S 2 SO 199/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 199/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung.

Der am 00.00.1966 geborene Kläger bezieht einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 60 und dem Merkzeichen G.

Der Kläger beantragte am 21.08.2012 ergänzend die Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt. Gleichzeitig beantragte er die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Durch seine Erkrankung habe er erhöhte Lebenshaltungskosten. Dem Antrag fügte er ein Attest der Frau Dr. med. F X vom 29.06.2012 bei, worin diese bescheinigt, dass er an einer Lactose- und Glutaminintoleranz leide.

Mit Bescheid vom 25.10.2012 lehnte die Beklagte nach der Bewilligung der Hilfe zum Lebensunterhalt durch Bescheid vom 24.10.2012 die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ab. Das Gesundheitsamt der Stadt Bielefeld habe festgestellt, dass die bei dem Kläger vorliegenden Krankheiten keine Mehrkosten bei der Ernährung verursachten. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Aufgrund seiner Erkrankung an Morbus Bechterew habe er als Folgeerkrankung eine Laktoseunverträglichkeit, eine Unverträglichkeit auf Gluten und Geschmacksverstärker und einen Diabetes, der noch mit einer Diät zu behandeln sei. Die Kosten für laktose- und glutenfreie Lebensmittel seien erheblich höher als für "normale" Lebensmittel. Auch die Ernährungsvorgaben für den Diabetes beinhalteten einen kostenintensiveren Einkauf. Ferner überreichte der Kläger im laufenden Widerspruchsverfahren die Auswertung des H2-Atemtests auf Lactoseintoleranz vom 18.03.2013 durch den Internisten C.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der befragte Amtsarzt des Gesundheitsamtes habe ausgeführt, dass die vom Hausarzt attestierte Glutaminintoleranz wissenschaftlich nicht belegt sei. Die Laktoseintoleranz sei eine relativ häufige Erkrankung in Deutschland. Erwachsene könnten dabei jedoch allein durch Verzicht auf unverarbeitete Milch ohne weitere diätetische Restriktionen zurechtkommen. Insbesondere seien weiterverarbeitete Milchprodukte wie Joghurt und Käse verträglich, da sich hierin nur noch geringste Mengen von Laktose befänden. In Ausnahmefällen seien selbst diese geringsten Mengen Laktose klinisch unverträglich, so dass auf eine Diät mit Verzicht auf Milch und Milchprodukte ausgewichen werden müsse. Dies sei allerdings nicht kostenaufwändiger als die gewöhnliche Ernährung. Auch die Diabeteserkrankung löse keine Mehrkosten bei der Ernährung aus. Bei der Ernährung seien vor allem die Kalorienmengen zu beachten. Die Empfehlung zum Verzehr spezieller Diabetikerprodukte werde schon seit geraumer Zeit nicht mehr ausgesprochen. Diese Sicht teile auch der Deutsche Diabetikerbund. Die Glutamatüberempfindlichkeit sei durch medizinische Untersuchungen nachzuweisen. Der Nachweis sei aber trotz Aufforderung nicht erbracht worden.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Die finanziellen Mehrkosten bei der Ernährung ergäben sich aus den Preisen für laktosefreie Nahrungsmittel. Er vertrage keinerlei Produkte, in denen Laktose enthalten sei. Auch auf Glutamat reagiere er mit Atemnot. Das Glutamat könne in Deutschland als Gewürz deklariert werden. Deshalb könne er nicht ohne Risiko Fertiggerichte, Soßen oder Tiefkühlkost verzehren. Dies bedeute für ihn, dass er alle Speisen mit frischen Zutaten zubereiten müsse. Dies sei ein finanzieller Mehraufwand, der er sich finanziell nicht leisten könne. Da seine Lungenfunktion auf 50% reduziert sei, könne er es sich nicht leisten, diese weiter zu schädigen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 25.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren.

Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Akte des Verwaltungsverfahrens.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 25.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2013 ist rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Ein Anspruch auf weiteren Mehrbedarf ergibt sich hier auch nicht aus den allgemeinen Bestimmungen zum Mehrbedarf. Die Gewährung von Mehrbedarfen ist in § 30 SGB XII geregelt.

