L 24 KA 68/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 136/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KA 68/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Poliklinik wird nicht in eigenen Rechten verletzt, wenn eine ehemalige Angestellte einen Vertragsarztsitz nach § 103 Abs. 4 a S. 2 SGB V erhält.
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladenen zu 2) bis 8) müssen jedoch für ihre Kosten selbst aufkommen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Zulassungsbescheid des Beklagten zugunsten der Beigeladenen zu 2).

Der Zulassungsausschuss für Ärzte für den Zulassungsbezirk Frankfurt (Oder) genehmigte im Jahr 1997 der Klägerin, einer Einrichtung nach § 311 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), die Einstellung der Beigeladenen zu 2) als Fachärztin für Innere Medizin. Diese war bis dahin nicht als Vertragsärztin tätig gewesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei der Klägerin sei am 1. Oktober 1992 das Fachgebiet Innere Medizin mit vier Internisten und einem Pulmologen besetzt gewesen. Eine Internistin werde ihre Tätigkeit zum 31. August 1997 beenden. Die Einstellung der Beigeladenen zu 2) werde zum 1. September 1997 genehmigt. Der Bestandsschutz gemäß § 311 SGB V sei gegeben.

Die Beigeladene zu 2) beantragte mit Schreiben vom 25. Mai 2003 ihre eigene Zulassung als Vertragsärztin im gesperrten Planbezirk O. Ihre Tätigkeit bei der Klägerin endete zum 15. November 2013.

Mit Beschluss vom 14. August 2013 ließ der Zulassungsausschuss für Ärzte für das Land Brandenburg bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (Zulassungsausschuss) die Beigeladene zu 2) nach § 103 Abs. 4a SGB V i. V. m. § 311 Abs. 2 Satz 2 SGB V und §§ 55 und 57 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie als Fachärztin für Innere Medizin für den Vertragsarztsitz R, mit Wirkung vom 1. November 2013 zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu.

Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss aus, die Voraussetzungen für die Zulassung als Vertragsärztin seien erfüllt. Der Zulassung entgegenstehende Gründe seien nicht bekannt. Ferner seien die Voraussetzungen, welche die Zulassung nach § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V i. V. m. § 311 Abs. 2 Satz 2 SGB V und §§ 55 f. Bedarfsplanungs-Richtlinie rechtfertigten, gegeben. Nach § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V erhalte ein Arzt nach einer Tätigkeit in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) von mindestens fünf Jahren im betreffenden Planbereich unbeschadet der Zulassungsbeschränkungen auf Antrag eine Zulassung in diesem Planungsbereich. Dies gelte nicht für Ärzte, die aufgrund einer Nachbesetzung nach § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V oder erst seit dem 1. Januar 2007 in einem MVZ tätig seien. § 56 Bedarfsplanungs-Richtlinie regele die Möglichkeit der Zulassung nach § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V, wenn der angestellte Arzt im zurückliegenden Zeitraum von fünf Jahren mindestens mit dem Faktor 0,75 auf den Versorgungsgrad angerechnet worden sei. § 57 Bedarfsplanungs-Richtlinie bestimme, dass eine Anstellung wegen Nachbesetzung in einer Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V, die bis zum 31. Dezember 2003 erfolgt sei, nicht als Nachbesetzung im Sinne des § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V gelte. Da in § 311 Abs. 2 Satz 2 SGB V bestimmt werde, dass im Übrigen für die Einrichtungen nach § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Vorschriften des SGB V für MVZ entsprechend gelten, sei die Regelung des § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V auch auf die in Einrichtungen nach § 311 Abs. 2 SGB V angestellten Ärzte anzuwenden.

Die Klägerin erhob unter dem 17. Oktober 2013 Widerspruch. Die Beigeladene zu 2) sei bei ihr 1997 innerhalb des Bestandsschutzes nach § 311 SGB V quasi nachbesetzt worden und falle nicht in den Personenkreis des § 103 Abs. 4a SGB V. Sie habe nämlich seinerzeit nicht zugunsten der Klägerin auf eine Zulassung verzichtet. Deshalb gehöre sie nicht zu dem Personenkreis, der nach fünfjähriger Tätigkeit in einem MVZ berechtigt sei, eine Zulassung zu beantragen.

