L 7 AS 736/15 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 1665/15 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 736/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Jobcenter ist für die Einstelllung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach § 257 Abs. 1 AO nur zuständig, wenn es als Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsanordnung nach § 3 VwVG erteilt hatte. Für die Vollstreckung von Beitragsforderungen der Krankenkasse ist das nicht der Fall.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 22. September 2015 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrte zunächst die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Beitragsforderungen seiner Krankenkasse, im Beschwerdeverfahren die Erstattung der inzwischen bezahlten Beiträge.

Der 1985 geborene Antragsteller bezog Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner, zuletzt mit Bescheid vom 28.07.2014 monatlich 710,- Euro bis einschließlich Januar 2015. Infolge der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen ganztägigen Beschäftigung wurden die Leistungen zum Ende August 2014 eingestellt (Bescheid vom 05.09.2014).

Am 19.11.2014 stellte der Antragsteller erneut einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II. Er habe kein eigenes Konto. Erst am 26.02.2015 sprach der Antragsteller erneut beim Antragsgegner vor und berichtete von einer sechswöchigen Ortsabwesenheit auf der arabischen Halbinsel. Er habe seinen Arbeitsplatz in der Probezeit zum 01.12.2014 verloren. Nachdem der Antragsteller der Aufforderung zu persönlichen Antragstellung (Schreiben vom 25.03.2015) nicht Folge leistete, wurden die beantragten Leistungen mit Bescheid vom 12.05.2015 gemäß § 66 SGB I vollständig versagt. Dieser Bescheid enthält eine [falsche] Rechtsbehelfsbelehrung zur Klage zum Sozialgericht München.

Der Antragsteller erhob am 08.06.2015 Klage gegen den Bescheid vom 12.05.2015 (Aktenzeichen S 46 AS 1241/15).

Am 23.07.2015 legte der Antragsteller in diesem Klageverfahren dem Sozialgericht ein Schreiben des Gerichtsvollziehers vom 21.07.2015 vor, in dem dieser eine Vermögensauskunft einforderte wegen Forderungen der m. Betriebskrankenkasse in Höhe von 2.936,53 Euro zzgl. 53,30 Euro Gerichtsvollzieherkosten. Beigefügt war ein Schreiben dieser Krankenkasse über rückständige Beiträge für die Zeit vom Dezember 2014 bis 31.03.2015 in der vorgenannten Höhe. Der Antragsteller begehrte die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Seit 01.04.2015 befinde er sich in einem neuen Arbeitsverhältnis. Das Sozialgericht erfasste dieses Schreiben als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Mit Beschluss vom 22.09.2015 lehnte das Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei wohl nicht glaubhaft und es fehle an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller mache Leistungen für die Zeit zwischen November 2014 und März 2015 geltend. Dieser Zeitraum liege in der Vergangenheit. Es sei nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen.

Der Antragsteller hat am 22.10.2015 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Sein Leistungsantrag werde aufgrund der Untätigkeit der Mitarbeiter des Antragsgegners nicht bearbeitet. Den hohen Beitragsforderungen der Krankenkasse stünde kein Einkommen gegenüber. Inzwischen seien die überhöhten Beiträge der Krankenkasse einschließlich Gebühren und Kosten von seiner Mutter bezahlt worden. Er begehre hiermit die Erstattung der an die Krankenkasse gezahlten Beträge.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 22.09.2015 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die 3000,93 Euro zu erstatten, die von der gesetzlichen Krankenkasse gefordert wurden.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch zurückzuweisen, weil zumindest keine Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes besteht.

Der Antragsteller begehrt im Klageverfahren Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem erneuten Leistungsantrag wohl bis einschließlich 31.03.2015. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller noch einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.05.2015 einlegen muss. Eine Klage ist - entgegen der falschen Rechtsbehelfsbelehrung in Bescheid vom 12.05.2015 - nur zulässig, wenn zuvor ein Vorverfahren durchgeführt wurde, das mit dem schriftlichen Widerspruch gegen den Bescheid beginnt (§ 78 Abs. 1 Satz 1, § 84 SGG). Weil die Rechtsbehelfsbelehrung falsch war, hat der Antragsteller ein Jahr ab Zustellung des Bescheides Zeit, Widerspruch einzulegen, vgl. § 66 Abs. 2 SGG. Dies sollte er allerdings umgehend tun. Mit der Klage kann er aber keine Leistungen erreichen, allenfalls eine Aufhebung des Versagungsbescheids.

