S 149 AS 7191/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
149
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 7191/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwerbsfähige EU-Bürger, die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, haben weder einen Leistungsanspruch nach dem SGB II noch nach dem SGB XII.

Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen.

Soweit das Bundessozialgericht meint, sich über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, widerspricht dies dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Unionsbürger auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II (ALG II) und die Anwendbarkeit eines Leistungsausschlusses für Ausländer, die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten.

Der 1980 geborene Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger und lebt seit 2010 in Deutschland. Er wohnte seitdem bei seiner Mutter, die selbst ALG II bezog und einer selbstständigen Tätigkeit als Rosenverkäuferin nachging. Anrechenbares Einkommen erzielte die Mutter des Klägers durch ihre Tätigkeit nicht. Der Kläger übte jedenfalls bis Ende des Jahres 2013 keine Beschäftigung aus. Für die von der Mutter des Klägers angemietete Wohnung hatte diese ab Dezember 2012 eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 692,93 Euro (307,93 Euro Nettokaltmiete, 142,00 Euro Betriebskostenvorauszahlungen, 212,00 Euro Heizkostenvorauszah-lungen) zu entrichten.

Mit Schreiben vom 04.02.2013 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dabei gab er im Rahmen des Antragsverfahrens an, bislang von seiner Mutter kostenfrei beherbergt und verpflegt worden zu sein.

Mit Bescheid vom 06.03.2013 versagte der Beklagte Leistungen unter Berufung auf eine Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Kläger und wies den dagegen eingelegten Widerspruch vom 12.03.2013 mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2013 zurück.

Der Kläger hat mit einem am 10.05.2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. In Umsetzung eines vom Kläger in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren erwirkten Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.06.2013 (L 25 AS 938/13 B ER) hat der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 14.06.2013 bis 13.12.2013 vorläufig Leistungen gewährt. Mit Bescheid vom 27.09.2013 hat der Beklagte den Leistungsantrag des Klägers vom 04.02.2013 abgelehnt und den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2013 verworfen. Zur Begründung hat der Beklagte ausgeführt, dass der Kläger sich nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte und damit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Mit Schriftsatz vom 09.12.2013 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 erhoben. Mit Bescheid vom 19.12.2013 hat der Beklagte einen erneuten Leistungsantrag des Klägers vom 17.09.2013 abgelehnt.

Der Kläger trägt vor, dass er nur bis zur Erbringung von Leistungen auf Grundlage des im gerichtlichen Eilverfahren erwirkten Beschlusses Unterstützungsleistungen seiner Mutter erhalten habe. In der von ihm genutzten Wohnung habe auch sein Bruder gelebt, der aber weder Einkommen erzielt, noch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten habe. Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch auf ALG II in Form von Regelbedarf und Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe der hälftigen Gesamtmiete zustehe. Der vom Beklagten herangezogene Ausschlusstatbestand für Ausländer mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche sei mit dem Unionsrecht unvereinbar und dürfe auf ihn nicht angewendet werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 zu verurteilen, ihm ab dem 01.02.2013 ALG II zu gewähren.

Der Beklagte hat keinen förmlichen Klageantrag gestellt.