Der Beklagte wies den Widerspruch in seiner Sitzung am 10. Dezember 2013 als unzulässig zurück und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung nach § 97 Abs. 4 SGB V an. Zur Begründung führte er aus, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seinem Beschluss vom 23. April 2009 (1 BvR 3405/08) sinngemäß ausgeführt, dass ein Drittwiderspruch im Hinblick auf Art. 12 Grundgesetz (GG) (nur) dann in Betracht komme, wenn den bereits zum Markt zugelassenen Leistungserbringern ein gesetzlicher Vorrang gegenüber den auf den Markt drängenden Konkurrenten eingeräumt sei. Dem habe sich das Bundessozialgericht (BSG) angeschlossen und zugelassenen Vertragsärzten gegenüber Ermächtigungen und Zulassungen aufgrund Sonderbedarfs die Befugnis zur Drittanfechtung zugesprochen (Bezugnahme auf Urteil vom 17. Juni 2009 -B 6 KA 25/08 R). Die Zulassung der Beigeladenen zu 2) sei indes gegenüber der Teilnahmeberechtigung der Klägerin als Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V nicht nachrangig, sondern gleichrangig. Deshalb könne die Klägerin sich nicht auf diese Rechtsprechung berufen. Eine Widerspruchsbefugnis ergebe sich auch nicht aus allgemeinen Rechtsschutzerwägungen, die etwa dann angezeigt sein könnten, wenn die Arztzulassung unter keinerlei rechtlichem Aspekt hätte erfolgen dürfen, also bei Fällen rein willkürlicher und durch keine Norm gerechtfertigter Zulassungsentscheidungen. Die Zulassung der Beigeladenen zu 2) sei jedoch rechtmäßig. Ein zulässiger Widerspruch hätte als unbegründet zurückgewiesen werden müssen. Zwar sei die Beigeladene zu 2) als Nachfolgerin eines anderen Internisten in der Einrichtung der Klägerin ab 1. September 1997 tätig geworden. Gleichwohl sei diese "Nachbesetzung" nicht in der Weise zu berücksichtigen, ihr jetzt die Zulassung nach § 103 Abs. 4a SGB V zu verwehren. Denn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe in der Bedarfsplanungs-Richtlinie vom 20. Dezember 2012 in den §§ 56 f. für die bedarfsunabhängige Zulassung geregelt, dass eine Anstellung aufgrund einer Nachbesetzung in einer Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V, die bis zum 31. Dezember 2003 erfolgt sei, nicht als Nachbesetzung im Sinne von § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V gelte. Dies treffe auf die Beigeladene zu 2) zu. Der GBA sei befugt gewesen, diese Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 9 SGB V zu erlassen.

