S 5 AS 5028/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 5028/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 14.07.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.08.2014 und 08.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014, Leistungen für den Regelbedarf, Mehrbedarf Warmwasser, und Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II unter Anrechnung des Einkommens des Lebensgefährten der Klägerin für die Zeit vom 23.10.2014 bis 30.11.2014 i.H.v. insgesamt 500,54 EUR zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 50%.
Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 23.10.2014 bis 30.11.2014.

Die am 16.04.1972 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Die Klägerin war in den Zeiten vom 01.02.2011 bis 30.11.2011, 06.02.2012 bis 06.04.2012, 16.12.2012 bis 16.11.2013 und 01.02.2014 bis 22.04.2014 als Hauswirtschafterin/Pflegerin in verschiedenen Privathaushalten in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Die Klägerin zog dabei regelmäßig in die Haushalte von älteren und pflegebedürftigen Menschen ein, führte deren Haushalt und erledigte weitere anfallende Aufgaben. Die Beschäftigungsverhältnisse endeten jeweils mit dem Ableben der zu betreuenden Personen. Im Rahmen des letzten, mit dem 22.04.2014 endenden Beschäftigungsverhältnis war die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt und verdiente monatlich brutto 2.701,00 EUR (netto 1.300,37 EUR) und für April 2014 anteilig brutto 1.980,73 EUR (netto 953,79 EUR). Ab dem 23.04.2014 erzielte die Klägerin kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Sie lebt seit dem 01.06.2014 mit ihrem Lebensgefährten in einem gemeinsamen Haushalt. Der Lebensgefährte der Klägerin erzielte bis zur Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses am 15.12.2014 ein monatliches Einkommen in Höhe von 800,00 EUR brutto (netto 641,93 EUR), bezog ergänzend Leistungen nach dem SGB II und erhielt Darlehen von seinem Arbeitgeber. Die monatlichen Kosten für die gemeinsam bewohnte Mietwohnung belaufen sich auf insgesamt 470,00 EUR (345,00 EUR Grundmiete, 75,00 EUR Nebenkosten und 50,00 EUR Heizkosten). Die Warmwasseraufbereitung erfolgt über einen Durchlauferhitzer.

Unter dem 26.06.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 14.07.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin habe gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitsuche habe. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 18.07.2014. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Änderungsbescheid vom 21.08.2014 vorläufig Leistungen in Höhe von 387,04 EUR monatlich für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.09.2014 und in Höhe von 283,83 EUR für die Zeit vom 01.10.2014 bis 22.10.2014 sowie dem Lebensgefährten der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.11.2014 unter Berücksichtigung der hälftigen Kosten der Unterkunft bei letzterem für den gesamten Zeitraum. Mit Änderungsbescheid vom 08.09.2014 berücksichtigte der Beklagte zusätzlich einen Mehrbedarf zur Warmwasseraufbereitung und gewährte der Klägerin vorläufig Leistungen in Höhe von 395,16 EUR monatlich für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.09.2014 und in Höhe von 289,78 EUR für die Zeit vom 01.10.2014 bis 22.10.2014. Ein Anspruch der Klägerin bestehe gem. § 2 Abs. 3 S. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) nur bis 22.10.2014.

Am 01.10.2014 begann die Klägerin für die Zeit vom 01.10.2014 bis 15.04.2015 eine Weiterbildungsmaßnahme gem. § 16 SGB II i.V.m. §§ 81ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zur Pflegehelferin. Mit Bescheid vom 10.11.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin hierfür Lehrgangsgebühren i.H.v. 3.438,40 EUR. Im Laufe dieser insgesamt ca. sechs Monate andauernden Maßnahme absolvierte die Klägerin jeweils im Wechsel einen einmonatigen schulischen Lehrgang und ein einmonatiges, jeweils unentgeltliches Praktikum. Im Rahmen der schulischen Ausbildung lernte die Klägerin das Kommunizieren mit pflegebedürftigen Menschen, insbes. Alzheimerpatienten, und wie diese zur Mitwirkung bewegt werden können. Für die Praktika wurden abschnittsweise je gesonderte Verträge abgeschlossen. Die Klägerin absolvierte sämtliche Praktika im Seniorenzentrum Gute Hoffnung Leben. Im Rahmen dieser Praktika führte die Klägerin die in einem Pflegeheim anfallenden Tätigkeiten aus, wie das Waschen und Ankleiden der älteren Menschen; sie verabreichte Medikamente und half bei der Nahrungsaufnahme. Sie lernte in diesem Rahmen weitere Tätigkeiten, wie etwa das Messen von Blutzucker und das Verabreichen bestimmter Spritzen.

