L 7 AS 889/15 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 3477/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 889/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Nach dem Grundsatz des Förderns und Forderns muss die Eingliederungsvereinbarung bzw. der ersetzende Verwaltungsakt konkrete und bestimmbare Pflichten beider Vertragspartner beinhalten. Die dem Hilfebedürftigen abverlangten Eingliederungsbemühungen müssen nach Art, Umfang, Zeit und Ort so konkret sein, dass die abverlangte Handlung ohne Weiteres festgestellt werden kann.
2. Die Verpflichtung, mindestens drei Eigenbemühungen pro Kalendermonat zu erbringen, ist nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung zur Vorlage entsprechender Nachweise resultiert aus der allgemeinen Mitwirkungspflicht des Betroffenen gem. § 60 Abs. 1, alle für eine Entscheidung des Leistungsträgers erforderlichen Tatsachen vorzutragen.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16. Juli 2015 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid des Antragsgegners.

Der 1980 geborene Antragsteller steht im Leistungsbezug des Antragsgegners. Dieser bewilligte ihm mit Bescheid vom 20.03.2015 (Bl. 36 Verwaltungsakte (VA)) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 399,00 EUR für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015.

Der Antragsteller verweigerte es, die ihm am 19.05.2015 (Bl. 18 Gerichtsakte (GA)) ausgehändigte Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben.

Der Antragsgegner ersetzte die Eingliederungsvereinbarung durch Bescheid vom 24.06.2015 (Bl. 8 GA). Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Antragstellers vom 29.06.2015 (Bl. 6 GA).

Am 03.07.2015 hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Der Bescheid greife in seine Grundrechte ein, sei zum Teil widersprüchlich formuliert und zu unbestimmt. Daher sei er nichtig.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 16.07.2015 abgelehnt. Der Antrag sei zulässig, weil der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 24.06.2015 gemäß § 39 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung habe. Der Antrag sei jedoch unbegründet. Es überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse, weil der Bescheid vom 24.06.2015 nach vorläufiger Prüfung rechtmäßig sei. Der Antragsgegner habe in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt ersetzt, nachdem eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsteller nicht zustande gekommen sei. Die Pflichten des Antragstellers seien darin hinreichend bestimmt, denn das ihm abverlangte Verhalten sei nach Maßgabe des Empfängerhorizonts des Antragstellers unzweifelhaft erkennbar. Auch inhaltlich seien die Regelungen nicht zu beanstanden. Die von dem Antragsteller verlangten Eigenbemühungen begegneten keinen Bedenken. Der Antragsteller sei gemäß § 2 SGB II verpflichtet, eigenverantwortlich alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Dauer sowie des Umfanges der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitzuwirken, um den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten zu können. Dies sei eine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht. Der 1980 geborene Antragsteller habe nach dem angegriffenen Bescheid im Zeitraum von Juni 2015 bis November 2015 mindestens drei Eigenbemühungen pro Monat nachzuweisen. Dies sei an der unteren Grenze dessen, was dem Antragsteller abverlangt werden könne. Dass er zur Ermittlung von Stellenangeboten alle ihm zur Verfügung stehenden Medien zu nutzen habe, begegne ebenfalls keinen Bedenken. Auch dass die Eingliederungsvereinbarung nur solange ihre Gültigkeit behalte, solange der Antragsteller hilfebedürftig sei, sei nicht zu beanstanden. Denn entfalle die Hilfebedürftigkeit, etwa weil der Antragsteller eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehme, so bestehe auch keine Veranlassung mehr, ihn an den Pflichten festzuhalten. Die Rechtsfolgenbelehrung weise lediglich aus, welche Konsequenzen das Gesetz bei Verstößen gegen die Eingliederungsvereinbarung vorsehe. Sollte es tatsächlich zu einer Sanktionierung wegen eines erfolgten Verstoßes kommen, so werde inzident geprüft, ob der Antragsteller einzelfallbezogen belehrt worden sei. Eine Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung könne auf der Grundlage einer gegebenenfalls zu weitgehenden Rechtsfolgenbelehrung nicht hergeleitet werden. Der Antragsteller habe sich zur Übernahme der Kosten für Bewerbungen für maximal 50 Bewerbungen pro Kalenderjahr verpflichtet. Der Antragsteller habe nicht darzulegen vermocht, dass er bei einer Verpflichtung zu drei Eigenbemühungen pro Monat im Zeitraum von Juni 2015 bis November 2015 die Maximalanzahl der Bewerbungen im Kalenderjahr 2015 überschreite. Die Verpflichtung umfasse 18 Bewerbungen. Es sei zutreffend, dass für den Fall, dass aufgrund wirksamer Sanktionszeiträume kein Arbeitslosengeld II mehr gezahlt werde, die Rechtsfolgenbelehrung darauf hinweise, dass auch keine Beträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt würden. Dies sei indes ebenfalls gesetzlich geregelt und keine Einzelfallentscheidung gegenüber dem Antragsteller.

