L 19 AS 29/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 5043/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 29/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom werden zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind griechische Staatsangehörige. Der 1953 geborene Antragsteller zu 1) und die 1967 geborene Antragstellerin zu 2) sind verheiratet. Der am 00.00.2001 geborenen Antragsteller zu 3) ist ihr gemeinsames Kind.

Im August 2012 reisten die Antragsteller in die Bundesrepublik ein. Der Antragsteller zu 1) war in der Zeit vom 13.08.2012 bis zum 31.08.2012 bei Firma B GmbH sozialversicherungspflichtig, in der Zeit vom 06.09.2012 bis zum 30.10.2013 bei der Firma C geringfügig (Minijob) bzw. ab dem 01.11.2012 bis zum 31.01.2013 sozialversicherungspflichtig sowie bei der Arbeitnehmerüberlassungsfirma U Dienstleistungs GmbH in den Zeiten vom 03.06.2013 bis zum 19.07.2013 sozialversicherungspflichtig, vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 geringfügig (Minijob, 450,00 EUR Entgelt), vom 01.03.2014 bis 31.05.2014 geringfügig (Minijob, 450,00 EUR Entgelt) und vom 01.06.2014 bis zum 30.10.2014 sozialversicherungspflichtig sowie erneut vom 03.01.2015 bis zum 28.02.2015 sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Die Antragsteller bezogen vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.08.2015. Durch Bescheid vom 05.08.2015 lehnte der Antragsgegner den Folgeantrag des Antragstellers zu 1) für die Zeit ab dem 01.09.2015 ab.

Der Antragssteller zu 1) war in der Zeit vom 07.09.2015 bis zum 11.09.2015 sowie vom 14.09.2015 bis zum 18.09.2015 insgesamt 39 Stunden für die Firma U Industrieservice GmbH tätig und erzielte ein Entgelt von 269,13 EUR.

Der Antragsteller zu 1) schloss einen Arbeitsvertrag über ein befristetes Arbeitsverhältnis - 16.10.2015 bis zum 23.12.2015 - als Produktionshelfer mit der Firma H Personalmanagement GmbH über eine geringfügig entlohnte Teilzeitbeschäftigung (Minijob) ab. Als Arbeitsentgelt war ein Stundenlohn von 8,80 EUR vereinbart. Der Antragsteller zu 1) erzielte im Oktober 2015 ein Entgelt von 176,00 EUR (11 Tage, 17,50 Stunden), im November 2015 von 366,70 EUR (21 Tage, 30,67 Stunden) und im Dezember 2015 von 242,00 EUR (17 Tage, 23,80 Stunden).

Laut Schulbescheinigung der Evangelischen Jugendhilfe J GmbH ist der Antragsteller zu 3) im Schuljahr 2015/16 bis voraussichtlich Juli 2016 Schüler einer Hauptschule. Der Antragsteller zu 1) bezieht Kindergeld, zurzeit i.H.v. 188,00 EUR monatlich.

Den am 15.09.2015 gestellten Folgeantrag des Antragstellers zu 1) lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16.11.2015 unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II ab. Der Antragsteller zu 1) habe keinen Arbeitnehmerstatus. Bei der vom Antragsteller zu 1) aufgenommenen Tätigkeit handle es sich um eine untergeordnete Tätigkeit. Als nicht nur untergeordnet werde eine Tätigkeit angesehen, wenn ein Arbeitnehmer mindestens 8 Stunden wöchentlich tätig sei und ein Nettoeinkommen i.H.v. 280,00 EUR aus dieser Tätigkeit erziele. Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 27.11.2015 kündigte der Vermieter wegen eines Mietrückstandes von 1.215,00 EUR (rückständige Mieten für September, Oktober und November 2015) das Mietverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich unter Berufung auf § 573 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Der Vermieter widersprach der Weiterführung des Mietverhältnisses und forderte die Antragsteller auf, die Wohnung bis zum 15.12.2015 zu räumen.

Am 02.12.2015 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis einschließlich 29.02.2016 vorläufig zu bewilligen.