Für Personen, die 1. die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder 2. die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind, und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird gemäß § 30 Abs.1 SGB XII ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Für werdende Mütter nach der 12. Schwangerschaftswoche wird gemäß § 30 Abs. 2 SGB XII ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist gemäß § 30 Abs. 3 SGB XII, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen 1. in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder 2. in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28. Für behinderte Menschen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und denen Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 geleistet wird, wird gemäß § 30 Abs. 4 SGB XII ein Mehrbedarf von 35 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Satz 1 kann auch nach Beendigung der in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Leistungen während einer angemessenen Übergangszeit, insbesondere einer Einarbeitungszeit, angewendet werden. Absatz 1 Nr. 2 ist daneben nicht anzuwenden. Für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe gemäß § 30 Abs. 6 SGB XII nicht übersteigen. Für Leistungsberechtigte wird gemäß § 30 Abs. 7 SGB XII ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb keine Leistungen für Warmwasser nach § 35 Abs. 4 erbracht werden ( ).

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs für Ernährung nicht erfüllt. Insbesondere kann der weitergehende Mehrbedarf nicht aus § 30 Abs. 5 SGB XII gestützt werden.

Die Lactoseintoleranz vermag keinen Mehrbedarf zu begründen. Dies entspricht den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe. Es liegt im Hinblick auf die Lactoseintoleranz kein Fall einer kostenaufwändigen Ernährung vor. Es ist zunächst einmal kein Katalogfall aus den eben genannten Empfehlungen des Deutschen Vereins gegeben. Und Mehrkosten lassen sich hier auch im Einzelfall nicht begründen. Ob und ggf. in welcher Höhe ein Mehrbedarf besteht, ist bei Malabsorptionen wie der Lactoseintoleranz im Einzelfall auf der Grundlage des Krankheitsverlaufs und des körperlichen Zustands der leis-tungsberechtigten Person zu beurteilen. Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf ist in der Regel daher nur bei schweren Verläufen zu bejahen oder wenn besondere Umstände vorliegen, z.B. gestörte Nährstoffaufnahme. Wenn (1) der BMI unter 18,5 liegt (und das Untergewicht Folge der Erkrankung ist) und/oder (2) ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust (über 5 % des Ausgangsgewichts in den vorausgegangenen drei Monaten; nicht bei willkürlicher Abnahme bei Übergewicht) zu verzeichnen ist, kann regelmäßig von einem erhöhten Ernährungsbedarf ausgegangen werden. Die behandelnde Ärztin hat weder von dem Befund eines deutlichen Untergewichts noch von dem Befund eines unwillkürlichen plötzlichen starken Gewichtsverlustes berichtet. Sie hat lediglich die Glutamat- und Lactoseintoleranz als solche attestiert. Im Hinblick auf die Lactoseintoleranz handelt es sich um eine sogenannte Auslassdiät. Der Kläger muss also Lebensmittel, die Lactose beinhalten, also Milchprodukte und Produkte, die Milchpulver enthalten, weglassen. Er kann somit jedoch alle Grundnahrungsmittel, insbesondere Getreide (Mehl), Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch konsumieren. Aus diesen Grundnahrungsmitteln kann sie insbesondere durch die eigene Zubereitung von Speisen unter Verzicht auf Fertigprodukte mit als Geschmacksträger eingesetzter versteckter Laktose eine laktosefreie und zugleich vollwertige Ernährung sicherstellen.