Er verteidigt seine Entscheidungen und trägt vor, dass der Kläger ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche auch nicht von seiner Mutter ableiten könne. Deren berechtigter Aufenthalt stehe nicht fest und die erbrachten Unterhaltsleistungen habe allein der Beklagte durch die von ihm an die Mutter des Klägers erbrachten Sozialleistungen finanziert.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 07.04.2015 und 17.02.2015 mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Dabei ist streitgegenständlich allein der Ablehnungsbescheid vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013. Hierbei kann dahinstehen, ob dieser nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist, indem er den vorangegangenen Versagungsbescheid (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I) ersetzt hat (gegen die Anwendbarkeit von § 96 SGG in einem solchen Fall LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Januar 2008 – L 21 R 187/05 –, Rn. 18, juris). Denn der Kläger hat darüber hinaus seinen Klageantrag mit Schriftsatz vom 09.12.2013 umgestellt und die Klage damit unmittelbar gegen die Ablehnungsentscheidung des Beklagten gerichtet. Die darin liegende Änderung der Klage ist nach § 99 Abs. 1 und 2 SGG zulässig, da der Beklagte sich rügelos darauf eingelassen hat. In zeitlicher Hinsicht ist aufgrund des Zeitpunkts der Antragstellung im Februar 2013 einerseits und des erneuten Ablehnungsbescheides vom 19.12.2013 andererseits der Leistungsanspruch des Klägers in der Zeit vom 01.02.2013 bis 18.12.2013 streitgegenständlich.

In der Sache bleibt die Klage dabei ohne Erfolg, da der Bescheid vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 rechtmäßig ist und den Kläger nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Dem Kläger steht kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und auch kein Anspruch auf Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu.

Leistungsberechtigt nach dem SGB II sind nach dessen § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) sowie hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Diese Voraussetzungen sind hier zwar gegeben. Denn der Kläger bewegt sich innerhalb der maßgeblichen Altersgrenzen, ist mangels entge-genstehender Feststellungen jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum als erwerbsfähig anzusehen (vgl. dazu auch § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II), verfügte über kein für die Bedarfsdeckung zur Verfügung stehendes Einkommen oder Vermögen und lebte bereits seit mehreren Jahren ohne erkennbare Absicht einer Rückkehr nach Bulgarien in Berlin. Der Kläger ist aller-dings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Hiernach sind vom Kreis der Leistungsberechtigten solche Ausländerinnen und Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Der Kläger kann sich vorliegend allenfalls auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche berufen. Dabei haben nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Der Kreis der freizügigkeitsberechtigten Personen wird in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU festgelegt, wobei nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU (a.F.) unter anderem diejenigen Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt sind, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten wollen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris Rn. 30) soll ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU a.F. dabei zwar bereits dadurch begründet werden können, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt wird, da dies mit der Verpflichtung einhergeht, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitzuwirken (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II). Ob hieran auch nach der Änderung des FreizügG/EU durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 02.12.2014 (BGBl. I, S. 1922) festzuhalten ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Denn § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU n.F. knüpft bei einem Aufenthalt zur Arbeitssuche von über sechs Monaten nunmehr daran an, dass ein Nachweis der Arbeitssuche durch den Unionsbürger geführt wird und zugleich die begründete Aussicht auf Einstellung besteht. Es kann vorliegend aber offen bleiben, ob sich der Kläger, der hier – soweit ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt Bemühungen entfaltet hat, eine selbstständige oder unselbstständige Beschäftigung aufzunehmen, dennoch auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen kann. Denn auch wenn man das Vorliegen tatsächlicher Bemühungen zur Arbeitssuche für das Bestehen eines Aufenthaltsrechts verlangt, führt dies nicht dazu, dass solche Personen, die nicht oder nicht hinreichend Arbeit suchen, nicht vom Leistungsausschluss erfasst wären. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gilt vielmehr erst Recht für solche EU-Ausländer, die keinerlei Recht zum Aufenthalt, also nicht einmal ein solches zur Arbeitssuche haben (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 – L 15 AS 202/14 B ER –, juris Rn. 22; so nun auch ausdrücklich BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R –, dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Hierfür spricht insbesondere, dass der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II gegenüber solchen EU-Ausländern, die sich materiell berechtigt zur Arbeitssuche aufhalten, nicht aber gegenüber jenen, die sich unberechtigterweise in Deutschland aufhalten, nur schwerlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar wäre (LSG Nord-rhein-Westfalen, Beschluss vom 03. Dezember 2014 – L 2 AS 1623/14 B ER –, juris Rn. 6 m.w.N. auch zur Gegenmeinung).