Durch Beschluss vom 21.12.2015 hat das Sozialgericht Dortmund den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vorläufig im Hinblick auf eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache für den Zeitraum vom 02.12.2015 bis zum 29.02.2016 den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften im Übrigen - insbesondere auch unter Anrechnung etwaigen Einkommens - zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Die Antragsteller seien vom Leistungsbezug nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Der Antragsteller zu 3) verfüge über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/11. Aus diesem Aufenthaltsrecht leite sich auch ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und zu 2) als Elternteile, die die tatsächliche Sorge ausübten, ab. Ein Anordnungsgrund für Leistungen vor der Antragstellung bei Gericht und für die Bedarfe nach § 22 SGB II sei nicht gegeben. Auf die weiteren Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 22.12.2015 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 23.12.2015 und der Antragsgegner am 08.01.2016 Beschwerde eingelegt.

Die Antragsteller tragen vor, aufgrund der fristlosen Kündigung des Vermieters sei eine konkrete Gefährdung der Wohnung bereits eingetreten. Deshalb sei ein Anordnungsgrund für die Bedarfe nach § 22 SGB II gegeben. Sie nehmen Bezug auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16.01.2015 - L 6 AS 1258/15 B ER.

Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,

dem Antragsgegner aufzuerlegen, ihnen für den Zeitraum vom 02.12.2015 bis zum 29.02.2016 auch die Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren und die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.12.2015 aufzuheben, den Antrag abzulehnen und die Beschwerde der Antragsteller zurückzuweisen.

Der Antragsgegner argumentiert, es könne nicht rechtmäßig sein, dass eine kurzfristige Beschäftigung, die einen Arbeitnehmerstatus begründe, ein Aufenthaltsrecht während der gesamten Dauer der Schulausbildung der Kinder und der Sorgeberechtigten nach sich ziehe, sofern die Kinder die Schule tatsächlich besuchten. Der Sinn und Zweck des Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/11 sei die bestmögliche Integration und der Genuss einer Schulausbildung für Kinder aus einem anderen Mitgliedstaat in dem Mitgliedstaat, im dem ein Sorgeberechtigter sein Recht auf Aufenthalt genieße. Um die Integrationsmöglichkeiten der Kinder einschätzen zu können, müsse auch die bisher erfolgte Integration der sorgeberechtigten Eltern und deren Erfolgsaussichten auf weitere Integration eingeschätzt werden. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, inwiefern das sorgeberechtigte Elternteil sich in den Arbeitsmarkt bereits eingliedert habe bzw. welche Arbeitsmarktnähe bestehe. Die Antragstellerin zu 2) weise keinen Bezug zum Arbeitsmarkt auf. Beim Antragsteller zu 1) bestehe keine gefestigte Arbeitnehmereigenschaft. Es widerspreche der Intention des Gesetzgebers, aus mehreren kurzzeitigen Beschäftigungen und einem fraglich tatsächlichen Schulbesuch der Kinder ein länger andauerndes Aufenthaltsrecht für die gesamte Schul- und Ausbildungsdauer der Kinder und damit verbunden den Anspruch auf Leistungen herzuleiten. Vorliegend liege auch kein regelmäßiger Schulbesuch des Antragstellers zu 3) vor. Laut Auskunft der Schule habe dieser in der Zeit vom 12.08.2015 bis zum 11.01.2016 186 Fehlstunden, davon 142 unentschuldigt, 37 Fehltage, 9 Tage, an denen er zu spät gekommen oder früher gegangen sei, gehabt.

II.

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.

A. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 02.12.2015 bis zum 29.02.2016 Regelbedarfe nach § 20 SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

1. Ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist glaubhaft gemacht.

a) Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGB II sind gegeben.

Die beiden Antragsteller zu 1) und zu 2) bilden eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Sie sind erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II. Anhaltspunkte für eine fehlende (gesundheitliche) Erwerbsfähigkeit liegen nicht vor. Sie haben ferner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I.

Die beiden Antragsteller zu 1) und 2) haben auch ihre Hilfebedürftigkeit i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II glaubhaft gemacht. Sie haben in der Zeit ab dem 02.12.2015 nicht über Einkommen oder Vermögen verfügt, um ihren Lebensbedarf ganz zu sichern. Schon ihr Regelbedarf wird durch das zugeflossene Arbeitsentgelt des Antragstellers zu 1) nicht gedeckt. Allein die Tatsache, dass auch ohne Leistungen des Trägers der Grundsicherung jedenfalls das Lebensnotwendige offenbar gesichert ist, lässt Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Entscheidend ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden Zeitraum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht, die den Gesamtbedarf vollständig deckt (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr. 9). Dafür, dass die beiden Antragsteller ab Antragstellung bei Gericht über unbekanntes Einkommen oder Vermögen verfügt haben, liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor.