Zur Überzeugung der Kammer ist die Ernährung des Klägers wegen der Lactoseintoleranz nicht kostenintensiver, sondern höchstens und für eine Übergangszeit sicherlich zeitaufwändiger, bis dem Kläger die neue Ernährungsmethode vertraut ist. Der Kläger muss sich wissensmäßig intensiv mit seiner Ernährung auseinander setzen und muss in die Zubereitung seiner Ernährung mehr Zeit investieren, indem er seine Nahrung bevorzugt aus für ihn verträglichen Grundnahrungsmitteln zubereitet. Der wesentliche Nachteil der geeigneten Ernährung des Klägers besteht darin, dass er insbesondere auf komplexe Fertigprodukte verzichten muss, da darin häufig das Milchpulver als Geschmacksverstärker vorkommt und dieses Milchpulver aufgrund seiner Herstellung aus konzentrierter Milch einen besonders hohen Laktoseanteil hat. So ist beispielsweise eine Fertiglasagne aus dem Tiefkühlregal für den Kläger gänzlich ungeeignet, eine selbst ohne Fertigsoße oder Soßenbinder (versteckte Lactose) und ohne Milch oder Sahne (offensichtliche Lactose) zubereitete Lasagne kann der Kläger jedoch konsumieren. Das ist aber höchstens ein Zeitproblem und kein Kostenproblem, zumal Fertigprodukte in der Tendenz sogar noch teurer sind, als die Zubereitung von Speisen aus Grundnahrungsmitteln. Fertigprodukte sind nur praktisch und zeitsparend, was insbesondere für Erwerbstätige gelegentlich aus Zeitmangel ein Vorteil sein mag. Der Kläger ist jedoch nicht erwerbstätig. Er ist auch in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten nicht dergestalt eingeschränkt, dass er sein Essen etwa nicht selbst zubereiten könnte.

Auch unter dem Aspekt der Substitution von Milch durch lactosefreie Milch kann kein finanzieller Mehrbedarf begründet werden. Rechtlich gesehen kommt es insoweit ohnehin nicht darauf an, wie viel Milch, Joghurt und andere Milchprodukte der Kläger vielleicht täglich konsumieren möchte, sondern es kommt darauf an, wie viel er zwecks Meidung einer Mangel- oder Unterernährung benötigt. Aus medizinischer Sicht kann bei der Ernährung jedoch auf Milch gänzlich verzichtet werden. Doch selbst wenn man von einem gewissen Milchkonsum als notwendig ausgeht, weil er den üblichen Ernährungsgewohnheiten in Westeuropa entspricht, so resultiert aus der Verwendung von lactosefreien Milchprodukten dann kein finanzieller Mehrbedarf, da die Mehrkosten gering sind und noch in die Auswahlfreiheit fallen, die in der Pauschalierung des Betrags für Lebensmittel im Regelsatz zum Ausdruck kommt. Ferner wären diesen Kosten die eingesparten Kosten bei Verzicht auf kostenintensive Fertigprodukte entgegenzuhalten. Der Mehrpreis von 0,30 Euro der lactosefreien Milch, deren Literpreis bei etwa 1,20 Euro statt 0,90 Euro liegt, ist unerheblich, da der Kläger jedenfalls nicht mehrere Liter Milch am Tag konsumieren muss. Bei Verzehr von einem Liter Milch je Woche entstünden monatliche Mehrkosten von ca. 1,20 Euro, bei zwei Litern je Woche wären es noch immer erst 2,40 Euro monatlich. Andererseits fallen keine erhöhten Kosten für Fertigprodukte an. Hier ist ein finanzieller Mehrbedarf nicht ge-geben.

Gleiches gilt für die Unverträglichkeit von Glutamat. Auch dieses ist dann mangels Verträglichkeit auszulassen. Auch aus diesem Grund muss der Kläger dann wiederum auf Fertigprodukte verzichten. Er kann sich jedoch sämtliche Speisen unter Verzicht auf die eigene Zugabe von Glutamat aus frischen Produkten zubereiten. Da es sich bei Glutamat um keinen Nährstoff handelt, der dem Körper zwingend zugeführt werden müsste, muss auch er durch nichts anderes ersetzt werden. Auch insoweit ist die Ernährung des Klägers zeitaufwändiger, aber nicht kostenaufwändiger.

Und auch für die nicht insulinpflichtige Diabeteserkrankung genügt eine kalorienbewusste, ausgewogene Ernährung mit frischen Produkten. Auch insoweit ist die Ernährung des Klägers zeitaufwändiger, aber nicht kostenaufwändiger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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