Die Klägerin hat am 16. Dezember 2013 hiergegen Klage beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihr außergerichtliches Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, die Klagebefugnis müsse bestehen, weil eine andere Möglichkeit, sich gegen eine offensichtlich rechtswidrige Entscheidung zu wenden, nicht bestehen würde. Nach den Gesetzesmaterialien sei die Vorschrift des § 103 Abs. 4 a SGB V ausschließlich für den Personenkreis geschaffen worden, der zugunsten seiner Anstellung in einem MVZ auf eine eigene vertragsärztliche Zulassung verzichtet habe. Nur dieser Personenkreis sei nach der eindeutigen Gesetzesvorschrift berechtigt, nach fünfjähriger Tätigkeit um eine erneute Zulassung nachzusuchen. Aus § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V werde deutlich, dass ein Verzicht des Vertragsarztes, um in einem MVZ tätig zu werden, tatbestandliche Voraussetzung sei. Diese Voraussetzung liege bei der Beigeladenen zu 2) nicht vor. Sie habe zu keinem Zeitpunkt auf eine vertragsärztliche Zulassung verzichtet. Die Verletzung des § 103 Abs. 4a SGB V durch den Beklagten sei dermaßen evident, dass die Klägerin widerspruchs- bzw. klagebefugt sei. Die §§ 56 f. Bedarfsplanungs-Richtlinien seien als untergesetzliche Normen nicht geeignet, den klaren Normbefehl des formellen Gesetzes aufzuheben. Die Rechtsauffassung des Beklagten bedeutete einen "Dammbruch", weil sich nunmehr fast alle Ärzte im MVZ und Einrichtungen nach § 311 SGB V nach fünfjähriger Tätigkeit als selbständige Vertragsärzte niederlassen und eine entsprechende Zulassung beantragen könnten. Das SG hat mit Urteil vom 18. Juni 2014 (Zustellung: 23. Juli 2014) die Klage abgewiesen. Diese sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin sei nicht berechtigt, im Wege eines Drittwiderspruches bzw. einer Drittklage gegen die vom Beklagten der Beigeladenen zu 2) erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung vorzugehen. Das BSG sei den Vorgaben des BVerfG in dessen Beschluss vom 23. April 2009 (1 BvR 3405/08) gefolgt, wonach ein Vertragsarzt nur dann die Zulassung eines Konkurrenten anfechten könne, soweit dieser aufgrund Sonderbedarfes ermächtigt und zugelassen sei. In einem Parallelfall, der sich erledigt habe, habe das BSG im Kostenbeschluss vom 10. Oktober 2009 (B 6 KA 9/08 R) ausgeführt, dass das Urteil des SG (vom 5. Dezember 2007 in der Sache S 1 KA 63/06) keine Rechtsfehler erkennen lasse. Das SG habe seine Entscheidung vorrangig darauf gestützt, dass der fehlende Nachrang im obigen Sinne sich daraus ergebe, dass auch in einem wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereich die Zulassung längerfristig in einer Gesundheitseinrichtung angestellte Ärzte auf der Grundlage des § 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V gerade nicht die Prüfung Bejahung eines noch nicht gedeckten Versorgungsbedarfes voraussetze. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei ebenfalls zulässig, jedoch auch unbegründet. Auch insoweit bestehe keine Anfechtungsberechtigung.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 20. August 2014. Zur Begründung hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie hat ergänzend vorgetragen, gegenwärtig arbeiteten bei ihr vier weitere Ärzte, welche die Voraussetzungen, sich wie die Beigeladene zu 2) um eine vertragsärztliche Zulassung zu bemühen, erfüllten.

Die Klägerin beantragt noch,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Juni 2014 abzuändern und den Beschluss des Beklagten vom 10. Dezember 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kostenbeschluss des BSG vom 10. Oktober 2009 betreffe einen völlig identischen Rechtsstreit.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Die Gesetzesmaterialien stützten entgegen der Auffassung der Klägerin die Position des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht als zulässig, aber unbegründet angesehen.

I. Die Klage ist zulässig. 1. Alleiniger Streitgegenstand ist der Bescheid des Berufungsausschusses. Mit Anrufung des Beklagten als Berufungsausschuss war der Zulassungsausschuss nicht mehr zur Beschlussfassung und Entscheidung in der Zulassungssache der Beigeladenen zu 2) funktionell zuständig. Die materiell-rechtliche Befugnis zur Bescheiderteilung war mit diesem Zeitpunkt in die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit des Beklagten übergegangen. § 95 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet in den Zulassungssachen der §§ 96, 97 SGB V keine Anwendung. Das nach Anrufung des Berufungsausschusses im Sinne des § 96 Abs. 4 SGB V durchzuführende Verfahren vor dem Berufungsausschuss ist kein Vorverfahren im Sinne des § 95 SGG (vgl. BSG Urt. v. 27 Januar 1993 -6 RKa 40/91- juris-Rdnr. 13; Urt. v. 17.Oktober 2012, B 6 KA 49/11 R, BSGE 112,90; Rdnr. 18, Orlowski/Rau/Wasem u.a. in: Orlowski/Rau/Wasem u.a., SGB V-Kommentar - Gesetzliche Krankenversicherung - GKV, 41. AL, § 97 Rdnr. 20 mit weit. Nachweisen). Daran ändert sich nicht deshalb etwas, weil der Beklagte seine Anrufung durch die Klägerin als unzulässig angesehen hat. Jedenfalls dies zu prüfen war seine Aufgabe. Er hat zudem auch in der Sache eine Rechtmäßigkeitskontrolle durchgeführt. Ob anderes gälte, wenn Kläger ein gänzlich Unbeteiligter wäre, der keinesfalls am Verfahren zu beteiligen wäre, kann dahingestellt bleiben.