Im erstinstanzlichen Eilverfahren begehrte der Antragsteller dagegen die Einstellung der Zwangsvollstreckung, sei es durch Verhinderung der Abgabe der Vermögensauskunft, die der Gerichtsvollzieher forderte, oder durch Einstellung der Vollstreckung aus den Forderungen der Krankenkasse gemäß § 257 Abgabenordnung (AO).

Das Bundessozialgericht hat kürzlich klargestellt (Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, Rn. 19 und 20), dass das Jobcenter in jedem Fall auch zuständig ist für die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach § 257 Abs. 1 AO. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich auch um eine Forderung handelt, für die das Jobcenter als Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsanordnung nach § 3 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) erteilt hat. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall, weil es um die Vollstreckung einer Forderung der gesetzlichen Krankenkasse ging.

Die Einstellung einer Zwangsvollstreckung, die die Krankenkasse betreibt, kann durch ein Eilverfahren gegen ein Jobcenter regelmäßig nicht erreicht werden. Es bestand lediglich ein mittelbarer Zusammenhang darin, dass bei einem Bezug von Arbeitslosengeld II die gesetzliche Krankenversicherung weiterläuft (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) und die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung vom Antragsgegner übernommen werden (§ 252 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die aus dem Arbeitslosengeld II-Bezug geschuldeten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sind wesentlich geringer, als die Beiträge, die die Krankenkasse vom Antragsteller begehrte (§ 232a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Der Antragsteller hätte im Eilverfahren also eine Gewährung von Arbeitslosengeld II erreichen müssen und die rückwirkende Änderung der Beitragsforderungen (Höhe und Zahlungspflichtiger) der Krankenkassen.

Der Antragsteller hat es im Übrigen scheinbar versäumt, die Krankenkasse rechtzeitig auf den Wegfall seines hohen Lohnes hinzuweisen und eine erhebliche Reduzierung seiner Beitragslast ggf. im Rahmen einer freiwilligen Versicherung hinzuwirken. Ein sechswöchiger Auslandsaufenthalt - übrigens wohl ohne Zustimmung nach § 7 Abs. 4a SHGB II - spricht nicht gerade für die Hilfebedürftigkeit und ist auch keine geeignete Basis zur Regelung dringender sozialrechtlicher Angelegenheiten.

Im Beschwerdeverfahren begehrt der Antragsteller nur noch die Übernahme der bereits von seiner Mutter gezahlten Beitragsforderung und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 3.000,93 Euro.

Für eine derartige einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG fehlt es an einem Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit. Schon deswegen ist die Beschwerde erfolglos.

Daneben ist auch ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiellen Anspruchs auf diese 3.000,93 Euro fraglich. Falls der Versagungsbescheid rechtmäßig ist, besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II und damit auch kein Anspruch auf die Übernahme von Beiträgen. Andernfalls ist der Leistungsanspruch dem Grund und der Höhe nach zu prüfen. Hierfür liegen nicht ansatzweise ausreichende Unterlagen vor. Dass der Antragsteller kein eigenes Konto mehr hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Wenn der Antragsgegner die Vorlage seiner Kontoauszüge fordert, hat der Antragsteller dem Folge zu leisten (BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R). Für einen Teil der strittigen Zeit dürfte ein Anspruch auch an § 7 Abs. 4a SGB II scheitern. Für die restliche Zeit kann allenfalls ein wesentlich niedriger Anspruch auf Beitragsübernahme entstehen (siehe oben) und eventuell eine rückwirkende Änderung der Beitragsfestsetzung durch die Krankenkasse.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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