Die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II scheidet hingegen dann aus, wenn sich der Unionsbürger auf ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris Rn. 27). So liegt es im Falle des Klägers aber nicht.

Insbesondere verfügt Kläger nicht über ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Hiernach haben Familienange-hörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, wobei unter Familienangehörigen die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der Unions-bürger zu verstehen sind, denen die Unionsbürger Unterhalt gewähren. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger erhielt von seiner Mutter nicht in einer solchen Weise Unterhaltsleistungen, die zur Vermittlung eines Aufenthaltsrechts geeignet gewesen wären.

Zum einen ist insoweit in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers nach dessen Vorbringen ihre Unterstützung mit der Erbringung von Leistungen des Beklagten in Umsetzung des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.06.2013 (L 25 AS 938/13 B ER) eingestellt hat. Jedenfalls für die Zeit ab Ende Juni 2013 konnte damit also kein Aufenthaltsrecht des Klägers nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU mehr bestehen. Doch auch für die vorangegangene Zeit ist ein solches Recht zu verneinen. So ist hier zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers selbst Leistungen nach dem SGB II bezog und zwar in Höhe ihres Gesamtbedarfs ohne Anrechnung von Einkommen. Zwar ist unschädlich, dass es sich bei den Unterhaltsleistungen an den Kläger nicht um Zuwendungen in Höhe seines (existenzsichernden) Bedarfs nach dem SGB II gehandelt haben dürfte. Die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nämlich ungeachtet der Gewährung des Existenzminimums zu beurteilen (Urteil vom 18. Juni 1987 – 316/85 –, Rn. 20, juris). Ob dies allerdings auch dann einschränkungslos gilt, wenn der Unterhalt mithilfe von solchen Mitteln erbracht wird, die der Unterhaltserbringer selbst als Sozialleistung erhalten hat, wobei die Sozialleistung nach dem Recht des Mitgliedstaates zudem nur in einer solchen Höhe erbracht wird, dass sie an sich nur zur Existenzsicherung des Unterhaltserbringers und nicht auch zur Sicherung der Existenz weiterer Personen vorgesehen und ausreichend ist, kann dahinstehen. Denn vorliegend war die zwischen dem Kläger und seiner Mutter – stillschweigend – getroffene Unterhaltsvereinbarung ohnehin dahingehend ausgestaltet, dass er die Unterhaltsleistungen nur bis zum Eintritt in den Leistungsbezug nach dem SGB II erhalten sollte. Der Bezug von Unterhaltsleistungen stellt im Falle des Klägers damit aber eine für den Erhalt von Sozialleistungen anspruchsbegründende Voraussetzung dar, die mit dem Bezug der begehrten Sozialleistung bzw. eine "juristische Sekunde" zuvor entfällt. Damit ist aber auch ein rechtmäßiger Bezug von Leistungen nach dem SGB II gestützt auf § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU für den Kläger rechtlich unmöglich.

Der Kläger ist deshalb aufgrund des allein in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wobei dieser Ausschluss auch mit dem Europäischen Unions-recht vereinbar ist.