2. Der Antrag stellt ein Anfechtungsbegehren dar. Der Klägerin geht es in der Sache (nur) um die Aufhebung der der Beigeladenen zu 2) erteilten Zulassung, nicht auch um eine sich daran möglicherweise anschließende andere Entscheidung.

3. Die Klagebefugnis (formelle Beschwer) nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGG ist gegeben. Für die Behauptung der Beschwer durch den angefochtenen Verwaltungsakt reicht es aus, die Möglichkeit einer Rechtsverletzung geltend zu machen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Keller, SGG, 11.A 2014 § 54 Rdnr. 6 mit Rechtsprechungsnachweisen). Unzulässig ist ein Rechtsbehelf nur dann, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise Rechte des Klägers verletzt sein können (BSG, Urt. v. 7. Februar 2007 -B 6 KA 8/06 R- juris-Rdnr. 17). Die Klägerin hat hier ausführlich dargelegt, weshalb die Zulassung ihrer ehemaligen Angestellten sie ihrer Ansicht nach in ihren Rechten aus §§ 311 Abs. 2, 95 SGB V, Art. 19 III i. V. m. 12 GG verletzt.

II. Die Klage ist aber unbegründet.

Die Zulassung der Beigeladenen verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten.

1. Sie wird nicht (materiell) beschwert, § 54 Abs. 1 S. 2 SGG.

Zwar fehlte es (wie nach früherer Rechtsprechung des BSG) an einer dem Grundrechtsschutz angemessenen Verfahrensgestaltung, wenn eine defensive Konkurrentenklage im vertragsärztlichen Bereich nur zur Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung auf gravierende Rechtsverstöße führen könnte. Vielmehr ist die volle Überprüfung der Rechtmäßigkeit dann eröffnet - und dem Vertragsarzt also die Berechtigung anzuerkennen, die einem anderen Arzt erteilte Ermächtigung zur Teilnahme an der ambulanten Versorgung anzufechten -, wenn - erstens - der Status des anfechtenden Vertragsarztes Vorrang vor demjenigen des durch den Verwaltungsakt begünstigten Arztes hat und - zweitens - der Anfechtende im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen wie der Begünstigte anbietet (BSG, a. a. O. Rdnr. 19 unter Bezugnahme auf BVerfG, B. vom 17. August 2004 -1 BvR 378/00- SozR-4-1500 § 54 Nr. 4 juris-Rdnr. 26ff). Ein solches Vorrang-Nachrang-Verhältnis ist etwa im Verhältnis eines Zulassungsinhabers zu einem Krankenhausarzt gegeben, der auf der Rechtsgrundlage des § 116 SGB V i. V. m. § 31a Zulassungsverordnung für Vertragsärzte eine Ermächtigung beanspruche bzw. erhalte, nicht hingegen bei einer negativen Konkurrentenklage eines Plankrankenhauses gegen die Neuaufnahme eines weiteren Krankenhauses (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2009 -1 BvR 3405/08- juris-Rdnr. 10).

