L 2 AS 624/15 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 2639/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 624/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 31. August 2015 wird abgeändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für den Zeitraum 1. August 2015 bis 30. April 2016 und längstens bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller trägt der Antragsgegner.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialhilfe (SGB XII) für den Bewilligungszeitraum ab 1. August 2015.

Die am ... 1986 geborene Antragstellerin zu 1) ist portugiesische Staatsangehörige und die Mutter der Antragsteller zu 2) und zu 3). Sie reiste nach eigenen Angaben im März 2013 nach Deutschland ein. Vom 6. Mai bis 31. Juli 2013 war die Antragstellerin als Helferin in der Eisdiele S. in K. beschäftigt.

Am 13. Januar 2014 stellte die Antragstellerin zu 1) einen Leistungsantrag bei dem Antragsgegner und gab an, mietfrei bei Bekannten in der D. Straße in H. zu wohnen. Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin zu 1) mit Bescheid vom 14. Januar 2014 und Änderungsbescheid vom 6. Februar 2014 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2014 (Regelleistung).

Die Antragstellerin zu 1) unterzeichnete im Januar 2014 einen Mietvertrag für eine Wohnung in der H. Straße ... in H. und meldete sich dort an. Die Antragstellerin zu 1) beantragte Leistungen für eine Erstausstattung und zeigte im Mai 2014 an, dass sie nunmehr mit ihren am ... 2006 und am ... 2009 geborenen Kindern – den Antragstellern zu 2) und zu 3) - in der Wohnung lebe. Für Unterkunft und Heizung sind nach Aktenlage monatlich 328,99 EUR aufzuwenden. Der Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II ist an die Vermieterin abgetreten worden. Die Antragsteller zu 2) und zu 3) erhalten Kindergeld in Höhe von monatlich jeweils 188 EUR im Jahr 2015 und in Höhe von 190 EUR im Jahr 2016. Die Grundschule H. Straße in H. bestätigte am 22. Mai 2014, dass die Antragstellerin zu 2) die 2. Klasse der Grundschule H. Straße besucht.

Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 28. Mai 2014 ab, Leistungen für die Kinder zu bewilligen. Mit Bescheid vom 24. Juni 2014 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen auch für die Antragstellerin zu 1) ab Juli 2014 ab. Gegen beide Bescheide erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller Widersprüche. Der Antragsgegner wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 17. Juli 2014 als unbegründet zurück.

Das Sozialgericht Halle (SG) verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 17. Juli 2014, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2014 zu bewilligen. Der Antragsgegner setzte den Beschluss mit vorläufigem Bescheid vom 22. Juli 2014 um.

Im Juli 2014 nahm die Antragstellerin zu 1) eine geringfügige Beschäftigung auf und erzielte für Juli, August und September 2014 Einkommen iHv monatlich weniger als 150 EUR. Am 30. November 2014 wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Die Antragstellerin zu 1) begründete dies damit, dass sie die Arbeitszeiten nicht mit der Kinderbetreuung vereinbaren könne. Der Antragsgegner berücksichtigte mit Änderungsbescheiden vom 18. und 26. September 2014, 23. Oktober 2014 und 5. März 2015 die geänderten Einkommensverhältnisse.

Im November 2014 beantragte die Antragstellerin zu 1) die Zusicherung zu den Aufwendungen für einen Umzug in eine 4-Raum-Wohnung, da die 2-Raum-Wohnung zu klein sei. Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 6. November 2014 ab.

Am 29. Dezember 2014 beantragten die Antragsteller die Fortzahlung der Leistungen ab Januar 2015. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Januar 2015 ab. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Antragsteller. Der Senat verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 9. April 2015, den Antragstellern für den Zeitraum 1. Februar bis 31. Juli 2015 vorläufig Leistungen zu bewilligen. Der Antragsgegner setzte diese Entscheidung mit Bescheid vom 13. April 2015 um und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2015 als unbegründet zurück: Unionsbürger, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus der Arbeitssuche ergibt, seien vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.

