L 31 AS 507/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 201 AS 18968/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 507/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Da Grund- und Oberschüler in Berlin ab einem Schulweg von mehr als 1 bzw. 2 Kilometern Anspruch auf ein ermäßigtes Schülerticket haben, sind darüber hinausgehende Fußwege i. S. des Umgangsrechts nicht zumutbar. Dementsprechend kann auch das hilfebedürftige Elternteil nicht auf diese Fußwege verwiesen werden.

2) Im Grundsatz ist es einem vollschichtig leistungsfähigem, nicht schwerbehinderten erwachsenen Hilfebedürftigen aber zumutbar, Wege von 3 - 4 Kilometern zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen.

3) Leistungsempfänger müssen sich im Rahmen des Umgangsrechts ebenso wie Leistungsempfänger, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Kind leben, bei der Freizeitgestaltung auf die aus dem Regelsatz folgenden Möglichkeiten verweisen lassen. Die Freizeitgestaltung mit einem Kind begründet keinen Bedarf i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB II.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2015 und die Bescheide des Beklagten vom 28. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2011, in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 5. Januar 2012, abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum August 2011 bis Januar 2012 einen Mehrbedarf in Höhe von 24,66 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger 1/6 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger im Rahmen der Ausübung seines Umgangsrechts mit seinem 1999 geborenen Sohn ein Mehrbedarf (Fahrtkosten und sonstige Kosten) im Zeitraum August 2011 bis Januar 2012 zusteht.