Hier hingegen hat bereits das SG zutreffend festgestellt, dass die Zulassung auf der Grundlage des § 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V ungeachtet der Sperrung des Planungsbezirks aufgrund Überversorgung nicht vom Vorliegen eines noch ungedeckten Versorgungsbedarf abhänge. Es hat hierzu auf den diese Auffassung bestätigenden Beschluss des BSG vom 1. Oktober 2009 (B 6 KA 9/08 R; dort mit Bezugnahme auf Urteile vom 17. Juni 2009 -B 6 KA 25/08 R- und B 6 KA 38/08R) hingewiesen.

2. Überdies erfolgte die Zulassung im Einklang mit dem geltenden Recht. Die Erteilung einer Zulassung nach § 103 Abs. 4a SGB V hat nicht (auch) die Voraussetzung, dass der jetzt nach mindestens fünfjähriger Tätigkeit in einem MVZ die Zulassung begehrende Arzt zuvor zu Gunsten des MVZ auf einen Vertragsarztsitz verzichtet hatte:

§ 103 Abs. 4a SGB V wurde mit Wirkung ab 1. Januar 2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) v. 14. November 2003 (BGBl I 2003, 2190) eingeführt.

Der Absatz lautete zunächst:

Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden, so hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen; eine Fortführung der Praxis nach Absatz 4 ist nicht möglich. Soll die vertragsärztliche Tätigkeit in den Fällen der Beendigung der Zulassung nach Absatz 4 Satz 1 von einem Praxisnachfolger weitergeführt werden, kann die Praxis auch in der Form weitergeführt werden, dass ein medizinisches Versorgungszentrum den Vertragsarztsitz übernimmt und die vertragsärztliche Tätigkeit durch einen angestellten Arzt in der Einrichtung weiterführt. Die Absätze 4 und 5 gelten entsprechend. Nach einer Tätigkeit von mindestens fünf Jahren in einem medizinischen Versorgungszentrum, dessen Sitz in einem Planungsbereich liegt, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, erhält ein Arzt unbeschadet der Zulassungsbeschränkungen auf Antrag eine Zulassung in diesem Planungsbereich; dies gilt nicht für Ärzte, die auf Grund einer Nachbesetzung nach Satz 5 in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind. Medizinischen Versorgungszentren ist die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind.

Zu Satz 4 heißt es hierzu in den Gesetzesmaterialien (BT Drs. 15/1525 Seite 112): " ... Satz 4 erlaubt angestellten Ärzten eines Medizinischen Versorgungszentrum, die durch ihre Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum dessen Gründung oder die Erweiterung dessen ärztlichen Behandlungsangebots ermöglicht haben, nach mindestens fünf Jahren in dem betreffenden Planungsbereich auch dann in die Niederlassung zu wechseln, wenn dieser Planungsbereich wegen Überversorgung gesperrt ist. Gleichzeitig darf das Medizinische Versorgungszentrum die durch den Wechsel in die Freiberuflichkeit in dem Zentrum frei werdende Arztstelle nachbesetzen. Diese besondere Niederlassungsmöglichkeit erhöht die Attraktivität des Medizinischen Versorgungszentrums für junge Ärzte, die diese Ärzte durch eine fünfjährige Tätigkeit als angestellte Ärzte einer derartigen Einrichtung nicht nur Erfahrungen für eine spätere freiberufliche Tätigkeit sammeln, sondern aufgrund dieser Regelungen auch die Möglichkeit erhalten, in einem gesperrten Gebiet in die Freiberuflichkeit zu wechseln, ohne den normalerweise notwendigen Weg über die Praxisübergabe nach § 103 Abs. 4 SGB V gehen zu müssen."

Das Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG) vom 22.Dezember 2006 (BGBl I 2006, 3439) fügte mit Geltung ab 01. Januar 2007 in Absatz 4a Satz 4 zweiter Halbsatz nach der Angabe "Satz 5" die Wörter "oder erst seit dem 1. Januar 2007"ein.