Gegen den dem Antragsteller am 18.07.2015 zugestellten Beschluss hat dieser am 13.08.2015 beim SG Beschwerde eingelegt, die am 18.08.2015 beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingegangen ist. § 15 SGB II beinhalte eine Sollvorschrift, keine Mussvorschrift. Daraus könne man schließen, "dass es sich um etwas Freiwilliges" handele.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16.07.2015 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.06.2015 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG mit Beschluss vom 16.07.2015 den Antrag abgelehnt.

Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24.06.2015 zu.

Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

Der Widerspruch des Antragstellers gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 24.06.2015 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und das private Interesse an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.03.2006 - L 8 AS 369/06 ER B, juris, RdNr. 19). Zu berücksichtigen ist, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an dem sofortigen Vollzug des angegriffenen Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Bei der Abwägung sind neben den Folgen der Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtschutzes die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.09.2013 - L 28 AS 2330/13 B, juris, RdNr. 3). Erfolgsaussichten sind gegeben, wenn der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung rechtswidrig ist.

Der Bescheid vom 24.06.2015 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Gemäß § 15 Abs. 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Die Eingliederungsvereinbarung soll insbesondere bestimmen, welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält (Nr. 1), welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen, in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind (Nr. 2), und welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Nr. 3). Die Eingliederungsvereinbarung soll gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 ff. SGB II für sechs Monate geschlossen werden. Danach soll eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden. Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen gem. § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen.

Da eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsteller nicht zustande kam, konnte der Antragsgegner einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid erlassen (BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 195/11 R, RdNr. 17).

Nach dem Grundsatz des Förderns und Forderns muss die Eingliederungsvereinbarung bzw. der ersetzende Verwaltungsakt konkrete und bestimmbare Pflichten beider Vertragspartner beinhalten (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2012 – L 2 AS 2052/12 B, juris, RdNr. 6). Obliegenheiten müssen in einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt klar und eindeutig bestimmt sein. Das bedeutet, dass die dem Hilfebedürftigen abverlangten Eingliederungsbemühungen nach Art, Umfang, Zeit und Ort so konkret sind, dass die verlangte Handlung ohne Weiteres festgestellt werden kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.10.2006 – L 1 B 27/06 AS ER, juris, RdNr. 28; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2014 – L 7 AS 1220/14 B ER).

Gemessen an diesen Vorgaben bestehen nach summarischer Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes.

Ziel des bis 18.11.2015 gültigen Bescheides ist die Verringerung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers durch Aufnahme einer Beschäftigung. Der Antragsteller verpflichtete sich hierin unter anderem zu drei Eigenbemühungen pro Monat im Zeitraum von Juni 2015 bis November 2015. Der Antragsgegner übernahm korrespondierend hiermit unter anderem die Pflicht, Kosten für Bewerbungen pauschal mit 5,00 EUR pro nachgewiesener schriftlicher bzw. 0,50 EUR pro nachgewiesener Onlinebewerbung für maximal 50 Bewerbungen pro Kalenderjahr zu übernehmen.

Die Verpflichtung, mindestens drei Eigenbemühungen pro Kalendermonat zu erbringen, ist nicht zu beanstanden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER, juris, RdNr. 5). Dies folgt aus § 2 SGB II, wonach der Hilfebedürftige alle Möglichkeiten zur Beseitigung und Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen muss und verpflichtet ist, aktiv an den zumutbaren Maßnahmen der Eingliederung teilzunehmen. Die Bewerbung um ein Beschäftigungsverhältnis stellt den ersten Schritt zur Eingliederung in Arbeit und zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit dar. Die Verpflichtung zur Vorlage entsprechender Nachweise resultiert aus der allgemeinen Mitwirkungspflicht des Betroffenen, alle für eine Entscheidung des Leistungsträgers erforderlichen Tatsachen vorzutragen (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER, juris, RdNr. 5).

Der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), denn der Betroffene kann nach der jeweiligen Formulierung schlüssig nachvollziehen, was von ihm erwartet wird und welche Konsequenzen sich aus der Pflichtverletzung ergeben. Dies gilt auch hinsichtlich der Eigenbemühungen des Antragstellers und der damit korrespondierenden Pflicht des Antragsgegners, die Bewerbungskosten für maximal 50 Bewerbungen pro Kalenderjahr zu tragen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss von 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER, juris, RdNr. 5).

Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des SG verwiesen.

Ein Verstoß gegen das Grundgesetz bzw. internationales Recht ist nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Wagner Schneider-Thamer Dr. Anders
Rechtskraft
Aus
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