Der 1953 geborene Kläger ist nach dem Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 5. Mai 2008 berechtigt und verpflichtet, mit seinem bei der Mutter am S in B wohnenden Sohn N an jedem Mittwoch in der Zeit von 15.00 Uhr - in den Schulferienzeiten bereits ab 14.00 Uhr - bis 19.30 Uhr und an jedem zweiten und vierten Wochenende im Monat jeweils am Sonnabend und am Sonntag in der Zeit von jeweils 10.00 bis 18.00 Uhr zusammen zu sein. Weiter ist der Kläger nach diesem Beschluss verpflichtet, das Kind bei der Mutter an deren Wohnung abzuholen und zu dieser zurückzubringen. Nach den Angaben des Klägers hat er den derart festgelegten Umgang mit seinem Sohn im streitgegenständlichen Zeitraum an insgesamt 50 Tagen ausgeübt. Er hat für die Wege sein eigenes Kfz genutzt.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2011 bewilligte der Beklagte dem allein lebenden Kläger für den Zeitraum August 2011 bis Januar 2012 einen monatlichen Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 364,00 Euro und monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 529,80 Euro sowie einen Zuschuss nach § 26 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu seiner Kranken- und Pflegeversicherung. Mit Änderungsbescheid vom 26. November 2011 bewilligte er dem Kläger für den Monat Januar 2012 einen monatlichen Regelsatz in Höhe von 374,00 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 5. Januar 2012 setzte er eine Änderung im Rahmen der Pflegeversicherung des Klägers um. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 28. Juni 2011, mit dem der Kläger u. a. einen Mehrbedarf aus der Umgangsverpflichtung mit seinem Sohn geltend machte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2011 als unbegründet zurück.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 20. Januar 2015 ab. Zur Begründung führte es aus, dass die bei dem Kläger anfallenden Lebenshaltungskosten seines Sohnes allenfalls Ansprüche des Sohnes begründen würden. Der Sohn des Klägers sei jedoch nicht Beteiligter des Klageverfahrens. Die den Kläger selbst betreffenden Belastungen in diesem Zusammenhang seien Bestandteil der Regelleistung. Soweit zwischen den Beteiligten die Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts streitig seien, handele es sich zwar um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, dieser sei jedoch nicht unabweisbar. Dem Kläger sei es zumutbar, die fußläufig 3,1 km lange Strecke zwischen seiner Wohnung und der Wohnung des Sohnes mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückzulegen. Im Übrigen könne er sich der öffentlichen Verkehrsmittel bedienen. Für die hierfür notwendigen drei Stationen genüge ein Kurzstreckenticket der BVG, das im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 1,40 Euro gekostet habe. Es sei dem Kläger zumutbar, diese geringen Mobilitätskosten aus dem Regelbedarf zu finanzieren. Der geltend gemachte Mehrbedarf sei insofern nicht erheblich. Selbst bei Anschaffung eines Sozialtickets, das Kosten in Höhe von 33,50 Euro verursache, liege der Mehrbedarf des Klägers unter Berücksichtigung der im Regelsatz enthaltenen Fahrtkosten in Höhe von 22,92 Euro bei 10,58 Euro monatlich. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass eine Erheblichkeitsschwelle nicht bei 10 % des Regelbedarfs anzusetzen sei, die Kammer folge jedoch der 205. Kammer des Sozialgerichts Berlin, wonach eine Erheblichkeitsschwelle von 5 % des Regelsatzes als sachgerecht angesehen werden könne. Diese Erheblichkeitsschwelle liege im hier relevanten Streitzeitraum bei 17,95 Euro und werde durch den Mehrbedarf des Klägers aufgrund der Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts nicht überschritten.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. Januar 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Februar 2015 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Er begehrt im streitgegenständlichen Zeitraum Fahrtkosten in Höhe von monatlich 47,60 Euro, weil diese der Beklagte in einem ebenfalls hinsichtlich der Kosten des Umgangsrechts anhängigen Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 5 AS 980/13) als Vergleich angeboten hat. Weiter begehrt er einen Betrag in Höhe von 97,08 Euro monatlich für die sonstigen Kosten, die er während des Aufenthaltes seines Sohnes bei ihm aufwendet (Lebensmittel, Unternehmungen etc.; wegen der Einzelheiten wird auf die in den Akten befindliche Aufstellung des Klägers verwiesen). Da sein Sohn nach der Rechtsprechung des BSG seinen Bedarf nicht nach den Grundsätzen der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft geltend machen könne, weil er sich nicht wenigstens zwölf Stunden täglich bei ihm aufhalte, entstehe der entsprechende Anspruch bei ihm, da er die Aufwendungen tragen müsse. Die anfallenden Kosten seien aus seinem Regelsatz nicht finanzierbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn in Abänderung des Bescheides vom 28. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2011 und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 5. Januar 2012 einen monatlichen Mehrbedarf in Höhe von 144,68 Euro zzgl. der gesetzlichen Zinsen für den Zeitraum August 2011 bis Januar 2012 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und führt aus, dass die vom Kläger geltend gemachten Kosten, die ihm während der Zeiten des Aufenthaltes des Sohnes bei ihm entstünden, keine Kosten seien, die als Kosten des Umgangsrechts unter § 21 Abs. 6 SGB II fallen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie denjenigen des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die - soweit maßgeblich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist bezüglich Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts des Klägers mit seinem Sohn in Höhe von monatlich 24,66 Euro begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

Soweit das Sozialgericht Berlin in dem angegriffenen Urteil vom 20. Januar 2015 die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Fahrtkosten des Klägers zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinem Sohn in Gänze abgewiesen hat, ist es abzuändern. Diesbezüglich ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage des Klägers zulässig und begründet. Die ablehnenden Bescheide des Beklagten vom 28. Juni 2011, 26. November 2011 und 5. Januar 2012 sowie der Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2011 sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Der Kläger hat einen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Fahrtkosten zur Ausübung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn aus § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I Seite 850). Hiernach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). Mit der Schaffung des § 21 Abs. 6 SGB II hat der Gesetzgeber den aus Ziffer 3 des Tenors des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, juris) folgenden Gesetzgebungsauftrag erfüllt. Dabei hatte er als Anwendungsfall u. a. auch die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern vor Augen (BT Drs. 17/1465, Seite 9). Dass es sich bei Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts für den umgangsberechtigten Elternteil ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II handeln kann, entspricht zwischenzeitlich der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 30/13 R, vom 18. November 2014 - B 4 AS 4/14 R - und vom 11. Februar 2015 - B 4 AS 27/14 R, juris).