Der Antragsteller zu 3) ist als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 2 S. 1, 19 Abs. 1 S. 2 SGB II. Ab Vollendung des 15. Lebensjahres am 05.01.2016 erfüllt er die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II.

b) Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte nicht zu Ungunsten der Antragsteller ein. Die Antragsteller verfügen über ein materielles Aufenthaltsrecht (vgl. zum Anwendungsbereich des Leistungsauschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II: BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R).

Offen bleiben kann, ob in dem streitbefangenen Zeitraum vom 02.12.2015 bis zum 29.02.2016 ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1) als Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 2 FreizügG/EU und davon abgeleitet ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 2) und zu 3) als Familienangehörige i.S.v. § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU besteht. Der Arbeitnehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist weder im engeren nationalrechtlichen Sinne arbeitsrechtlich noch sozialrechtlich und damit auch nicht grundsicherungsrechtlich zu verstehen; er ist vielmehr ausschließlich im Lichte des Unionsrechts, hier speziell im Sinne des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts auszulegen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.11.2015 - L 6 AS 197/15 B ER). Abzustellen ist auf den unionsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Art. 45 AEUV. Die Arbeitnehmereigenschaft wird nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen. Dies ist gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen (EuGH, Urteile vom 6.11.2003 Ninni-Orasche - C-413/01 und vom 21.02.2013 -C-46/12). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch bei "geringfügig Beschäftigten" ist zu prüfen, ob die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung - trotz der geringen Arbeitszeiten - als "tatsächlich und echt" angesehen werden kann (Arbeitnehmereigenschaft bejahend bei einer Arbeitsleistung von 5,5 Stunden wöchentlich und einem Verdienst von 175,00 EUR monatlich: EuGH, Urteil vom 04.02.2010 Genc C-14/09; zu einem Fall ohne vertragliche Mindestarbeitsleistung: EuGH, Urteil vom 26.02.1992 Raulin C-357/89). Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH, Urteil vom 04.02.2010 Genc - C-14/09 ; vgl. zusammenfassend: BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R). Auch unter Anlegung der Maßstäbe des Antragsgegners - 8 Stunden wöchentlich und 280,00 EUR Monatsentgelt - sprechen die dokumentierten Arbeitsstunden, das erzielte Arbeitsentgelt ebenso wie die arbeitsvertraglich zugesicherte Anwendung der gültigen Tarifverträge, der über dem Mindestlohn liegende Stundenlohn und schließlich, dass es sich beim Arbeitgeber um eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassungsfirma handelt, für eine tatsächliche und echte Tätigkeit. Ob allein die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses - 2 Monate - unter Würdigung des Charakters des Arbeitsverhältnisses als Minijob es rechtfertigt, diese Tätigkeit dennoch als völlig untergeordnet und unwesentlich zu bewerten, ist im Hauptsacheverfahren zu klären.

Die Antragsteller haben jedenfalls ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011 vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (VO 492/11/EU; zuvor Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom 15.10.1968) glaubhaft gemacht (vgl. zu diesem Aufenthaltsrecht Beschlüsse des Senats vom 20.01.2016 - L 19 AS 1824/15 B ER - und vom 16.03.2015 - L 19 AS 275/15 B ER).

Danach können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Art. 10 VO 492/11/EU verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemein bildenden Schule und damit ein autonomes, d.h. nicht vom Aufenthaltsrecht seiner Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht hängt weder von der Rechtsstellung als Kind, dem Unterhalt gewährt wird, noch von dem Recht der Eltern auf Aufenthalt im Aufnahmestaat ab. Es gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO 492/11/EU verlangt nur, dass das Kind mit seinem Eltern und seinem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedsstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl. EuGH, Urteile vom 13.06.2013 - C 45/12 -, vom 14.06.2012 - C-542/09 -, vom 06.09.2012 Czop und Punakova - C-147/11/148/11 - und vom 23.02.2010 Ibrahim - C 310/08 - und Teixeira - C-480/08).