Am 7. Juli 2015 beantragte die Antragstellerin zu 1) die Fortzahlung der Leistungen ab August 2015. Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 16. Juli 2015 ab. Dagegen richtete sich der mit Schreiben vom 22. Juli 2015 erhobene Widerspruch.

Die Antragsteller verfolgen ihr Begehren mit dem am 27. Juli 2015 beim SG Halle eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weiter. Sie tragen vor, der Senat habe für einen anderen Zeitraum bereits entschieden, dass vorläufig Leistungen zu bewilligen seien. Die Rechtsfrage sei vor dem EuGH anhängig und noch nicht abschließend geklärt. Die Tochter besuche die Schule in H. Der Sohn sei bis zur Leistungseinstellung in den Kindergarten gegangen.

Die Antragstellerin zu 1) legte im August 2015 diverse Bewerbungen auf Stellenangebote in K. vor.

Die Antragsteller haben beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzulehnen und sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2015 bezogen.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 31. August 2015 abgelehnt und ausgeführt: Die Antragstellerin zu 1) habe kein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin erworben. Bei der von Juli bis November 2014 ausgeübten Tätigkeit habe es sich um eine unregelmäßige Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung gehandelt. Es bestehe auch kein Anspruch auf eine vorläufige Leistungsbewilligung. Die Antragsteller könnten den Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Heimatland geltend machen. Leistungen seien auch nicht aufgrund einer Folgenabwägung zu bewilligen. Wenn sich herausstelle, dass nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Leistungsanspruch bestehe, sei für eine Folgenabwägung kein Raum.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 8. September 2015 zugestellten Beschluss hat dieser am 9. September 2015 Beschwerde vor dem Landessozialgericht erhoben und ausgeführt: Das SG habe bei seiner Entscheidung die Rechtsprechung des zweiten Senats des Landessozialgerichts nicht beachtet und sich auch nicht bzw. nur am Rande mit dieser auseinandergesetzt. Die Antragsteller verfügten seit August 2015 nicht mehr über finanzielle Mittel. Eine Entscheidung des EuGH in der Sache A. stehe noch aus. Die Antragstellerin zu 1) sei alleinerziehend. Die Kinder seien 6 und 9 Jahre alt. Die Antragstellerin zu 1) habe sich trotz dieser Belastung durch die Alleinerziehung intensiv um eine Beschäftigung bemüht. Sie habe in den vergangenen Wochen mit einem in K. lebenden Bekannten versucht, in K. und Umgebung eine Beschäftigung zu finden. Sie verspreche sich im Rheinland größere Erfolgsaussichten bei der Beschäftigungssuche als in H. Sie wohne aber weiterhin in H.

Die Antragstellerin zu 1) war vom 11. September 2015 bis 7. November 2015 als Reinigungskraft für die Firma K. Gebäudereinigung GmbH, H. Straße in ... G. beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag war vereinbart worden, dass die Antragstellerin den Rewe-Markt in der H.-straße in K. reinigen soll. Die Antragstellerin zu 1) sollte jeweils montags bis samstags für 1,5 Stunden arbeiten. Vereinbart war eine Vergütung von 9,55 EUR pro Stunde. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. Oktober 2015. Darüber hinaus war die Antragstellerin zu 1) vom 1. bis 31. Oktober 2015 als Küchenhilfe in einem Restaurant in P. beschäftigt. Vereinbart war eine Arbeitszeit von 50 Stunden im Monat und eine Vergütung von 9 EUR pro Stunde. Dieses Arbeitsverhältnis endete ebenfalls durch eine Kündigung des Arbeitgebers. Aus diesen Beschäftigungen erzielte die Antragstellerin zu 1) Einkommen im Oktober 2015 in Höhe von 186,78 EUR und 450 EUR. Im November 2015 erzielte die Antragstellerin aus der Beschäftigung als Reinigungskraft ein Einkommen von 364,73 EUR.