§ 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V lautete also ab dem genannten Zeitraum:

Nach einer Tätigkeit von mindestens fünf Jahren in einem medizinischen Versorgungszentrum, dessen Sitz in einem Planungsbereich liegt, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, erhält ein Arzt unbeschadet der Zulassungsbeschränkungen auf Antrag eine Zulassung in diesem Planungsbereich; dies gilt nicht für Ärzte, die auf Grund einer Nachbesetzung nach Satz 5 oder erst seit dem 1. Januar 2007 in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind.

In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu, die Regelung in Satz 4 fördere eine Überversorgung und stelle eine Ungleichbehandlung derjenigen Ärzte da, die nicht als Angestellte in einem MVZ sondern als Angestellte in einer Arztpraxis tätig seien (BTDrucks. 16/3157, S. 17).

Art. 1 Nr. 36 des Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG) v. 22. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2983) fügte zum 1. Januar 2012 unter anderem in Absatz 4a Satz 1 nach dem Wort "genehmigen" die Wörter ",wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen" ein, hob die Sätze 2 und 3 auf und fügte einen Satz 4 neu ein.

§ 103 Abs. 4a SGB V hat demnach seit Januar 2012 folgenden Wortlaut:

Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden, so hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen; eine Fortführung der Praxis nach Absatz 4 ist nicht möglich. Nach einer Tätigkeit von mindestens fünf Jahren in einem medizinischen Versorgungszentrum, dessen Sitz in einem Planungsbereich liegt, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, erhält ein Arzt unbeschadet der Zulassungsbeschränkungen auf Antrag eine Zulassung in diesem Planungsbereich; dies gilt nicht für Ärzte, die auf Grund einer Nachbesetzung nach Satz 5 oder erst seit dem 1. Januar 2007 in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind. Medizinischen Versorgungszentren ist die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. § 95 Absatz 9b gilt entsprechend.

Der Verweis in S. 2, 2. Halbsatz auf Satz 5 ist heute also falsch, sondern bezieht sich jetzt auf Satz 3 (ebenso: Flint in Hauck/Noftz SGB V, § 103 Rdnr. 155).

Nach den zitierten Gesetzesmaterialien ist der Klägerin zuzugeben, dass nicht allen Ärzten eines Medizinischen Versorgungszentrums nach fünf Jahren ein eigener Vertragsarztsitz zugebilligt werden sollte, sondern nur denjenigen, welche entweder die Gründung des MVZ ermöglicht hatten oder die Erweiterung dessen ärztlichen Behandlungsangebots. Nach der Gesetzesbegründung sollte derjenige angestellte Arzt, der lediglich in einem MVZ auf eine bereits bestehende Arztstelle nachbesetzt, von dieser Privilegierung nicht profitieren.

Diese Einschränkung ist allerdings dem Wortlaut des § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V nicht zu entnehmen. Auch die von der Klägerin angenommene Auslegung des "Arztes" im Sinne des Satzes 2 durch eine einschränkende Auslegung auf einen solchen Vertragsarzt, der (zuvor) nach Satz 1 auf seine Zulassung verzichtet hat, um einem MVZ tätig zu werden, ergibt sich nicht zwingend.

Das Gesetz beschränkt vielmehr die Einschränkung nicht auf alle die angestellten Ärzte, die im irgendwann einmal Wege einer bloßer Nachbesetzung an ein MVZ oder eine Poliklinik gelangt sind, sondern nur auf diejenigen, bei denen die Nachbesetzung speziell nach § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V an ein MVZ erfolgt ist.

Wörtlich genommen bezieht sich also die Einschränkung in § 103 Abs. 4a S. 4, 2. Hs, nur auf Anstellungen in einem MVZ nach dem 1. Januar 2004. Erst mit diesem Datum gab es nämlich "Nachbesetzungen nach § 103 Abs. 4a Satz 5" (bzw. jetzt Satz 3) SGB V. "Altfälle", die bereits vor 2004 Arztstellen nachbesetzt haben, genießen die Privilegierung, auch wenn sie bei ihrer Einstellung keinen Arztsitz eingebracht hatten.