Zum einen bewirkt der Leistungsausschluss keinen Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art 45 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Denn ausländische Unionsbürger, die Leistungen nach dem SGB II beziehen wollen, können sich insoweit als potenzielle Bezieher von Sozialhilfe bereits nicht auf diese Grundfreiheit berufen. So hat der EuGH zwar in der Rechtssache Vatsouras und Koupatanze (Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08, juris, unter Rn. 36 ff.) ausgeführt, dass sich die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, ebenfalls auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EGV (mittlerweile Art. 45 AEUV) berufen können. Dabei ist es unzulässig, diese Personen von einer finanziellen Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll, jedenfalls sofern die Betroffenen bereits eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben. Es ist jedoch Aufgabe der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch, ob es sich bei einer staatlichen Unterstützungsleistung um eine solche handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Dabei hat der EuGH insbesondere klargestellt, dass finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht auch als Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG angesehen werden können (Ausschließlichkeitsverhältnis). In der Rechtssache Dano hat der EuGH sodann entschieden – nachdem das Sozialgericht Leipzig in seiner Vorlage die Leistungen nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Leistungen i.S.v. Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 eingestuft hatte – dass es sich bei diesen um Sozialhilfeleistungen nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014, C-333/13, juris, Rn. 63). Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende können hiernach aber rechtlich nicht zugleich als solche angesehen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Diese Auffassung hat der EuGH nunmehr in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.09.2015, C-67/14, Rn. 46 f., juris) bekräftigt und die insoweit von einer rechtlich unmöglichen Gestaltung ausgehende Vorlagefrage des Bundessozialgerichts – nämlich die Annahme einer Gleichzeitigkeit von Sozialhilfe und einer den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichternden Leistung – unbeantwortet gelassen.

Zum anderen ist der Ausschlusstatbestand auch mit dem sekundären Unionsrecht vereinbar (vgl. dazu nun auch den Terminbericht Nr. 54/15 des BSG vom 03.12.2015, juris). Im Hinblick auf eine Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. mit der Regelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 hat der EuGH bereits in der Rechtssache Vatsouras und Koupatanze (Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08, juris, Rn. 35, 39) ausgeführt, dass dem Aufnahmemitgliedstaat durch die Bestimmung der Richtlinie gerade die Möglichkeit eingeräumt wird, ausländischen Arbeitsuchenden aus dem Unionsgebiet trotz Vorhandensein eines Aufenthaltsrechts aus der Richtlinie einen Anspruch auf Sozialhilfe zu versagen. In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH diese Ansicht bekräftigt und klargestellt, dass auch gegenüber denjenigen arbeitssuchenden Unionsbürgern, die aufgrund rechtmäßigen Aufent-halts an sich die Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen beanspruchen können, dennoch eine Beru-fung auf die Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie zulässig ist, um ihnen keine Sozialhilfe zu gewähren (Urteil vom 15.09.2015, C-67/14, Rn. 57 f., juris).

Der Kläger kann vorliegend für sich auch keine weitergehenden Rechte aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11.12.1953 ableiten. Denn Bulgarien als Herkunftsland des Klägers ist bereits nicht Vertragspartner dieses Abkommens. Dies sind lediglich Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Nie-derlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Türkei sowie das Vereinigte Königreich und Nordirland.

Ferner bestand auch im Hinblick auf die dem ALG II vergleichbaren Leistungen der Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für das Gericht keine Veranlassung, als Träger dieser Leistungen das Land Berlin gem. § 75 Abs. 2 Var. 2 SGG beizuladen, da der Kläger auch auf Leistungen nach dem SGB XII keinen Anspruch hat.

So bestimmt § 21 Satz 1 SGB XII, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Dies ist hier der Fall, da der Kläger nach dem oben Gesagten die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt und damit als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter dem Grunde nach leis-tungsberechtigt nach dem SGB II ist.

Soweit das Bundessozialgericht demgegenüber der Auffassung ist, dass auch diejenigen Per-sonen einen Anspruch auf Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben können, die zwar aufgrund ihres Gesundheitszustandes erwerbsfähig, aber nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, Terminbericht Nr. 54/15, juris; dafür auch Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage, § 21 Rn. 5), folgt die Kammer dem nicht. Denn für das obige Normverständnis spricht die Gesetzes-begründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57), wo es heißt:

Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an.

In der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BT Drs. 16/688, S. 13) heißt es zudem:

Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leis-tungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist.

Damit hat der Gesetzgeber indes unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2012 – L 20 AS 1322/12 B ER –, Rn. 43, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2015 – L 31 AS 100/14 –, Rn. 51, juris; BeckOK SozR/Groth, SGB XII, Stand: 01.12.2014, § 21 Rn. 3).