Die dem Kläger entstehenden Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinem Sohn N stellen einen unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf im streitgegenständlichen Zeitraum dar. Der Kläger ist durch den auch noch im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden familiengerichtlichen Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 5. Mai 2008 verpflichtet, den Sohn von der Wohnungstür der Mutter abzuholen und ihn am Ende des Umgangstages auch wieder dort abzuliefern. Er kann deshalb nicht darauf verwiesen werden, dass das zum streitgegenständlichen Zeitpunkt elf bzw. zwölf Jahre alte Kind die 3,1 km Fußweg bzw. 3,7 km Fahrweg (Routenplaner google maps) zwischen seiner Wohnung und der Wohnung der Mutter selbständig zurücklegt (vgl. zu diesem Aspekt: BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 30/13 R, Rn. 21). Der so festgelegte Umgang hat wöchentlich stattzufinden und ist damit regelmäßig, wiederkehrend, dauerhaft und längerfristig. Der tenorierte Bedarf in Höhe von monatlich 24,66 Euro ist auch unabweisbar. Zuwendungen Dritter oder andere Einsparmöglichkeiten sind hierfür nicht ersichtlich. Der Kläger dürfte zunächst nicht darauf zu verweisen sein, die Strecke, für die man nach dem Routenplaner von google maps 39 Minuten benötigt – gegenüber 8 Minuten mit dem Auto - insgesamt zwölfmal wöchentlich zu Fuß zurückzulegen. Nach den Informationen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin zu dem Bildungspaket für Kinder aus einkommensschwachen Familien (abrufbar unter www.berlin.de/sen/bjw/bildungspaket.de) haben Grundschüler ab einem Schulweg von mehr als 1 km und Oberschüler ab einem Schulweg von mehr als 2 km Anspruch auf ein ermäßigtes Schülerticket. Der Senat hält daher Fußwege, die hierüber hinausgehen und regelmäßig zu bewältigen sind - wie hier - jedenfalls für einen Schüler in der Schulwoche für unzumutbar. Da der Kläger seinen Sohn begleiten muss, kann er damit auch nicht auf den Fußweg verwiesen werden.

Der Verweis darauf, die Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen, scheiterte im vorliegend zu beurteilenden Zeitraum daran, dass nicht mehr aufklärbar war, ob sowohl der Kläger als auch sein Sohn im Besitz eines Fahrrades waren.

Dabei folgt der Senat den klägerischen Ausführungen grundsätzlich nicht, das Zurücklegen der Strecke mit dem Fahrrad oder zu Fuß sei ihm unzumutbar. Im Termin konnte geklärt werden, dass der Kläger weder rentenberechtigt wegen einer Erwerbsminderung noch schwerbehindert war. Damit steht auch fest, dass er zumindest über ein Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten im vollschichtigen Umfang verfügt. Einem vollschichtig leistungsfähigen, nicht schwerbehinderten Hilfebedürftigen ist es ohne weiteres körperlich zumutbar, Strecken von 3 bis 4 km mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückzulegen.

Weiter scheidet die Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen, aus, da dieser Gedanke nur zum Tragen kommt bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 25). Aus demselben Grund kann dem Kläger auch nicht der im Regelbedarf enthaltene Anteil für den Verkehrsbereich in Höhe von 22,78 Euro in diesem Zusammenhang entgegengehalten werden. Denn der hier im Streit stehende Bedarf betrifft nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag, sondern eine spezielle Situation bei der Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 - B 4 AS 4/14 R, Rn. 16).

Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II kann vorliegend als erfüllt angesehen werden.

Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kosten ist zum einen die Subsidiarität der Leistungserbringung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II als auch die aus § 3 Abs. 3 1. Halbsatz SGB II folgende Beschränkung auf eine Leistungserbringung nur für den Fall, dass die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann, zu berücksichtigen. Hieraus folgt, dass die Aufwendungen für die Kosten des Umgangsrechts unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen im Sinne des Grundsicherungsrechts sein müssen; der Leistungsberechtigte muss also die kostengünstigste und gleichwohl im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts verhältnismäßige sowie zumutbare Variante zur Bedarfsdeckung wählen, hat also nur Anspruch auf Leistungen in deren Höhe. In diesem Zusammenhang sind die Kosten, die für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel anfallen, mit denen, die bei der Nutzung eines Pkw zu berücksichtigen sind, zu vergleichen (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014, Rn. 23). Bei den Ausgaben für die Pkw Fahrten sind sowohl die Hin- als auch die Rückfahrten zu berücksichtigen. Dabei kann die Kilometerpauschale von 0,20 Euro zugrunde gelegt werden, wie sie in § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG) ausgewiesen ist (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, a. a. O., Rn. 28, 29). Bei dem entsprechenden Vergleich ist festzustellen, dass die Fahrten selbst unter Berücksichtigung der günstigsten öffentlichen Verkehrsvariante, nämlich einem Kurzstreckenticket, pro Fahrt mit dem Pkw günstiger sind. Hat eine Kurzstreckenfahrkarte im streitgegenständlichen Zeitraum 1,40 Euro gekostet, so beträgt die Kilometerpauschale für die einfache Fahrt 0,74 Euro (3,7 km x 0,20 Euro). Pro Umgangstag entstehen damit Kosten in Höhe von 4 x 0,74 Euro, also 2,96 Euro für den Kläger (je zwei Hin- und Rückwege). Bei den im streitgegenständlichen 6-Monats-Zeitraum nachgewiesen 50 Umgangstagen sind dies insgesamt 148 Euro und somit monatliche Aufwendungen in Höhe von 24,66 Euro.

Der Erheblichkeitsbegriff in § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Nach den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9. Februar 2010 (a. a. O., Rn. 208) entsteht ein atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Wie das BSG im Urteil vom 4. Juni 2014 (a. a. O., Rn. 28) ausführt, ist ein atypischer Bedarf nach der Systematik der Norm dann erheblich, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht. In diesem Zusammenhang hat das BSG dort (Rn. 30) auch entschieden, dass eine Rechtsgrundlage für eine allgemeingültige Bagatellgrenze, etwa in Höhe von 10 % der Regelleistung, nicht zu erkennen ist. Weiter führt es aus (ebd., Rn. 32), dass Ausgangspunkt ist, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich der existenzsichernden Leistungen ein Bagatellbereich dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (z. B. Rundungsfall) entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

Vor dem Hintergrund der deutlichen Absage des BSG an eine Bagatellgrenze und vor dem Hintergrund der Dauer und der Regelmäßigkeit der bei dem Kläger anfallenden Fahrtkosten, denen eine Umgangsregelung aus dem Jahr 2008 zugrunde liegt, die jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum bis Januar 2012 noch galt und über die sich das Gericht nicht hinwegsetzen kann, ist die Erheblichkeit hier anzunehmen. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang einen monatlichen Mehrbedarf in Höhe von 27,20 Euro als erheblich anerkannt (Urteil vom 4. Juni 2014, a.a.O.).

