkungsaufforderungen nachgekommen sei.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sei nicht erkennbar. Drohende unzumutbare Nachteile seien nicht ersichtlich, denn der Heimvertrag sei bisher nicht gekündigt worden. Mit Bescheid vom 23.07.2015 hat der Antragsgegner der vormaligen Antragstellerin Pflegewohngeld i.H.v. monatlich 767,19 EUR für den Zeitraum ab Juni 2014 gewährt.

Die mit Beschluss vom 28.07.2015 beigeladene Heimträgerin hat mitgeteilt, der Heimvertrag sei bisher nicht gekündigt worden; eine Kündigung sei derzeit auch nicht beabsichtigt. Sie erwarte allerdings jedenfalls die Zahlung der Eigenanteile; eine Kündigung behalte sie sich vor (Schriftsatz vom 29.07.2015).

Das Sozialgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 31.08.2015 abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen drohenden Verlust des Heimplatzes nicht glaubhaft gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.

Hiergegen hat die vormalige Antragstellerin am 21.09.2015 Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt. Es bestehe dringende Eilbedürftigkeit, denn die Beigeladene habe zwischenzeitlich begonnen, die rückständige Hauptforderung zu titulieren; insoweit sei vom Amtsgericht I ein Mahnbescheid über einen Betrag von 28.778,47 EUR erlassen worden. Sie werde hierdurch in die Insolvenz getrieben. Eine Weiterleitung der Rente direkt an die Beigeladene sei ihrem Ehemann mangels von der Bank akzeptierter Vollmacht bisher nicht gelungen. Außerdem seien diverse näher bezeichnete Abzüge vom Einkommen beider Eheleute vorzunehmen.

Die Antragsgegnerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Der Heimvertrag sei nach wie vor nicht gekündigt worden. Zudem fehlten weiterhin Nachweise, die für die Entscheidung über den Antrag erforderlich seien.

Am 00.10.2015 ist die vormalige Antragstellerin verstorben. Am 12.10.2015 ist der mit mit Schreiben des Gerichts vom 02.10.2015 angeforderte PKH-Vordruck bei Gericht eingegangen. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin hat mit Schreiben vom 20.10.2015 mitteilen lassen, er führe das Verfahren als Sonderrechtsnachfolger im materiellen Rechtssinne des § 56 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 SGB I - nicht als gesetzlicher Erbe nach dem BGB - zunächst fort. Eine Entscheidung über den Verzicht auf die Sonderrechtsnachfolge behalte er sich vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

A. Die statthafte und auch im Übrigen gem. §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Das Eilverfahren wurde durch den Tod der vormaligen Antragstellerin nicht unterbrochen. Zwar tritt mit dem Tod eines Beteiligten nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 239 ZPO grundsätzlich eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Dies gilt jedoch nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO nicht, wenn - wie hier - eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand.

2. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin ist als Beschwerdeführer prozessführungsbefugt, da er sich des im Eilverfahren verfolgten Anspruchs als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau berühmt. Das Rubrum ist entsprechend geändert worden.

3. Der Beschwerdeführer dringt jedoch mit dem Begehren, den Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII zu verpflichten, nicht durch.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (i.S.v. überwiegend wahrscheinlich; vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03) macht (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.

Darüber hinaus können sich aus Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also dem Bestehen eines Anordnungsanspruchs, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Das gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. zu alledem BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).

a. Ausgehend von diesen Kriterien mag offen bleiben, ob die verstorbene vormalige Antragstellerin zu Lebzeiten einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII hatte (es spricht allerdings alles dafür, dass auch nach dem Einsatz des zu berücksichtigenden Einkommens beider Eheleute ungedeckte Heimkosten verblieben sind; der Antragsgegner hat offensichtlich bisher nur deswegen nicht entschieden, weil aus seiner Sicht die endgültige Höhe des Anspruchs noch nicht errechnet werden konnte).