Unter dem 13.10.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 01.12.2014. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 18.07.2014 gegen den Bescheid vom 14.07.2014 unter Bezugnahme auf die Änderungsbescheide vom 21.08.2014 und 08.09.2014 als unbegründet zurück. Mit den Änderungsbescheiden seien Leistungen für die Zeit vom 01.06.2014 bis 22.10.2014 bewilligt worden. Nach der Beendigung der zuletzt für knapp vier Monate ausgeübten Beschäftigung am 22.04.2014 sei das Recht der Klägerin auf Freizügigkeit gem. § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU für sechs Monate ab Beendigung der Beschäftigung am 22.04.2014 bis einschließlich 22.10.2014 unberührt geblieben. Ab dem 23.10.2014 sei die Klägerin gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Klägerin sei weder Arbeitnehmerin noch Selbstständige noch gem. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Ein Daueraufenthaltsrecht bestehe mangels eines fünfjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls nicht. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei europarechtskonform; dies habe der europäische Gerichtshof (EuGH) mit seiner Entscheidung am 11.11.2014 in der Rechtssache Dano (C-333/13) bestätigt.

In dem am 03.12.2014 erhobenen Eilverfahren (S 5 AS 4882/14 ER) sprach das Gericht der Klägerin vorläufig Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs für die Zeit ab 03.12.2014 bis längstens 15.04.2015 zu. Anhaltspunkte für weiteres Einkommen und/oder Vermögen der Klägerin bestehen nicht.

Die Klägerin hat unter dem 11.12.2014 bei dem Sozialgericht Duisburg Klage gegen den Bescheid vom 14.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 erhoben mit dem Antrag, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 22.10.2014 hinaus zu gewähren. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Leistungsausschluss hier nicht gegeben sei. Sie habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum in einer Weiterbildungsmaßnahme befunden, um danach in Pflegeheimen arbeiten zu können, so dass sie sich keinesfalls in der Bundesrepublik aufgehalten habe, um ausschließlich Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des EuGH in Sachen Dano betreffe einen Fall von Sozialleistungsmissbrauch. Ein solcher Fall liege hier gerade nicht vor. Die Aufnahme der Ausbildung durch die Klägerin zeige, dass tatsächlich versucht werde, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ernsthaften Tätigkeiten nachzugehen. Sie habe vorher in diesem Bereich gearbeitet und es würden in diesem Segment auch dringend Arbeitskräfte benötigt. Die Vorgehensweise der Beklagten, einerseits die Ausbildung der Klägerin finanziell zu unterstützen und andererseits Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abzulehnen, sei widersprüchlich. Entgegen der von der Beklagten vorgetragenen Ansicht sei das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gem. § 2 Nr. 1 AufenthG auf die Klägerin als Unionsbürgerin nicht anwendbar; jedenfalls erfasse § 17 AufenthG auch betriebliche Ausbildungen. Der Begriff der Ausbildung sei weit auszulegen. Nach dem Willen des Europäischen Gesetzgebers dürfte unter Ausbildung jegliche Tätigkeit zu verstehen sein, die die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und den deutlichen Willen zum Ausdruck bringen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu wollen. Ursprünglich hat die Klägerin Klage erhoben mit dem wörtlichen Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.08.2014 und 08.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 insoweit aufzuheben, als der Beklagte sich weigert, über den 22.10.2014 hinaus noch an die Klägerin Leistungen nach dem SGB II in Höhe der Regelleistungen und in Höhe der notwendigen Bedarfe für die Unterkunft und Heizung über den 22.10.2014 hinaus zu gewähren.