Die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht erfüllt der Antragsteller zu 3). Unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller zu 1) aufgrund seiner in der Zeit vom 16.10.2015 bis zum 23.12.2015 ausgeübten Tätigkeit Arbeitnehmer i.S.v. der VO 492/11/EU ist, begründen die in der Zeit vom 13.08.2012 bis zum 28.02.2015 ausgeübten Beschäftigungen einen Arbeitnehmerstatus des Antragstellers zu 1). Diese Tätigkeiten sind im Hinblick auf die Höhe der Arbeitsstunden und des Entgelts sowie die Dauer der Beschäftigung bei gewerblichen Arbeitgebern mit Tarifbindung als nicht untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten zu werten, sondern als echte und tatsächliche Tätigkeiten im Sinne von Art. 45 AEUV. Davon ist der Antragsgegner auch bei der Bewilligung aufstockender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Antragsteller zu 1) und seiner Familie in den Jahren 2013 bis 2015 ausgegangen. Der Arbeitnehmerbegriff der VO 492/11/EU unterscheidet sich nicht von dem Arbeitnehmerbegriff im Freizügigkeitsrecht nach Art. 45 AEUV. Denn nach den Erwägungsgründen 2 - 6 der Verordnung sollen in der Verordnung Bestimmungen festgelegt werden, mit denen die in den Artikeln 45 und 46 AEUV auf dem Gebiet der Freizügigkeit festgelegten Ziele erreicht werden können, wobei die in der Verordnung konkretisierten Rechte gleichermaßen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern, die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben, zustehen sollen (Erwägungsgrund 5). Damit handelt es sich bei dem Antragsteller zu 3) um ein Kind eines (ehemaligen) Arbeitnehmers. Er hat auch in der Bundesrepublik seinen Wohnsitz genommen, während sein Vater - der Antragsteller zu 1) - ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer hatte. Damit hat der Antragsteller zu 3) aus Art. 10 VO 492/11/EU ein Recht auf Zugang zum allgemeinen Unterricht sowie zur Lehrlings- und Berufsausbildung erworben. Dieses Recht impliziert ein Aufenthaltsrecht des Kindes eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers, wenn es seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzt.

Der Antragsteller zu 3) hat auch eine Ausbildung i.S.v. Art. 10 VO 492/11/EU aufgenommen und noch nicht beendet. Er nimmt am Unterricht einer allgemeinen bildenden Schule i.S.v. Art. 10 VO 492/11/EU teil. Er ist Schüler einer Hauptschule und besucht die 10. Klasse. Allein die Tatsache, dass erhebliche Fehlstunden im ersten Schulhalbjahr 2015/16 belegt sind, lässt dieses Aufenthaltsrecht nicht entfallen. Zumindest während des Besuches einer allgemeinbildenden Schule genügt zur Begründung und Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO 492/11/EU, dass ein Kind in das Schulsystem des Mitgliedstaates eingegliedert ist (vgl. EuGH, Urteil vom 06.09. 2012 Czop und Punakova, C-147/11 und C-148/11). Vorliegend ist der Antragsteller zu 3) in das Schulsystem des Landes Nordrhein-Westfalen eingegliedert. Er ist an der Hauptschule H. E. der Evangelischen Jugendhilfe J GmbH angemeldet und unterliegt aufgrund seines Alters und der besuchten Klasse - 10. Schuljahr in der Sekundarstufe I - der Vollzeitschulpflicht i.S.v. §§ 37 Abs. 1, 34 SchulG NRW. Der Antragsteller zu 3) ist auch nicht nur pro Forma an der Schule angemeldet, sondern nimmt am Unterricht teil. Durch seinen unregelmäßigen Schulbesuch verletzt der Antragsteller zu 3) zwar die sich aus dem Schulverhältnis ergebende Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme am Schulunterricht nach § 43 Abs. 1 SchulG NRW. Dies beendet aber nicht automatisch das Schulverhältnis bzw. lässt die Schulpflicht ruhen. Vielmehr bestimmt § 41 Abs. 1 S. 2 SchulG NRW, dass die Eltern dafür verantwortlich sind, dass ein schulpflichtiges Kind am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt und sieht vor, dass die Eltern von der Schulaufsichtsbehörde durch Zwangsmittel gemäß §§ 55 bis 65 Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW zur Erfüllung ihrer Pflichten gemäß Absatz 1 angehalten werden können (§ 41 Abs. 5 SchulG NRW).