Denn ein ggf. bestehender Anspruch der verstorbenen Antragstellerin auf Übernahme ungedeckter Heimkosten aus § 61 SGB XII ist nicht auf den Beschwerdeführer in gesetzlicher Sonderrechtsnachfolge (§ 56 Abs. 1 SGB I) übergegangen. Er ist daher auch nicht Inhaber dieses nunmehr im eigenen Namen geltend gemachten Anspruchs und somit nicht aktivlegitimiert.

aa. Ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen kann wegen seines höchstpersönlichen Charakters grundsätzlich nicht im Wege der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 SGB I) - und auch nicht im Wege der Vererbung (§ 58 SGB I, §§ 1922 ff. BGB) - auf einen Dritten übergehen, wenn nach dem Tode des Hilfesuchenden die Leistung nicht mehr der Erfüllung des mit ihr verfolgten Zwecks dienen würde; denn eine (etwa vorhanden gewesene) Notlage in der Person des Hilfebedürftigen lässt sich nach dessen Tod nicht mehr beheben. Der Anspruch geht deshalb mit dem Tod unter, und zwar unabhängig von einer etwaigen Rechtshängigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014 - B 8 SO 14/13 R; Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 17 SGB XII, Rn. 28).

Die hiervon als Ausnahme anerkannte Fallgestaltung, dass der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl. dazu Coseriu, a.a.O., § 17 SGB XII, Rn. 28), ist im vorliegenden Fall von vornherein nicht einschlägig. Denn bei der vormaligen Antragstellerin ist kein Dritter anstelle des Sozialhilfeträgers eingetreten.

bb. Ein Anspruch auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld - wie er hier vom Beschwerdeführer weiter verfolgt wird - steht nach der Sonderregelung des § 19 Abs. 6 SGB XII, soweit die Leistung dem Berechtigten erbracht worden wäre, nach dessen Tode vielmehr allein demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Damit ist ein besonderer Fall der Sonderrechtsnachfolge im Sinne einer cessio legis geregelt (BSG, Urteil vom 13.07. 2010 - B 8 SO 13/09 R). Ein ggf. bestehender materiell-rechtlicher Leistungsanspruch der vormaligen Antragstellerin ist nach Maßgabe dieser Vorschrift also mit ihrem Tod auf den Heimträger (Beigeladene) übergegangen, nicht aber auf den/die Rechtsnachfolger (vgl. Grube in ders./Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 19 Rn. 24).

cc. Ist der Beschwerdeführer aber in Bezug auf den begehrten Anspruch bereits nicht aktivlegitimiert, kann er auch nicht die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners verlangen, ihm Leistungen nach dem SGB XII zu zahlen.

b. Ob zu Lebzeiten der vormaligen Antragstellerin ein Eilbedürfnis (= Anordnungsgrund) vorgelegen hat, mag hiernach offen bleiben. Das Sozialgericht hat jedoch zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats verwiesen, wonach ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist, solange der mit der Pflegeeinrichtung geschlossene Heimvertrag nicht gekündigt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 04.06.2012 - L 20 SO 131/12 B ER; Beschluss vom 23.08.2012 - L 20 SO 312/12 B ER). Dies war hier ungeachtet der betriebenen Titulierung von Zahlungsrückständen nicht der Fall.

B. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Denn grundsätzlich kommt nach dem Tod des Antragstellers keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mehr in Betracht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 73a Rn. 11a m.w.N.). Dabei kann der Senat die umstrittene Frage, ob Prozesskostenhilfe wegen ihres höchstpersönlichen Charakters nach dem Tode des Antragstellers generell nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.12.1987 - 1 RA 25/87 Rn. 4), oder ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Prozesskostenhilfe-Antrag bereits vor dem Tode des Antragstellers entscheidungsreif gewesen ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 15.04.2014 - L 8 SO 1450/12 B Rn. 8), offen lassen. Denn der Zeitpunkt der Entscheidungsreife tritt regelmäßig dann ein, wenn der Antrag entsprechend den Vorgaben in § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 117 ZPO, insbesondere unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der erforderlichen Belege, gestellt ist und die übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt haben. Nach dieser Maßgabe war der Prozesskostenhilfe-Antrag der vormaligen Antragstellerin am 12.10.2015 mit dem Eingang des ausgefüllten und unterschriebenen Vordrucks entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt war die vormalige Antragstellerin jedoch bereits verstorben.

Nur der Vollständigkeit halber stellt der Senat klar, dass dem Beschwerdeführer - der bisher keinen Prozesskostenhilfe-Antrag gestellt hat - mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Eilantrags ebenfalls keine Prozesskostenhilfe zustünde.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

D. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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