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2015 als unbegründet zurück: Der Anspruch auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sei ausgeschlossen. Das im Jahr 2014 ausgeübte Arbeitsverhältnis sei nicht geeignet, die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen. Lediglich im September sei ein Einkommen von mehr als 100 EUR erzielt worden. Die Tätigkeit sei nicht regelmäßig ausgeübt worden. Das Fürsorgeabkommen sei wegen des erklärten Vorbehalts nicht anzuwenden. Gegen diesen Widerspruchsbescheid haben die Antragsteller Klage erhoben, die am SG Halle unter dem Aktenzeichen S 18 AS 3810/15 noch anhängig ist.

Im Erörterungstermin am 5. November 2015 erklärte die Antragstellerin zu 1), sie sei jede Woche in K., wohne bei einem Bekannten und besuche ihre Kinder an den Wochenenden bzw. jedes zweite Wochenende. Unter der Woche würden die Kinder von einer Freundin betreut. Sie Sachen der Kinder befänden sich in der Wohnung in H. Die Bekannte, die die Kinder betreue, habe auch noch eine eigene Wohnung. Die Tochter gehe zur Schule und der Sohn sei bis Juli 2015 in den Kindergarten gegangen. Nachdem die Leistungen eingestellt worden waren, habe der Kindergarten gekündigt. Das Restaurant befinde sich in P ... Sie arbeite dort 40 Stunden pro Woche für 450 EUR netto. Es könne sein, dass es im November 2015 mehr Geld sei. Für die Beschäftigung als Reinigungskraft habe sie 180 EUR für September 2015 erzielt. Das Geld für den Monat Oktober 2015 habe sie noch nicht erhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller erklärte weiter, die Antragstellerin zu 1) habe im Restaurant zunächst drei Stunden täglich und ab November vier Stunden täglich gearbeitet. Sie habe vom 11. September bis 7. November 2015 eine nicht nur untergeordnete Tätigkeit ausgeübt. Die Kriterien für das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft seien erfüllt. Darüber hinaus sei sie unfreiwillig arbeitslos geworden. Wenigstens ab 11. September 2015 habe sie einen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Gegebenenfalls richte sich der Anspruch gegen den Sozialhilfeträger.

Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Dezember 2015 die Stadt H. zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene erklärte, dass die Antragstellerin einen Antrag beim Sozialamt stellen müsse.

Die Antragsteller beantragen in der Hauptsache sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts vom 31. August 2015 aufzuheben und den Antragsgegner bzw. den Beigeladenen zu verpflichten, antragsgemäß Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Antragsgegner verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Die Berichterstatterin hat Auskünfte der Sozialarbeiterin Frau W. (Caritas), des Sachbearbeiters des Beigeladenen Herrn H. und der Sachbearbeiterin im Sozialamt Frau H. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen.

II.

Streitgegenstand ist die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII für den Zeitraum ab 1. August 2015.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft nach § 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1 SGG. Der Wert der Beschwerde übersteigt den Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR. Die Verpflichtung des Antragsgegners bzw. des Beigeladenen, den Antragstellern für die Zeit ab 1. August 2015 Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu bewilligen, überschreitet den maßgebenden Beschwerdewert von 750 EUR.

Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, den Antragsgegner bzw. den Beigeladenen zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Rechtsgrundlage für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist danach stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund, d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, und ein Anordnungsanspruch, d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs, glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren nicht die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 86b, Rn. 16b). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02). Dies gilt ganz besonders dann, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sind die §§ 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, 20 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 SGB II. Nach diesen Vorschriften erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des Regelbedarfs sowie der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, soweit diese nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Leistungsberechtigt sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die u. a. erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Einkommen und Vermögen sind nach Maßgabe der §§ 11 ff, 12 SGB II anzurechnen.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 1) erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Auch ist sie, da ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden könnte, in der Lage, in dem in § 8 Abs. 1 SGB II beschriebenen Umfang erwerbstätig zu sein. Denn nach § 8 Abs. 2 SGB II reicht hierfür die rechtliche Möglichkeit aus, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen. Zudem hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18) in der Bundesrepublik Deutschland begründet. Seit dem 29. Januar 2013 tritt bei Unionsbürgern an die Stelle der Überprüfung der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht die Prüfung über das Vorliegen oder den Fortbestand der Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 1 FreizügG/EU, § 5 Abs. 3 FreizügG/EU. Die Antragsteller zu 2) und 3) erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II, da sie mit der Antragstellerin zu 1) in einer Bedarfsgemeinschaft leben und keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben.

