S 17 AL 2967/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AL 2967/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 18.07.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2014 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07.2014 bis 30.06.2015 unter Berücksichtigung von Nebeneinkommen in Höhe von monatlich 450,- EUR und unter Abzug von Werbungskosten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften in Höhe von monatlich 343,12 EUR für den Zeitraum 01.07.2014 bis 30.06.2014 zu gewähren. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Arbeitslosengeld streitig.

Am 15.07.2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Arbeitslosengeld bei der Beklag-ten. Dabei gab sie an, ab/seit 01.07.2014 eine Nebenbeschäftigung als Aushilfskraft mit einer wöchentlichen Stundenzahl von acht Stunden und einem Entgelt in Höhe von 450,00 EUR monatlich auszuüben. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07.2014 bis 30.06.2015 (Bescheid vom 16.07.2014). Mit Änderungsbescheid vom 18.07.2014 erhöhte die Beklagte den täg-lichen Leistungsbetrag auf 39,13 EUR. Dabei berücksichtigte sie einen Anrech-nungsbetrag in Höhe von täglich 9,50 EUR als Nebeneinkommen gemäß § 155 SGB III, welches sich aus der Differenz des monatlichen Nebeneinkommens und eines Freibetrages in Höhe von 165,00 EUR errechne.

Hiergegen erhob die Klägerin per E-Mail vom 22.07.2014 Widerspruch. Zur Begrün-dung trug sie vor, die von ihr selbst getragenen Fortbildungskosten seien als Wer-bungskosten zu berücksichtigen. Zudem stünde ihr ein individueller Freibetrag zu.

Mit Änderungsbescheid vom 30.07.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeits-losengeld ab 23.07.2014 über den streitgegenständlichen Zeitraum hinaus bis 08.07.2015. Unter dem gleichen Datum bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 07.07.2014 bis 22.07.2014 Arbeitslosengeld (Änderungsbescheid vom 30.07.2014). Die Klägerin bestätigte mit Schreiben vom 01.08.2014 schriftlich den per E-Mail er-hobenen Widerspruch.

In der Folge wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Wider-spruchsbescheid vom 02.09.2014). Die Fortbildungskosten könnten bei dem erzielten Nebeneinkommen nicht als Werbungskosten anerkannt werden, da sie in keinem objektiven Zusammenhang zu der Nebentätigkeit stünden, aus der das Einkommen erzielt werde. Ein individueller Freibetrag könne ebenfalls nicht angesetzt werden. Der monatliche Freibetrag werde laut Gesetz pauschaliert.

Mit der hiergegen am 05.09.2014 zum Sozialgericht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, bereits die Beendigung der früheren Tätigkeit zum 30.06.2014 habe in Absprache mit der Beklagten stattge-funden und in der Folge habe sie entsprechende Leistungen und Arbeitslosenunter-stützung ohne jegliche Übergangsphase oder Sperrzeit erhalten. Gleichzeitig habe sie zusammen mit der Beklagten für den weiteren beruflichen Weg eine Umschulung zur arbeitsmedizinischen Assistentin erarbeitet. Nach Zusammenstellung der für die Umschulung erforderlichen Kurse sei deutlich geworden, die Beklagte werde nur ei-nen Teil dieser Kurse als Fortbildungsmaßnahme fördern. Ihr Eigenanteil betrage 4.117,40 EUR. Da sie nicht in der Lage gewesen sei, die Kosten aus eigenen Mitteln zu bezahlen, habe sie bei ihrem alten Arbeitgeber eine Nebentätigkeit aufgenommen. Das Entgelt sei ausschließlich dazu gedacht gewesen, den Eigenanteil der Fortbildungskosten zu finanzieren. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, es fehle am objektiven Zusammenhang. Das Finanzamt habe die Weiterbildungskosten im vollen Umfang als Werbungskosten anerkannt. Der Beklagten sei ein massives Beratungsverschulden vorzuwerfen. Sie sei daher so zu stellen, wie wenn der Ne-benverdienst nicht vorhanden wäre. Dies folge aus dem Grundsatz des sozialrechtli-chen Wiederherstellungsanspruchs. Hilfsweise verweist die Klägerin darauf, sie habe für die Ausübung der Nebentätigkeit ein Arbeitszimmer für monatlich 250,- EUR an-gemietet.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 16.07.2014 und 30.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2ß14 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2014 Arbeitslosengeld in voller Höhe bzw. ohne anteilige Anrechnung der von ihr erzielten Nebeneinkünfte in Höhe von 450,- EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchs-bescheid. Ergänzend trägt sie vor, ein Beratungsverschulden sei nicht ersichtlich. Im Übrigen könne die tatsächliche Erzielung von Einkommen nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwal-tungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf höheres Arbeitslosenentgelt. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Allerdings steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Unterlassen der Anrechnung der Neben-einkünfte (dazu 1.) noch ein individueller Freibetrag zu (dazu 2.). Der Anspruch be-gründet sich aus der Berücksichtigung von Werbungskosten (dazu 3.).