Nach Hinweis des Gerichts
beantragt die Klägerin schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 14.07.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.08.2014 und 08.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 zu verurteilen, den Regelbedarf, Mehrbedarf zur Warmwasseraufbereitung und Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Anrechnung des Einkommens des Lebensgefährten der Klägerin für die Zeit vom 23.10.2014 bis 30.11.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass die Klägerin als Ausländerin, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen sei. In Ergänzung der Begründung des Widerspruchsbescheids trägt die Beklagte vor, dass sich auch aus der mit Bescheid vom 10.11.2014 bewilligten Weiterbildungsmaßnahme kein Freizügigkeitsrecht für die Klägerin ergebe. § 2 Nr. 1 FreizügG/EU beschreibe drei mögliche Aufenthaltsgründe: Arbeitnehmer, Arbeitsuche und Berufsausbildung. Die Arbeitnehmereigenschaft im Rahmen einer Berufsausbildung setze voraus, dass die Ausbildung unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis absolviert werde (unter Verweis auf EuGH v. 03.07.1986, Rs.66/85). Während der Weiterbildungsmaßnahme bestehe jedoch weder ein Über-/Unterordnungsverhältnis noch werde ein Entgelt gezahlt, so dass die Klägerin nicht Arbeitnehmerin sei. Auch der Aufenthaltsgrund zur Berufsausbildung liegt nach Auffassung des Beklagten nicht vor. Das Freizügigkeitsrecht wegen einer Berufsausbildung setze mangels eigenständiger Begriffsbestimmung der Berufsausbildung im FreizügG/EU und den zugehörigen Verwaltungsvorschriften eine Ausbildung im Sinne des AufenthG voraus; eine der in § 16 AufenthG genannten Ausbildungen absolviere die Klägerin nicht. § 17 AufenthG könne hier nicht herangezogen werden, da diese Norm nur für neu einreisende Ausländer gelte, was auf die Klägerin nicht zutreffe. Soweit die Umstellung des Klageantrages im Laufe des Verfahrens eine Klageänderung darstelle, sei die Beklagte hiermit nicht einverstanden. Jedenfalls müsse eine Kostenquote erfolgen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 26.08.2015 und vom 27.08.2015 ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des parallel anhängig gemachten und inzwischen abgeschlossenen Eilverfahrens unter dem Az S 5 AS 4882/14 ER und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist begründet.

Statthafte Klageart für die Geltendmachung von Leistungen über den 22.10.2014 hinaus ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG). Aus Sicht des erkennenden Gerichts handelt es sich bei der durch die von der Klägerin im Laufe des Verfahrens vorgenommenen Neuformulierung des Klageantrages nicht um eine Klageänderung i.S.v. § 99 SGG. Die Neuformulierung ist gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht als Klageänderung anzusehen, da die Klägerin ohne Änderung des Klagegrundes den Klageantrag in der Hauptsache beschränkt hat.

Die Klägerin hat den streitgegenständlichen Zeitraum zutreffend auf den 23.10.2014 bis 30.11.2014 begrenzt. Mit dem Bescheid vom 14.07.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.08.2014 und 08.09.2014 hat die Beklagte für den Zeitraum 01.06.2014 bis 30.11.2014 über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II entschieden. Nur dieser Bescheid ist hier angegriffen. Darüber hinaus hat die Klägerin unter dem 13.10.2014 bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.12.2014 gestellt. Ein weiterer Leistungsantrag begrenzt den streitigen Zeitraum (BSG v. 22.03.2012, B 4 AS 99/11 R, juris Rn. 11 m.w.N.).

Ein Leistungsanspruch der Klägerin zur Deckung von Regelbedarf, Mehrbedarf für Warmwasser und Bedarfen für Unterkunft und Heizung gem. §§ 20, 21 Abs. 7, 22 SGB II ergibt sich aus § 19 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II. Die Klägerin erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Die Klägerin erzielte im streitgegenständlichen Zeitraum kein eigenes Einkommen. Sie lebte bis zum 15.12.2014 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten von dessen Einkommen i.H.v. 641,93 EUR monatlich und dessen SGB II-Bezügen sowie von darlehensweise vom Arbeitgeber des Lebensgefährten überlassenem Geld. Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Vermögen und/oder weiterem Einkommen bestehen nicht. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland; sie hielt sich zukunftsoffen und ohne erkennbare Anzeichen, dies ändern zu wollen, ununterbrochen in Oberhausen auf. Ihr aufenthaltsrechtlicher Status ist dabei unerheblich (vgl. BSG v. 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, juris Rn. 19).