Der Leistungsanspruch ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Danach haben Ausländer und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten keinen Leistungsanspruch, wenn sie weder in der Bundesrepublik Arbeitnehmer oder Selbständige, noch aufgrund von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind. Im Übrigen haben Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Leistungsanspruch.

Diese Ausschlussnormen greifen nicht ein. Es bestehen andere Aufenthaltsrechte.

Die Antragstellerin zu 1) hat durch die Aufnahme der Tätigkeit ab 11. September 2015 ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizüg/EU erworben, so dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht eingreift. Sie hält sich auch schon länger als drei Monate in Deutschland auf. Am 11. September 2015 hat sie die Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Th. K. Gebäudereinigung GmbH aufgenommen. Bei dieser Tätigkeit handelte es entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nur um eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind freizügigkeitsberechtigt Arbeitnehmer, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007, C-213 "Geven", Rnr. 16). Die Tätigkeiten der Antragstellerin zu 1) dürften nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich eingestuft werden können. Die bisher bekannten Umstände sprechen dafür, dass es sich bei der Reinigungstätigkeit um eine normale Teilzeitbeschäftigung gehandelt hat. Die Antragstellerin sollte 9 Stunden in der Woche tätig sein und die Arbeitgeberin hatte sich verpflichtet, Tariflohn zu zahlen. Für die Antragstellerin zu 1) wurden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Die weitere Tätigkeit im Restaurant ab 1. Oktober 2015 war nach den Angaben der Antragstellerin eine Vollzeittätigkeit zu einem sehr niedrigen Stundenlohn.

Nach dem Ende der Beschäftigung am 7. November 2015 besteht ggf. das nachgelagerte Freizügigkeitsrecht für einen Zeitraum von sechs Monaten nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen dieses Freizügigkeitsrechts liegen bis auf die Bescheinigung über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit vor. Die Antragstellerin zu 1) ist unfreiwillig arbeitslos geworden, nachdem sie zuvor weniger als ein Jahr beschäftigt gewesen ist. Beide Arbeitsverhältnisse sind durch arbeitgeberseitige Kündigungen beendet worden. Der Antragsgegner hat Kenntnis von der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit, auch wenn die unfreiwillige Arbeitslosigkeit noch nicht durch die Agentur für Arbeit bescheinigt worden ist.

Dies kann jedoch offen bleiben, da den Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) für den Zeitraum ab 1. August 2015 ein weiteres Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 4 FreizügG/EU zusteht. Danach haben Kinder, die sich in der Schulausbildung bzw. Ausbildung befinden, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zusammen mit dem sorgeberechtigten Elternteil. Dieses Aufenthaltsrecht ist allein an den Zugang zur Ausbildung gebunden und setzt weiter nur voraus, dass ein Elternteil bereits freizügigkeitsberechtigt war, das Kind in Ausbildung ist und der Elternteil mit diesem Kind zusammenlebt. Die Antragstellerin zu 2) besucht die Schule und wird von der Antragstellerin zu 1) als sorgeberechtigter Mutter betreut. Die Antragstellerin zu 1) hatte in der Vergangenheit aufgrund ihrer Beschäftigungen im Jahr 2013, 2014 und dann noch einmal im Jahr 2015 ein Freizügigkeitsrecht erworben. Zu einem Zeitpunkt, in dem die Antragstellerin freizügigkeitsberechtigt war, hat die Antragstellerin zu 2) ihre Schulausbildung begonnen, die noch nicht abgeschlossen ist.