1. Maßgebliche Rechtsgrundlage stellt § 155 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) dar. Demnach ist, soweit die oder der Arbeitslose während einer Zeit, für die ihr oder ihm Arbeitslosengeld zusteht, eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 138 Absatz 3 ausübt, das daraus erzielte Einkommen nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrags in Höhe von 165 Euro in dem Kalendermonat der Ausübung anzurechnen.

Die Nebenbeschäftigung der Klägerin als Aushilfskraft stellt eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 138 SGB III dar, da die Arbeitszeit weniger als 15 Stunden, nämlich acht Stunden, umfasst.

Nach § 155 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind Nebeneinkünfte folglich zwingend anzurech-nen. Zu welchem Zweck die Klägerin erzieltes Nebeneinkommen verwendet oder verwenden will, beeinflusst nach der gesetzlichen Regelung die Anrechnung des Ne-beneinkommens nicht. Das Argument der Klägerin, sie habe das Nebeneinkommen ausschließlich zur Kostentragung einer Umschulung verwendet, ist daher rechtlich unbeachtlich.

Die Klägerin kann ein Außerachtlassen der Nebeneinkünfte im Rahmen der Berech-nung des Arbeitslosengeldanspruchs auch nicht wegen einer etwaigen Absprache mit der Beklagten beanspruchen. Eine die Beklagte bindende Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) liegt nicht vor, da die Beklagte unstreitig keine schriftliche Zusage erteilt hat.

Sofern sich die Klägerin auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruft, trägt dies das Klagebegehren ebenfalls nicht. Selbst wenn ein Beratungsverschulden vor-läge, kann die Tatsache der Einkommenserzielung nicht durch eine zulässige Amts-handlung beseitigt bzw. geschaffen werden.

2. Daneben hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines indivi-duellen Freibetrags. Nach § 155 SGB III findet ein pauschaler Abzug in Höhe von 165,00 EUR statt (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB, 03/14, § 155 SGB III, Rn. 65).

3. Allerdings steht der Klägerin im Ergebnis gleichwohl höheres Arbeitslosengeld zu. Von dem erzielten monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 450,- EUR sind neben dem monatlichen Freibetrag in Höhe 165,- EUR die Kosten für die Fortbildung in Hö-he von 4.177,40 EUR als Werbungskosten in Abzug zu bringen.

a. Werbungskosten i.S.d. § 155 SGB III sind Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) und damit folglich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, U.v. 21.3.2003 – L 3 AL 25/02 – juris). Zu solchen Aufwendungen gehören die von der Klägerin getragenen Weiterbildungskosten in Höhe von 4.177,40 EUR.

Zwar hat das Bundessozialgericht eine Anerkennung von Weiterbildungskosten als abzugsfähige Werbungskosten abgelehnt, wenn - wie hier - kein objektiver Zusam-menhang zu der Tätigkeit, in der Einkommen erzielt wird, besteht. Das Einkommen müsse mit dem Beruf erzielt sein, in dem die Fortbildung erfolgt (BSG, U.v. 21.1.1999 - B 11 AL 55/98 R - juris; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, B.v. 1.7.2004 – L 8 AL 1567/04 – juris). Allerdings hat sich zwischenzeitlich die steuerrechtliche Anerkennung von Weiterbildungskosten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zugunsten der Steuerpflichtigen verändert. Nach - der seit 2008 gleich lautenden Fassung - R 9.2 der Lohnsteuer-Richtlinien sind Aufwendungen für die Aus- und Weiterbildung wie folgt steuerlich zu behandeln: "Aufwendungen für den erstmaligen Erwerb von Kenntnissen, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, beziehungsweise für ein erstes Studium (Erstausbildung) sind Kosten der Lebensführung und nur als Sonderausgaben im Rahmen von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG abziehbar. Werbungskosten liegen dagegen vor, wenn die erstmalige Berufsausbildung oder das Erststudium Gegenstand eines Dienstverhältnisses (Ausbildungsdienstverhältnis) ist. Unabhängig davon, ob ein Dienstverhältnis besteht, sind die Aufwendungen für die Fortbildung in dem bereits erlernten Beruf und für die Umschulungsmaßnahmen, die einen Berufswechsel vorbereiten, als Werbungskosten abziehbar. Das gilt auch für die Aufwendungen für ein weiteres Studium, wenn dieses in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit späteren steuerpflichtigen Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit steht." Der BFH erkennt Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung unter Anwendung der Richtlinie nunmehr großzügig als Werbungskosten an: Es sei ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeit-nehmers im weitesten Sinne fördern (BFH, U.v. 28.7.2011 – VI R 7/10 – juris). Dem Folgend, erkannte das Finanzamt die Weiterbildungskosten der Klägerin in voller Höhe als Werbungskosten an (vgl. Steuerbescheid vom 02.12.2015).