Das einem Kind - vorliegend dem Antragsteller zu 3) - zuerkannte Recht, im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter den bestmöglichen Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen, impliziert notwendig auch das Recht des Kindes auf Betreuung durch eine die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Person, in der Folge zugleich, dass es dieser Person ermöglicht wird, während der Ausbildung des Kindes mit diesem zusammen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, Urteile vom 23.02.2010 Ibrahim - C 310/08 - und Teixeira - C-480/08). Mithin haben der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) als sorgeberechtigte Elternteile, die auch die tatsächliche Sorge ausüben, ein aus Art. 10 VO 492/11 VO abgeleitetes Aufenthaltsrecht.

Die einmal erworbenen und fortbestehenden Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte eines Kindes bzw. der Elternteile aus Art. 10 VO 492/11/EU bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 Ibrahim - C 310/08 ). Damit endet ein aus Art. 10 VO 492/11/EU abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines sorgeberechtigten Elternteils erst, wenn das aus Art. 10 VO 492/11/EU aufenthaltsberechtigte Kind seine Ausbildung beendet, volljährig wird, soweit es nicht weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge dieses Elternteils bedarf, oder der Verlust seines Aufenthaltsrechts nach den Vorschriften des FreizügG/EU festgestellt wird. Für die Verlustfeststellung von Aufenthaltsrechten von Unionsbürgern sind ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig.

2. Ein Anordnungsgrund ist gegeben. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts wird Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Falls der Antragsgegner seine Auffassung im Widerspruchsverfahren aufrecht erhält, dass die Antragsteller im streitbefangenen Zeitraum kein materielles Aufenthaltsrecht innehaben, hat er seiner Pflicht aus § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I - Weiterleitung des Antrags an den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger - zu genügen (vgl. zu Ansprüchen von Unionsbürgern, die dem Leistungsauschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, nach dem Dritten Kapitel des SGB XII: BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R).

B. Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet.

Die Antragsteller begehren im Beschwerdeverfahren die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 02.12.2015 bis zum 29.02.2016.

Das Sozialgericht hat zutreffend eine Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes betreffend die Bedarfe i.S.v. § 22 SGB II für den streitbefangenen Zeitraum verneint. Ein Anordnungsgrund kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur bejaht werden, wenn dem jeweiligen Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Schutzgut der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II ist die Deckung des elementaren Bedarfes, eine Unterkunft zu haben. Der Anordnungsgrund bei der einstweiligen Zuerkennung von unterkunftsbezogenen Grundsicherungsleistungen nach § 86b Abs. 2 SGG ergibt sich demzufolge weder aus der Vermeidung von Mietschulden/Mehrkosten noch aus dem Risiko einer im Zeitablauf schwieriger werdenden Abwendung eines Wohnungsverlustes, sondern aus der konkret und zeitnah drohenden Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (vgl. hierzu etwa Beschluss des Senats vom 05.05.2014 - L 19 AS 632/14 B ER m.w.N.). Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 02.09.2015 - L 19 AS 1382/15 B ER m.w.N.). Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 - 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 und 2, Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, seither § 22 Abs. 9 SGB II; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Eine konkrete Gefährdung der Unterkunft im dargestellten Sinne ist nicht glaubhaft gemacht.

Auch wenn der Auffassung der Antragsteller gefolgt würde, dass bereits die Möglichkeit einer Kündigung des Wohnraumes wegen bestehender Mietrückstände einen Anordnungsgrund begründen kann, bestünde kein Anordnungsgrund, weil durch die begehrte Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab der Antragstellung bei Gericht, also dem 02.12.2015, die Gefährdung der Unterkunft der Antragsteller nicht abgewendet werden könnte. Der Vermieter hat schon vor der Einleitung des einstweiligen Rechtschutzverfahrens die Wohnung wegen Mietrückständen fristlos und hilfsweise fristgerecht gekündigt sowie die Einleitung eines Räumungsverfahrens angekündigt. Die Antragsteller haben bislang nicht schlüssig vorgetragen bzw. durch Vorlage von Belegen glaubhaft gemacht, dass der Vermieter bei Zahlung der laufenden Miete ab Dezember 2015 von der Erhebung einer Räumungsklage absehen wird bzw. bereit ist, das Mietverhältnis mit ihnen fortzusetzen. Der Vermieter hat vielmehr in dem Kündigungsschreiben der Weiterführung des Mietverhältnisses widersprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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