Hintergrund dieser Regelung ist Art. 10 der Verordnung 492/11 vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU. Danach können Kinder eines Mitgliedsstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, unter den gleichen Bedingungen am allgemeinen Unterricht sowie der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaates wohnen. Diese Kinder haben nach der Rechtsprechung des EuGH ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unabhängig von dem ggf. beendeten Aufenthaltsrecht der Eltern nach einer Beschäftigung. Denn wenn das Aufenthaltsrecht der Kinder entfallen würde, weil das Aufenthaltsrecht der Eltern beendet worden ist, könnten diese Kinder ihre Ausbildung nicht fortsetzen. Dieses ausbildungsbezogene Aufenthaltsrecht der Kinder besteht unabhängig von den Voraussetzungen der Freizügigkeits-Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 (ABl. vom 30. April 2004 Nr. L 158/77). Insbesondere müssen diese Kinder und der sorgeberechtigte Elternteil nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010, C-480/08 Texeira zu der inhaltsgleichen Regelung in Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968). Zusammen mit dem in der Ausbildung befindlichen Kind hat der sorgeberechtigte Elternteil ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht, auch wenn das auf den Freizügigkeitsregelungen beruhende eigene Aufenthaltsrecht des Elternteils bereits nicht mehr besteht (vgl. BSG, Terminsbericht vom 3. Dezember 2015 zu B 4 AS 43/15 R). Der Antragsteller zu 3) hat ein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, da er seine Mutter begleitet.

Soweit Ansprüche der Antragsteller zu 2) und zu 3) betroffen sind, ist der Antragsgegner der richtige Leistungsträger. Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Aktenlage tatsächlich in H. Soweit ein Anspruch der Antragstellerin zu 1) in Rede steht, ist für eine vorläufige Regelung ebenfalls der Antragsgegner der zuständige Leistungsträger. Nach § 36 SGB II ist der Leistungsträger zuständig, in dem die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gemäß § 36 SGB II ist dabei unerheblich, wo der erwerbsfähige Hilfsbedürftige seinen Wohnsitz hat. Der gewöhnliche Aufenthalt ist vom tatsächlichen nur vorübergehenden Aufenthalt abzugrenzen (vgl. Link in Eicher, SGB II, § 36 Rnr. 30). Der Senat geht auch davon aus, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Antragstellerin zu 1) im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners in H. war. Die Antragstellerin zu 1) hatte ihren Wohnsitz über den gesamten Zeitraum in H. Tatsächlich hat sie sich wohl nicht den gesamten Zeitraum in H. aufgehalten. Zumindest im Zeitraum 11. September bis 31. Oktober 2015 war der Ort des tatsächlichen Aufenthalts nicht die Stadt H. In diesem Zeitraum hat die Antragstellerin in K. gewohnt und gearbeitet. Die Arbeitszeiten in der Reinigungsfirma ließen einen regelmäßigen Aufenthalt in H. nicht zu. Die Kinder lebten jedoch den gesamten Zeitraum in H. Inwiefern sich die Antragstellerin tatsächlich jedes Wochenende bzw. jedes zweite Wochenende in H. aufgehalten hat, muss den Ermittlungen im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Sie ist nach Aktenlage jedenfalls regelmäßig in ihre Wohnung in H. zu ihren Kindern zurückgekehrt. Der Lebensmittelpunkt lag somit in H. Mittlerweile lebt die Antragstellerin nach Aktenlage zumindest seit November 2015 dauerhaft in H.

Als Bedarf ist bei der Antragstellerin zu 1) der Regelsatz für Alleinstehende zuzüglich des Alleinerziehungszuschlags nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen. Die Antragsteller haben einen Sozialgeldbedarf nach § 23 SGB II. Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind in tatsächlicher Höhe kopfanteilig zu berücksichtigen. Einkünfte sind nach §§11ff. SGB II auf den Bedarf anzurechnen. Das Kindergeld ist jeweils bei den Kindern und die Einkünfte der Antragstellerin zu 1) entsprechend der Bedarfsanteile am Gesamtbedarf bei allen drei Familienmitgliedern anzurechnen. Die sich danach ergebenden Leistungsansprüche für Unterkunft und Heizung stehen aufgrund der erteilten Abtretungserklärung der Vermieterin zu und im Übrigen den Antragstellern.

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund geltend gemacht. Sie konnten ihren Lebensunterhalt seit August 2015 nur unzureichend sichern. Es bestehen bereits Mietschulden, die zum Verlust der Wohnung führen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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