Nachdem der BFH Weiterbildungskursen großzügig absetzt, sind die Weiterbildungs-kosten der Klägerin vorliegend zur Überzeugung der Kammer entgegen der bisheri-gen Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit als Werbungskosten i.S.d. § 155 SGB III absetzbar. Zum einen ist nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Zum anderen fordert auch das SGB III eine Unter-stützung der selbst finanzierten Weiterbildung. Dazu zählt im Ergebnis auch die Ab-setzbarkeit von Weiterbildungskosten als Werbungskosten (vgl. Schmitz, in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 155 SGB III, Rn. 34; Stascheit/Winkler, Leitfaden für Arbeitslose, 2013, S. 223 f.).

b. Es erscheint sachgerecht, die Weiterbildungskosten der Klägerin über den gesamten Bewilligungszeitraum anteilig abzusetzen.

Das Gesetz selbst gibt keinen Hinweis darauf, wie Fortbildungskosten als Werbungs-kosten abzusetzen sind. Eine Anrechnung nach dem Abflussprinzip, also eine (tag- oder monatsgenaue) Anrechnung der Seminarkosten im Zeitpunkt der Bezahlung erscheint unbillig, da die in der Regel hohen Kursgebühren bei der Anrechnung dann nur wenig positive Auswirkungen für die Klägerin hätten. Die Anrechnung von Wer-bungskosten soll schließlich auch Anreiz sein, die Beendigung der Arbeitslosigkeit selbst aus eigenen Mitteln voranzutreiben. Überdies erscheint es der Kammer nicht sachgerecht, wenn die Anrechnung davon abhängig ist, ob Fortbildungskosten in einer Summe oder in mehreren Raten bezahlt würden (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, U.v. 21.2.2014 - L 3 AL 29/12 - juris, Rn. 43).

Das Gericht orientiert sich bei seiner Anrechnung an den steuerrechtlichen Geset-zesvorgaben und sieht daher auch von einer (taggenauen) Anrechnung nur für die konkrete Dauer der Weiterbildungsmaßnahme ab. Im Steuerrecht sind Werbungs-kosten im gesamten Veranlagungszeitraum, welches das Kalenderjahr darstellt, von den Erwerbseinkünften abzuziehen (Vgl. §§ 2, 9, 11, 25 EStG). Der steuerrechtliche Veranlagungszeitraum entspricht allerdings - wie auch hier - in der Regel nicht dem Zeitraum des Leistungsbezugs. Daher erscheint es sachgerecht und auch praktika-bel, die Weiterbildungskosten hier auf den gesamten Bewilligungszeitraum des Ar-beitslosengeldbezug der Klägerin, mithin 360Tage, zu verteilen.

Demnach sind bei der Klägerin monatlich 343,12 EUR (4.117,40 EUR / 360 Tage * 30 Tage) an Werbungskosten für die Weiterbildungsmaßnahme von den Nebenein-künften abzuziehen.

c. Nach Abzug der Werbungskosten in Höhe von 343,12 EUR und dem Freibetrag in Höhe von 165,00 EUR von dem monatlichen Einkommen in Höhe von 450,00 EUR verbleibt somit kein Anrechnungsbetrag (450,00 EUR - 343,12 EUR - 165,00 EUR = -58,12 EUR).

Auf die Absetzbarkeit etwaiger weiterer Werbungskosten - wie die Anmietung eines Büroraumes - kommt es daher nicht mehr an.

4. Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Beklagte zur Gewährung von Arbeitslosengeld ohne Anrechnung zu verurteilen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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