Soweit der Kläger die allgemeinen Lebenshaltungskosten seines Sohnes während dessen Aufenthalts bei ihm (z. B. Fahrtkosten zum Fußballtraining bzw. zu Fußballturnieren und für Lebensmittel) mangels eines Anspruchs des Sohnes nach den Grundsätzen, die das BSG im Rahmen der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft aufgestellt hat, als eigene Kosten geltend macht, ist die Klage unbegründet. Es handelt sich hierbei um den (Unterhalts )Bedarf des Sohnes und damit um dessen Ansprüche. Eine Rechtsgrundlage, diese Ansprüche als eigene geltend zu machen, besteht für den Kläger nicht. Insbesondere folgt sie nicht aus dem aus Art. 6 GG fließenden und in § 1684 Bürgerliches Gesetzbuch (BGG) ausgestalteten Umgangsrecht des Kindes mit den Eltern. Das Umgangsrecht soll für das Kind Verbindungen zu dem Elternteil erhalten, der nicht täglich mit ihm zusammenlebt, bzw. dem Elternteil die Befugnis geben, in Kontakt zu seinem Kind zu bleiben. Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Wie bereits das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, sind allein die Fahrtkosten des Klägers selbst von und zu der Abholung des Kindes bei der Mutter Kosten, die dieser zur Wahrnehmung des Umgangsrechts hat. Zwar verweist der Kläger in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass sein Sohn einen eigenen Anspruch als temporäres Bedarfsgemeinschaftsmitglied mit ihm während der Zeiten seines Aufenthalts bei ihm nach der ständigen Rechtsprechung des BSG lediglich bei Aufenthalten mit mehr als zwölf Stunden Dauer täglich erfolgversprechend geltend machen kann (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R, zuletzt bestätigt durch Urteil vom 6. August 2014 - B 4 AS 55/13 R, Rn. 32, zitiert nach juris). Dennoch wäre die Hinterfragung dieser durch das BSG aufgestellten zeitlichen Grenze ebenso wie die Frage, ob bei eigener Leistungsunfähigkeit nicht die ebenfalls unterhaltspflichtige Mutter des klägerischen Sohnes dessen Lebenshaltungskosten bei dem nicht leistungsfähigen Elternteil - etwa durch Zurverfügungstellung eines entsprechenden Barbetrages - decken müsste, durch entsprechende Verfahren des Sohnes des Klägers, vertreten durch seine Eltern - ggf. mit den im familienrechtlichen Bereich zur Verfügung stehenden flankierenden prozessualen Maßnahmen - zu klären. In diesem Zusammenhang sei lediglich darauf hingewiesen, dass gemäß § 1603 Abs. 1 BGB unterhaltspflichtig nicht ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Scheitert die Inanspruchnahme des einen Elternteils an seiner fehlenden Leistungsfähigkeit, so hat der andere Elternteil bei entsprechender Leistungsfähigkeit automatisch für den gesamten Unterhalt aufzukommen (Brudermüller in Palandt, BGB, 74. Auflage - München 2015, § 1606 Rn. 17). Es ist insoweit ohne weiteres einleuchtend, dass in diesem Fall nicht die Allgemeinheit die Unterhaltspflichten des leistungsfähigen Elternteils im Wege von Sozialleistungen zugunsten des nicht leistungsfähigen Elternteils zu übernehmen hat. Sollte die Mutter selbst nicht leistungsfähig sein, könnte sie für sich und den Sohn eigene Leistungsansprüche auf der Grundlage des SGB II geltend machen. Der Bedarf des Sohnes wäre dann hierüber zu decken.

Soweit die Ausgaben, z. B. durch Begleitfahrten zu Fußballturnieren oder zu dem Fußballtraining des Kindes, dem Kläger selbst entstehen, hat er diese durch den Regelbedarf zu decken. Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang, dass die Ausgestaltung der Zeit mit einem Kind bei Leistungsbezug auf der Grundlage des SGB II - nicht anders als bei Eltern(teilen), die nur knapp oberhalb der Bedarfsgrenze eigenes Einkommen haben - den individuellen Lebensumständen anzupassen ist.

Im Übrigen würde die Vorstellung des Klägers, der Beklagte und damit die Gesamtheit der Steuerzahler müsse über die Anerkennung von Bedarfen für die von ihm bevorzugte Freizeitgestaltung im Rahmen des Umgangsrechts aufkommen, zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung gegenüber solchen SGB II-Leistungen beziehenden Eltern führen, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Kind leben. Es dürfte unstreitig sein, dass Eltern und Kinder, die im Rahmen einer zusammenlebenden Familie eine Bedarfsgemeinschaft bilden, keinen Anspruch gegen das Jobcenter haben, ihnen über die Regelbedarfe hinaus Leistungen für eine ihren Vorstellungen entsprechende Freizeitgestaltung zu bewilligen. Auch diese Hilfebedürftigen müssen sich auf eine ihren Mitteln entsprechende Freizeitgestaltung - genau wie die bereits erwähnten hilfeunabhängigen Geringverdiener - verweisen lassen. Warum für den Kläger etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

Die über den tenorierten Zuspruch hinausgehende Berufung war nach allem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Anteil des Obsiegens des Klägers.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür nicht vorliegt (§ 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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