L 9 AS 1431/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 28 AS 5008/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 1431/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 14. Juni 2012 wird verworfen. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts, wonach der für den Monat Juli 2009 gegenüber der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch wegen erbrachter Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um 0,10 EUR reduziert wird. Die Klägerin bezog auch im Juli 2009 vom Beklagten Grundsicherungsleistungen. Die Höhe der Leistungen im Bewilligungszeitraum 1. April 2009 bis 30. September 2009 war zwischen den Beteiligten streitig. In dem dazu geführten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Nordhausen ( Az.: S 28 AS 2583/09) schlossen die Beteiligten am 18. November 2010 einen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, die Leistungen für die Monate Juli 2009 bis März 2010 unter gewissen Vorgaben neu zu berechnen. In Ausführung dieses Vergleichs erließ der Beklagte am 14. April 2011 einen Änderungsbescheid zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. August 2009, mit dem er nunmehr die zuvor mit Bewilligungsbescheid vom 4. März 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 18. Juni 2009 bewilligten Leistungen für den Monat Juli 2009 teilweise in Höhe von 328,12 EUR aufhob und die Erstattung verlangte. Den dagegen gerichteten Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2011 als unzulässig, weil der Änderungsbescheid vom 14. April 2011 Gegenstand des durch den Vergleich beendeten Klageverfahrens geworden sei. Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Nordhausen wandte sich die Klägerin gegen diese Vorgehensweise und begehrte, dass von ihr für den Monat Juli 2009 nur Leistungen in gesetzlicher Höhe zu erstatten seien, wobei sie die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheides vom 14. April 2011 mit der Nichtbeachtung der Rundungsregelung begründete. Außerdem beantragte die Klägerin im Klageverfahren die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids abzuändern. Das Sozialgericht Nordhausen gab der Klage mit Urteil vom 14. Juni 2012 teilweise statt und verurteilte die Beklagte unter Beachtung der Rundungsregelung zur Reduzierung der Erstattungsforderung um 0,10 EUR. Die darüber hinaus gehende Klage wurde abgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, dass bereits die Klage unzulässig gewesen sei, weil mangels Bevollmächtigung kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt worden sei. Darüber hinaus habe der Klage auch das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, weil allein die Verletzung der Rundungsregelung die Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtschutzes nicht rechtfertige. Letztlich sei die Klägerin auch tatsächlich noch mehr überzahlt gewesen; wenn man die Zahlung von 14,16 EUR monatlich in die betriebliche Altersvorsorge nicht vorab vom Nettoeinkommen abziehe, sondern später als Absetzungsbetrag nach § 11 Abs. 2 SGB II berücksichtige, würde sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von 342,02 EUR ergeben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 14. Juni 2012 abzuändern und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es bestehe ein Anspruch auf Rundung. Der Beklagte selbst sei im Widerspruchsverfahren von einer Bevollmächtigung ausgegangen und habe den Widerspruchsbescheid an den jetzigen Prozessbevollmächtigten übersandt. Etwaige Mängel der Vollmacht seien durch die Vorlage einer entsprechenden Vollmacht im Klageverfahren geheilt. Darüber hinaus sei jede Erstattungsforderung, die den Betrag von 66,87 EUR übersteige, rechtswidrig, denn der Beklagte habe in seinem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ausschließlich den Änderungsbescheid vom 18. Juni 2009 aufgehoben, den Änderungsbescheid vom 11. Juni 2009 sowie den Bewilligungsbescheid vom 4. März 2009 aber nicht erwähnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig. Sie ist zwar statthaft, weil das Sozialgericht die Berufung zugelassen hat, doch obliegt es dem Berufungsgericht, die darüber hinaus gehenden Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen. Vorliegend fehlt dem Beklagten das Rechtsschutzinteresse. Auch für Rechtsmittel gilt der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (hierzu BSG, Urteil vom 8. Mai 2007, B 2 O 3/06 R). Das ist aber im Hinblick auf die vorliegende Berufung der Fall. Zwar ist das Rechtschutzbedürfnis keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels, sondern ergibt sich im Allgemeinen ohne weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorangegangen Instanz unterlegen ist (vergleiche BSG, Urteil vom 12. Juli 2012- B 12 AS 35/12 R). Mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht einlegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht. Ein derartiges Bedürfnis ist aber unter den hier gegebenen Umständen nicht anzuerkennen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beschränkt sich auf lediglich 0,10 EUR, auf die der Beklagte bei seinem Erstattungsanspruch verzichten muss. Dieser Betrag ist so niedrig, dass er die Inanspruchnahme vom gerichtlichen Rechtsschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen lässt, denn ein wirtschaftlich sinnvoller Vorteil des Beklagten ist nicht erkennbar. Das Bundessozialgericht hat in dem am 12. Juli 2012 (B 4 AS 35/12 R) entschiedenen Fall befunden, dass für das mit Klageerhebung auf die ,,Beachtung der Rundungsregel" beschränkte Begehren das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Spiegelbildlich muss dies nach Auffassung des Senats nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalles, in dem mit 0,10 EUR monatlich ein noch geringeres Interesse in Frage steht als im genannten Fall des Bundessozialgerichts, auch für das vom Beklagten hier geführte Rechtsmittel gelten, selbst wenn dazu zuletzt vorgetragen wurde, es liege ohnehin eine deutliche Überzahlung der Klägerin vor. Denn der Senat geht jedenfalls während der Geltung des § 41 Abs. 2 SGB II (in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, nachfolgend a. F.) davon aus, dass die Erwägungen, die die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz für ein Begehren auf Leistungen im Centbereich wegen der Rundung objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, auch in anderem Zusammenhang zutreffen. Es ist nicht ersichtlich, warum die vom BSG im Zusammenhang mit der Rundungsregelung hervorgehobene Funktionsfähigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes im vorliegenden Zusammenhang weniger bedeutsam sein sollte. Dementsprechend hat der Senat entschieden, dass es einer während der Geltung der Rundungsregelung geführten Klage, die allein auf die Verletzung der Berechnungsmethode beim Warmwasserabzug gerichtet ist und für jeden Kläger zu einer individuellen Beschwer von monatlich weniger als 50 Cent führt, am Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Beschluss vom 13. April 2015 - L 9 AS 1044/12 NZB -). Die dafür maßgeblichen Erwägungen sind nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls auch auf das Rechtsmittel des Beklagten übertragbar. Das Kosteninteresse des Beklagten hat nach Meinung des Senats wegen § 144 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) außer Betracht zu bleiben. Danach ist die Berufung ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt. Wenn die eigentliche Beschwer lediglich in der Kostentragung liegt, muss der Rechtsmittelausschluss auch für das Rechtsmittel gelten, das formal die Hauptsache angreift (Leitherer, in Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 144 Rz. 48a). Soweit das Bundessozialgericht ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers auch dann anerkennt, wenn die eigentliche Beschwer vorwiegend von der ihn belastenden Kostenentscheidung ausgeht (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012, Az.: B 14 AS 35/12 R, Rz. 10 unter Bezug auf das Urteil des Bundesgerichtshof vom 3. November 1971 IV ZR 26/70), folgt der Senat dem hier nicht, weil der vorliegende Fall nicht mit dem vergleichbar ist, der dem Urteil des Bundesgerichtshof zugrunde lag. Dort ging es um eine Klage, die entgegen dem Antrag des Klägers, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, mit einer ihn belastenden Kostenentscheidung abgewiesen worden war. Dabei handelt es sich um eine völlig anders geartete prozessuale Konstellation, so dass der Senat die in dem Urteil des BGH angestellten Erwägungen selbst dann nicht für auf den vorliegenden Fall übertragbar hält, wenn die Vorschriften des SGG in ähnlicher Weise zu handhaben wären wie die vom Bundesgerichtshof angewandten Vorschriften des Zivilprozesses. Da die Berufung nicht zulässig ist, kommt es nicht darauf an, ob die Bevollmächtigung für das Widerspruchsverfahren wirksam erteilt wurde oder ob die Klage selbst zulässig war.

Die Kostenscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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