Der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 5 SGB II greift aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht ein. Gem. § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen des § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die von der Klägerin absolvierte Maßnahme war nicht nach dem BAföG förderungsfähig. Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich abschließend nach § 2 BAföG (vgl. Spellbrink/G. Becker in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 177). Gem. § 2 BAföG wird Ausbildungsförderung nur geleistet für den Besuch bestimmter Schulen bzw. Schulklassen, die die Klägerin unstreitig nicht besucht. Die von der Klägerin absolvierte Maßnahme war auch nicht im Rahmen der §§ 51, 57 und 58 SGB III förderungsfähig. Die Klägerin absolvierte im Rahmen der Maßnahme im Wechsel einmonatige Praktika und einmonatige Lehrgänge. Ziel der Maßnahme war die Ausbildung der Klägerin zur Pflegehelferin gem. § 132a SGB V. Eine solche Maßnahme unterfällt nicht §§ 51, 57 und 58 SGB III. § 51 SGB III betrifft berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für förderungsbedürftige junge Menschen. § 57 SGB III betrifft Berufsausbildungen, denen ein Berufsausbildungsvertrag zugrunde liegt. § 58 SGB III betrifft Berufsausbildungen, die ganz oder zum Teil im Ausland durchgeführt werden.

Auch der Leistungsausschlussgrund gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II liegt aus Sicht des Gerichts schon tatbestandlich nicht vor. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Aus Sicht des Gerichts bestand im streitgegenständlichen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht der Klägerin als Arbeitnehmerin und nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.

Zwar vermittelte ihr die Tätigkeit aufgrund der Praktikumsverträge nicht unmittelbar den Arbeitnehmerstatus. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH v. 21.02.2013, C-46/12, Rz. 40). Eine Gegenleistung erhielt die Klägerin hier gerade nicht; die Praktika wurden sämtlichst unentgeltlich absolviert.

Allerdings bestand im streitgegenständlichen Zeitraum ein Arbeitnehmerstatus gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU).

Die Klägerin ist als bulgarische Staatsangehörige eine Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (Unionsbürgerin), auf die gem. § 1 FreizügG/EU das FreizügG/EU anzuwenden ist. Gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 FreizügG/EU bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat. Bis zum Ende ihrer letzten Beschäftigung am 22.04.2014 war die Klägerin (mit Unterbrechungen) Arbeitnehmerin i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Zuletzt war die Klägerin in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu einem Monatsbruttolohn i.H.v. 2.701,00 EUR als Arbeitnehmerin angestellt. Dieser Arbeitnehmerstatus blieb der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum erhalten, weil sie eine Berufsausbildung aufgenommen hatte, die im Zusammenhang mit der früheren Erwerbstätigkeit stand.

Die Tätigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ist zur Überzeugung des Gerichts als Berufsausbildung zu qualifizieren. Das FreizügG/EU selbst enthält keine Bestimmung des Begriffs der Berufsausbildung. Das Gericht vermag der Ansicht der Beklagten, dass zur Begriffsbestimmung auf das AufenthG zurückzugreifen sei, nicht zu folgen. Gem. § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU findet das AufenthG neben dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. Nach dem AufenthG besteht kein Aufenthaltsrecht der Klägerin. Insbesondere absolvierte die Klägerin keine der in § 16 AufenthG genannten Ausbildungen (Studium, Sprachkurs, Schulbesuch). Auch § 17 AufenthG, wonach betriebliche Aus- oder Weiterbildungen ein Aufenthaltsrecht vermitteln können, verhilft der Klägerin nicht zu einem weiteren Aufenthaltsrecht, da der Lebensunterhalt nicht gesichert war, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (zum Erfordernis des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen des § 5 AufenthG iRd § 17 AufenthG vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 17 Rn. 3). Ein weitergehendes Erfordernis der Ersteinreise vermag das Gericht entgegen der Ansicht der Beklagten jedoch nicht zu erkennen. Da das AufenthG der Klägerin keine günstigere Rechtsstellung zu vermitteln vermag, kann es nicht ergänzend herangezogen werden. Vielmehr ist bei der Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung i.S.d. FreizügG/EU das europarechtliche Begriffsverständnis heranzuziehen. Das FreizügG/EU dient (auch) der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38/EG). Soweit die Klägerin meint, der Begriff der Ausbildung sei weit auszulegen, wird diese Ansicht durch die Ausführungen des EuGH in der Entscheidung vom 30.05.1989 (C-242/87, Rz. 24 und Rz. 26) bestätigt:

"Nach einer nunmehr schon ständigen Rechtsprechung ( siehe erstmals das Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier, a. a. O.) gehört jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, zur Berufsausbildung, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler und Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält. [ ] Aus dem genannten Urteil [Blaizot, Slg. 1988, 379] ergibt sich ferner, daß die Zugehörigkeit der Studien zur Berufsausbildung weder dann ausgeschlossen ist, wenn sie zwar keine unmittelbare Qualifikation zur Ausübung eines Berufs verleihen, aber eine besondere Fähigkeit hierfür vermitteln, noch dann, wenn sich das Studium in verschiedene Abschnitte gliedert, die zusammen als Einheit anzusehen sind und eine Unterscheidung zwischen einem nicht zur Berufsausbildung gehörenden und einem zweiten unter diesen Begriff fallenden Abschnitt nicht zulassen ( siehe auch das Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 263/86, Humbel, Slg. 1988, 5365 )."

Aus Sicht des Gerichts genügt für die Annahme einer Berufsausbildung demnach eine strukturierte Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die auf eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet. Die Klägerin wurde für die Dauer von ca. sechs Monaten monatsweise abwechselnd in einem Seniorenzentrum praktisch angeleitet, ältere Menschen zu pflegen, und in Lehrgängen entsprechend begleitet. Sie erlernte im Rahmen der Maßnahme anhand der täglichen Praxisarbeit in den Praktika unterstützt durch die Lehrgänge den Umgang mit und die Pflege von älteren, pflegebedürftigen und insbesondere demenzkranken Menschen. Dabei absolvierte sie die Maßnahme zur Vorbereitung auf eine bestimmte Beschäftigung, namentlich die als Pflegehelferin i.S.v. § 132a SGB V.

Der Annahme einer Berufsausbildung steht nach Auffassung des Gerichts nicht entgegen, dass es sich bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit um eine Weiterbildungsmaßnahme gem. § 16 SGB II i.V.m. §§ 81ff. SGB III handelte. Teilweise wird – ohne nähere Begründung - die Ansicht vertreten, Maßnahmen nach dem SGB III seien keine Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU (Reimann, Asylmagazin 6/2012, S. 189). Für diese Ansicht – und damit gegen die Annahme einer Berufsausbildung - könnte sprechen, dass § 2 Abs. 2 FreizügG/EU klar nach dem Aufenthaltsrecht zur Berufsausbildung (Nr. 1) und dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (Nr. 1a) differenziert. Für eine Zuordnung von Maßnahmen gem. § 16 SGB II zur Arbeitsuche – und nicht zur Ausbildung – könnte sprechen, dass solche Maßnahmen dem zentralen Anliegen des SGB II dienen, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dazu zu befähigen, seinen Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Kräften bestreiten zu können (§ 1 Abs. 2 SGB II); nach Möglichkeit soll eine Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt erfolgen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II) (vgl. Harks in: jurisPK, Stand 19.01.2015, § 16 Rn. 26). Damit stellen sich Maßnahmen nach § 16 SGB II als Instrumente dar, erwerbsfähige Leistungsberechtige auf der Arbeitsuche mit aktiven Leistungen zu begleiten. Vor dem Hintergrund der gebotenen effektiven Durchsetzung des Unionsrechts ("effet utile") muss diese Überlegung nach Auffassung des erkennenden Gerichts jedoch hinter der unionsrechtskonformen Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung zurücktreten.

Zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit besteht auch der erforderliche Zusammenhang. Im Rahmen ihrer Vorbeschäftigungen in den Zeiten vom 01.02.2011 bis 30.11.2011, 06.02.2012 bis 06.04.2012, 16.12.2012 bis 16.11.2013 und 01.02.2014 bis 22.04.2014 war die Klägerin als Hauswirtschafterin/Pflegerin in verschiedenen Privathaushalten in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Die Klägerin zog dabei regelmäßig in die Haushalte von älteren und pflegebedürftigen Menschen ein, führte deren Haushalt und erledigte weitere anfallende Aufgaben. Mit der Durchführung der Weiterbildungsmaßnahme zur Pflegehelferin iSv § 132a SGB V knüpfte sie inhaltlich an diese Tätigkeiten an. Die Klägerin erwarb damit weitere Fähigkeiten im Zusammenhang mit dem Umgang mit älteren, pflegebedürftigen und insbesondere demenzkranken Personen, so dass der Zusammenhang zwischen der Vorbeschäftigung und der jetzigen Tätigkeit zu bejahen ist. Die Frage der Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes bedarf damit keiner Entscheidung.

Da die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht aus ihrem fortwirkenden Arbeitnehmerstatus ableiten konnte und nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche, ist § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II schon tatbestandlich nicht gegeben, so dass die Ausführungen des EuGH in Sachen Dano (EuGH v. 11.11.2014, C 333-13) zu Fällen des Sozialleistungsmissbrauchs hier nicht zum Tragen kommen. Die Klägerin ist nicht gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Der Klägerin stehen im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt Leistungen i.H.v. 500,54 EUR zu. Diesem Betrag liegen die folgenden Berechnungen zugrunde:

- für 01.11.2014 bis 30.11.2014 monatlicher Regelbedarf i.H.v. 353 EUR zzgl. 8/30 für 23.10.2014 bis 31.10.2014 i.H.v. 94,13 EUR - für 01.11.2014 bis 30.11.2014 Mehrbedarf für Warmwasser i.H.v. 8,12 EUR zzgl. 8/30 für 23.10.2014 bis 31.10.2014 i.H.v. 2,17 EUR - für 01.11.2014 bis 30.11.2014 hälftiger Bedarf für Unterkunft und Heizung i.H.v. 235 EUR zzgl. 8/30 für 23.10.2014 bis 31.10.2014 i.H.v. 62,67 EUR - Unter Anrechnung des Einkommens des Lebensgefährten für 01.11.2014 bis 30.11.2014 i.H.v. 200,96 EUR zzgl. 8/30 für 23.10.2014 bis 31.10.2014 i.H.v. 53,59 EUR. Das Nettoeinkommen des Lebensgefährten i.H.v. 641,93 EUR war gem. § 11b SGB II um die Erwerbstätigenfreibeträge i.H.v. 240 EUR zu bereinigen und der bereinigte Betrag i.H.v. 401,93 EUR bei der Klägerin gem. § 9 Abs. 3 S. 3 SGB II hälftig mit 220,96 EUR zu berücksichtigen.

Die mit 8/30 anteilig zu berücksichtigenden verbleibenden Tage des Monats Oktober beruhen auf der Regelung von § 41 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB II, wonach Tage des anteilig zu berücksichtigenden Monats mit je 1/30 anzusetzen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt der Einschränkung des Klageantrages im Laufe des Verfahrens Rechnung. Der zunächst erhobene Klageantrag war auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ohne zeitliche Begrenzung gerichtet. Vor diesem Hintergrund hält das Gericht unter Ausübung des ihm nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens eine hälftige Kostentragungspflicht der Beklagten für angemessen.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 500,54 EUR der auf Geldleistung gerichteten Klage den Betrag von 750 EUR nicht übersteigt und nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind. Die Berufung war aus Sicht des erkennenden Gerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Qualifizierung eine Weiterbildungsmaßnahme gem. § 16 SGB II i.V.m. §§ 81ff. SGB III als Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtssache wirft eine bisher ungeklärte Rechtsfrage auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Die Rechtsfrage lässt sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten und ist – soweit ersichtlich - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden. Es handelt sich nicht um eine bloße Klärung von Tatsachen- oder Auslegungsfragen, die keine grundsätzliche Bedeutung begründet. Die Rechtsfrage ist klärungsbedürftig und klärungsfähig.
Rechtskraft
Aus
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