Dass dem (historischen) Gesetzgeber bewusst war, dass es auch vor der Gesetzesnovelle Nachbesetzungen gegeben hat, ergibt sich zudem speziell für Polikliniken aus der gleichzeitigen Änderung des § 311 Abs. 2 SGB V.

§ 311 Abs. 2 SGB V lautete bis 31. Dezember 2003:

Zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung werden bei Anwendung des § 72 die im Beitrittsgebiet bestehenden ärztlich geleiteten kommunalen, staatlichen und freigemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen einschließlich der Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesen (Polikliniken, Ambulatorien, Arztpraxen) sowie diabetologische, nephrologische, onkologische und rheumatologische Fachambulanzen mit Dispensaireauftrag kraft Gesetzes zur ambulanten Versorgung zugelassen, soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden. Die kirchlichen Fachambulanzen sind kraft Gesetzes bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen, soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden. Die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder teilen die Fachambulanzen, die die Voraussetzungen des Satzes 1 und 2 erfüllen, mit ihren Tätigkeitsfeldern und der Zahl der Ärzte den kassenärztlichen Vereinigungen und dem Bundesministerium für Gesundheit mit. Der Zulassungsausschuß kann die Zulassung nach Satz 1 und 2 widerrufen, wenn eine ordnungsgemäße und wirtschaftliche ambulante Versorgung durch die Einrichtung nicht möglich ist. Die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen haben die in den Einrichtungen nach Satz 1 und 2 beschäftigten Ärzte bei der Bedarfsplanung zu berücksichtigen. Die Anstellung eines Arztes in einer Einrichtung nach Satz 1 oder 2 bedarf der Genehmigung des Zulassungsausschusses. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 Satz 3 erfüllt sind; dies gilt in einem Planungsbereich, in dem bereits vor der Antragstellung eine Überversorgung festgestellt ist nur dann, wenn sonst der zum 1. Oktober 1992 festgesetzte Bestand von Ärzten unterschritten würde. Fachambulanzen mit Dispensaireauftrag sind der fachärztlichen Versorgung (§ 73) zuzuordnen. Die Sätze 6 und 7 erster Halbsatz gelten für die Anstellung von Ärzten über die am 1. Oktober 1992 vorhandenen Fachgebiete hinaus, sofern vor Antragstellung keine Zulassungsbeschränkungen nach § 103 Abs. 1 angeordnet sind. 10Eine Nachbesetzung ist auch möglich, wenn Zulassungsbeschränkungen nach § 103 Abs. 1 angeordnet sind. Der Zulassungsausschuss hat den Antrag einer Einrichtung auf Verlegung ihres Sitzes zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen.

§ 311 Abs. 2 SGB V lautet ab 1. Januar 2004:

Die im Beitrittsgebiet bestehenden ärztlich geleiteten kommunalen, staatlichen und freigemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen einschließlich der Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens (Polikliniken, Ambulatorien, Arztpraxen) sowie diabetologische, nephrologische, onkologische und rheumatologische Fachambulanzen nehmen in dem Umfang, in dem sie am 31. Dezember 2003 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, weiterhin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Übrigen gelten für die Einrichtungen nach Satz 1 die Vorschriften dieses Buches, die sich auf medizinische Versorgungszentren beziehen, entsprechend.

Erst ab 2004 sollten die Vorschriften für MVZ Anwendung finden, also auch die Nachbesetzungsvorschrift des § 103 Abs. 4a SGB V.

Von der so skizzierten Rechtslage ist auch der GBA ausgegangen, indem er in die Bedarfsplanungs-Richtlinie (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung) im Rahmen der Neufassung vom 20. Dezember 2012 im neuen § 57 folgenden Absatz 2 aufgenommen hat.

Eine Anstellung wegen Nachbesetzung in einer Einrichtung nach § 311 Absatz 2 SGB V, die bis zum 31. Dezember 2003 erfolgt ist, gilt nicht als Nachbesetzung im Sinne des § 103 Absatz 4a Satz 3 SGB V.

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2, 162 Abs.3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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