Soweit das Bundessozialgericht demgegenüber offenbar meint, sich über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, hält die Kammer dies für verfassungs-rechtlich nicht haltbar. So ist Ziel der gerichtlichen Auslegung einer Norm stets die Ermittlung und Verwirklichung des Normzwecks. Soweit hingegen in eine Norm Regelungsziele "eingelegt" werden, die nicht vom Gesetzgeber gesetzt wurden, wird die Grenze der Auslegung überschritten (vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Auflage, Rn. 725 ff., 755b). Die Überschreitung der Grenzen der Auslegung ist jedoch grundsätzlich unzulässig, da die ver-fassungsrechtliche Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) es ausschließt, dass die Gerichte Be-fugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Die Gerichte dürfen sich daher nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Zwar ist auch eine – über die Auslegung hinausgehende – richterliche Rechtsfortbildung dabei nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine Interpretation einer Norm, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzes-lücke - stillschweigend gebilligt wird, greift hingegen unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011 – 1 BvR 918/10 –, Rn. 53 f., juris). Im Hinblick auf die Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII sind diese engen Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Trotz des zuvor Gesagten bestand für die Kammer aber auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Vereinbarkeit der Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII einzuholen. Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Verfassung ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII entnommen werden kann (a.A. im Hinblick auf das SGB XII dagegen BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, Terminbericht Nr. 54/15, juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages aus Art. 20 Abs. 1 GG zwar verpflichtet, materiell be-dürftigen Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Hiermit korrespondiert ein individueller, gesetzlich zu sichernder Leistungsanspruch bezogen auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Dem Gesetzgeber kommt insoweit jedoch ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Der Gestaltungsspielraum ist dabei enger, soweit die zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen notwendigen Mittel festgelegt werden, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Dabei erlaubt es die Verfassung im Falle von Ausländern indes nicht, dass zu einem menschenwürdigen Leben in Deutschland Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten festzulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 –, Rn. 63-67, juris). Migrationspolitische Erwägungen können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (BVerfG, a.a.O., Rn. 95, juris). Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen daher auch nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern der Bedarf an exis-tenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht (BVerfG, a.a.O., Rn. 73, juris).

Nach Ansicht der Kammer folgt aus diesen Anforderungen an die auch arbeitsuchenden Unionsbürgern durch den deutschen Staat zu gewährenden Leistungen jedoch nicht zwangsläufig ein Anspruch dieser Personengruppe auf die oben genannten Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, insbesondere wenn die betroffenen Personen – wie hier wohl auch der Kläger – nicht einmal über ein materielles Recht zum Aufenthalt in Deutschland verfügen. Denn anders als Asylbewerbern – um die es in der zuvor zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ging – ist es Unionsbürgern regelmäßig möglich, ohne drohende Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (etwa durch politische Verfolgung) in ihr Heimatland zurückzukehren und eben dort staatliche Unterstützungsleistungen zu erlangen. Die Verweisung auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen im Heimatland ist nach Ansicht der Kammer unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dabei nicht zu beanstanden (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2010 – L 15 AS 30/10 B ER –, juris, Rn. 30; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07. Mai 2013 – L 29 AS 514/13 B ER –, juris, Rn. 94). Der deutsche Staat ist daher regelmäßig nur zur Gewährung von Überbrückungsleistungen verpflichtet, welche insbesondere die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Deutschland umfassen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER –, juris, Rn. 66-68). Im vorliegenden Verfahren kommt eine Zuerkennung von Leistungen der vorgenannten Art an den Kläger allerdings schon deshalb nicht in Betracht, weil sein Rechtsschutzinteresse nicht auf eine Unterstützung bei der Rückkehr nach Bulgarien gerichtet ist, sondern auf laufende Geldleistungen zwecks eines dauerhaften Verbleibs in Deutschland.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Rechtskraft
Aus
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